Sammelthread zur Rettung der Kasuskongruenz

  • Liebe Leute,


    mir fällt immer häufger auf, dass sehr vielen Menschen Grammatikfehler in der deutschen Sprache unterlaufen, ganz besonders bei den Kasuskongruenzen. Es scheint nicht mehr selbstverständlich zu sein, dass die richtigen Fälle verwendet werden, besonders bei Relativanschlüssen oder Appositionen. Das fällt mir sehr oft im Radio auf, mittlerweile aber auch zunehmend in gedruckter Literatur. Am häufigsten ist dabei der falsche Anschluss eines Dativs an einen Genitiv. Hat mit dem Aussterben des Letzteren zu tun, nehme ich an. Aber Sätze wie den folgendend hört und liest man immer häufiger:


    Zitat

    Der Palast des Dalai Lama ist das größte Gebäude in der Hauptstadt Tibets, dem höchstgelegenen Land der Erde. Urks.


    Auch jetzt im neuen Roman von Lutz Seiler gibt es sehr häufig falsche Kasus - meist setzt er Nominative, wo ich als Leser Akkusative erwarte und wo sie m. E. auch hingehörten. Ein Kasuswechsel innerhalb eines Satzes ist aber stilistisch einfach schlecht, wenn nicht gar ein echter Fehler.


    Hier mal zwei Beispiele, wahllos herausgegriffen:


    Zitat

    "Er klatschte und sah Ettenburg, den Urklausner, dessen Asche ins Meer geschüttet worden war, Ettenburg, der Wiedergänger." (S. 430)


    Zitat

    "Im Bug klebte ein Milchbeutel mit persönlichen Sachen, etwas Geld, Zeugnisse, kein Ausweis, aber das Foto, seine Partnerin, soviel ich weiß..." (S. 403)


    usw.

  • Noch zwei weitere Beispiele aus 'Kruso':


    Zitat

    In seinem Amtsbereich sei keiner der von mir beschriebenen Fälle aktenkundig, erklärte Allan Lappenborg vom Sekretariat der Polizei Südseeland und Lolland-Falster, ein Gebiet, das zwei Drittel der Südküste Dänemarks umfasst. (S. 450)


    Zitat


    Auch er hatte im Bispebjerg Kirkegard nachgefragt - eine Dokumentation über die Beisetzungen gebe es nicht, kein Vermerk im Totenregister. (S. 452)


  • Noch zwei weitere Beispiele aus 'Kruso':


    Klassischer Fall von Lektoratsversagen ... Oder dokumentieren Deine gesammelten Beispiele einfach nur den stillschweigenden Verzicht der Verlage auf ein professionelles (und damit teures) Lektorat im Zuge der Gewinnmaximierung? Schlecht, ganz schlecht.

  • Vielfach gewinnt man den Eindruck: die Schreiber können es wirklich nicht besser, oft auch professionelle Autoren.


    http://ifb.bsz-bw.de/bsz401388…E34F4CD1A1C998DB4?id=6569


    Das kann man beklagen, es ist aber nicht oder nur im konkreten Fall zu ändern, wenn noch eine Korrektur möglich ist. Es ergeben sich mehrere Fragen:
    Wo liegen die Ursachen für derartige Fehler? Wirklich durch Versäumnisse in der Schulzeit? Kamen dann zahlreiche Beeinflussungen in den alltäglich konsumierten Medien hinzu, die das einst Gelernte wieder in Vergessenheit geraten ließen?


    Oft werden Fehler dieser Art stillschweigend und resignierend hingenommen, in den meisten Fällen von niemandem bemerkt. Ich gestehe, dass ich auch über viele Fehler hinweglese.

  • Das gilt aber nicht nur für heutige Autoren. Ein Beispiel aus Immermanns “Epigonen“, dem Roman unserer aktuellen Leserunde:
    “Ich wüsste niemand, dem ich lieber helfen möchte, als Sie.“(III, 11)

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Zu Immermanns Zeiten ging das noch durch, selbst bei Goethe dürfte man da fündig werden.


    Wissen konstruiert mit Akkusativ: Ich wüsste niemand als Sie, dem ich lieber helfen möchte. Ich denke, das ist völlig korrekt so, oder?

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • [quote author=Karamzin]
    Zu Immermanns Zeiten ging das noch durch, selbst bei Goethe dürfte man da fündig werden.


    Wissen konstruiert mit Akkusativ: Ich wüsste niemand als Sie, dem ich lieber helfen möchte. Ich denke, das ist völlig korrekt so, oder?
    [/quote]


    Denke ich auch. Ich würde zwar sagen: "Ich wüßte niemanden als Sie ..." -- aber grammatisch ist es m. E. korrekt.


    edit sandhofer: Ich habe die Quotes richtig gestellt. Nix für Ungut! :winken:

  • Tja, das ist so eine Zweifelsfrage. Erstens ist der Akkusativ im Hauptsatz nicht eingehalten. Dann ist es - bezogen auf das "Sie" kein Problem mit der Kasuskongruenz, aber schon eine unglückliche Syntax, denn "niemanden als Sie" ist der Gesamtbezug des Relativsatzes.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Dann ist es - bezogen auf das "Sie" kein Problem mit der Kasuskongruenz, aber schon eine unglückliche Syntax, [...]


    Oh, Immermann ist für so was immer wieder gut:


    Der Herzog, welcher großen Anteil an allem, was aus dieser Familie herrührte, nahm, fragte nach Hermanns Studien und Lebensgange [...]. (1. Buch, 6. Kapitel)


    Ist doch auch sehr schön. Und vor allem so leicht verständlich, oder?

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • In einer Vorschau auf ein Tennis-Tournier:


    Den Mann, den es zu schlagen gilt, heisst Novak Djokovic. (Das Kürzel si am Ende der Meldung steht, glaube ich, für Schweizer Sportinformation. Da im Alemannischen Akkusativ und Nominativ oft identisch klingen, ist es zu befürchten, dass das ein Schweizer war...)

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • In einer Vorschau auf ein Tennis-Tournier:


    Den Mann, den es zu schlagen gilt, heisst Novak Djokovic. (Das Kürzel si am Ende der Meldung steht, glaube ich, für Schweizer Sportinformation. Da im Alemannischen Akkusativ und Nominativ oft identisch klingen, ist es zu befürchten, dass das ein Schweizer war...)


    Dafür steht in Deutschland zu befürchten, dass auch des Akkusativs Bleiben nicht mehr ewig ist. Da im Femininum und im Neutrum die Beugungsformen von Nominativ und Akkusativ identisch sind, sieht man nicht nur bei flüchtig hingeworfenen Posts immer häufiger, dass auch die Endung -en beim Maskulinum immer öfter entfallen.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Moin, Moin!


    Zwar nicht in einem Buch, aber in einer Fernsehserie: "Das ist wider der Natur".
    Mal was anderes: Wann klappen die Fußnägel eigentlich wieder runter?


    Und, etwas off topic, sandhofer hat mich insofern maßlos enttäuscht, als er kürzlich in seinem Blog "insofern ... als dass" verwendete. :teufel:
    Mein Lieblings-Grammtikfehler mit so vielen Varianten (insofern - wenn; insofern - weil...), dem selbst gestandene Journalisten allzu gerne auf den Leim gehen. Aber hier unter uns Pastorentöchtern schmerzt ein solcher doch sehr. Ich gehe jetzt weinen.

  • Und, etwas off topic, sandhofer hat mich insofern maßlos enttäuscht, als er kürzlich in seinem Blog "insofern ... als dass" verwendete. :teufel:


    Weiss schon ... :breitgrins: Ich gedenke das als Markenzeichen zu führen. Hab' den Lapsus nach der Publikation noch gesehen und mir überlegt, ob ich's korrigiere, war aber dann zu faul.


    (Interessant übrigens, und es wäre ein triftiger Grund, solche kleinen Irrtümer aus Prinzip einzubauen: Auf die reagieren die Leute, und so erfahre ich, dass meine Blog-Einträge überhaupt gelesen werden. pchallo )

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus