Flaubert: Reisetagebuch

  • Ich habe Flauberts "Reisetagebuch aus Ägypten" vorhin fertig gelesen - endlich fertig; großen Spaß hatte ich nicht.


    Flaubert hat seine Ägyptenreise angetreten, als er 28 war, zu seiner Zeit, als weite Reisen zumindest für Franzosen nicht gerade üblich waren. Wenn ich es richtig verstanden habe, geht die Reise den Nil hinauf bis nach Abu Simbel; die Tempelanlage befand sich damals noch am Nil. Flaubert schreibt das Datum nicht immer auf, aber wenn er es tut, hat man den Eindruck, dass er fast täglich Aufzeichnungen macht. Er notiert Eindrücke von Menschen und Landschaften, die oft völlig unverbunden nebeneinander stehen, und zwar in einem typischen gewissenhaften, aber meistens völlig unpersönlichen Stil, fast ohne jede eigene Stellungnahme. Obwohl er im letzten Drittel einmal schreibt, dass die Pyramiden und Tempelanlagen ihn "fürchterlich langweilen", sind seine Beschreibungen speziell von Tempeln oft derart besessen genau, dass man eine Zeichnung danach machen könnte - besonders unterhaltsam zu lesen ist das meist nicht, und auch da, wo er schlaglichtartig Beobachtungen hintereinander reiht, wird er mit der Zeit ermüdend.


    Beispiel: "Endloser Spaziergang auf der Ezbekije mit Lubert und Bekir. Furcht dieser Herren, sich zu kompromittieren. Welch ein dummes und trauriges Leben! Der Sohn des Scherifs von Mekka mt seinem ganzen Gefolge zu Pferde, Kaschmirturban, grünber Kaftan, kaffeefarbiger Teint. Diner; Unterhaltung mehr als leicht, dann sozial-philosophisch; muss die Gesellschaft wenig amüsiert haben." In seinem Nachwort zu meiner Ausgabe schreibt Wolfgang Koeppen, dass Flaubert in späteren Jahren seinen Freunden manchmal aus den Reisetagebüchern vorgelesen habe. Dann werden sie an solchen Stellen vermutlich nachgefragt haben und Flaubert hat sich erinnert - für den Leser, der mit solchen knappen Schilderungen stehen gelassen wird, bleibt bloße Spekulation, was da genau passiert sein könnte.


    Wirklich großartig sind die Landschaftsschilderungen, und hier kann man auch so etwas wie innere Teilnahme bemerken, während Flaubert sonst seine typische Kälte der Beobachtung bewahrt. Sklavenmärkte, Kinderprostitution, Tierquälerei und sonstiges Elend schildert er völlig unbeteiligt. Was speziell Tiere betrifft, muss ich sagen, mir ging die dauernde Schießerei nach einiger Zeit sehr auf den Senkel. Auf jedes Krokodil, jeden Reiher, jeden Schakal wird angelegt und geknallt; ein harmloses Chamäleon, das auf einer Tempelmauer sitzt, im Vorübergehen so nebenher totgeschlagen. Zu einigen - wenn auch seltenen - Anlässen taucht auch der typische Flaubertsche Hochmut auf: "Steine, die so viele Menschen beschäftigt und so viele Leute herbeigelockt haben, betrachtet man nicht ohne Vergnügen. Wie viele Blicke kleiner Spießer haben sich nicht zu ihnen erhoben! Jeder hat sein bisschen Meinung dazu abgegeben und ist weitergegangen." So etwas kann natürlich nur von Flaubert kommen.


    Ich habe eben gesehen, dass es bei Gutenberg auch ein Reisetagebuch aus der Bretagne gibt. Da werde ich auf jeden Fall noch hineinschauen; vermutlich finde ich da besseren Zugang als zu dem ägyptischen Tagebuch. (Dass mich letzteres so kalt gelassen hat, liegt z.T. sicher auch an meinem Widerwillen gegen dieses Land überhaupt, das ich selbst nie bereisen möchte.)

    Ich habe absichtlich den Thread "Reisetagebuch" betitelt, für den Fall, dass jemand zu Flauberts anderen Tagebüchern noch etwas sagen möchte. Bei Julian Barnes ("Flauberts Papagei") habe ich gelesen, dass Flaubert etliche längere Reisen gemacht hat.