Wolf von Niebelschütz: Der Blaue Kammerherr

  • Gemeinsame Leserunde zum Blauen Kammerherrn, der gerade in einer schönen Neuausgabe bei Kein & Aber erhältlich ist.

    "Man träumt viel vom Paradies, oder vielmehr von verschiedenen, wechselnden Paradiesen, die doch alle verloren sind, bevor man stirbt, und in denen man sich selbst verloren fühlen würde." ("A la recherche du temps perdu")

  • Ich habe heute morgen mit der Lektüre begonnen. Ich finde sehr elegant, wie Niebelschütz den Rahmen für das fantastische Element des Romans schafft - dazu bald mehr.


    Es empfiehlt sich ein Blick auf den Wikipedia-Artikel zu Danae. Interessante Ambivalenz:

    Zitat

    Die Verführung der Danaë durch einen Goldregen wird verwendet, um auf die korrumpierende Macht des Goldes hinzuweisen, die alle Hindernisse (auch der Keuschheit) überwindet. In dieser Deutungsart gerät die zentrale Frauengestalt zur prototypischen Prostituierten.


    Und:


    Zitat

    ...wird sie als Präfiguration der Jungfrau Maria gedeutet, weil auch sie unbefleckt empfing (unter anderen bei John Ridewall: Fulgentius Metaforalis)[7] und als Allegorie der Pudicitia, der tugendhaften Keuschheit, verstanden.


    Hier auch noch ein Fundstück zu Hofmannsthals Danae: http://bit.ly/cA04im.


    Viel Vergnügen bei der Lektüre...


    Christian


    [Blockierte Grafik: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/5/57/Tizian_012.jpg/800px-Tizian_012.jpg]

    "Man träumt viel vom Paradies, oder vielmehr von verschiedenen, wechselnden Paradiesen, die doch alle verloren sind, bevor man stirbt, und in denen man sich selbst verloren fühlen würde." ("A la recherche du temps perdu")

  • Ich finde sehr elegant, wie Niebelschütz den Rahmen für das fantastische Element des Romans schafft


    Ich habe auch schon vorher begonnen. Aber ich weiss immer noch nicht, wie diese Eleganz einzuordnen ist. Niebelschütz bleibt für mich nach den ersten paar Seiten hart an der Grenze zum Kitsch. Um es zurückhaltend zu formulieren.


    Ich habe mir übrigens, in Anbetracht des Todesjahres des Autors, erlaubt, den Thread zu verschieben. Nix für Ungut! :winken:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Ich habe jetzt das dritte Kapitel begonnen und weiss noch immer nicht so recht. Mit der Zeit aber nehmen Niebelschütz' Sprachmanierismen ab. Oder ich habe mich daran gewöhnt. Aber das (der?) Mischmasch von Realität und Fiktion in diesem halbfiktiven griechischen Inselsalat irritiert mich immer noch.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Auf den ersten hundert Seiten steckt von Niebelschütz die Themenkreise ab, die den Roman vermutlich bestimmen werden: Das Politisch-Ränkeschmiederische, das Amourös-Erotische, das Sagenhaft-Phantastische, das Gesellschaftliche.


    Das Ganze als eine Art Aufzug vor einem Hintergrund, der viel von einer barocken Theaterkulisse hat - allein das immer wieder erwähnte Wölkchen des symbolhaften Vulkans hat etwas Kulissenhaftes. Ich finde, der Roman hat Esprit und Lebendigkeit, ich höre beim Lesen in meinem inneren Ohr immer schnelle Sätze aus Barockkonzerten - freue mich aufs Weiterlesen!


    Christian

    "Man träumt viel vom Paradies, oder vielmehr von verschiedenen, wechselnden Paradiesen, die doch alle verloren sind, bevor man stirbt, und in denen man sich selbst verloren fühlen würde." ("A la recherche du temps perdu")

    Einmal editiert, zuletzt von Librerio ()

  • Vom Gedankengut her - dem Koexistieren von christlichem und antik-griechischem Glauben - erinnert mich das Buch eher an die Renaissance. Von der Sprache her an Rokoko oder Empfindsamkeit. Alles in allem eine Mischung, die mich eher an Lord Dunsany oder Paul Auster(1) erinnert. Also, wenn ich den eine Etikette an das Buch kleben müsste: Ein Frühwerk der Postmoderne.


    Über die Sprache stolpere ich mittlerweile (ca. S. 150) nur noch selten. Allerdings bereitet mir der gleichmässige Fluss dieser recht verschränkten und beiwortreichen Diktion auch nicht unbedingt das Vergnügen, das es offenbar Dir bereitet, Liberio. Mir erscheint sie immer noch mariniert ... äh ... manieriert ... äh ... also: gesucht.


    Die Figuren sind fein gezeichnet. Die Verschränkung von Äusserem und Innerem gelingt Niebelschütz sehr gut. Das ist, was mich weiterhin bei der Stange hält.
    [hr]
    (1) Dunsany mag ich sehr. Auster hat für meinen Geschmack zu viel bei Borges abgekupfert. (Der, seinerseits, einen Blauen Kammerherrn nie zu Stande gebracht hätte!) Den typischen Postmodernen, Eco, mag ich nicht.

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  • Ich habe die 400er Marke mittlerweile überschritten.


    Über die Sprache stolpere ich mittlerweile (ca. S. 150) nur noch selten.


    Es scheint doch am Text zu liegen, haben doch andere ähnliche Erfahrungen gemacht:


    Der Roman strotze zwar anfangs vor Manierismen - Vollmann fallen dabei Thomas Manns Joseph-Romane als Vorlage ein -, dennoch habe das Buch ganz großartige Passagen, sobald sich der Autor freigeschrieben habe.


    Inhaltlich wird die Geschichte allerdings m.M.n. immer wirrer. Ich habe nach 400+ Seiten immer noch keine Ahnung, worauf der Autor überhaupt hinaus will. Entwicklungsroman? (Pseudo-)Historischer Roman? Burleske?

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  • Da ich diese Woche noch ferientechnisch an der Ostsee weile, was das Lesetempo etwas verlangsamt, kommt mein Lektüreeindruck erst zum Wochenende - bitte um Nachsicht. Vielleicht springt Giesbert ja ein..?


    Christian

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  • So, ich bin unterdessen mit dem Niebelschütz fertig.


    Ein erstes Fazit:


    Sprachlich, nachdem die ersten 100-200 Seiten völlig überkandidelt und maniriert daherkommen, sprachlich also, verbessert sich Niebelschütz wirklich. Es ist eine Freude, ihm zu folgen, und das dritte Buch ist, was Sprache und Schilderung von Figuren und deren Gedanken betrifft, eine echtes Kleinod. Leider aber bleibt die Geschichte recht wirr; was in den ersten drei Büchern Satyrspiel war, quasi-barockes Divertimento, wird im letzten zu einer Tragödie, aus der nur noch der Deus ex machina Zeus heraushelfen kann. Der Text wird plötzlich zum Träger politischer An- und Einsichten, und wenn Niebelschütz tatsächlich die Ansichten seiner Sympathieträgerin, Daene, geteilt haben sollte, müsste man ihn für hoffnungslos antiquiert halten. Das Buch ist keine Auseinandersetzung mit den Ereignissen des 20. Jahrhunderts, weder mit dem Ersten noch mit dem Zweiten Weltkrieg oder den Gegebenheiten, die zu diesen geführt haben, es ist keine Auseinandersetzung mit dem Kalten Krieg - es ist eine Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution und ein Plädoyer für einen aufgeklärten Absolutismus als beste Regierungsform.


    Nicht einmal Art pour l'art ...

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  • Steck ich doch seit einer Woche auch in dem Roman.
    Die Leserunde läuft nicht mehr, was?


    Geizig, wie ich bin, hab ich mir, sehr preiswert, die Ausgabe von 1961 gekauft, "Suhrkamp Hausbuch".


    Und finde jetzt hier den Vermerk:
    "Dennoch riskierte es der Verlag 1961 ein zweites Mal, jetzt als „Suhrkamp Hausbuch" zu niedrigem Preis, vom Autor gekürzt und in der Orthographie uni sein barockes Air gebracht."


    So mag ich das ja gar nicht .... hätte ich vorab mal recherchieren sollen :grmpf:
    Ohne das jetzt nachzuholen, an die Expert/inn/en hier die Frage:


    kann ich davon ausgehen, dass die DTV-Ausgabe, 778 Seiten (meine Suhrkamp hat 719) oder die bei Kein & Aber den ungekürzten Text bieten?
    Bei der DTV steht es, ungekürzte Ausgabe, aber jetzt bin ich misstrauisch :zwinker:


    Oder welche noch?
    Meine Ausgabe bietet übrigens die Kapitelüberschriften nur im Inhaltsverzeichnis hintendran.


    Gruß
    Leibgeber

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)

  • Hallo Leibgeber,


    Ich lege dir die Kein und Aber-Ausgabe sehr ans Herz, gute Buchgestaltung, und vor allem: ein sehr lobenswertes Unterfangen, dem ich mehr Abnehmer wünsche. Auf der letzten Frankfurter Buchmesse reagierte ein Kein & Aber-Mitarbeiter etwas säuerlich, als ich ihn nach dem Absatz der Niebelschütz-Romane fragte.


    Ansonsten: Auch wenn die Leserunde vorüber ist, würde ich mich gern über das Buch austauschen, zumal ich "damals" aufgrund äußerer Umstände deutlich länger für die Lektüre benötigt habe. Auch wollte ich noch eine Rezension des Romans schreiben, wozu ich ebenfalls noch nicht gekommen bin. Auf jeden Fall wären deine Lektüreeindrücke hier sehr willkommen!


    Vergnügliches Lesen,


    Christian

    "Man träumt viel vom Paradies, oder vielmehr von verschiedenen, wechselnden Paradiesen, die doch alle verloren sind, bevor man stirbt, und in denen man sich selbst verloren fühlen würde." ("A la recherche du temps perdu")


  • Ich lege dir die Kein und Aber-Ausgabe sehr ans Herz, gute Buchgestaltung,


    ... fadengeheftet ? :zwinker:



    und vor allem: ein sehr lobenswertes Unterfangen, dem ich mehr Abnehmer wünsche. Auf der letzten Frankfurter Buchmesse reagierte ein Kein & Aber-Mitarbeiter etwas säuerlich, als ich ihn nach dem Absatz der Niebelschütz-Romane fragte.


    Kann ich mir denken.
    Ich werd mir die Ausgabe morgen bestellen - im Buchhandel, nicht antiquarisch. :winken:



    Ansonsten: Auch wenn die Leserunde vorüber ist, würde ich mich gern über das Buch austauschen, zumal ich "damals" aufgrund äußerer Umstände deutlich länger für die Lektüre benötigt habe. Auch wollte ich noch eine Rezension des Romans schreiben, wozu ich ebenfalls noch nicht gekommen bin. Auf jeden Fall wären deine Lektüreeindrücke hier sehr willkommen!


    Schau'mer mal.
    Ich fang dann wieder von vorne an zu lesen, oder lese jedenfalls anfangs quer.
    Ich war schon am Beginn des zweiten Romans.


    Die Leserunde scheint ja, warum auch immer, eher kurz ausgefallen zu sein.


    ( "Die Kinder der Finsternis" hatte ich vor 3-4 Jahren zwischengehabt und war SCHWER beeindruckt.
    Möchte ich wiederlesen, auch wenn die Menge der wiederzulesenden Bücher bzw. Autoren am Stück immer größer wird. )


    Bis bald.
    Leibgeber

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)

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