Sept. 2005 - Schiller: Über die ästhetische Erziehung ...

  • Hallo zusammen!


    Hiermit sei die Leserunde zu Schillers Über die ästhetische Erziehung des Menschen eröffnet.


    Ich habe gestern noch die ersten zwei Briefe gelesen, habe aber im Moment keine Zeit, um etwas dazu zu posten.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,


    inzwischen bin ich mit dem5. Brief fertig und halte vor dem langen sechsten inne.
    Bei Schillers theoretischen Werken bin ich gebranntes Kind, zuletzt am "Gespräch aus dem Geisterseher" gescheitert, weil es mir sehr schwer fiel seinen Gedanken durch die mäandernden Satzperioden zu folgen.
    Erleichtert stelle ich aber fest, dass sich die "ÄsthetischenBriefe" vergleichsweise gut lesen lassen, aber ob ich alles verstehe ... :rollen: .


    @ Danke Sandhofer, in diesem Zusammenhang für den Wikipedia-Link.
    Ich denke, das hilft schon weiter.


    Brief 1: Ansprechend und auch nicht unbedingt typisch für Schiller finde ich seine Bescheidenheit, mit der er betont, kein systematisches Gedankengebäude errichten zu wollen, also nicht den etablierten Philosphen Konkurrenz zu machen, sondern frei und Denkfehler einkalkulierend seine Ideen zu äußern.


    Zum Adressaten: Das dänische Königshaus scheint eine richtige Tradition aufklärerischer, toleranter Vertreter zu besitzen, man denke nur an den in Enquists "Der Besuch des Leibarztes" geschilderten König.


    Brief 2: Gleich wird die Kunst als Antriebsfeder seiner Gedanken genannt, bevor sie in den nächsten Briefen erst einmal in den Hintergrund tritt.
    Der große Einschnitt der Französischen Revolution ist für Schiller scheint's ein wesentlicher Anlass, seine Theorie von der Ausbildung des vollkommeneren Menschen auszubreiten.
    Auch wenn er ihre Ausformung ablehnt, wird, wie ich immer wieder meine, in den Briefen lesen zu können, die historische Chance, die durch sie für die Entwicklung der Menschheit entsteht, jederzeit ernst genommen.


    So, nun lass ich es erstmal sein und schaue, wie ihr so mit den Briefen umgeht.


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Ganz frei will er sich ja nicht verhalten, er schreibt im ersten Brief explizit, dass er sich mit Kant einig sieht, sich in seinen Darstellungen des Folgenden auf dessen Lehre stützen will. Was noch interessant ist in dem Zusammenhang ist, dass in den Horen, wo die ästhetischen Briefe das erste Mal abgedruckt wurden, dem Titel folgendes Zitat aus Rousseaus Roman Julie ou la Nouvelle Héloise folgte:


    Si c’est la raison, qui fait l’homme, c’est le sentiment, qui le conduit.


    Der Übersetzung heisst das : Wenn es die Vernunft ist, die den Menschen macht, so ist es die Empfindung, die ihn leitet.


    Damit stellt er schon am Anfang das hin, was in der Folge auch seine Abkehr von Kant darstellen wird.

  • Hallo zusammen!


    Einige Gedanken zum Anfang:


    Ich lese den Text in der 5-bändigen Winkler-Dünndruck-Ausgabe, mit [Nachwort und?] Anmerkungen von Herbert Knoopmann.


    Schiller ist für mich der Kantianer, der zugleich Kant relativ nahe bleiben konnte, und doch ihn weitergeführt hat. Die meisten Philosophen seiner Zeit blieben ja entweder an ihm kleben oder entfernten sich um Lichtjahre von ihm (Fichte!).


    Mein Nachwort weist auch darauf hin, dass Schiller seinen Text nicht wirklich in eine endgültige Fassung gebracht hat, so dass auch Spuren verschiedener 'Denk-Epochen' darin aufzufinden sind.


    Im ersten Brief scheint mir Schiller stark darauf zu verweisen, dass er hier eben Kant folgt, und wo in Kants System seine Briefe einzuordnen wären. Der zweite verweist dann auch auf das politische Zeitgeschehen und möchte die Briefe dort eingeordnet wissen. Schiller als Aufklärer und Opponent des L'art pour l'art: Wie oft ist ihm nicht - bis in die Gegenwart! - eine gewisse Abgehobenheit von der Welt vorgeworfen worden!


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,
    auch ich bin gestartet und habe gestern die ersten zwei Briefe gelesen. Ich fand es auch erstaunlich verständlich.


    Wer der Adressat sein soll, habe ich nicht mitgekriegt. Danke, finsbury, für den Hinweis, mal sehen, ob ich das noch nachvollziehen kann.


    Zitat von "finsbury"

    (Kunst)....Auch wenn er ihre Ausformung ablehnt, wird, wie ich immer wieder meine, in den Briefen lesen zu können,...


    Das habe ich gerade umgekehrt gelesen und mir herausgeschrieben: Dass es die Ausformung, Regeln und Formgesetze braucht, um z.B. Schönheit zu erkennen.
    Interessant finde ich im zweiten Brief die Bedenken die er hat. sich von der Welt und dem Zeitgeschehen abzuwenden.


    Herzliche Grüsse,
    Maja

  • Hallo Maja und alle,

    Zitat von "Maja"

    .


    Wer der Adressat sein soll, habe ich nicht mitgekriegt. Danke, finsbury, für den Hinweis, mal sehen, ob ich das noch nachvollziehen kann.


    Schiller hat die Briefe zunächst an den Prinzen Friedrich-Christian von Schleswig-Holstein -Augustenburg geschrieben, um sich damit für dessen finanzielle Unterstützung während Schilllers Krankheit 1791 zu bedanken. Dieser Brief"wechsel" geschah seit dem Sommer 1793. Bei einem Brand im Augustenburger Schloss wurden die ersten zehn bis dahin geschriebenen Briefe vernichtet. Schiller hat diese Briefe 1794 neugefasst und dabei auch inhaltlich umgeformt sowie durch weitere ergänzt. Diese wurden dann 1795 in den "Horen" veröffentlicht. (Infos nach meiner dreibändigen Hanser-Schiller-Ausgabe)

    Zitat von "Maja"

    .


    Das habe ich gerade umgekehrt gelesen und mir herausgeschrieben: Dass es die Ausformung, Regeln und Formgesetze braucht, um z.B. Schönheit zu erkennen.


    Da hast du mich missverstanden, was aber daran liegt, dass mein Bezugswort zu weit entfernt war :redface: . Ich meinte die Französische Revolution und ihre Weiterentwicklung!
    Das, was du über die Kunst herausgeschrieben hast, finde ich völlig richtig.


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo zusammen!


    Ich bin unterdessen beim 5. Brief. Im Moment habe ich ehrlich gesagt etwas Mühe, ins doch recht hohe Abstraktionsniveau Schillers einzusteigen. Was mir v.a. aufgefallen ist: Wie Schiller sein Werk quasi ideologisch zu rechtfertigen sucht bzw. der ästhetischen Erziehung einen aufklärerisch-revolutionär-ideologischen Unterbau geben will bzw. den aufgeklärten Menschen in einem postrevolutionären (demokratischen?) Staat zu seinem Ideal erklärt. (Klingt genau so geschraubt und abgehoben, wie mir der Einstieg in die Briefe im Moment vorkommt ... )


    Eigentlich würde es sich lohnen, nebenher nicht nur Rousseau sondern auch Herders Ideen zu einer Geschichte der Menschheit, Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre, dies und jenes von Jean Paul und überhaupt ein paar Zeitgenossen zu lesen. Weiss jemand, ob zu einem solchen Thema schon eine lesenswerte und lesbare Studie erschienen ist. (Mir schwebt so was Ähnliches vor wie Brufords Kultur und Gesellschaft im klassischen Weimar 1775-1808 - wobei ... eigentlich müsste ich auch dort mal reinschauen ... )


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen!


    Ich bin gestern noch einen Brief weiter gekommen. Langsam erkenne ich den Schiller meiner Erinnerungen wieder. Kunst und Künstler als Vermittler einer höhreren Erziehung. Interessant auch, wie der Provinzler Schiller (und damals war ganz Deutschland Provinz!) Tatsachen und Entwicklungen (voraus)sieht, die erst heute voll zur Blüte gekommen sind, Entwicklungen, die allenfalls in England und Frankreich (i.e. London und Paris) anzulaufen begannen, im vor-industriellen Deutschland aber eher nur vom Hören-Sagen bekannt waren. Ich meine solche Dinge wie die Ent-Ganzheitlichung (kennt jemand ein besseres Wort?) des Menschen durch Arbeitsteilung und zunehmende Komplexität der politischen und physischen Welt. Und doch anerkennt er diese Entwicklung als notwendig (und insofern wohl 'natürlich'), da nur so die Menschheit als Ganzes vorwärts schreiten kann. Dialektik, wie sie auch Hegel nicht besser hätte formulieren können ...


    Grüsse


    Sandhofer


    PS.

    Zitat von "xenophanes"

    Dachte, du liest prinzipiell keine Sekundärliteratur mehr? :breitgrins:


    :bussi: :breitgrins: :breitgrins: :breitgrins:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Zitat von "xenophanes"

    Wenn das so ist:


    Ich empfehle das Schiller-Handbuch, da stehen gerade zu den Briefen eine Reihe von klugen Dingen :zwinker:


    CK


    Dem kann ich mich nur anschliessen, das Buch ist echt gut. Auch empfehlenswert ist die Bibliographie von Safranski, auch da stehen einige Zusammenhänge drin.

  • Hallo zusammen,

    Zitat von "Sandhofer"

    Ich bin unterdessen beim 5. Brief. Im Moment habe ich ehrlich gesagt etwas Mühe, ins doch recht hohe Abstraktionsniveau Schillers einzusteigen.


    Das tröstet mich, ich habe gestern versucht, im Zug zu lesen und kein Wort verstanden.:sauer:

    Zitat von "Sandhofer"

    Ent-Ganzheitlichung (kennt jemand ein besseres Wort?)


    Zerstückelung?

    Zitat von "Cosima"

    Auch empfehlenswert ist die Bibliographie von Safranski, auch da stehen einige Zusammenhänge drin.


    Ich hoffe, du teilst uns in wenig davon mit?! Mir fehlt im Moment die Zeit an allen Ecken und Enden, leider auch für Sekundärliteratur.


    Nun setze ich mich nochmals dahinter und melde mich später oder morgen.


    Herzliche Grüsse,
    Maja

  • Hallo zusammen

    Zitat von "Sandhofer"

    Im Moment habe ich ehrlich gesagt etwas Mühe, ins doch recht hohe Abstraktionsniveau Schillers einzusteigen


    Gemäss meinem Nachwort hatten damit schon die Zeitgenossen Schwierigkeiten. Tröstlich.
    Lesen ist das eine, etwas dazu schreiben wäre noch das andere....
    Im Moment bin ich schon zufrieden, wenn ich soviel verstehe, dass ich die Gedanken in eigenen Worten ausdrücken kann.


    Im 3. Brief erläutert Schiller seine Staatsphilosophie. Dabei schliesst er vom einzelnen Menschen auf das ganze Volk. (Platon??) Beim Übergang vom Natur- zum Vernunftzustand braucht es eine Stütze, weil der Mensch/Staat während der Verbesserung weiter funktioneren muss. Diese Stütze kann seder der natürliche Charakter noch der sittliche (da nach nicht ausgebildet) sein, es muss ein 3. Charakter sein.


    Im 4. Brief gleich in der dritten Zeile ein Stolperstein: "unschädlich" hat wohl nicht die gleiche Bedeutung wie heute.
    Hier geht es um die Veredelung des Menschen, um Balance und Ausgleich zwischen Gegensätzen. Der sinnliche Mensch muss sich zum moralischen Menschen veredeln, dieser wiederum den ersteren achten. Das ergibt dann einen harmonischen Menschen. Parallel dazu im Staat: Das Individuum darf gegenüber der Allgemeinheit nicht auf Eigentümlichkeit und Eigennutz beharren, die Allgemeinheit darf das Individuum nicht unterdrücken.


    Übrigens am Ende des 2. Briefes noch die Hauptthese, die es zu beweisen gilt: "...weil es die Schönheit ist, durch welche man zu der Freiheit wandert"
    Na, darauf sind wir ja mal gespannt, genau so wie ich jetzt auf Eure Zustimmung oder Widersprüche zu meinen "Vereinfachungen".


    Herzliche Grüsse,
    Maja

  • Hallo zusammen!


    Da ich das ganze Wochenende weg war, bin ich nicht wirklich weiter gekommen. Nachdem der 7. Brief mir relativ belanglos erschien, hatte es der achte doch in sich. Schiller schlägt hier m.E. einige logische Purzelbäume. Einerseits verlangt er in klassisch aufklärerischer Manier, dass man den Mut haben solle, zu wissen - andererseits führt dieses Wissen irgendwie doch wieder 'zurück zur Natur'. Der Weg zum Kopf führt durch das Herz ... erinnert mich an den zeitgenössischen Schweizer Pädagogen Pestalozzi, der eine Erziehung der Kinder forderte, die gleichermassen "Kopf, Herz und Hand" förderte. Auch Pestalozzi im übrigen stark von Rousseau beeinflusst. Ein Spinnennetz an Beziehungen tut sich auf ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen!


    Ich bin unterdessen bis zum Eilften Brief vorgedrungen.


    Im 9. Brief bemerkt Schiller selber seinen logischen Zirkel, gibt ihn aber als quasi notwendig aus, da er vorhanden sein muss, um durchbrochen zu werden - von der Kunst. Erst diese ermöglicht es, aus den barbarischen Sitten der Zeit, der Gesellschaft des Staates etwas Höheres anzustreben. Der Künstler, den Schiller dann auch gleich persönlich anspricht, erhält dabei eindeutig messianische Züge: Ohne ihre Schuld getheilt zu haben, theile mit edler Resignation ihre Strafen und beuge dich mit Freiheit unter das Joch, das sie gleich schlecht entbehren und tragen.


    Der 10. Brief setzt dann wieder Achtung vor dem Gesetze in Gegensatz zum Geschmack. Wo erstere ist, kann letztere nicht sein; und erstere ist eine frühere Entwicklungsstufe der (griechischen? - Sandhofer) Menschheit. Im Folgenden will Schiller versuchen, die Schönheit auf dem Wege der Abstraktion gesucht und schon aus der Möglichkeit der sinnlich vergünstigen Natur zu folgern - also einen abstrakten oder Vernunftbegriff zu erreichen.


    Wunderschön finde ich den Schlusssatz des 10. Briefes, wo Schiller ein weiteres Mal zeigt, dass er sich der Schwächen seines Ansatzes bewusst ist, sie aber zu Stärken umzumünzen gewillt ist: [...] wer sich über die Wirklichkeit nicht hinauswagt, der wird nie die Wahrheit erobern. Ein Satz, den man so manchem Philosophen des 20. Jahrhunderts ins Stammbuch schreiben müsste! :zwinker:


    Schliesslich Brief 11, wo Schiller erkenntnistheoretisch stark an Fichte angelehnt, Person und Zustand unterscheidet: Seine Persönlichkeit, für sich allein und unabhängig von allem sinnlichen Stoffe betrachtet, ist bloß die Anlage zu einer möglichen, unendlichen Aeußerung; und so lange er nicht anschaut und nicht empfindet, ist er noch weiter nichts als Form und leeres Vermögen. Seine Sinnlichkeit, für sich allein und abgesondert von aller Selbstthätigkeit des Geistes betrachtet, vermag weiter nichts, als daß sie ihn, der ohne sie bloß Form ist, zur Materie macht, aber keineswegs, daß sie die Materie mit ihm vereinigt.


    Ein Misch-Masch, Schiller als philosophischer Eklektiker - das ist der Eindruck, den ich im Moment habe. Aber es ist eine faszinierende Philosophie, eine Philosophie mit dem rhetorischen Brecheisen sozusagen. Und immer mit dem Glauben ans Gute im Menschen.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo Lesefreunde,


    konnte mich doch heute schon ein bisschen hinsetzen und euch hinterherhinken. Habe jetzt den langen sechsten und kurzen siebten bewältigt.


    Doch zunächst zu euren Ausführungen:


    Zitat von "Maja"


    Beim Übergang vom Natur- zum Vernunftzustand braucht es eine Stütze, weil der Mensch/Staat während der Verbesserung weiter funktioneren muss.


    Diese Krux zieht sich in seinen Überlegungen durch bis in den siebten Brief, den ich gerade beendet habe. Bin gespannt, wie Schiller das Problem löst, wie der Staat beschaffen sein soll, der die Menschen bei ihrer ästhetischen Erziehung unterstützen soll.


    Im siebten Brief stellt er m.E. immer wieder den französischen und deutschen Weg einander gegenüber: In Frankreich regiert mit Robespierre die Willkür des Naturmenschen, in Deutschland dagegen löscht die Unterdrückung durch den Staat "den letzten zaghaften Funken von Selbstständigkeit und [geistigem?] Eigentum" aus.
    Schiller ist, wie du sandhofer, auch ausgeführt hast, dabei erstaunlich hellsichtig: In Frankreich kann die Willkür der Freiheit dazu führen, dass
    man sich "dort einer bequemen Knechtschaft in die Arme" wirft, --> Napoleon; in Deutschland ist es möglich, " von einer pedantischen Kuratel zur Verzweiflung gebracht, in die wilde Ungebundenheit des Naturzustandes [zu] entspringen". Das fand zwar nicht ganz so wild statt, aber zumindest sind einige Züge der Romantik und der spätere Vormärz
    Anzeichen davon.


    Den sechsten Brief fand ich schwierig zu lesen, weil hier wohl auch die Abrechnung mit Kant, den ich kaum kenne - nur ein bisschen aus der Sekundärliteratur - stattfindet. Wobei Schiller sich auch vor Kant verneigt:
    Nur weil e i n Mensch nicht alle Kräfte gleichzeitig auf höchstem Niveau ausbilden kann, sei dies dem großen Königsberger nicht gelungen,
    . Dagegen habe er das Maximale erreicht, das man in der Ausbildung der "reinen Vernunft" leisten könne.


    Wie ihr seht, arbeite ich mich rückwärts: Auf eine schöne Stelle vor dem Bezug auf Kant möchte ich noch eingehen: Eine Analyse des Staates, wie sie auch auf unseren bestens passt:
    "[...]ewig bleibt der Staat seinen Bürgern fremd, weil ihn das Gerfühl nirgends findet. Genötigt, sich die Mannigfaltigkeit seiner Bürger durch Klassifizierungen zu erleichtern [...], verliert der regierende Teil sie zuletzt ganz und gar aus den Augen, [...] und der regierte kann nicht anders als mit Kaltsinn die Gesetze empfangen, die an ihn selbst so wenig gerichtet sind."


    Schiller für heute!!


    HG finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

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  • Hallo zusammen,


    langsam hole ich etwas auf.


    Im achten Brief finde ich interessant, dass Schiller das bequeme
    Sichfügen unter den Zeitgeist eher den berufstätigen Menschen verzeiht, weil diese schließlich durch des Tages Mühen erschöpft sind, als dem Adel und der besitzenden Bourgeoisie (falls dieser Ausdruck erlaubt ist), die trotz ihres Müßiggangs den Weg des Bequemen gehen und im "Dämmerschein dunkler Begriffe" verharren. Wobei mich interessieren würde, was er damit genau meint?!
    In diesem Brief wird klar, dass die vernunftmäßigen Grundlagen zur Höherentwicklung des Menschen gelegt sind, allein der Trieb fehlt.
    Und wenn ich es recht verstehe, wird dieser im neunten Brief in die Hände der Kunst gelegt, die allein in der Lage ist, das Vernunftwerk in die sinnliche Ebene zu übersetzen.
    Dabei soll die Entwicklung des Menschen im Bereich des Vergnügens stattfinden, weil er sich hier eher durch die Blume sagen lässt, was höheres Menschenleben sei, als wenn man ihm direkt mit moralischen Traktaten und Anweisungen kommt. Ich denke, dieser Meinung sind auch heute noch viele Künstler, die in sich einen erzieherischen Auftrag verspüren.
    Aber nicht alle Künstler des Schillerschen Zeitalters haben - trotz der gespürten Berufung - den richtigen Weg eingeschlagen, sie sind zu ungestüm, orientieren sich an ungeeigneten Stoffen und wollen zu schnell zuviel erreichen, ohne ihre Ideen in sich zu klären.
    Meint Schiller hier die Romantiker?


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo zusammen!
    Hallo finsbury!


    (Sind wir eigentlich noch die beiden einzigen, die Schiller lesen?)


    Zitat von "finsbury"

    langsam hole ich etwas auf.


    Nun, wenn Du in dem Tempo aufholst, hast Du mich bald überholt. :smile:


    Zitat von "finsbury"

    Im achten Brief finde ich interessant, dass Schiller das bequeme Sichfügen unter den Zeitgeist eher den berufstätigen Menschen verzeiht, weil diese schließlich durch des Tages Mühen erschöpft sind, als dem Adel und der besitzenden Bourgeoisie (falls dieser Ausdruck erlaubt ist), die trotz ihres Müßiggangs den Weg des Bequemen gehen und im "Dämmerschein dunkler Begriffe" verharren. Wobei mich interessieren würde, was er damit genau meint?!


    Schiller war eben auch Pragmatiker und wollte sein Publikum nicht ganz vergraulen ... Der "Dämmerschein dunkler Begriffe"? Ich vermute, damit ist das unreflektierte Verwenden abstrakter Begriffe gemeint, wie z.B. ein Sich-Berufen auf Gott, ohne weiter darüber nachzudenken. Oder gar, um sich ein weiteres Nachdenken zu sparen.


    Zitat von "finsbury"

    Aber nicht alle Künstler des Schillerschen Zeitalters haben - trotz der gespürten Berufung - den richtigen Weg eingeschlagen, sie sind zu ungestüm, orientieren sich an ungeeigneten Stoffen und wollen zu schnell zuviel erreichen, ohne ihre Ideen in sich zu klären.
    Meint Schiller hier die Romantiker?


    Ich habe es eher so verstanden, dass Schiller hier den Sturm und Drang aufs Korn nimmt. Die Romantiker kamen doch erst kurze Zeit später. Und zu Beginn waren sie Schiller und Goethe ja gar nicht so unwillkommen. Erst später setzten Futterneid und Stutenbissigkeit ein ...


    Grüsse


    Sandhofer
    der jetzt bei Brief 13 ist, aber im Büro sitzt und erst später darauf zurückkommen kann ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus