Prinzhornsammlung

  • Hallo zusammen,


    es würde mich sehr interessieren, ob einer von Euch schon einmal die Prinzhornsammlung in Heidelberg besucht hat? Wenn ja, wie war Euer Eindruck? Ich plane schon seit längerem einen Besuch und hoffe es in diesem Jahr endlich zu schaffen.


    Falls Euch diese Sammlung nichts sagt, hier ein Link: http://www.prinzhorn.uni-hd.de/. Mir gefallen verschiedene Bilder sehr gut. Z.B. das, was man oben eingeblendet sieht, wenn man in dem Link links auf Galerie geht. Ein Mann auf einer Art Stelzen mit zugebundenem Gesicht. Leider weiß ich nicht wie dieses Bild heißt und wer es gemalt hat. Weiß es vielleicht einer von Euch? Ansonsten finde ich z.B. auch den "Würgengel" von Franz Kahl Bühler (leider nicht in dem Link enthalten) sehr beeindruckend. Dieses Bild hätte ich gerne als Druck. Doch auch hier weiß ich nicht, wo ich es bekommen könnte.


    Interessenten empfehle ich dieses Buch:


    edit: ich habe gerade gesehen, dass eine normale Verlinkung aus irgendwelchen Gründen nicht funktioniert. Man kann das Buch aber hier sehen: http://www.amazon.de/Bildnerei…-Gestaltung/dp/321183706X


    Prinzhorn - Bildnerei der Geisteskranken. Es ist wirklich ein sehr schönes, interessantes Buch. Allerdings scheint es wohl inzwischen vergriffen zu sein.


    Sicherlich verleitet durch das sich anbietende Wortspiel (Prinzhorn - Des Knaben Wunderhorn) stellte Hermann Hesse einen Vergleich zu Arnims und Brentanos Werk an. Er schrieb: "So wie die Verrücktheit in einem höheren Sinn der Anfang der Weißheit ist, so ist die Schizophrenie der Anfang aller Kunst, aller Phantasie. Sogar die Gelehrten haben dies schon erkannt, wie man zum Beispiel in des Prinzen Wunderhorn nachlesen mag, jenem entzückenden Buch, in welchem die mühevolle und fleißige Arbeit eines Gelehrten durch die geniale Mitarbeit einer Anzahl von Verrückten und in Anstalten Eingesperrter geadelt wird" (ich entnehme dieses Zitat dem Vorwort des oben genannten Buchs, weil mir die Originalquelle im Moment nicht mehr vorliegt). Der Vergleich des Buchs mit den schaurig schönen Märchen der Gebrüder Grimm scheint noch näher zu liegen (dieser Vergleich bzw. die Anspielung wird ebenfalls in dem Vorwort angestrebt). Hesses Eindruck teile ich persönlich übrigens nicht so ganz. Denn ich habe schon zu vielen Kunsttherapien beigewohnt, als dass ich noch glauben könnte, dass eine psychische Störung allein ausreichend sein kann, um einen guten Künstler hervorzubringen, bzw. dass Zusammenhänge hier allzu häufig sind. In der Prinzhornsammlung scheinen sich allerdings tatsächlich einige sehr ansprechende Werke zu befinden. Wobei viele natürlich dem Wahn der "Entarteten Kunst" zum Opfer fielen. Das ist, wie in allen anderen Fällen, auch hier, wirklich tragisch.


    Sicherlich gibt es auch in literarischer Hinsicht sehr interessante Werke, die der schizophrenen Feder entstammen. Als erstes zu nennen sind in dieser Hinsicht wohl die Arbeiten, die Leo Navratil zusammen getragen hat. Hervorzuheben ist dabei wahrscheinlich besonders Ernst Herbeck (alias "Alexander"), der wirklich recht eigentümliche, doch auch eigentümlich schöne, Gedichte schrieb. Ansonsten scheint es aber doch eher gute Schreiber zu geben, die wahnsinnig werden, als Wahnsinnige, die gute Schreibern werden (ersteres z.B. van Hoddis). Ich merke, dass ich abschweife. Aber ein bisschen passt es ja doch. Schließlich geht es in diesem Forum vorrangig um Literatur.


    Sollte also jemand unter Euch die Prinzhornsammlung schon gesehen habe, wäre ich an den Eindrücken wirklich sehr interessiert.


    Schöne Grüße
    Tia

    Einmal editiert, zuletzt von Tia ()

  • Hallo Tia, erst einmal willkommen im Klassikerforum!


    Ich habe mir die Prinzhornbilder mal angesehen und sie gefallen mir. Es sind aber nur wenige zu sehen auf der Netzseite. Ich habe mich mit der Kunst der Geisteskranken noch nicht beschäftigt, aber es gab einige Künstler, die gute, sogar sehr gute Bilder hervorgebracht haben.


    Um gute Künstler(innen) hervorzubringen braucht es natürlich Phantasie, aber nicht nur. Künstlerschaft ist immer etwas, was sich aus vielen Dingen zusammensetzt, wie Wille zur Kunst, Fleiß, Phantasie, handwerklich Fähigkeiten, Zeit und Beinflussung durch andere Menschen, ein Gefühl der Einschätzung und weiteres. Wenn dann aber Kunst hervorgebracht wird, kann es sein, dass ein Element mehr und das andere weniger Einfluss oder Ausprägung hat, aber es geht immer um ein Wechselspiel.


    Erstaunlich finde ich aber, dass bei Geisteskranken so ein Wille hervortreten kann und auch sich solch handwerkliche Fähigkeiten ausprägen können. Dann denke ich mir, dass wir solchen Menschen vielleicht zu wenig zutrauen, oder sie verkennen und wie gut es ist, dass sich Menschen für diese Kunst engagieren. Auch bin ich psychologisch zu unerfahren, um einschätzen zu können, was in diesem Falle "geisteskrank" genau ist.


    Samstagsgrüße, FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Ich habe das von Tia empfohlene Buch noch einmal neu verlinkt:


    [kaufen='978-3211837061 '][/kaufen]


    Mir fällt jetzt auch wieder Friedrich Schröder-Sonnenstern ein, den ich erwähnen wollte.


    Samstagsgrüße, FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Ich habe mich mit der Kunst der Geisteskranken noch nicht beschäftigt, aber es gab einige Künstler, die gute, sogar sehr gute Bilder hervorgebracht haben.


    Hm ... da geraten wir auf ein weites Feld. Ich habe vor Urzeiten miterlebt, wie Adolf Wölfli mal gerade (wieder) gehypt wurde. Es sind faszinierende Bilder darunter, aber das Zwang- und Krankhafte scheint mir doch zu überwiegen, ohne dass ich dies wirklich genau festmachen könnte. Vielleicht ist es bei Wölfli zumindest das Repetitive, die Tatsache, dass im Bild dasselbe immer und immer wiederholt wird, dass aber auch von einem Bild zum andern immer wieder dasselbe dominiert.


    Das hat mich dann, ehrlich gesagt, davon abgehalten, mich weiter mit dieser Kunstsparte zu beschäftigen.


    (Ich weiss, dass Arno Schmidt gesagt hat, jeder Autor schreibe im Grunde genommen immer nur ein einziges Buch - sein erstes. :winken: )

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo Friedrich Arthur,


    vielen Dank für Deine Willkommensgrüße und auch für die Verlinkung des Buchs!


    Was Du bezüglich der „Geisteskranken“ geschrieben hast, finde ich sehr schön. Mit der Bezeichnung sind hier vor allem Menschen mit psychischen Störungen gemeint. Es handelt sich also nicht um eine Minderung der geistigen Fähigkeiten. Sie haben eine Krankheit, die sich auf ihr Erleben und Empfinden auswirkt und sie in vielen alltäglichen Dingen stark einschränkt, jedoch bleibt ihre Persönlichkeit und die Intelligenz erhalten. Es gibt tatsächlich keinen Grund, warum man ihnen weniger zutrauen sollte (allerdings wird die Schaffenskraft häufig durch einen Mangel an Konzentrationsfähigkeit beeinträchtigt – was das ganze aber nur noch erstaunlicher macht). Die von Dir angeführten handwerklichen Fähigkeiten erstaunen mich auch immer wieder. Gerade weil sie sich meist völlig endogen, ohne Anleitung, Schule und Unterstützung entwickeln.


    Zu dem, was mit geisteskrank gemeint ist:
    Betrachte ich die von Prinzhorn skizzierten Patientenbiografien, so komme ich zu dem Ergebnis, dass es sich hauptsächlich um Künstler mit Störungen aus dem Schizophrenen Formenkreis handelt. Auch bipolare affektive Störungen meine ich zu erkennen. Denn bei einigen Künstlern scheinen die manischen Phasen doch recht offensichtlich (aber das ist ja allgemein bei vielen Künstlern zu erkennen). Ich habe den Eindruck, dass auch die Neurose bzw. das Zwanghafte eine Rolle spielt. Depressive Züge sind ebenfalls erkennbar. Allerdings darf einen das nicht verwundern, da die meisten psychischen Störungen komorbid sind. Das heißt es treten mehrere unterschiedliche Störungsbilder zu gleich auf. Die eine Störung bedingt die anderen und umgekehrt, so dass die ursprüngliche Störung zum Teil kaum noch feststellbar ist und man nicht weiß, was zu erst da war. Bei Prinzhorn sehe ich aber die Psychosen (also vor allem Halluzinationen, die alle Sinneswahrnehmungen betreffen können, und Wahnzustände) im Vordergrund.


    Die Werke sind sehr häufig das Ergebnis des halluzinatorischen Erlebens. Die Künstler malten also zu einem großen Teil das, was sie in ihren Psychosen sahen. Sehr deutlich wird dies z.B. durch einen in der Prinzhornsammlung vorgestellten Künstler, der malte, was er in seinen Schuhsohlen sah. Er sah Gesichter, Gebilde und Geschichten in seinen Sohlen und fertigte auch seine Zeichnungen in Schuhsohlenform an.
    Für mich macht diese Tatsache das ganze doppelt interessant, denn das tatsächliche Bild der Psychose ist sonst kaum beschreibbar. Verfügt ein Mensch aber über die künstlerische Fähig- und Fertigkeit, findet sich dadurch ein Schlumpfloch, das der Außenwelt Einblicke in seine rein subjektive, einzigartige Realität gestattet. Man hat also mit Glück nicht nur ein schönes Werk, sondern auch eine Art Einsicht, die normalerweise verwehrt bliebe. Interessant sind z.B. auch die Fotografien einiger Autisten, die sehr deutlich machen, dass einige Betroffene nur im Detail leben können, ein zusammenhängendes Ganzes jedoch nicht erkennen.


    Dazu finde ich auch den Aspekt mit der Fantasie sehr interessant. Da scheint es teilweise einen Unterschied zwischen psychisch kranken und gesunden Künstlern zu geben. Beide Werke scheinen für den Betrachter oft mehr oder weniger fantastisch. Bei den einen wurde tatsächlich die Fantasie bemüht, bei den anderen die ureigene, fantastische Realität gezeigt. Vielleicht ist das ein Punkt, der gerade den schizophrenen Künstlern hilft. Sie müssen ein Kriterium weniger erfüllen, denn sie brauchen keine große Fantasie, um fantastisch zu wirken.
    Andererseits bin ich aber auch immer ein bisschen hin und her gerissen, ob es überhaupt gerecht ist, dass ich diese Bilder oft nur unter dem Aspekt der Krankheit des Künstlers zu betrachten. Es gibt einige, die auch ganz für sich allein, nur durch ihre Schönheit als Kunstwerk bestehen könnten. Ich würde mir einmal einen völlig unverfälschten Blick wünschen, frei von jeder Vorannahme. Leider lerne ich die meisten Werke aber überhaupt nur durch den Aspekt der Krankheit kennen.


    Bei einigen Künstlern muss man sich im Nachhinein aber auch fragen, inwiefern die Diagnose überhaupt gerechtfertigt war. So galt früher z.B. das „wahnhafte Erfinden“ als ein Symptom der Schizophrenie. Einige Erfinder landeten demzufolge in geschlossenen Anstalten. Ein interessantes Beispiel zu diesem Thema im weitesten Sinne ist auch Karl Hans Janke.
    Betrachtet man diese Fälle, kommt sehr schnell wieder zu der Idee von Genie und Wahnsinn oder der des verkannten Genies, das seiner Zeit voraus war.


    Friedrich Schröder-Sonnenstern ist auch ein interessantes Beispiel. Bei ihm finde ich es spannend, dass er erst so spät mit dem Malen angefangen hat. Das scheint ganz typisch. Auch viele von Prinzhorns Künstlern fingen erst an, nachdem sie dazu angehalten wurden. Die meisten erst während einer Psychiatrieaufenthalts. Trotzdem fanden sie gleich ihren eigenen Stil und es sind zum Teil kaum Unterschiede zwischen dem ersten Bild und den viel später entstandenen festzustellen. Das finde ich sehr spannend und kann es mir auch nicht wirklich erklären. Zum Teil scheint es, als hätte man etwas losgelassen, das schon lange zuvor existierte, und das dann nur noch vom Kopf auf das Papier fließen musste. Ganz ähnlich ist ja auch der Anspruch der Art Brut – etwas ganz unverfälscht hinaus zu lassen.


    Dass auf der Prinzhornseite nur so wenige Bilder gezeigt werden, finde ich sehr schade. In dem Buch sind ein paar sehr schöne Bilder, die auf der Homepage fehlen, und die ich leider auch nirgendwo im Netzt finden konnte, um sie hier zu zeigen. In der Sammlung selbst gibt es sicherlich noch viel mehr zu sehen. Irgendwann werde ich sie mir anschauen und dann berichte ich noch mal.


    sandhofer
    Deine Empfindungen bezüglich Wölflis Arbeiten kann ich sehr gut nachvollziehen. Eigentlich gefallen mir seine Bilder sehr gut, aber es scheint doch eins wie das andere. In der Komplexität liegt auch eine Starrheit, die unflexibel und ohne Entwicklung wirkt. So ähnlich geht er mir vor allem bei den Werken von schizophrenen Schreibern. Die schizophrene Gedankenwelt und Sprache ist gekennzeichnet durch Phänomene wie Neologismen, Gedankenabrisse, Ideenfluchten, die Auflösungen grammatikalischer Strukturen und vor allem auch die Unfähigkeit Wörter und Redewendungen anders als wortwörtlich zu nehmen (so gibt es z.B. die Geschichte eine Bäckereiangestellten, der die Aufgabe erhielt Blätterteig zu fertigen. Am nächsten Morgen fand man den Gesellen in einem Baum sitzend. Er bestrich die Blätter des Baumes mit Teig – hierzu fiel mir gleich Till Eulenspiegel ein, mit seinen Eulen und Meerkatzen). Dinge, die für den Kranken völlig logisch erscheinen, sind für den nicht Betroffenen kaum nachvollziehbar. Das mag auch den Zugang zu der schizophrenen Kunst teilweise erschweren. Bei Bildern kann dies noch ganz gut funktionieren (wobei auch hier die ständigen Wiederholungen nerven können, da sich ihr Sinn für den Betrachter nicht erschließt), bei der Literatur wird es jedoch schon viel schwieriger. Ich habe schon Texte von Schizophrenen gelesen, viele Seiten lange leidenschaftliche und fast manisch verfasste Auseinandersetzungen, die absolut unverständlich und nahezu unlesbar waren. In der Literatur muss das „Irre“ angepasst werden, um überhaupt wirken zu können. Die Schizophrenie, und sie als der Wahnsinn schlechthin, ist sicherlich immer wieder ein interessantes Motiv, kann aber meiner Meinung nach kaum authentisch dargestellt werden. Zumindest nicht aus Betroffenensicht. Ich kenne nur ein Buch, in dem das recht gut gelungen ist: Hannah Greens „Ich habe dir nie einen Rosengarten versprochen“. Hier erhält der Leser tatsächlich authentische Einblicke in die schizophrene Welt, die jedoch immer wieder rechtzeitig unterbrochen werden, so dass ein angenehmes Lesen dennoch möglich bleibt. Allerdings handelt es sich hierbei wiederum nicht um große Literatur. Ich habe festgestellt, dass ich nicht ein einziges Prosastück von größerem Wert kenne, dass von einem (im klinischen Sinne) Schizophrenen, während einer akut psychotischen Episode verfasst wurde (sollte allerdings doch jemandem eins einfallen, wäre ich sehr interessiert daran :breitgrins:).


    Lese ich „schizophrene“ Lyrik fühle ich mich häufig an expressionistische Werke erinnert oder auch an den Dadaismus. Allerdings geht es mir da größtenteils ganz ähnlich wie Dir mit Wölfli; diese Werke erscheinen mir zu zwanghaft und Die Wirkung ihre Schönheit leidet unter den ständigen Wiederholungen.
    Allerdings handelt es sich hierbei zum Teil ja auch „nur“ um klare Auftragsarbeiten. Navratil in seiner Rolle als Psychiater sagte beispielsweise zu Herbeck („Alexander“) er solle Heute z.B. etwas zum Thema „Der Morgen“ schreiben und der Beauftragte schrieb eben. Hierdurch fehlt allein schon die Idee des künstlerischen Schaffens. Es geschah nicht aus einer intrinsischen Motivation heraus, sondern war, zu mindest den Ursprung betreffend, Produkt der äußeren Einwirkung. Ich weiß es nicht, aber vielleicht erkennt der Leser oder Betrachter dies unbewusst. Vielleicht ist es auch das, was die Werke so ermüdend, so gleichmäßig oder einfarbig erscheinen lässt – irgendetwas scheint zu fehlen.


    Falls sich jemand für die Gedichte interessiert, hier mal ein Link zu einer Stelle, an der ich vor einiger Zeit drei Gedichte von Herbeck online gestellt habe: http://www.hhesse.de/phpBB2/viewtopic.php?t=2229. Direkt kann ich die Gedichte hier nicht einstellen, weil Herr Herbeck erst 1991 verstorben ist. Das verlinkte Forum existiert mittlerweile nicht mehr, die meisten Beiträge, auch einige von mir, zu diesem Thema sind inzwischen verschwunden, die Anzeige der Daten scheint mir ebenfalls nicht korrekt. Diese drei Gedichte gefallen mir persönlich übrigens recht gut.


    Ich will noch kurz etwas zu dem Titel „Bildnerei der Geisteskranken“ schreiben. „Geisteskrank“ das klingt leider immer etwas diffamierend. Das ist sowieso das Elend der psychischen Krankheit; sie belustigt oder verängstigt. Ich kenne keine Krankheitsbilder, die so häufig im alltäglichen Sprachgebrauch anzufinden sind, wie die psychischen (zumal teilweise als etwas Negatives und Beleidigendes). „Depressiv“ hört man ständig und in allen möglichen Zusammenhängen, eine Frau ist nur allzu schnell „hysterisch“ und alles, was widersinnig erscheint, wird als „schizophren“ betitelt. Mit Krebs oder selbst einer simplen Erkältung sind solche Wortspiele fast undenkbar. Vielleicht ist die negative Verwendung der Begriffe „geisteskrank“, „wahnsinnig“, „irre“ und „verrückt“ das, was bei netten Menschen das Mitleid ob des Stigmas auslöst. Das Buch wird (bzw. wurde) jedoch immer noch unter dem Originaltitel von 1922 publiziert. Damals war die Bezeichnung normal. Sie hatte bestimmt immer schon einen negativen Beiklang, aber nicht in der Form (in der Form eines Schimpfworts) wie Heute.


    Oh Schreck, jetzt habe ich aber viel geschrieben.... :redface:. Muss daran liegen, dass mich die Materie sehr interessiert (ich sollte mich wohl lieber mal wieder meiner eigentlichen Arbeit zu diesem Thema widmen, die vernachlässige ich nämlich im Moment ganz sträflich :breitgrins:).


    Schöne Grüße
    Tia

  • Hallo zusammen!


    Das Museum Sammlung Prinzhorn wurde 2001 in einem umgebauten Hörsaalgebäude der Uni Heidelberg eröffnet. Damit feiert das Museum in diesem Jahr sein 10-jähriges Jubiläum und zwar mit einer vielfältigen Ausstellung die die Wirkung der Sammlung auf andere Künstler zeigt: „Von Kirchner bis heute – Künstler reagieren auf die Sammlung Prinzhorn“.


    Die Ausstellung zeigte auf mehrere Locations verteilt, (neben dem Museum Sammlung Prinzhorn waren die Stadtbücherei, das Deutsch-Amerikanische Institut, das Museum Haus Cajeth und das Heidelberger Forum für Kunst beteiligt) vom 7. Mai bis 14. August 2011 mit Werken von mehr als 60 Künstlern, wie vielfältig die Auseinandersetzung mit dem Fundus der Sammlung war und immer noch ist. Da ich es erst am letzten Tag geschafft habe, die Ausstellung zu besuchen und Sonntags die Stadtbücherei usw. geschlossen sind, konnte ich mich ganz auf den Ausstellungsteil im Museum Sammlung Prinzhorn konzentrieren, aber das war interessant genug und ein paar Notizen will ich hier festhalten:


    Der Expressionist Ernst Ludwig Kirchner (1880 bis 1938), Gründungsmitglied der Künstlergruppe Brücke befand sich 1917/18 im Privatsanatorium Bellevue in Kreuzlingen. Dort beschrieb er in Briefen (die man, da ausgestellt, nachlesen konnte) Bilder seiner Mitpatientin Else Blankenhorn. Sein „Mystischer Gebirgsstil“ ab 1917 lässt sich mit den Bildern von Else Blankenhorn in Verbindung bringen. Das ausgestellte Gemälde „Wintermondlandschaft“ (Privatsammlung) von 1919 zeigte jedenfalls deutlich die gleiche Verwendung und Verteilung der Farben rot und blau wie bei einem gegenübergestellten Bild Blankenhorns aus der Sammlung.


    Ein anderer Expressionist, Alfred Kubin, schrieb nachdem er Bilder aus der Sammlung gesehen hatte: „Und nicht mehr lassen mich diese Dinge los“ und Adolf Hölzel nachdem er Bilder der Sammlung mit seinen verglichen hatte: „genau das gleiche“.


    Die Bauhauslehrer Oskar Schlemmer und Paul Klee schätzten Prinzhorns, am Anfang dieses Threads erwähnte und verlinkte Buch „Bildnerei der Geisteskranken“. Klee soll seinen Schülern Bilder aus diesem Buch mit den Worten „Das ist bester Paul Klee“ gezeigt haben.


    Auch der Surrealist Max Ernst (1891 bis 1976) war von diesem Buch begeistert und nahm es als Geschenk für Paul Éluard mit nach Paris. Dort wurde das Buch im Kreis um André Breton schnell zur (Bilder-) Bibel der Surrealisten.


    Interessant auch, das mir bisher nicht bekannte „Pandämonische Manifest“ von Baselitz und Eugen Schönebeck und die mir ebenfalls bisher nicht bekannte Ausstellungsgemeinschaft „Großgörschen 35“ um Lüpertz und Wolfgang Petrick.