• Bin immer noch bei Renée Mauperin von den Goncourts und bis jetzt gefällt es mir sehr gut. Renée ist für eine französische Frauengestalt erstaunlich quirlig und selbstständig, aber es steht zu befürchten, dass da im Laufe der Geschichte Änderungen eintreten.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)


  • Bin immer noch bei Renée Mauperin von den Goncourts und bis jetzt gefällt es mir sehr gut. Renée ist für eine französische Frauengestalt erstaunlich quirlig und selbstständig, aber es steht zu befürchten, dass da im Laufe der Geschichte Änderungen eintreten.


    Ich verrate wohl nicht zuviel ... mit Deiner Befürchtung liegst Du richtig.


    Ja, Renée fand ich auch überraschend "lebendig", eine etwas freche und vom Vater sehr verwöhnte Tochter. Ich kenne ja nun wahrlich nicht alle französischen Romane dieser Zeit :zwinker:, aber ich kann mich nicht erinnern, einmal einen so spritzigen Dialog wie gleich zu Anfang (Renée beim Schwimmen) gelesen zu haben.


    Gruß, Gina

  • Versteh' ich jetzt nicht. Warum sollten Französinnen nicht quirlig und selbständig sein? :?:


    Die Französinnen meine ich auch nicht, sondern die Frauengestalten in der französischen Literatur. Die finde ich oft entweder aufs Piedestal gestellt oder hilflos, intrigant und/oder Schicksalschläge recht passiv erleidend:
    So richtige selbstständig wirkende Frauen, die ihr Leben auch selbst in die Hand nehmen, ohne gleich in eine Katastrophe zu steuern oder andere lasziv zu verführen oder zu ermorden, das kommt nicht so häufig vor in den Romanen, die ich bis jetzt gelesen habe, und das sind schon einige.


    Deshalb finde ich Renée auch so erfrischend, einen Eindruck, @Gina, den du ja wohl auch teilst. Hoffe heute Abend endlich weiterzukommen.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • [...] die Frauengestalten in der französischen Literatur. Die finde ich oft entweder aufs Piedestal gestellt oder hilflos, intrigant und/oder Schicksalschläge recht passiv erleidend:
    So richtige selbstständig wirkende Frauen, die ihr Leben auch selbst in die Hand nehmen, ohne gleich in eine Katastrophe zu steuern oder andere lasziv zu verführen oder zu ermorden, das kommt nicht so häufig vor in den Romanen, die ich bis jetzt gelesen habe, und das sind schon einige.


    Ich finde das eher typisch fürs 19. Jahrhundert und nationenübergreifend. Weil: Ist das in der deutschen Literatur anders? (Wenn Frauen überhaupt halbwegs prominente Rollen erhalten.) Goethe? Vergiss es. Schiller? Vergiss es. Keller? Nur in ein paar Novellen, in den grossen Romanen nicht. Storm? Vergiss es. C. F. Meyer? Siehe Keller. Fontane? Vergiss es. Karl May? Vergiss es. In der englischen Literatur? Die Brontës? Vergiss es. Thomas Hardy? Vergiss es. George Elliot? Ich glaube nicht. Eine Ausnahme ist höchstens die meist völlig unterschätzte Jane Austen. :winken:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • Ich schreib' ja: 19. Jahrhundert. Das war vor- und nachher (zum Teil) anders. Obwohl: Arno Schmidts Frauen ...


    Also Goethe und Schiller gehören aber auch nicht zum 19. Jahrhundert. ;-)

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)

  • Ich finde das eher typisch fürs 19. Jahrhundert und nationenübergreifend. Weil: Ist das in der deutschen Literatur anders? (Wenn Frauen überhaupt halbwegs prominente Rollen erhalten.) Goethe? Vergiss es. Schiller? Vergiss es. Keller? Nur in ein paar Novellen, in den grossen Romanen nicht. Storm? Vergiss es. C. F. Meyer? Siehe Keller. Fontane? Vergiss es. Karl May? Vergiss es. In der englischen Literatur? Die Brontës? Vergiss es. Thomas Hardy? Vergiss es. George Elliot? Ich glaube nicht. Eine Ausnahme ist höchstens die meist völlig unterschätzte Jane Austen. :winken:


    Eventuell Michaela von Burne? (Michéle de Burne im Original, klar.)


    Meine derzeitige Zweitlektüre:
    Guy de Maupassant, Unser Herz.


    Eine Dame der Gesellschaft, klar und also von Ererbtem lebend, aber immerhin nach unglücklicher Ehe dahin gekommen, sich nicht mehr zu binden und stattdessen die Fische an der Angel zu haben ...


    Die EPubs finden sich hier, bzw. etwas kompletter hier, dass sie aus Gutenberg übernommen sind, vermute ich aufgrund singulärer Wortschöpfungen wie "eisensüchtig" oder "Pomancier".


    "Es handelt sich bei dieser Ausgabe um die Übersetzung der Werke des französischen Naturalisten durch Georg Freiherr von Ompteda, die 1898–1903 erstmals erschien und viele Auflagen hatte. Eine eigenwillige, aber zeitnahe Übertragung des französischen Klassikers."


    Nach Tisch fetzte sich Massival, der immer melancholischer geworden war, an das Klavier und schlug ein paar Töne an. Frau von Burne schien aufzuwachen und stellte sofort ein kleines Programm zusammen aus ihren Lieblingsstücken.


    Zeitnah, fraglos ... :breitgrins:


    Ich hatte den Roman, wie auch "Bel-Ami" und "Mont-Oriol" schon mal gelesen.
    So mit ca. 17.
    Die alten Insel-Taschenbücher sind längst weggekommen (schön illustriert waren die).


    Warum ich Lust verspürte, es wiederzulesen, weiß ich nicht.
    Eventuell, weil ich mich vage erinnerte, dass es so irgendwie um Ökonomie der Gefühle geht.


    Ein Thema, das ich nach so langen Jahren doch noch mal lernen möchte :breitgrins:


    Gruß
    Leibgeber

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)

  • Also Goethe und Schiller gehören aber auch nicht zum 19. Jahrhundert. ;-)


    Das lange 19. Jahrhundert: http://de.wikipedia.org/wiki/Langes_19._Jahrhundert :zwinker:


    Was ist mit Fontanes Jenny Treibel?


    Fr. Treibel gehört für mich in finsburys Kategorie "intrigant" ... :winken:


    Gaskell? Hm... könnte sein, sie ist eine Vorläuferin der Woolf. Was darauf hinweisen würde, dass die englische Literatur diesbezüglich emanzipierter war.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Ich finde das eher typisch fürs 19. Jahrhundert und nationenübergreifend. Weil: Ist das in der deutschen Literatur anders? (Wenn Frauen überhaupt halbwegs prominente Rollen erhalten.) Goethe? Vergiss es. Schiller? Vergiss es. Keller? Nur in ein paar Novellen, in den grossen Romanen nicht. Storm? Vergiss es. C. F. Meyer? Siehe Keller. Fontane? Vergiss es. Karl May? Vergiss es. In der englischen Literatur? Die Brontës? Vergiss es. Thomas Hardy? Vergiss es. George Elliot? Ich glaube nicht. Eine Ausnahme ist höchstens die meist völlig unterschätzte Jane Austen. :winken:


    Mir fällt auch noch Becky Sharp aus "Jahrmarkt der Eitelkeiten" ein, aber auch wie bei den Figuren von Jane Austen: es geht letztlich immer darum eine gute Partie zu machen. Die wirklichen Flintenweiber zogs wohl in die Heilsarmee.


    Fr. Treibel gehört für mich in finsburys Kategorie "intrigant" ... :winken:


    finsbury ist eben zu anspruchsvoll. :breitgrins: und was ist schon ein Roman ohne Intrige.

  • Dass wikipedia ausgerechnet den Kommunisten Hobsbawm in diesem Zusammenhang nennt, ist ein SKANDAL!! :breitgrins:


    Noch nicht Mal vor dem Dezimalsystem haben die Respekt. Und das kurze 20. Jahrhundert hat der auch noch erfunden.

  • Beispiele für souveräne, starke Frauenfiguren in der Literatur des 19.Jahrhunderts: Kleists Marquise von O., Maupassants Boule de suif (Fettklößchen), Marie von Ebner Eschenbachs Lotti, die Uhrmacherin, Fontanes Mathilde Möhring


    Zitat von sandhofer« am: Heute um 10:46

    Ich finde das eher typisch fürs 19. Jahrhundert und nationenübergreifend.


    Ja. Ich würde noch hinzufügen:geschlechterübergreifend. :zwinker: Denn wie steht es mit entsprechenden positiven männlichen Helden ? Auch die sind dünn gesät, mir fällt keiner ein. Charles Bovary, Karenin oder von Instetten sind um keinen Deut souveräner, weniger fremdbestimmt als Emma, Anna oder Effi.

  • Dennoch meine ich, dass die Frauenrollen in französischen Romanen oft sehr stereotyp, s.u., sind. Anders sehe ich das schon in der deutschen und erst recht in der englischen Literatur. Bei letzterer denke man z.B an die Tess von Hardy, an George Elliots Frauengestalten oder auch an einige von Dickens, erst recht,was ja auch sandhofer benennt, die von Austen, aber auch die von den Brontes, denn die versuchen, aus ihrem Leben selbstbestimmt was zu machen. Fontanes Heldinnen entsprechen tatsächlich auch oft diesem Opfertypus, aber, ich kann es nicht festmachen, woran es liegt: In der deutschen und englischen Literatur finde ich die Frauen einfach ernster genommen als in der französischen. (In der deutschen Prosa des 19. Jh. kommen Frauen in tragenden Hauptrollen gar nicht oft vor, außer bei Fontane, s.o.)


    Renée Mauperin ist die erste literarische Französin, die ich als wirklich lebensvoll und nicht nur ironisch oder ikonografisch gestaltet empfinde.


    sandhofer: Vielleicht trennst du die Debatte unter einem entsprechenden Titel ab, damit die aktuellen Lektürenachrichten nicht untergehen.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

    Einmal editiert, zuletzt von finsbury ()

  • JA!! :klatschen: (Zum Schlussteil äußere ich mich jetzt aber noch nicht ...)


    O weh! Damit hast du ganz Recht getan! Schade um diese tolle Frauengestalt. Sobald das Mädel krank wird, ist's vorbei mit dem selbstständigen Denken, den bissigen Anmerkungen und es wird gelitten und geduldet. Es ist, als ob das Buch an der Stelle regelrecht auseinanderbricht in zwei ganz unterschiedliche Werke. Das gute Nachwort in meiner Reclamausgabe von Elisabeth Kuhs weist zwar bis in Details den kunstvollen Aufbau des Werks nach, aber für mich existiert hier dennoch ein Bruch: Die Gesellschaftskritik, die ironische Schärfe, alles das bricht im zweiten Teil weg zugunsten einer impressionistisch inspirierten, sehr genau nachvollzogenen Krankheitsgeschichte.
    Dennoch wird mir "Renée Mauperin" wegen des ersten Teils sehr positiv im Gedächtnis bleiben.


    @ Gina, inzwischen sind übrigens mehrere Gaskell-Werke bei mir eingetroffen, vielen Dank für den Tipp. Vorher habe ich aber noch einiges im Programm, bis ich zu deren Lektüre schreite.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • O weh! Damit hast du ganz Recht getan! Schade um diese tolle Frauengestalt. Sobald das Mädel krank wird, ist's vorbei mit dem selbstständigen Denken, den bissigen Anmerkungen und es wird gelitten und geduldet. Es ist, als ob das Buch an der Stelle regelrecht auseinanderbricht in zwei ganz unterschiedliche Werke. Das gute Nachwort in meiner Reclamausgabe von Elisabeth Kuhs weist zwar bis in Details den kunstvollen Aufbau des Werks nach, aber für mich existiert hier dennoch ein Bruch: Die Gesellschaftskritik, die ironische Schärfe, alles das bricht im zweiten Teil weg zugunsten einer impressionistisch inspirierten, sehr genau nachvollzogenen Krankheitsgeschichte.
    Dennoch wird mir "Renée Mauperin" wegen des ersten Teils sehr positiv im Gedächtnis bleiben.


    Diesen Bruch sehe ich auch. Der Gegensatz zwischen Renée im ersten Teil und Renée im zweiten Teil ist enorm (und die Außenwelt ist wie ausgeblendet). Ich habe zwar versucht, mir diesen Gegensatz aus der Handlung zu erklären - ihre Krankheit hat ja einen Grund -, aber ganz gelingt mir das nicht. Das klaglose Erdulden passt trotz allem nicht zur Renée vom Anfang.


    Aber für mich wiegt der erste Teil einiges auf, vor allem auch durch die von dir, @ finsbury, erwähnte Gesellschaftskritik und Ironie. Da gibt es so herrliche Szenen!


    @ Gina, inzwischen sind übrigens mehrere Gaskell-Werke bei mir eingetroffen, vielen Dank für den Tipp. Vorher habe ich aber noch einiges im Programm, bis ich zu deren Lektüre schreite.


    Gerne! Ich hatte Elizabeth Gaskell auch aus den Augen verloren. Die Cranford-Lektüre liegt einige Jahre zurück, deshalb bin ich froh, durch die Heldinnen-Debatte wieder an sie erinnert zu werden.


    Gruß, Gina