verschiedene Schreibstile ....

  • Hallo


    Ich blättere gerade in einem anderen Thread und da lese ich Folgendes:


    Zitat

    Diese Stelle im Buch fand ich richtig brutal. Da entwickeln Sonja und Raskolnikow seitenlang Gefühle füreinander, vorsichtig, ja geradezu zärtlich - und plötzlich meldet sich der unerbittliche Erzähler:
    Der Kerzenstumpf in dem verborgenen Leuchter war schon seit langem heruntergebrannt, und sein letztes trübes Flackern beleuchtete den Mörder und die Hure, die sich in diesem armseligen Zimmer so seltsam über dem ewigen Buch zusammengefunden hatten.


    Dies hat mich an meine Schulzeit erinnert und zwar an Deutsch, wo wir bezüglich Romanen gelernt haben, dass es 3 verschiedene Arten gibt, einen Roman zu schreiben und zwar die Ich Erzählform, die "Er" Erzählform (leider ist mir der Fachausdruck entfallen :sauer: ) und das "auktoriale Schreiben".
    Dieses auktoriale Schreiben wird nur von wenigen Schriftstellern beherrscht, wurde uns gesagt. Es ist die schwierigste Art - eine Mischung aus allen und zwar so, dass man den Eindruck hat, der Autor erzählt zwar etwas, hat aber jederzeit die Möglichkeit, einzugreifen, die Geschichte zu unterbrechen, an einen anderen Ort zu gehen und mal kurz dort zu beleuchten, was passiert etc. ...


    Ich weiß noch, dass einer dieser Genies Dostojewski ist, außerdem Thomas Mann, an andere Beispiele erinnere ich mich nicht mehr.


    Habt Ihr so etwas auch mal durchgenommen oder irgendwo besprochen? Falls ja, kennt vielleicht noch jemand den richtigen Ausdruck dafür, wenn eine Geschichte über dritte Personen geschrieben wird?


    :winken:


    Daniela

    "Kunst und Unterhaltung sind verschwistert und keine Feinde." - John Irving

  • hallo daniela,


    bei der von dir gesuchten erzählform (man spricht eher von "erzählsituation") handelt es sich um die sogenannte "personale" bzw. "neutrale" erzählsituation. der erzähler tritt völlig hinter die szenische darstellung des geschehens zurück und bleibt unsichtbar.
    bei der auktorialen erzählsituation ist dagegen der erzähler (z.b. durch kommentare und die direkte oder indirekte anrede des lesers) erkennbar.
    in moderner / postmoderner prosa herrscht oft die personale erzählsituation vor, gelegentlich wird sie - wie beim zauberberg - auch mit der auktorialen form vermischt.


    falls dich das thema "erzähltheorie" interessiert, so empfehle ich dir das wirklich ausgezeichnete buch "aspekte erzählender prosa" von jochen vogt


    gruß - settembrini
    :blume:

    "Herr Settembrini, du pädagogischer Satana - du bist zwar ein Windbeutel und Drehorgelmann, aber du meinst es gut..."

  • Hallo Settembrini, Hubert


    Genau das ist es !! Vielen Dank :smile:


    Habt Ihr eine bevorzugte Erzählform bzw. fällt Euch das Lesen bestimmter Erzählformen leichter als andere oder ist dies nur zweitrangig?


    Ich persönlich wüsste auch so schnell jetzt nicht, ob man grundsätzlich einem Dichter eine Erzählform zuordnen kann oder ob auch der Dichter je nach Geschichte diese erst auswählt.


    Werde künftig mal darauf achten ...


    :winken:


    Daniela

    "Kunst und Unterhaltung sind verschwistert und keine Feinde." - John Irving

  • Zitat von "elahub"

    Ich persönlich wüsste auch so schnell jetzt nicht, ob man grundsätzlich einem Dichter eine Erzählform zuordnen kann oder ob auch der Dichter je nach Geschichte diese erst auswählt.
    Daniela


    hallo daniela! :winken:


    die auswahl der erzählperspektive ist alles andere als zufällig, da sie einen großen einfluss auf die rezeption des erzählten durch den leser hat.


    früher war der auktoriale erzählstil außerordentlich beliebt, der erzähler nahm den leser buchstäblich an die hand und erklärte ihm das geschehen.
    heute werden auktoriale erzähler jedoch meist als störend empfunden, da der leser - nicht zuletzt durch film und fernsehen - die unmittelbar szenische, d.h. neutrale erzählform gewöhnt ist.
    zudem gilt heute mehr als früher die devise: "zeigen statt dozieren!", d.h. die figuren eines romans sollen ihre inneren haltungen und konflikte durch ihr handeln und ihr reden offenbaren - dadurch wird die auktoriale (dozierend-erklärende) erzählform nahezu überflüssig. (was ich übrigens sehr schade finde, da ein kommentierender erzähler einem werk oft noch mehr geist u. tiefe und nicht selten wesentlich mehr witz und esprit verleihen kann).


    um es etwas platt zusammenzufassen: wer handlung und gespräche 1:1 wiedergeben möchte, der wählt die neutrale erzählform, wer besonders "geistreich" schreiben will, der greift (zusätzlich) zur auktorialen form. :zwinker:


    die ich-erzählperspektive war zu allen zeiten - mal mehr, mal weniger - beliebt. diese perspektive verleiht einem werk einen hauch von autobiographischer authentizität. dem leser fällt es dann oft wesentlich leichter, das erzählte für bare münze zu nehmen und den ich-erzähler (fälschlicherweise) mit dem autor gleichzusetzen. dies kann die wirkung eines textes auf den leser erheblich steigern.


    gruß
    Settembrini

  • Hallo Daniela,


    Zitat

    Habt Ihr eine bevorzugte Erzählform bzw. fällt Euch das Lesen bestimmter Erzählformen leichter als andere oder ist dies nur zweitrangig?


    Eine bevorzugte Erzählform habe ich nicht, aber besonders gut gefällt mir die neutrale Erzählform wenn sie mit inneren Monologen gemischt ist.


    Gerade habe ich von Virginia Woolf "Die Fahrt hinaus" gelesen. Dort experimentiert sie sehr mit den Erzählformen; auktoriale und neutrale Form werden gemischt, dazu kommen noch innere Monologe und oft wird dies nur dadurch deutlich, daß die betreffenden Personen mal mit Vornamen, mal mit Nachnahmen angesprochen werden. Plötzlich gewinnt man innerhalb einer Seite mehrere Perspektiven einer Person - das hat mir sehr gefallen :smile:


    Wie Settembrini schon schrieb, ist die Erzählform doch ein wichtiger Aspekt der Erzählung.


    Gruß von Steffi