André Gide: Die Schule der Frauen

  • Zu diesem Roman (der sich als Sammlung von "Briefen an den Herausgeber" tarnt) gibt es eine recht gute Besprechung bei Wikipedia.

    Das Buch besteht aus drei Teilen. Der erste Teil beginnt mit dem Tagebuch einer vorerst namentlich nicht genannten Frau, die mit ihrem Verlobten Robert vereinbart hat, dass beide ein geheimes Tagebuch führen sollen, in dem sie über den jeweils anderen schreiben. Die Schreiberin berichtet voll Begeisterung, was für ein wunderbarer Mann Robert ist, der praktisch nur aus guten Eigenschaften besteht. Robert bricht das Vertrauen seiner Braut, indem er 1. ihr Tagebuch liest und 2. entgegen seines Versprechens selbst keines führt. Sie ist etwas verstimmt, als sie das erfährt, aber es kommt ihr natürlich nicht in den Sinn, ihn zu kritisieren.

    Das Tagebuch wird nach einer Pause von einigen Jahren fortgesetzt. Die Schreiberin ist inzwischen mit Robert verheiratet und sieht ihn mit völlig anderen Augen. So wie sie ihn früher verehrt hat, so kritisch sieht sie ihn jetzt; er täuscht Noblesse und Bildung nur vor, ist ein Blender und Heuchler. Der erste Teil endet mit der Trennung des Paares.

    Im zweiten Teil kommt nun Robert zu Wort und gibt seine eigene Einschätzung seiner Frau und seiner Ehe ab.

    Im dritten Teil schließlich berichtet die gemeinsame Tochter des Paares, Geneviève. Ihren Vater sieht sie völlig illusionslos und gibt überhaupt nichts auf seine Meinung. Aber auch der Mutter widersetzt sie sich gerne. Sie selbst will überhaupt nicht heiraten (vermutlich wegen des Vorbilds, das sie vor Augen hat).


    Alle drei Teile werden als "dem Herausgeber André Gide zur Publikation übergeben" vorgestellt.

    Ich wusste anfangs nicht recht, was ich von dem Buch halten sollte. Die Erzählerin des ersten Teils (aus den beiden anderen Teilen erfährt der Leser, dass sie Eveline heißt; sie selbst nennt ihren Namen nicht) erscheint am Anfang übertrieben unbedarft, was die Geduld des Lesers ziemlich strapaziert. Ihre nachfolgende Desillusion ist dagegen recht erfrischend. Roberts Part wirft wieder ein neues Licht auf seinen Charakter; er ist keineswegs so total unfähig zur Selbstkritik, wie er in Evelines Darstellung erschien.

    Geneviève hat etwas von einem - wenn auch vorläufig etwas unreifen - Blaustrumpf. So versucht sie einmal, einen alten Freund der Familie zu verführen, da sie sich nicht verheiraten, aber ein Kind haben möchte. Sie ist jedoch ein weit unabhängigerer Geist, als ihre Mutter es in ihrem (Genevièves) Alter war. Insoweit kann man hier wirklich eine "Schule der Frauen" erkennen.


    André Gide gibt jeder Person eine glaubhafte eigene Erzählstimme. Interessant ist, wie Ereignisse in völlig unterschiedlichem Licht erscheinen, je nachdem wer sie beschreibt. Das Buch ist insoweit erstaunlich modern - auch was einige entscheidende Punkte angeht, die bewusst von allen dreien verschwiegen bzw. beschönigt werden. "Die Schule der Frauen" ist eines der Bücher, die man nach Beendigung gleich noch mal lesen möchte, um zu überprüfen, was man am Ende vermutet oder glaubt. Andererseits ist es keine entspannende Lektüre. Es gibt keine Abschweifungen, Milieuschilderungen und dergleichen; als Leser muss man ununterbrochen "auf der Hut sein" und genau lesen, auch zwischen den Zeilen.

  • Danke, Zefira, das ist eine sehr gute Beschreibung, die einem wirklich hilft, zu erkennen, ob man das Buch lesen will. Es klingt interessant, aber eben auch sehr anstrengend. Da ich nur selten (Fontane) Eheromane mag, werde ich mir dieses Werk daher wohl sparen können.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)