Beiträge von Fortissima

    Hallo Glahn,


    das klingt so, als spielten die Texte nur eine Rolle unter "ferner liefen". Dabei sind sie es, die den Autor zum dem machen, was er ist. Ich bin der altmodischen Meinung, dass die wichtigste Aufgabe eines Schriftstellers darin besteht, gute Bücher zu schreiben. Das ist sein Beruf. Alles andere können andere auch. Der/die beste soll dann den Nobelpreis erhalten. Das wäre die fairste Lösung.
    Dass heute die Political Correctness die Entscheidungen so extrem beeinflusst, liegt schon in der Satzung begründet. Nach dem Willen von Alfred Nobel geht der Preis an denjenigen Autor, Zitat:
    "der in der Literatur das Ausgezeichnetste in idealistischer Richtung hervorgebracht hat". Das Werk:
    "soll von sehr hohem literarischen Rang sein und dem Wohle der Menschheit dienen."
    Muss ein Kunstwerk wirklich idealistisch sein und dem Wohle der Menschheit dienen? Wer bestimmt denn, ob und wann das der Fall ist? Ist z.B. Peter Handke weniger erbaulich als Elfriede Jelinek oder umgekehrt? Soll man den größten Teil der modernen Literatur ignorieren, weil ihre Autoren partout nicht idealistisch sein und dem Wohl der Menschheit oder zumindest dem ihrer Leser dienen wollen? Die Satzung klingt wie eine Losung aus den Zeiten des deutschen Idealismus, und sie ist auch mindestens so antiquiert. Gut, dass es da noch die Forderung nach dem "hohen literarische Rang" des Werkes gibt. Es wäre schön, wenn sich das Komitee wieder mehr darauf besinnen würde. Dann wären auch die lächerlichen ideologischen Voruteile gegen die amerikanische Literatur überflüssig, und der Nobelpreis könnte seine einstige Strahlkraft zurückgewinnen. Vielleicht ist es ja am Montag schon so weit.


    Gruß


    Fortissima

    Die Literaturpäpste in Stockholm müssen aufpassen, dass sie mit ihren Totschlagargumenten gegen die amerikanische Literatur nicht den letzten Rest von Glaubwürdigkeit verlieren, dessen sie sich noch erfreuen dürfen. Wenn sie so weitermachen, wird aus der Preisverleihung bald eine Lachnummer. Dann muss man sich nicht wundern, wenn die Autoren, die etwas auf sich halten, froh sind, wenn ihnen der "Beruf" des Nobelpreisträgers erspart bleibt. Der Preis hat in den letzten Jahren eh schon erheblich an Attraktivität eingebüßt. Das liegt vor allem daran, dass er zu einem gesellschaftspolitischen Gesinnungspreis verkommen ist (wie leider viele Literaturpreise). Ausgezeichnet werden nicht mehr die Autoren, die die besten Bücher schreiben, sondern jene, welche am besten der Political Correctness entsprechen, was immer man in Stockholm darunter versteht. Anders sind die vielen fragwürdigen Entscheidungen, der dogmatische Hochmut des Komitees und die völlig veraltete Satzung nicht mehr zu erklären. Aus diesem Grund wird auch ein Autor wie z.B. Peter Handke nie den Nobelpreis erhalten, denn er hat sich mit seinen Äußerungen zum Jugoslawien-Konflikt zu weit und zu radikal von der Political Correctness entfernt. Da kann er so gut sein, wie er will. Die Stockholmer Richter verzeihen alles, sogar mittelmäßige Bücher, nur das nicht. Sobald einer es wagt, wirklich frei zu denken und zu schreiben, kann er den Nobelpreis abhaken.
    Dürrenmatt hatte Recht, als er vor Jahrzehnten klagte, die Preisverleihung sei reine Lotterie. Er schlug daher vor, gleich den Zufall entscheiden zu lassen, dann hätte jeder wenigstens eine faire Chance. Sicher hatte er Recht, aber ein solches Vorgehen käme einer Entmachtung des Komitees gleich, und das werden seine selbstgefälligen Mitglieder natürlich niemals zulassen. Daher ist zu befürchten, dass die Serie von Fehlgriffen bei den Kandidaten so schnell nicht abreißen wird. Alles andere wäre ein Wunder. Man kann nur hoffen, dass es bald geschieht ...

    Hallo Friedrich-Arthur,


    ich habe eine sehr schöne CD mit Rühmkorf und Enzensberger. Titel: "Rühmkorf/Enzensberger, Jahrgang 1929: Zwei Lyriker im Doppelbild" (NDR Audio). Beide lesen dort aus ihren Werken. Rühmkorf war ja nicht nur ein begnadeter Dichter, sondern auch ein brillanter Vortragskünstler zu einer Zeit, als das noch nicht so groß in Mode war wie heute. Wenn man sich mit diesem Sprachvirtuosen beschäftigen will, sollte man ihn daher unbedingt auch hören, nicht nur lesen. Sein letzter Gedichtband "Paradiesvogelschiß" ist ebenfalls empfehlenswert. Der erste Teil des Bandes besteht "nur" aus Notizen, spontanen Einfällen, Ideen, vorläufigen Versen. Im zweiten Teil kann der Leser dann die fertigen Gedichte bewundern. Dieses Verfahren gibt auch dem literarischen Laien einen Einblick in Rühmkorfs Dichterwerkstatt. Es ist jammerschade, dass dieser ebenso inspirierte wie handwerklich perfekte Autor nicht mehr lebt.


    Heute abend werden Grass und Enzensberger den Tausendsassa der deutschen Sprache noch einmal in "ttt-titel, thesen, temperamente" (ARD, 23 Uhr) würdigen.


    Dir einen schönen Sonntag


    Fortissima


    Hallo Fortissima! Du hast ungefähr 1 oder 2 Seiten leeren Raum in Deinem Beitrag gehabt zuunterst. Ich habe diese Luft mal abgelassen - nix für ungut! Grüsse - sandhofer

    Hallo zusammen,


    Jüngers Sammlung "Siebzig verweht. Die Tagebücher 1965-1996" ist allemal lesenswert. Dieser Autor hat a) viel erlebt, b) fast noch mehr gewusst und c) eine außerordentliche Beobachtungsgabe. Er war ja eine Art Universalgelehrter, ohne nur im Elfenbeinturm zu sitzen. Eine Spezies, die heute so gut wie ausgestorben ist. Ich habe nur zwei Bände seiner Tagebücher gelesen, aber vieles davon ist mir in lebhafter Erinnerung geblieben, z.B. Jüngers Drogenexperimente, seine naturwissenschaftlichen Exkursionen (er war ja leidenschaftlicher Käfersammler) und seine ausgiebigen Reisen in aller Herren Länder. Man mag den politischen Intellektuellen Jünger heute aus gutem Grund ablehnen, die Vielseitigkeit dieses Autors ist jedoch nach wie vor beeindruckend und anregend. Es gibt eine nette kleine Anekdote über seine Käfer-Passion: Auf die Frage, was von ihm einst übrig bliebe, soll er geantwortet haben: "Eins steht fest, mein Ruhm als Käfer-Experte wird wohl länger halten als mein literarischer." Es gibt ja einen Käfer, der Jüngers Namen trägt. Die genaue Bezeichnung hab ich leider vergessen. Steht aber, glaube ich, in den Tagebüchern.


    Lesereiche Woche


    Fortissima

    Hallo zusammen,


    zur Gruppe 47 habe ich ein interessantes Zitat von Günter Grass gefunden:


    "Ich halte es für wesentlich besser, wenn man sich nach dem Leseerlebnis etwa fragt, mit welchem Sprachmaterial hier umgegangen wird, welche Tricks der Autor verwendet. Oder wenn man bestimmte Bücher fächerübergreifend untersucht. Nehmen wir meine Erzählung „Das Treffen in Telgte“, ein erfundenes Treffen von Barockschriftstellern im Jahre 1647, dem letzten Jahr des Dreißigjährigen Krieges, mit dem ich meine eigenen Erfahrungen mit der Gruppe 47 verarbeite, indem ich sie ins 17. Jahrhundert zurückverlagere. In dieser Erzählung bringe ich auf 180 Seiten zwei sehr komplexe Sachverhalte, den Dreißigjährigen Krieg und die Barockliteratur, die endlose Bücherschränke füllt, auf einen Nenner, mache sie überschaubar, weshalb sich das Buch anbietet, gleichzeitig vom Deutsch- und vom Geschichtslehrer behandelt zu werden. Wie sieht das aus, wenn man eigenes Erleben aus dem 20. Jahrhundert ins 17. Jahrhundert in eine vergleichbare Kriegssituation zurückversetzt? Solche Fragen sind, glaube ich, für den Unterricht aufschlussreich. Aufschlussreicher als die ewige Grübelei „Was will der Dichter sagen“."


    Am 1.11.01 hat Grass sich im Rahmen der Auricher Wissenschaftstage mit Schülern unterhalten. Aus diesem Gespräch stammt das o.a. Zitat. Link: http://www.auricher-wissenschaftstage.de/grassint.htm


    Dort finden Ihr auch noch andere Interviews mit interessanten Zeitgenossen wie Enzensberger, Helmut Schmidt, Dieter Hildebrand u.a..


    Viel Spaß


    Fortissima

    Guten Abend liebe Literaturfreunde,


    das Tolle an Enzensberger ist ja, dass er immer für eine Überraschung gut ist. Das hat er mit seiner Hammerstein-Biographie einmal mehr eindrucksvoll bewiesen. Er bleibt eben nicht auf alten ideologischen und ästhetischen Hüten sitzen, sondern versucht, sich weiter zu entwickeln. Es gibt eine nette Anekdote über Enzensberger und Günter Grass: Jeder weiß, dass Grass, der ewige Sozialdemokrat, und HME, der enorm bewegliche Intellektuelle, politisch nie einer Meinung waren und es wohl auch künftig nicht sein werden. Daher redet Enzensberger mit dem Nobelpreisträger nicht mehr über Politik, sondern nur noch über die Familie. Grass' politische Ansichten sind in Beton gemeißelt, bei Enzensberger kann sich noch was tun.
    Noch ein Wort zur "Titanic": Der Inhalt eines jeden literarischen Werkes wird im Laufe der Zeit historisch. Es gibt keine ewigen Wahrheiten, weder im Leben noch in der Kunst. Das gilt auch für Enzensbergers "Titanic", die, was ihre gesellschaftspolitischen und etwas modischen apokalyptischen Erörterungen betrifft, unübersehbar in die Jahre gekommen ist. Was hingegen die Zeiten überdauern könnte, ist ihre Form. Das große Gedicht hat "formal einen gewissen Drive, der gar nicht leicht herzustellen war", bemerkte HME einmal in einem Interview. Warum? Die Poetik der "Titanic" beruht auf mathematischen Prinzipien, und ist daher etwas Besonderes, ja Einmaliges in der deutschen Lyrik. Enzensberger gelang damit nicht nur die Grande Comédie Humaine, sondern auch die oft geforderte, aber selten erreichte Überwindung der Kluft zwischen den "beiden Kulturen" (Natur- und Geisteswissenschaften). Das sollte reichen um diesem Werk und seinem Autor einen Platz in der deutschen Literaturgeschichte zu sichern.


    Gute Nacht


    Fortissima