Bücher, in die man nicht «rein» kommt...

  • Hallo zusammen!


    Habt Ihr das auch: Bücher, in die man nicht «rein» kommt? Zur Zeit liegt auf meinem Tisch Stefan Zweigs "Maria Stuart". Seit rund 4 Monaten bin ich immer auf S. 100. Eigentlich habe ich mir das Buch angeschafft, nachdem ich in diesem Forum einige begeisterte Stimmen dazu gehört habe. Aber irgendwie komme ich nicht wirklich in das Buch hinein. Ich mag Zweigs Stil nicht: Er ist - für mich - geschwätzig; in jedem 2. Abschnitt sagt er sinngemäss 'Genau diese Eigenschaft war es, die XY noch ins Verderben stürzen sollte' (schlimmer als Karl May, der auch ständig mit diesem Trick arbeitet, um Spannung zu erzeugen!); und last but not least ist er absolut frauenfeindlich und seine Psychologie (die er an Freud geschult haben soll!) ist absolut hanebüchen.


    Es ist ja nicht das erste Mal, dass ich in ein Buch nicht hineinkomme. Stifters "Wittiko" brauchte 5 Anlüfe über fast 20 Jahre, bis ich ihn lesen konnte. (Und das, obwohl ich seinen "Nachsommer" schon als Gymnasiast verschlungen habe und bis heute immer wieder lese!) Immerhin war ich mir immer darüber im Klaren, dass hier ein grosses Werk vor mir lag. Ähnlich ging es mir bei gewissen Werken von Th. Bernhard.


    Aber bei Zweig bin ich ehrlich gesagt nicht sicher, dass wirklich etwas Grosses vor mir liegt, das den Aufwand lohnt...


    Habt Ihr das auch schon erlebt?


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo Sandhofer,
    ich denke, jede Lektuere ist doch auch eine Stimmungssache. D. h. sehr subjektiv.
    Ich moechte Stefan Zweig hier nicht verteidigen, zumal ich “Maria Stuart” nicht gelesen habe (mir gefallen allerdings seine Novellen und Erzaehlungen), denn wie Du ja selber schreibst, geht es Dir auch mit manch anderen Buechern so.
    An mir habe ich folgendes beobachtet. Es gibt Phasen, in denen ich wochenlang z. B. Thomas Mann lesen kann, der zu meinen Lieblingsautoren gehoert, und andere, in denen ich einfach (nur) einen Detektivroman nach dem anderen lese.
    Den “Ulysses” habe ich mehrmals angefangen und nach wenigen Seiten niedergelegt.
    Erst letztes Jahr schien dann die Zeit (bzw. ich) reif zu sein, um dieses Buch zu lesen.
    Goethe mag ein “Dichterfuerst” sein, aber seine Wilhelm Meister langweilen mich, und ich musste mich regelrecht ueberwinden, gerade weil da angeblich “etwas Grosses vor mir” lag.
    Heute lege ich ein Buch, das mich gleich auf den ersten zehn Seiten langweilt, in das ich “nicht hineinkomme”, fuer das naechste halbe Jahr beiseite. Ein qualitatives Urteil ueber das Werk erschiene mir ein wenig voreilig. Ist “Zugaenglichkeit” ein Kriterium fuer Kunst?


    Gruss
    Antonio

  • Hallo zusammen!
    Hallo Antonio!


    Du hast geschrieben:


    Zitat

    Ist ?Zugaenglichkeit? ein Kriterium fuer Kunst?


    Sicher nicht.


    Und wie gesagt, ich hatte das Problem auch schon mit andern Werken. Damals aber hatte ich doch immer das Gefühl, das "Nicht-rein-Kommen" liege an mir. Bei Zweig habe ich das Gefühl, es liege an ihm...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo sandhofer !


    Ich hatte während des Gemeinsamen Lesens am Anfang ja auch so meine Probleme mit Zweig - für mich ein richtiger Chauvinist ! Aber mit der Zeit wurde es etwas besser und ich habe seine "Thesen" eben einfach überlesen und im Nachhinein hat es sich auch gelohnt. Allerdings hätte ich das Buch ohne das Gemeinsame Lesen auch nicht fertiggelesen :zwinker:


    Das gleiche aktuelle Beispiel mit Balzac - wie trivial die ersten 50 Seiten und plötzlich ändert sich der ganze Stil.


    Probleme habe ich z.B. auch mit Goethe, nicht seine Dramen sondern die Prosa - ächz. Nach 4 Anläufen innerhalb 6 Jahren habe ich es dann doch geschafft, den Werther zu lesen.


    Ich habe das Gefühl, manchmal muß man halt akzeptieren, dass es Bücher gibt, die sind einfach nicht sympathisch. Manchmal hilft mir der Zugang über die Biografie des Autors oder die Bestimmung der gesellschaftlichen oder politischen Verhältnisse.


    Im übrigen ist es für mich auch eine gute Erfahrung, wenn man sagen kann, das Buch oder der Autor liegen mir nicht, weil ... Ich muß ja nicht alles gut finden, das das Etikett "Klassiker" hat.


    Gruß von Steffi

  • hallo sandhofer !
    mit zweig geht's mir genauso. das eigene urteil wird, wenn man viel liest, genauer und besser. man wird klarerweise anspruchsvoller, und dann
    merkt man, daß zweig, nun ja, nicht in der obersten liga mitspielt ;-).


    nicht 'reingekommen' bin ich im august in canettis blendung, mit viel zwang habe ich den ersten teil geschafft.
    trotzdem: das buch wirkt weiter, die personen, die stimmung dieses buches werde ich nicht so bald vergessen (etwa, wie kien seine bücher für den kampf rüstet, indem er sie mit dem buchrücken nach hinten ins regal stellt. oder diese wunderbaren szenen zwischen kien und therese !) also vermutlich: ein grosser roman.



    liebe grüße aus wien,
    stephan

  • Hallo zusammen!
    Hallo Stephan!


    Bin ich doch froh, dass ich bei Zweig nicht als einziger dieser Meinung bin...


    Und was Canetti betrifft: Für mich eh einer der Grössten des 20. Jh. - "Die Blendung" lohnt sich das Warten! (Galt bei mir auch für "Wittiko".)


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen!


    Ich bin ja ziemlich stur. Und habe Zweigs "Maria Stuart" noch nicht aufgegeben. Jetzt lese ich gerade ein paar der frühen Erzählungen Zweigs und bin positiv überrascht. Er kann tatsächlich Stimmungsbilder und seelische Gegebenheiten sehr fein darstellen. Und jedenfalls in seinen frühen Schriften ist der Autor keineswegs so allgegenwärtig und besserwisserisch wie in "Maria Stuart". Das wollte ich doch zur Ehrenrettung Zweigs gesagt haben. :zwinker:


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,


    mir fällt eigentlich nur ein Buch ein, bei dem ich schon mehrere erfolglose Leseversuche hatte, und es immer noch nicht gelesen habe, obwohl es eigentlich nicht schwer zu lesen ist:


    „Die Deutschstunde“ von Siegfried Lenz


    Hab ich mindestens schon fünfmal angefangen und obwohl es eigentlich leicht zu lesen ist und das Thema mich auch interessiert, bin ich noch nie über die ersten hundert Seiten rausgekommen. Hat jemand Erfahrung mit diesem Buch?


    Gruß von Hubert

  • Hallo zusammen!


    Lenz' "Deutschstunde" muss ich irgendwann mal gelesen haben. Wenn ich mich recht erinnere, geht es um einen Schüler, der nachsitzen muss und irgendwie im Rahmen seiner Strafarbeit sehr viel über sich, sein Land und das Dritte Reich erfährt.


    Ich war felsenfest davon überzeugt, das Buch zu besitzen, habe aber gesehen, dass ich es nicht habe - also entweder nie gehabt oder schon seit langem der Heilsarmee weitergegeben. Da ich es in 20 Jahren nie vermisst habe, werde ich es wohl auch nicht mehr anschaffen.


    Vielleicht gehört "Die Deutschstunde" ja auch wie "Maria Stuart" in die Kategorie 'Bücher, die so seicht sind, dass man nicht hnineinkommt'?


    Ich habe jetzt ja einiges an Zweig gelesen. Und ich glaube, ich weiss jetzt, was mich an "Maria Stuart" ärgert. (Ausser der Tatsache, dass der Erzähler sich immer wieder wertend - und zwar chauvinistisch wertend! - einmischt, und dass er mit Sätzen à la 'Wir werden noch sehen, wie dies den/die XYZ noch ins Verderben stürzte' - die selbst Karl May subtiler anzuwenden verstand - Spannung zu erzeugen versucht, weil er es offenbar anders nicht erreicht ...) Seine Figuren entwickeln sich nicht oder kaum. Das ist bei einer Kurzgeschichte / Novelle meistens von Vorteil, in einem Roman oder in einer Biografie will ich lesen, wie sich die Menschen verändern... Daher finde ich seine kurzen Geschichten so übel nicht, seine längeren eher ärgerlich.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo Sandhofer


    Du hast geschrieben:
    Lenz' "Deutschstunde" muss ich irgendwann mal gelesen haben. Wenn ich mich recht erinnere, geht es um einen Schüler, der nachsitzen muss und irgendwie im Rahmen seiner Strafarbeit sehr viel über sich, sein Land und das Dritte Reich erfährt.


    Ja, Du erinnerst Dich schon recht, darum geht es, aber doch auch um mehr, u.a. um einen Vater-Sohn-Konflikt, die moralische Problematik eines politisch begründeten Pflichtbewusstseins und was mich am meisten interessierte: der expressionistische Maler Emil Nolde, der ja im Buch, zwar unter anderem Namen, eine Hauptrolle spielt insbesondere in der Phase seiner sogenannten „ungemalten Bilder“.


    Vielleicht gehört "Die Deutschstunde" ja auch wie "Maria Stuart" in die Kategorie 'Bücher, die so seicht sind, dass man nicht hnineinkommt'?


    Nein, ich glaube eben nicht, dass es ein seichtes Buch ist, sonst hätte ich ja nicht schon fünf Versuche gemacht, meist merke ich so was beim ersten Mal, und lege ein Buch dann für immer zur Seite, aber Siegfried Lenz halte ich schon für einen ernstzunehmenden Schriftsteller und ich habe es ja noch nicht aufgegeben. Vielleicht auch ein Fall für ein gemeinsames Lesen.


    Gruß von Hubert