Lev Tolstoj: Die Auferstehung

  • Lev Tolstoj „Die Auferstehung“


    Das russische Wort Vozroždenie für „Auferstehung“ kommt aus dem religösen Wortschatz. Es meint auch „Wiedergeburt“, „Wiederbelebung“, Erneuerung“.

    Vozroždenie ist auch die russische Bezeichnung für die europäische Renaissance als geistig-kulturelle Bewegung des 15.-16. Jahrhunderts.

    Prosveščenie – das russische Wort für die Aufklärung des 18. Jahrhundert, kommt ebenfalls aus dem religiösen Bereich. Die „Licht“-Metaphorik, die auch in den westeuropäischen Bezeichnungen für „Aufklärung“ (enlightenment, les lumiéres) enthalten ist, meint im russischen Mittelalter Taufe im Sinne von „Erleuchtung“, religiöse Unterweisung, später auch „Bildung und Zivilisierung“ allgemein, so dass das entsprechende Ministerium "Ministerstvo narodnogo prosveshchenija" (Ministerium für Volksaufklärung = Volksbildung) heißt.


    Nachdem Lev Tolstoj um 1890 den Plan zu seinem Roman gefasst hatte, benötigte er bis zu seiner Fertigstellung sechs Redaktionen. Etwa die Hälfte des Texts wurde aus dem Manuskript wiede herausgestrichen.


    Da er im Unterschied zu F. M. Dostoevskij die Zustände in sibirischen Gefängnissen und Strafkolonien nicht aus eigener Anschauung kannte, konsultierte Tolstoj mehrere zeitgenössische Werke zu diesem Thema. Dazu zählte auch das damals Aufsehen erregende Buch des amerikanischen Journalisten George F. Kennan, das in Deutsch wieder aufgelegt wurde. Ich habe hier die Ausgabe:


    George Kennan: „… und der Zar ist weit“. Sibirien 1885. Mit einem Nachwort von Helmut Graßhoff. 3. Auflage, Berlin: Ruetten & Loening, 1981.

  • Ich habe bemerkt, dass in meiner Ausgabe (Insel Verlag, Übers. A. Hess, Copyright 1914) die Kapitelzählung ein klein wenig abweichend von eurer ist. Der "Gottesdienst" ist bei mir Kapitel 39, nicht 40. Bei Winkler Verlag (Copyright 1958) ist es auch Kapitel 39. Weiß jemand, woran das liegt?

  • Lev Nikolaevič Tolstoj „Die Auferstehung“


    Bei den Teilnehmern der Leserunde sind die Kenntnisse über die Hintergründe und Zusammenhänge sicher unterschiedlich. Die Ausgabe in der Übersetzung von Barbara Conrad von 2016 hat mir zusätzliche Informationen beschert. Es mag auch Leser geben, die die biographischen und rezeptionsgeschichtlichen Zusammenhänge für nicht so wichtig halten, die sich in die Lektüre stürzen und ihren unmittelbaren Eindrücken vertrauen, was ja eine völlig gleichberechtigte Herangehensweise ist. Ich brauche da überhaupt nicht von mir auszugehen. Deshalb bringe ich hier von Zeit zu Zeit immer mal Stücke als ein buntes

    Kaleidoskop

    Und es kann diskutiert werden, wenn manches vertieft werden sollte.


    Tolstoj meinte, dass man verschiedene Leute eines Schlags beobachten sollte, um einen bestimmten Typ eines Menschen zu schaffen.


    „Wenn ich direkt nach der Natur irgendeinen Menschen abmalen sollte,“ meinte Tolstoj, „kommt dabei überhaupt nichts Typisches heraus – es ergbit sich irgendetwas Einheitliches, Ausschließliches und Unin teressantes.“

    L.N. Tolstoj: Vollständige Werkausgabe. Bd. 33. S. 315-316. Zitiert in:

    Kontstantin Lomunov: Nad stranicam „Voskresenija“. Istorija sozdanija romana L. N. Tolstogo. Problemy, obrazy, charaktery. Pervye otkliki [Auf den Seiten der “Auferstehung”. Die Geschichte der Entstehung des Romans L. N. Tolstojs. Probleme, Bilder, Charaktere. Erster Widerhall]. Moskva 1979, S. 352.


    Die Handschrift von „Krieg und Frieden“ umfasst 5202 Blätter, die der „Anna Karenina“ 2651 Blätter, die der „Auferstehung“ hingegen 7044 Blatt. Der endgültige Text des Romans „Krieg und Frieden 1460 Seiten, „Anna Karenina“ 857 Seiten und „Die Auferstehung“ ursprünglich 443 Seiten (Lomunov, S. 7).


    Die Korrekturen des Romans konnten erheblich sein. Sie sind an den Rändern in einer gestochenen deutlichen, auch heute lesbaren, zusammenhängenden, leicht nach rechts geneigten Schrift ohne Pausen zwischen den Buchstaben verfasst, während etwa Balzac seine Korrekturbögen zu „Tapeten" zusammenklebte und die Setzer derart zur Verzweiflung brachte, dass sie in den Streik zu treten drohten, wenn sie weiter Werke Balzacs setzen müssten.


    Relativ früh befand sich der Buchillustrator Leonid Pasternak in Tolstojs Nähe und beobachtete die Entstehung des Werks.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Leonid_Ossipowitsch_Pasternak


    So gibt es beispielsweise eine Skizze, ein aufgestützter Kopf, direkt auf einer Korrekturseite des Romans, die offenbar einen nachdenklich gewordenen Nechljudow darstellen soll.

    Die fertigen Illustrationen (1898-1899) geben Katjuscha in einem wärmenden Mantel und zwei Wächter mit Gewehren und Pelmützen mit dem Doppeladler wieder, die sie abführen. Der eine, ein verbissener russischer Kopf, steckt gerade den Überstellungsbefehl in den Ärmel, unbeweglich steht ein Kalmyke daneben.

    Ein anderes Bild: Ein dicker Anwalt mit aufgesetztem Monokel, Orden am Revers und Aktenmappe schreitet stolz im Korridor des Gerichtssaales umher. Ein Gerichtsdiener verbeugt sich still vor ihm.

    Schließlich wendet sich der sichtlich angeheiterte Kutscher zu Fürst Nechljudow um, der in der Kutsche sitzt.

    Nach dem Urteillspruch steht die Maslova noch aufrecht und unbeweglich da, während die Personen den Gerichtssaal verlassen, hinter ihr ein Gendarm mit gezücktem Säbel, der sie am Rücken angreift und zu halten sucht.


    Tolstoj lieferte auch selbst Skizzen zu seinem Roman, zum Beispiel vom Innenhof eines Gefängnisses mit einer Gruppe dreier Männer, auf der linken Bildhälfte schwebt eine Frauengestalt wie ein Engel.





    Kurz bevor der Schluss des Romans erschien, schloss die Bevölkerung in de Öffentlichkeit Wetten ab, ob Nechljudow und Katjuscha am Ende heiraten würden. Die Herausgabe des Romans in Fortsetzungen war vollends zu einer öffentlichen Angelegenheit geworden. Man könnte das mit dem Erscheinen der „Nouvelle Heloïse“ 1762 vergleichen, der Autor Jean-Jacques Rousseau hielt sich verborgen.

    Tolstoj selbst plante nach 1900 hingegen, den Roman fortzusetzen. Das bäuerliche christliche Leben Nechljudows sollte dargestellt werden.

    Thomas Mann schrieb im Exil 1940 in einem Aufsatz:

    „Die rein erzählerische Macht seines Werkes ist ohnegleichen, jede Berührung damit auch dort, wo er Kunst gar nicht mehr wollte, sie schmähte und verschmähte und nur gewohnheitsmäßig sich ihrer zur Erteilung moralischer Lehren bediente ….“.