Sinn und Form

  • Guten Tag zusammen,


    liest hier außer mir noch jemand regelmäßig 'Sinn & Form'?


    Ich möchte gerne diese Zeitschrift empfehlen. Literaturzeitschriften sind mir eigentlich ein Graus. Da geht es mir wie bei der Musik: Ich höre sie lieber, als drüber zu lesen. Viele Literaturzeitschriften heute können mich daher nicht wirklich überzeugen. Da wird viel ums Thema herumgeklappert, viel gelayoutet und designed, es gibt Homestories und Überblicksberichte. Aber letztlich sind es doch alles nur ein paar Appetithäppchen. Essen muss man dann woanders.


    Sinn & Form ist aber völlig anders. Eine Zeitschrift, die ganz ohne selbstreferenzielle Editorials und alberne Teaser auskommt. Da gibt es Qualität und Substanz von der ersten bis zur letzten Seite, ohne Bilder, ohne Schnickschnack. Alle zwei Monate ist jedes Heft eine wahre Freude voller interessanter Beiträge.


    Ich kenne im deutschsprachigen Bereich nichts, was ein ähnlich gleichbleibendes Niveau und eine solche Qualität hätte.


    Hier kann man mehr erfahren. Aber eigentlich rate ich gleich zum Abo: :winken:
    http://www.sinn-und-form.de/

  • Hallo JHNewman,


    meine Eltern hatten seit den 1960er Jahren bis zum Untergang der DDR und der Durchsetzung der Marktwirtschaft im Verlagswesen 1991 die Zeitschrift "Sinn und Form" abonniert, und ich habe eifrig in ihr gelesen. Sie galt als ein seriöses, vom politischen Tagesgeschäft unbeeinflusstes Blatt.

    Zwei Chefredakteure aus dieser Zeit wurden indes ab 1991 verdammt: Wilhelm Girnus und Max Walter Schulz.


    http://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Girnus


    Ersteren kannte ich früh, weil er für das Goethe-Bild den "Realismus" als Maßstab anlegte. Es gab einen blau-weißen Reclam-Band mit seinen gesammelten Aufsätzen zur Literaturkritik.


    Max Walter Schulz (1921-1991) führte "Sinn und Form" 1983-1990 in einer Zeit des allgemein spürbaren Niederganges und der Krise, offenbar ohne die Autoren zu entmutigen und zu behindern, man warf ihm Stasi-Kontakte vor.


    http://de.wikipedia.org/wiki/Max_Walter_Schulz


    Es war anschließend ein Prozess, sich mit der Literaturlandschaft im vereinten Deutschland bekannt zu machen.


    Was in den Jahren 1991 bis 1993 an Schroffem, Verletzenden geschehen ist, mag vielleicht die Generation meines Sohnes, mag die der Enkel erforschen.
    Für die Einheit in Würde traten damals Weizsäcker, Bahr, Gaus, Dönhoff, Schorlemmer, der unvergessene Wolfgang Ullmann, in stillen Broschüren "Weil das Land Versöhnung braucht" ein, was in einem schrillen Chor der Verdammung des "Unrechtsstaates" und seiner Helfershelfer unterging.
    Durch die ungewöhnliche Konzentration in dieser Zeit auf die Staatssicherheit wurde unter entscheidender Anteilnahme des jetzigen Bundespräsidenten ein Geschichtsbild erzeugt, bei dem man die Leute in "Täter", "Widerstandskämpfer" und "Mitläufer" einstufte. Das Wort von Günter Gaus, des Freundes von Christa Wolf, von den eher politikfernen "Nischen", wurde in jenen Jahren wohlwollend aufgegriffen.
    Da hatte allerdings jahrelang "Sinn und Form" kaum einen Platz.
    Offenbar erlebte die Zeitschrift in der zurückliegenden Zeit wieder eine erfreuliche allgemeine Auferstehung. Gefragt sind Freiräume für ruhige Literaturbetrachtung, ohne vorschnelle ideologische Verdächtigungen und Aufgeregtheiten.


  • Was in den Jahren 1991 bis 1993 an Schroffem, Verletzenden geschehen ist, mag vielleicht die Generation meines Sohnes, mag die der Enkel erforschen.
    Für die Einheit in Würde traten damals Weizsäcker, Bahr, Gaus, Dönhoff, Schorlemmer, der unvergessene Wolfgang Ullmann, in stillen Broschüren "Weil das Land Versöhnung braucht" ein, was in einem schrillen Chor der Verdammung des "Unrechtsstaates" und seiner Helfershelfer unterging.


    Hallo Karamzin,


    ich dachte mir, dass Dir die Zeitschrift bekannt ist. :smile:


    Icn bin ja Wessi durch und durch. Was aber in den von Dir genannten Jahren besonders im Hinblick auf die Kultur der ehemaligen DDR geschehen ist, erfüllt mich noch heute mit Scham, Zorn und Abscheu. Damit meine ich nicht die Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit. Das halte ich schon für einen wichtigen Klärungs- und Selbstreinigungsprozess. Nur ist ja in diesem Zusammenhang viel zerstört worden, was erhaltenswert gewesen wäre. Was man auch dringend hätte erhalten müssen. Die verheerenden Auswirkungen, die etwa der Beitritt der sog. 'Neuen Bundesländer' zur Bundesrepublik auf das Verlagswesen hatte, hat damals wohl niemand bedacht. Das ging alles im Rausch und im Wunsch nach der Westwährung unter. Die Folge war ein Bruch, eine Vernichtung von Identität und von kulturellem Erbe, das damit unwiederbringlich verloren ging.


    LG
    JHN

  • JHNewman


    Nun war mein Beitrag vorwiegend rückwärtsgewandt.


    Vielleicht kannst Du mir und den hier Mitlesenden einmal berichten, welche Beiträge in "Sinn und Form" Dich in letzter Zeit besonders beeindruckt haben? Die Zeitschrift ist vielfach nicht sofort in einer nächstgelegenen Bibliothek einsehbar.


    Anhand der Informationen in dem von Dir beigegebenen Link kann man schon erkennen, dass sich die Zeitschrift viel mehr als früher internationalen Entwicklungen geöffnet haben dürfte.


  • Vielleicht kannst Du mir und den hier Mitlesenden einmal berichten, welche Beiträge in "Sinn und Form" Dich in letzter Zeit besonders beeindruckt haben? Die Zeitschrift ist vielfach nicht sofort in einer nächstgelegenen Bibliothek einsehbar.


    Anhand der Informationen in dem von Dir beigegebenen Link kann man schon erkennen, dass sich die Zeitschrift viel mehr als früher internationalen Entwicklungen geöffnet haben dürfte.


    Das kann ich nicht sagen, da ich die Zeitschrift früher nicht kannte. Ja, es sind eine ganze Reihe internationaler Autoren vertreten. Dennoch gibt es immer wieder viele Beiträge, die sich auch mit dem Kulturleben der ehemaligen DDR beschäftigen, was wiederum für mich eine nicht geringe Horizonterweiterung bedeutet.


    Deiner Aufforderung, ein paar Beiträge zu nennen, komme ich gerne nach.


    Im aktuellen Heft (3/2014) gibt es einen kleinen Themenschwerpunkt zum Thema Bespitzelung/Stasi-Vorwürfe/Umgang mit der Stasi-Vergangenheit. Dazu gehört ein sehr interessanter Aufsatz von Sabina Kienlechner über die Aufarbeitung der Securitate-Mitarbeit innerhalb der deutschsprachigen Gemeinschaft in Rumänien, der sich u.a. mit der unverständlichen bundesdeutschen Rechtsprechung zu diesem Thema befasst. Dann Auszüge aus den Tagebüchern von Klaus Schlesinger aus dem Jahr 1991, einer Zeit, in der Gerüchte über eine Stasimitarbeit seinerseits kursierten, die später ausgeräumt werden konnten. Und schließlich ein Aufsatz über Helga M. Novak, die seinerzeit die Urheberin der Gerüchte über Schlesinger war. Das bildet insgesamt einen hochinteressanten Cluster an Beiträgen zu diesem komplexen Thema.


    Im Heft 2/2014 gab es Auszüge aus Erwin Strittmatters Tagebüchern, einen Essay von Patrick Modiano zu Joseph Roth und ein Gespräch zwischen Cecile Wajsbrot und Helene Cixous.


    Besonders gelungen auch Heft 2/2013 (das ich erst gerade gelesen habe, ich lese die Hefte nicht immer sofort nach Erscheinen und im Stapel geraten sie dann gern auch mal durcheinander...): Darin zwei Beiträge zu Richard Wagner (von Nike W. und Friedrich Dieckmann), Auszüge aus den Erinnerungen von I. M. Lange zu Walter Benjamin, zwei Beiträge zu Stefan George - von Wolfgang Graf Vitzthum zu Georges Demokratieverständnis und von Martin Mosebach zu Stefan Georges Religion (letzterer handelt freilich mehr von Martin Mosebach und seinen Lieblingsthemen als von Stefan George selbst). Dazu ein sehr schönes Gespräch zwischen Jörg Magenau und Peter Nadas.


    Das alles ist aber nur eine Auswahl, in den Heften ist auch noch mehr zu finden.