Zum Jahresende will ich interessierten Mitlesern noch einen Klassiker der französischen Literatur vorstellen,den späteren Bischof von Cambrai, Francois de Salignac de La Mothe-Fénelon, 1651 auf dem Familienschloss bei Sarlat im Périgord geboren, sowie sein bekanntestes Werk, die "Abenteuer des Telemach".
Fénelon tat sich schon in seinen jungen Jahren, von der Familie als jüngerer Sohn traditionell zur Kirchenkarriere bestimmt, als begabter Kanzelredner hervor, interessierte sich später über die Vermittlung durch Madame de Maintenon für die Quietisten, eine Bewegung, die vielleicht ein wenig dem deutschen Pietismus vergleichbar ist und die Demut vor Gott in den Mittelpunkt der Lehre stellt.
Später wurde Fénelon von Ludwig dem XIV. zum Erzieher seines Enkels berufen. Da dieser möglicherweise Thronfolger werden konnte, schrieb Fénelon - neben anderen Werken - "Die Abenteuer des Telemach" für ihn, einen antikisierenden Abenteuer- und Erziehungsroman. Hierin verfolgen die Leser den Weg von Odysseus' Sohn Telemach, der die Irrwege seines Vaters, begleitet von seinem treuen Erzieher Mentor, hinter dem sich Athene verbirgt, nachvollzieht und in ebenso viele Klemmen tappt wie sein Vater. Daraus wird er wiederum immer entweder handgreiflich oder durch kluge Tipps von Mentor gerettet. Telemach, als der designierte Thronfolger auf Ithaka, erhält dabei immer wieder Belehrungen in Form einer Art Fürstenspiegels.
Dass er meine Leselust sonderlich anreizt, kann ich von diesem Roman nicht behaupten, aber wenn man mal weglässt, dass es sich um Fürstenerziehung handelt und stattdessen Politiker dafür einsetzt, sind viele der Ratschläge erstaunlich sinnvoll und modern. Gerne würde ich zum Beispiel Herrn Trump ein Exemplar davon in die Hand drücken, damit er unter anderem Folgendes zur Kenntnis nimmt:
Wenn du einmal Herrscher über andere Menschen bist [...] lass es dir ein Vergnügen sein, die Leiden deiner Untertanen zu mildern., liebe dein Volk, verabscheue die Schmeichelei und erinnere dich stets, dass du nur groß sein wirst, wenn du dich mäßigest und Mut genug besitzt, deine Leidenschaften zu bezähmen.
Und da gäbe es noch viele andere Stellen, die verschiedensten Politikern ans Herz zu legen wären.
Unter anderem wegen dieses Werks und wegen seiner Nähe zum Quietismus entzog der Sonnenkönig Fénelon das Erzieheramt.
Kann man nachvollziehen, wenn man Ludwigs Lebensstil kennt und dann liest:
Übrigens sollte der König nüchterner sein und Üppigkeit, Pracht und Stolz mehr hassen als jeder andere. Nicht durch größere Reichtümer und Vergnügungen, sondern durch Weisheit, Tugend und Ehrliebe sollte er über die übrigen hervorragen.
Der Roman gilt deshalb auch als ein Startsignal der europäischen Aufklärung.
Telemach ist ein ganz lieber Junge, aber natürlich erst recht nicht in seinem jugendlichen Alter gefeit vor Ruhmsucht, Leidenschaft, Naivität und Prahlerei. Immer wenn er einer dieser Schwächen nachgibt, zieht Mentor ihn aus dem Schlamassel, der unweigerlich darauf folgt. Das wäre ganz unterhaltsam, wenn nicht davor oder oder währenddessen diese Belehrungen kämen, die zwar im Einzelnen - s.o. - durchaus bedenkenswert sind, aber in seitenlangen Monologen einem ganz schön auf den Zeiger gehen.
Wenn man sich überlegt, dass dieser Roman jahrhundertelang ein französischer Jugendklassiker war, können einem die Kerlchen nur leidtun, denn allzu aufregend sind die Abenteuerintarsien in dem Moralmarmor auch nicht.
Habe nun ein gutes Viertel des Romans hinter mir und werde euch mitteilen, wenn sich noch aufregende Verwicklungen oder Perlen moralischer Rhetorik auftun.