Ein Klassikerforumswettbewerb für 2021 - Kommentare und Diskussionen

  • Ich hab meine Liste übrigens ein wenig überarbeitet. Zum einen hab ich Fischarts "Flöh Hatz Weiber Tratz" von 1573 rausgenommen – das ist kein Schauspiel und ist mir versehentlich reingerutscht –, zum anderen hab ich einen Zahlendreher korrigiert: Bulwers "Mädchen von Lyon" ist nicht von 1883, sondern von 1838. Für den rausgefallenen Fischart wollte ich zuerst ein Barock-Stück aufnehmen, um ungefähr in der Zeit zu bleiben – aber davon hab ich dann doch lieber Abstand genommen, die Lektüre soll ja auch Spaß machen …. Also hab ich mal ein Kuriosum gewählt: Karl May, "Babel und Bibel" von 1906. Auch kein lustiges Stück, aber es passt zum weiteren Umfeld meiner sonstigen Lektüre.

  • Ich leide bei seinem Spätwerk eher an Langweile (beim Rest vielfach auch …). Ihm gelingen da mitunter ziemlich großartige Passagen, aber er braucht dafür einen elend langen Anlauf und fällt rasch wieder ab. B&B ist eines der wenigen Werke von ihm, die ich noch nicht kenne, das wird mal Zeit.

  • Allmählich gehen mir die einfachen Stücke aus ;-) – als eines der letzten war jetzt Bulwers Melodrama ›Das Mädchen von Lyon‹ an der Reihe (UA: 15.2.1838). Ich mache es mir da jetzt mal einfach und zitiere aus dem Kommentar zu Gutzkows Digitaler Gesamtausgabe. Gutzkow hat das Stück 1838 in Hamburg (?) gesehen und die Aufführung für den ›Telegraph für Deutschland‹ rezensiert (»ein gutes Bühnenstück mit einigen Albernheiten«):

    Zitat

    Bulwers Stück spielt während der republikanischen Phase der Französischen Revolution. Pauline, einzige Tochter eines reichen Seidenfabrikanten, wird als "Schönheit von Lyon" von Verehrern umschwärmt. Ihre aufstiegsbesessene Mutter will sie nur an einen Adligen verheiraten, aber da der französische Adel abgeschafft worden ist, kommt nur ein ausländischer Kandidat in Frage. Der "Bürger Beauseant", der 'eigentlich' Marquis ist und um Paulines Hand wirbt, hat daher genau so wenig Glück wie der Gärtnersohn Claude Melnotte, der sich eine umfassende Bildung angeeignet hat und Pauline leidenschaftlich liebt. Als Pauline einen Brief mit Versen Melnottes auf verletzende Weise zurückschickt, lässt sich Melnotte von dem rachesüchtigen Beauseant auf eine Intrige verschwören. Der Gärtnersohn tritt als "Prinz von Como" auf, gewinnt die Hand Paulines, entpuppt sich nach der Heirat als Melnotte und setzt sie und ihre Familie somit der Deklassierung aus. Pauline verliebt sich aber in Melnotte, zieht schließlich die Ehe mit ihm einer Konvenienzheirat vor, und als Melnotte sich auf dem italienischen Feldzug der Grande Armée auch noch militärische Ehre erwirbt, ist die Verbindung der beiden im Zeichen republikanischer Werte besiegelt.

    Interessant ist dabei vielleicht der Aufbau. Bereits im ersten, relativ kurzen Akt ist die Intrige gesponnen, im zweiten Akt agiert Melnotte schon als Prinz Como, dessen Hochzeit mit Pauline kurz bevor steht, im dritten Akt ist bereits die Hochzeit gewesen, im vierten Akt kommt Melnotte als Oberst zurück aus dem Krieg. Die gesamte Handlung wird praktisch nur erzählt, weder erleben wir die Hochzeit noch den Feldzug mit, die Figuren erzählen sich das alles nur. Auch die Entwicklung der Figuren wird nur behauptet, motiviert wird da gar nichts, was insbesondere für den Dreh- und Angelpunkt der Handlung – die fiese Intrige – gilt. Melnotte ist einerseits ein ehrenwerter Mann, der sich andererseits auf den Betrug einlässt: Warum sich der wackere Gärtnerssohn an der – von ihm selbst später als schändlich und ehrverletzend empfundene – Intrige überhaupt beteiligt, wird nicht gezeigt oder erklärt, sondern einfach gesetzt. Beauseant kommt auf die Idee, erzählt sie kurz & knapp seinem Kumpel Glavis und fertig.


    Ich kenne nicht viele Melodramen, aber das – nämlich: Handlung in die Figurenrede verlagern, fehlende Motivation, Gefühle & Empfindungen einfach nur in der Figurenrede behaupten etc. – scheint mir ein typisches Merkmal zu sein.


    Bulwers Stück muss lt. Wikipedia seinerzeit sehr erfolgreich gewesen sein, es gab auch zwei Opern und eine Operette, die auf ihm basieren.


    Im Ganzen kann ich Schmidt da nur zustimmen (das Poe-Zitat habe ich jetzt auf die Schnelle nicht nachweisen können):

    A.: Ich deutete bereits an, wie das nicht überwältigend ausgefallen sei bei Bulwer, die ‹Weeds and wild Flowers›. Auch 6 Schauspiele sind – ich muß es leider aussprechen – plattes Zeug : beim ‹Sea Captain› kann man, 10 Zeilen guter Sätze ausgenommen, nur den Kopf schütteln. Selbst die leidlichsten, die ‹Lady of Lyons›, oder ‹Money› ... (?)

    C. (einfallend): Da sollen Sie aber doch ma’ seh’n, wozu die einfältigste Poe=Leserin gut ist. – Ich zitiere : ‹Hundert gegenteiligen Kritiken ins Gesicht, muß ich die ‹Lady von Lyon› als einen der erfolgreichsten dramatischen Versuche der Neuzeit betrachten. Beliebt, und das mit vollem Recht, wird es nicht aufhören beliebt zu sein, solange es Menschen giebt, die ein Herz haben. .. Pauline ist eine Gestalt, die selbst einem Shakespeare nicht zur Unehre gereicht hätte. Sie ruft tiefe Bewegung hervor; und ihr vorzuwerfen, daß sie doch schwach, geldgierig, und in jeder Hinsicht unedel wäre, bespricht Dummheit. Sie ist all=das; gut; und was weiter? Wir haben schließlich nicht mit Clarissa Harlowe zu tun. Bulwer hat eben eine Frau porträtiert.› – : undsoweiter! – : ?

    A. (achselzuckend): Wenn Sie die Zeit darauf wenden wollen, können Sie bei mir die Bekanntschaft von Fräulein Pauline Deschapelles màchen – aber, ich sag’s Ihnen voraus, : Sie bereu’n Ihren Fürwitz

  • Nachtrag: jetzt hab ich die Stelle vergessen, die unfreiwillig komisch ist und bei der ich doch auflachen musste. Dialog zwischen dem Intriganten Beauseant und einem General der Grande Armée:


    Zitat

    Beauseant: […] Sie sind noch nicht verheirathet, General?

    Damas: Sehe ich aus, wie ein verheiratheter Mann? – Nein, dem Himmel sei Dank! – Mein Beruf ist Wittwen, nicht Weiber zu machen.

    Das ist übrigens keine Freiheit des Übersetzers, sondern steht so bei Bulwer:

    Zitat

    Beau. […] You are not married, general?

    Damas. Do I look like a married man, sir?—No, thank Heaven! My profession is to make widows, not wives.

  • Nun wollte ich ein paar Zeilen zu "Zwischen neun und neun" von Leo Perutz schreiben, aber es wollte mir partout nichts von der Hand gehen. Es war fast so, als wären mir auf unerklärliche Weise die Hände gebunden…


    Nein, natürlich nicht. Über die zwölf Stunden im Leben des Stanislaus Demba, zwischen neun und neun, könnte ich Seiten füllen, nur wäre es wirklich schade, wenn man auch bloß eine der zahlreichen Volten vorwegnähme.


    Wie sich Stanislaus Demba durch sein Verhalten, vermeintlich ohne Not, von einer misslichen Lage in die nächste bringt, mutet zunächst äußerst surreal an, ist zuweilen urkomisch aber immer hochspannend. In atemberaubender Geschwindigkeit folgt man Demba durch das Wien um das Jahr 1917 in Erwartung des großen Finales. Das zieht einem dann nochmal den Boden unter den Füßen weg.


    Was für ein Ritt! Von Perutz hatte ich bisher "St. Petri-Schnee", das ich in sehr guter Erinnerung habe, und seiner Prager Herkunft wegen ein bisschen über ihn selbst gelesen. Die “steinerne Brücke” habe ich noch irgendwo hier und weitere Werke werden da in Zukunft ganz sicher folgen. Ein ganz tolles Buch!

  • So, das nächste Stück auf der Liste: Karl May, ›Babel und Bibel‹ – ein ausgesprochen seltsames Werk, in jeder Beziehung.


    Eine Inhaltsangabe ist gar nicht so einfach, die probiere ich auch gar nicht erst … Im Zentrum steht jedenfalls der Scheik Abu Kital ("Vater des Kampfes") der, salopp gesagt, als Kraftmensch die Welt erobern will, aber durch allerlei Ereignisse zum "Edelmenschen" umgeformt wird. Oder irgendwie so ;-). Alles schwerst symbolisch. Es geht um Mays Religionsvorstellungen, seine Idee der "Menschheitsseele", und dem "Empor ins Reich der Edelmenschen". Was macht den "echten" Menschen aus, was ist irdisches Beiwerk, in welcher Beziehung stehen Kunst und Religion etc.


    Der Titel nimmt u.a. Bezug auf den Anfang des 20. Jahrhunderts in Theologenkreisen herrschenden Babel-Bibel-Streit, über den man sich bei Interesse in der Wikipedia informieren kann.


    Soweit ich sehe, fällt Mays Drama völlig aus der literarischen Entwicklung seiner Zeit, Vorbilder scheint er keine gehabt zu haben, Nachfolger auch nicht. Zum Vergleich wird manchmal der ›Jedermann‹ herangezogen, manchmal auch die mittelalterlichen Mysterienspiele, aber das scheint mir alles nicht so recht zu passen. May selbst nennt das Stück »Arabische Fantasia«, was einem jetzt auch nicht wirklich weiterhilft ;-). Mir scheint ›Babel und Bibel‹ jedenfalls ziemlich einzigartig. (Aber da mag ich mich irren ….).


    May hat für dieses Drama umfangreiche Studien durchgeführt und am Stück sehr intensiv und lange gearbeitet. Sprachlich bleibt er brav bei Jamben, die nur sehr selten etwas holprig geraten, das Stück besteht aus 2 Akten mit jeweils exakt 1.000 Versen, was vermutlich auch irgendeinen tiefen symbolischen Sinn hat, denn ich Stoffel halt nicht bemerke.


    Vom Erfolg seines Dramas war er felsenfest überzeugt, May scheint mir da durchaus messianische Züge zu entfalten, gewissermaßen die Fortführung der Old-Shatterhand-Legende mit anderen, oder wie May es wohl sagen würde: edel geläuterten Mitteln. (Er scheint seinen Lebens- und Leidensweg auch durchaus exemplarisch für das Menschenleben schlechthin gesehen zu haben.)


    Dass das Stück bislang noch nie aufgeführt wurde (wenn man mal von einer Schulaufführung 2005 absieht) überrascht nicht wirklich. Schon gar nicht, wenn man solche Regie-Anweisungen liest:

    Zitat

    Schēfakā […] (eilt zu ihrem Vater und duckt sich hinter ihm nieder. Während die „Seele“ sich derart in den Schutz der „Wissenschaft“ flüchtet, verschwindet in demselben Augenblicke Mārah Dūrimēh, nur von den Zuschauern gesehen, von ihrem Platze und deutet an, daß nun ein selbständiger, mündiger Geist in die Handlung einzugreifen beginnt. Der Scheik der Todeskarawane wird durch den Anblick dessen, was er hier so plötzlich vor sich sieht, in eine gewaltige, innere Bewegung versetzt. Er hat dies dem Zuschauer ahnen zu lassen, ohne aber dieser Aufregung äußere Zeichen zu verleihen, die gegen seinen Charakter und seine Rolle verstoßen würden. Diese letztere ist so schwer, daß sie nur von einem Meister gegeben werden kann, dem es gelingt, durch die kleinste Bewegung Großes zu sagen und trotz der sprechendsten Geste verschwiegen zu bleiben. Er geht langsam einige Schritte vorwärts, wie ein Träumender, und doch Alles, was er sieht, wie mit den Augen verschlingend. Dann bleibt er stehen und grüßt die Anwesenden, natürlich orientalisch)

    Es gibt mehrere solcher interpretierender Anweisungen, die so weit weg von der Bühnenpraxis sind, wie man es sich nur vorstellen kann. May hat eher ein nunja "Lehrgedicht" als ein Drama geschrieben. Nach dem Misserfolg von ›Babel und Bibel‹ hat er die Motive dann in seinen späten erzählerischen Texten aufgegriffen, er plante wohl auch einen Roman ›Abu Kital‹.

  • Was für ein Ritt! Von Perutz hatte ich bisher "St. Petri-Schnee", das ich in sehr guter Erinnerung habe, und seiner Prager Herkunft wegen ein bisschen über ihn selbst gelesen. Die “steinerne Brücke” habe ich noch irgendwo hier und weitere Werke werden da in Zukunft ganz sicher folgen. Ein ganz tolles Buch!

    A propos St. Petri-Schnee. Das Motiv einer obskuren gescheiterten Revolution taucht bei Leo Perutz noch einmal auf, nämlich im weniger bekannten "Turlupin", der wirklich köstlich zu lesen ist: ein bigotter Trottel, der von einer großen Staatsverschwörung im 17. (!) Jahrhindert als Werkzeug einer verfrühten französischen Revolution instrumentalisiert werden soll und im entscheidenden Moment durch seine Dappichkeit das ganze Kartenhaus umwirft. Die Bezüge auf den historischen Hintergrund sind etwas schräg, aber das schadet dem Spiel mit der Verschwörungstheorie nicht, an der Perutz die Theorie sowieso immer mehr interessierte als die Verschwörung.


    St. Petri-Schnee, wo eine der beiden Fabelvarianten die Geschichte eines drogenbefeuerten, aber aus der Spur gelaufenen Volksaufstands erzählt, könnte man beinahe als ironischen Kommentar zur Floskel vom Opium fürs Volk halten.

  • Diaz Grey

    Vielen Dank für die Empfehlung, den Titel hab ich mir gleich notiert.

    Ich denke, auf längere Sicht werden die schönen Ausgaben aus dem Zsolnay-Verlag noch den Weg zu mir finden. Da ich gerne antiquarisch kaufe, ist da ein langer Atem gefragt, denn von den Büchern scheinen sich nicht viele Leute trennen wollen.

  • Ich bin Perutz-Fan* geworden, als ich - noch als Studentin, glaube ich - in einem Erzählband aus der Leihbibliothek die Geschichte "Nur ein Druck auf den Knopf" gelesen habe. Das ist ein Meisterwerk! Die Wendung, die die Geschichte nimmt - es geht um eine Séance mit Geisterbeschwörung - ist zwar für einen geübten Gruselgeschichtenleser nicht ganz unerwartbar (zu Perutz' Zeiten galt das vermutlich noch nicht), aber wie diese Wendung vorbereitet und vermittelt wird, ist einfach genial. "Die Dame, die bei ihm war! Fortwährend unterbrichst du mich! Habe ich dir nicht gesagt, dass eine Dame bei ihm war? Wer schreit? Ich schreie doch nicht." Ich habe damals, als ich die Geschichte las, selbst gerade angefangen zu schreiben und muss zu meiner Schande gestehen, dass ich mindestens zweimal versucht habe, diesen Effekt nachzuahmen. Aber natürlich war ich nie eine Meisterin wie Perutz.


    Wer von euch die Geschichte nicht kennt - unbedingt lesen! Ich habe einen Erzählband "Herr, erbarme dich meiner", wo sie drinsteht, aber sie ist auch mehrfach anderweitig anthologisiert worden.

    *) "Turlupin" und das Mangobaumwunder habe ich nicht gelesen - sonst, glaube ich, mehr oder weniger alles, was er geschrieben hat. Es ist allerdings z.T. so lange her, dass ich mich nicht erinnern kann, aber die Bücher stehen hier und sind sichtbar gelesen worden. ;) "Die dritte Kugel" habe ich im Lauf der Jahre bestimmt dreimal gelesen - auch das ist ein hinreißend komponiertes Stück mit sehr eigenwilligem Erzählton.

  • Suassunas "Der Stein des Reiches" habe ich von meiner Leseliste gestrichen. Dieses Werk und ich werden keine Freunde mehr in diesem Leseleben. Dafür bin ich nun wieder in die Bananentrilogie von Miguel Angel Asturias eingestiegen. Im September letzten Jahres schrieb ich noch, dass den zweiten Teil zu lesen recht verwirrend war, im dritten bin ich dann gescheitert. Diesmal ist es anders: Den zweiten Teil "Der grüne Papst" habe ich mit viel Freude recht flott gelesen und auch mit dem dritten, "Die Augen der Begrabenen", habe ich bisher keine Probleme, obwohl ich mir manchmal wünsche, Asturias wäre etwas weniger ausführlich bei seinen Kneipenszenen.
    Der erste Satz des Buches lautet "Die Gringos besaufen sich schon wieder!" und irgendwie ist das recht symptomatisch ... Jetzt wird aber ein Streik geplant und die Handlung nimmt Fahrt auf.
    Übrigens habe ich auch den vergleichsweise kurzen ersten Band "Der Sturm" nochmal gelesen (es dürfte das dritte Mal insgesamt gewesen sein). Bei jedem Lesen liebe ich dieses Buch mehr, ich glaube, es ist eines der schönsten, die ich überhaupt kenne.

  • Es ist geschafft - ich habe die Bananentrilogie gelesen. Ein Jahrhundertwerk eigentlich, und schade, dass es bei uns nicht mehr so recht bekannt ist.


    In meinem anderen Leseforum beginnt gerade eine Runde mit einem Roman von Grazia Deledda, ich werde da jetzt ein bisschen mitmachen - und ansonsten "Von Zeit und Strom" von Thomas Wolfe in Angriff nehmen.

  • Es ist "Schilf im Wind", das gerade in einer Neuausgabe bei Manesse erschienen ist. Ich hatte mich damals für die Runde nicht angemeldet, weil ich fürchtete, nicht die Zeit zu haben, und weil eine Erzählung von Deledda, die ich letztes Jahr bei Gutenberg runtergeladen hatte, mich nicht so überzeugt hat. Egal. Jetzt lese ich trotzdem mit, allerdings nicht mit Verlagsexemplar, sondern wieder mit dem Ebook, das es bei Gutenberg gibt (dort heißt es "Schilfrohr im Winde").

    Bei mir zu Hause habe ich auch "Die Mutter", aber die Lektüre ist so lange her, dass ich mich kaum erinnern kann. Ich glaube, es ging um die Leiden einer Mutter, deren Sohn sich verliebt, obwohl er das als (kath.) Priester nicht darf.
    In "Schilf im Wind" ist das Setting geradezu mittelalterlich, obwohl das Buch um 1912 spielt.

  • Es ist "Schilf im Wind", das gerade in einer Neuausgabe bei Manesse erschienen ist.

    Ah, danke. Die Neuausgaben von Manesse hatte ich schon wieder vergessen. Zuletzt habe ich praktisch nur antiquarisch gekauft.


    Auf der einen Seite ist da eine kommentierte, überarbeitete Neuausgabe im neuen Gewand (das mir ehrlich gesagt in vielen Fällen nicht so zusagt - zu knallig-pop-artig, warholesk oder wie auch immer man das ausdrücken mag & Pappband), auf der anderen Seite das klassische, leinengebundene Gesicht, das auch noch deutlich günstiger ist. Da warte ich noch ein bisschen ab und bin auf Deine Eindrücke gespannt. Aber das nur am Rande.

  • Zitat

    Da warte ich noch ein bisschen ab und bin auf Deine Eindrücke gespannt.

    Wie schon oben gesagt habe ich das Buch nicht. Ich war für mehrere Leserunden eingeschrieben und habe mir den Manesse-Band deshalb verkniffen, in der Angst, ich schaffe nicht alles. Jetzt stellt sich heraus, dass ich (aus verschiedenen Gründen) doch reichlich die Zeit hätte, aber für das Verlagsexemplar ist es zu spät. Ich verfolge die Runde mit dem kostenlosen Ebook von Gutenberg.

    Wenn ich das nächste Mal im Buchladen bin, werde ich mir das Manesse-Bändchen mal ansehen, aber das kann dauern. Ich war seit Jahreswechsel genau ein Mal in der Stadt (und habe mich über die vielen Autos und Menschen gewundert). =O

  • Schon klar. Das habe ich ein bisschen missverständlich ausgedrückt, mir ging es generell um Deinen Eindruck oder den der Leserunde.

    Als ich auf der Seite vom Manesse Verlag war, sind mir eben die beiden Ausgaben aufgefallen und da habe ich ein paar Unterschiede (und was mir nicht so gefällt) erwähnen wollen.

  • Ich habe es ausgelesen, es ist ein sehr fremdartiges Buch mit diesem archaischen Gemisch aus Religion und Aberglaube (wenn man nicht ohnehin der Meinung ist, dass das dasselbe ist), aber die Atmosphäre und Landschaftsschilderung machen es zu einer durchaus lohnenden Lektüre. Wer vielleicht "Das Gehöft" von Federigo Tozzi kennt - das Buch ist ein wenig ähnlich im Stil, halt noch mit den religiösen Vorstellungen von Schuld und Sünde als Handlungsmotor.

  • "

    Er legte schriftlich ungeheure Pläne nieder von all dem, was er im Leben zu tun gedachte, ein Arbeits- und Leistungsvorhaben, das die Kräfte von zehntausend Mann erschöpft hätte. Er stand mitten in der Nacht auf und kritzelte wahnwitzige Aufstellungen nieder, Rechenschaftsberichte über alles, was er gesehen und getan hatte: die Summe der Bücher, die er gelesen, die Summe der Menschen, die er gekannt, die Summe der Frauen, denen er beigeschlafen, die Summe der Mahlzeiten, die er eingenommen hatte, die Summe der Meilen, die er gereist war, die Summen der Städte und Staaten, die er kannte.

    Eine Weile dann weidete er sich an diesen erstaunlichen Aufstellungen, er kicherte wie ein Geizhals über seinen Schätzen, bloß um dann in der nächsten Minute verzweifelt aufzustöhnen und mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen, weil ihm überwältigend die Unsumme der Dinge einfiel, die er nicht gesehen oder gekannt hatte. Alsdann begann er mit anderen Listen; er legte Riesenkataloge an von Büchern, die er nicht gelesen, Speisen, die er nicht gekostet, Frauen, die er nicht beschlafen hatte, von Städten und Staaten, die er nicht kannte. Er legte Pläne nieder, wie er dies alles verwirklichen würde, rechnete aus, wieviel Jahre er dazu brauchte, wie alt er sein würde, wenn dies alles vollbracht sei. Eine ungeheure Woge von Hoffnung und Freude wallte dann in ihm auf, denn auf dem Papier sah alles so leicht aus; er hegte keinen Zweifel, daß er es bewältigen könne."

    (Thomas Wolfe, Von Zeit und Strom, aus Kapitel 7)

    Manchmal verzweifle ich an meiner Leseliste. Dieser Abschnitt war so ein Moment. Ich fragte mich, warum ich so einen Kokelores lesen soll.
    Aber es sind auch durchaus schöne Momente drin, obwohl das Buch an "Schau heimwärts, Engel" bisher nicht ranreichen kann.
    Das Buch ist (als Ebook) stramme 1174 Seiten lang, liest sich aber sehr flott, ich lese immer mal ein, zwei Kapitel vor dem Schlafengehen - läuft fluffig. Wenn man sich nicht gerade die Haare ausraufen möchte über Eugene Gants persönliche Hybris, siehe oben.