So, nun habe ich auch den dritten Band und damit das Gesamtwerk, wie es mir vorliegt, durch.
Peake scheint ja für seinen Helden Titus Groan insgesamt zehn Bände geplant zu haben; es gibt wohl auch Versuche, da etwas zusammenzustellen, aber ich habe wenig Lust, dem nachzugehen.
Wie schon erwähnt, unterscheidet sich der dritte Band deutlich von den beiden ersten. Gormenghast ist ein geschlossener Raum mit überschaubarem Personal und einem zentralen Drama, obwohl Peake als lustvoller Erzähler kaum einen Seitenweg auslässt. Im dritten Band befindet sich Titus "in der Welt" und hat es mit einer wesentlich größeren Vielzahl zerstörerischer Kräfte zu tun.
Man könnte den Inhalt kurz so wiedergeben: Titus begegnet, nach einigen weniger wichtigen Episoden, dem Zoodirektor Muzzlehatch. Dessen Exfreundin Juno nimmt ihn unter ihre Fittiche - sie ist wohl etwa doppelt so alt wie er und wird ihm gleichzeitig Mutterersatz und Geliebte. Zwei Zentralmotive fallen auf: Erstens kennt niemand Gormenghast, und wenn er darauf besteht, er sei Lord Titus und habe einen gewissen Anspruch auf Ehrerbietung, zuckt man darüber die Achseln. Zweitens gibt es eine Art unklarer Bedrohung über dem gesamten Setting der Geschichte. Mehrere Kapitel widmet Peake dem verarmten Volk, das "unter dem Fluss" lebt - einem Heer von Obdachlosen. (Hier fällt besonders ein Dichter auf, der fünfhundert Bücher hat drucken lassen, aber nur zwölf verkauft hat; die übrigen schleppt er ständig mit sich herum und schläft nachts darauf.)
Nachdem Titus zwei schwebende "Kugeln", die ihn verfolgen - man denkt an die heutigen Drohnen -, zerschlagen hat, legt man ihm nahe, dass er die Stadt besser verlässt. Muzzlehatch, der ihn unterstützt hat, wird ebenfalls vertrieben; seine Zootiere durch irgendwelche "Strahlung" ermordet. Titus, der anscheinend nicht allein bleiben kann, schließt sich nun einer jungen Frau namens Cheetah an, der Tochter eines "Wissenschaftlers", der eine "Fabrik" betreibt. Da er auch ihr mit seinem Status als Lord Groan in den Ohren liegt, veranstaltet sie eine Party, auf der sie alle Figuren seiner Vergangenheit - seine Eltern, Steerpike, seine geliebte Schwester Fuchsia usw. - in einer Art Scharade nachstellen lässt. Er wendet sich daraufhin von ihr ab und kehrt nach Gormenghast zurück. Es wird angedeutet, dass er sich sogleich wieder abwendet, da er seine Heimat "im Herzen trägt".
Der Stil ist äußerst blumig und verliert sich, seien wir ehrlich, oft in selbstverliebten Romantizismen - mir kam beim Lesen der SF-Autor Samuel Delany in den Sinn ("der Weltenwind brüllte"). Trotzdem oder gerade deshalb ist es interessant zu lesen, wie Peake in der Dickens'schen bemoosten Idylle unterschwellig eine Art unpersönlicher Qual und Tötung etabliert, ohne dass man es recht merkt. Zuerst durch die bewussten Kugeln oder Drohnen, danach in einer Vielzahl feiner Andeutungen. Im Nachwort zum dritten Band heißt es: "Peake schien Unheil und Tragödien als berührbare Kräfte zu sehen". Wir haben hier also einen Vorläufer der gesamten Fantasy-Literatur, die das Böse greifbar macht, etwa als Drache, die Kröte im Brunnen oder als Ring, der vernichtet werden muss. In die Visionen von der kalten Welt der "Fabrik" des Wissenschaftlers, mit Existenzen, die in sich zusammenfallen, wenn ihnen der weiße Schutzanzug abgestreift wird, und tausend gleichartigen Gesichtern, die aus den Fenstern schauen, wirkt sich aber gleichzeitig die moderne Todesindustrie aus. Wie Peake sie als Berichterstatter bei der Befreiung Belsens erlebt hat.
Den dritten Band zu lesen, ist weder leicht, noch muntert es auf. Ich weiß noch nicht, wohin ich mich jetzt wende am Regal, aber bestimmt to something completely different.