September 2002: Dostojewski: Verbrechen und Strafe

  • Hallo zusammen !


    Ach, ich habs nicht mehr ausgehalten und schon mal angefangen! :P Ich lese die neue Übersetzung und bin bereits auf Seite 56. Ich musste mich gestern sehr zurückhalten um nicht gleich noch ein paar Stündchen(!!)weiterzulesen, denn ich gestehe - mir gefällt der Erzählstil einfach wunderbar !


    Der arme Raskolnikow, depressiv und "hypochondrisch" schleicht er durchs heisse Petersburg und obwohl er doch die Säufer und Spelunken verabscheut, geht er, nachdem er bei der Pfandleiherin war, gleich ein Bier trinken. Menschliche Abgründe tun sich auf, die Tochter muss sich prostituieren, um die Familie zu ernähren und auch Raskolnikows Schwester heiratet, um ihm das weitere Studium zu ermöglichen. Irgendwie kommen bisher die Männer schlecht weg, oder ?
    Und wie Dostojewski schildert, wie Raskolnikow besessen von der Idee ist, die Pfandleiherin umzubringen - da wurde es mir eiskalt. Eigentlich habe ich doch das Gefühl, er hätte im Grunde Moral und Anstand, da bin ich gespannt, wie er vor sich einen Mord rechtfertigt.


    Gruß von
    Steffi


    EDIT Sandhofer: Topic verschoben und Titel geändert.

  • ich hab auch bereits angefangen und bin auf Seite 73 (Fischer-TB: Verbrechen und Strafe) oder man kann auch sagen 1. Teil Ende IV.Kapitel.


    Meine ersten Eindrücke:


    Ich war vom Erzählstil des Schriftstellers bis jetzt auch angenehm überrascht. Ich kann mir sehr gut vorstellen wie Rodja (sein Kosename) die Straßen entlang läuft, vertieft die K-Brücke überquert. Hungrig, verzweifelt.


    Gleich auf der ersten Seite wird angedeutet, wie er in dieses Fahrwasser kam.
    Erst schämte er sich, weil er die Miete nicht bezahlen kann und mied die Begegnung mit seiner Hauswirtin, dann aber wird er immer gereizter und angespannter und meidet nun auch allgemein die Menschen. Wenn es mal bergab geht, dann rapide.

    Rodja wird ja von seinen ehemaligen Kommilitonen "irgendwie hochmütig, stolz und verschlossen, auf sie herabsehend" beurteilt. So, daß er wenig Kontakte geschlossen hat. Nur zu Rasumichin. Ich frage mich warum er nicht wie dieser Freund irgendeine Arbeit annimmt und dann weiterstudiert. Dieser hat es ihm ja vorgemacht, dass es auch so geht. Mit Disziplin und eisernen Willen. Hier scheint mir Rodja noch nicht reif für die Arbeitswelt, ein Träumer?


    Er kann auch nicht mit Geld umgehen, das wenige dass er von der Pfandleiherin bekam hat er unbedacht für Bier ausgegeben, der Familie Marmeladow etwas aufs Fenstersims gelegt und dem Polizisten einige Kopeken für die Droschke gegeben um das Mädchen heimzuschaffen.


    Hier sieht man die andere Seite von ihm: eine "gute" und mitfühlende Seite.


    Irgendwie stelle ich mir die russische Seele so vor, wie in den wenigen Seiten bisher beschrieben: leidenschaftlich, dramatisch, einsam, unergründlich.


    Zitat


    Irgendwie kommen bisher die Männer schlecht weg, oder ?


    Ist bereits auffallend, du hast recht. Auf jeden Fall haben diese Frauen Geld/Erspartes. Die Mutter die Pension, die Schwester arbeitete als Gouvernante, Die Vermieterin hat Mieteinnahmen, die Pfandleiherin. Die Köchin der Vermieterin hat Mitleid mit ihm und sorgt sich wenigsten noch um ihn.

    Zitat


    Und wie Dostojewski schildert, wie Raskolnikow besessen von der Idee ist, die Pfandleiherin umzubringen - da wurde es mir eiskalt. Eigentlich habe ich doch das Gefühl, er hätte im Grunde Moral und Anstand, da bin ich gespannt, wie er vor sich einen Mord rechtfertigt.


    da bin ich auch schon gespannt. Im Herzen hat er es ja bereits beschlossen. Der Brief seiner Mutter könnte seinen Wahn wieder zum Ausbruch bringen.


    Viele Grüße
    Maria


    Gruß von
    Steffi[/quote]

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo !


    Sehr spannend war die Schilderung des Mordes. Nachdem Raskolnikow eher zufällig gehört hat, das sein Opfer allein sein würde, macht er sich an die Vorbereitungen. Zuerst dachte ich ja, er wolle die Pfandleiherin mit dieser Schlinge erdrosseln, aber nein, er nimmt ein Beil. Als er schließlich vor der Tür steht, klopfte mein Herz fast so laut wie seins - und dann kommt auch noch die Stiefschwester - puh, ich konnte seine Panik richtig spüren, so intensiv war die Beschreibung. Allerdings will ich ihm auch immer mal wieder zurufen "wach auf !". Er ist ja von der fixen Idee richtig besessen und kann an gar nichts anderes mehr denken. Unbewußt will er sich ja dann auch von der Tat distanzieren, er schaut nicht mal, was er erbeutet hat und wird erst mal einige Tage krank ! Es scheint, daß ein Mord doch nicht "einfach so" begangen werden kann. Seine Rechtfertigung, die Pfandleiherin sei sowieso unnütz und schädige nur andere, überzeugt mich allerdings nicht so ganz. Auch Raskolnikow ist ja erst dann richtig bestätigt, als er den Offizier hört:


    Auf der einen Seite ein dummes, unnützes, nichtswürdiges, böses und krankes altes Weib, das kein Mensch braucht und das, im Gegenteil, alle schädigt, das selbst nicht weiß, wozu es lebt und morgen sowieso sterben wird


    Es scheint, das Raskolnikow immer jemanden braucht, der ihn in seinen Meinungen bestärkt und unterstützt und alles für ihn in die Hand nimmt. Ist diese "Unselbständigkeit" sein Problem ? Oder ist es eher so, daß er niemanden hat, für den sich das Leben lohnt ?


    Wenn man die Biografie Dostojewskis liest, dann hat er ja auch einiges mitgemacht - da hat er sicher auch manches in diesem Roman verarbeitet.


    Wie weit seid ihr ? Ich bin jetzt schon auf Seite 173, Zweiter Teil, Kapitel III.


    Gruß von
    Steffi

  • Hallo


    Ganz so weit bin ich noch nicht. Erst auf Seite 105.


    Ich bin vom Erzählstil Dostojewskis auch sehr angetan. Er schreibt sehr prägnant und intensiv. Das buch liest sich wirklich spannend ich es fällt mir immer schwer es aus der Hand zu legen.


    Bisher wußte ich nicht so recht, was ich von Raskolnikow halten soll. Einerseits hegt er Mordgedanken, andererseits hilft er der Familie Marmeladow mit etwas Geld und kümmert sich um das Mädchen auf der Parkbank. Jetzt bricht aber doch das Böse in Raskolnikow durch. Besonders gut hat mir die Metapher gefallen: "Ein sonderbarer Gedanke begann sich in seinem Kopf durchzupicken, wie ein Küken, das aus der Eierschale will..." Der Gedanke, den er schon längere Zeit ausgebrütet hat und der in ihm gereift ist, hat nun konkrete Gestalt angenommen. Es gibt kein zurück mehr: "...wie wenn ihn jemand an der Hand genommen und unwiderstehlich, blindlings, mit einer übernatürlichen Kraft nach sich gezogen hätte, ohne Widerrede, ganz als wäre er mit einem Zipfel seines Rockes in das Rad einer Maschine geraten und mitgerissen worden."
    Ich habe das so verstanden, daß Raskolnikow ein im Grunde böser Mensch ist und diese Pfandleiherin nur ein Zufallsopfer dieses "Bösen", das jetzt aus ihm herausbricht. Wäre sie es nicht, wäre es jemand anders. Das Motiv, diese Frau zu ermorden, erscheint mir bisher nämlich nicht sehr plausibel. Aber darauf wird uns der weitere Verlauf der Geschichte sicher ein paar Antworten geben.


    Viele Grüße
    ikarus

    "Der Umgang mit Büchern bringt die Leute um den Verstand" (Erasmus von Rotterdam)

  • Hallo,


    bin jetzt noch als Späteinsteigerin dabei - allerdings erst auf Seite 56.


    Erster Eindruck: liest sich sehr gut, beim Lesen verliert man Zeit und Raum und versetzt sich selbst in die Lage. Ich habe fast vergessen, dass ich nicht in der gleichen Armut lebe, sondern konnte direkt den Hunger verspüren und auch das Gefühl, auf dem schäbigen Sofa zu liegen.


    Ich habe im Eifer des Gefechts die Kurzbeschreibung noch nicht gelesen, weiß also noch nicht, WEN genau er umbringen will (ist es die Pfandleiherin oder ihr Mann) und WARUM (nur wegen des Geldes???).


    Bin gespannt auf die Fortsetzung - heute abend.

  • Hallo zusammen


    Zitat

    Ein sonderbarer Gedanke begann sich in seinem Kopf durchzupicken, wie ein Küken, das aus der Eierschale will..."


    "...wie wenn ihn jemand an der Hand genommen und unwiderstehlich, blindlings, mit einer übernatürlichen Kraft nach sich gezogen hätte, ohne Widerrede, ganz als wäre er mit einem Zipfel seines Rockes in das Rad einer Maschine geraten und mitgerissen worden."


    Ikarus kannst du mir auf die Sprünge helfen? Obwohl ich auch erst auf S. 137 bin finde ich die oben zitierte Stelle nicht. Ich hätte sie gern mit der neuen Übersetzung verglichen. War es vor oder nach dem Traum?


    Wie fandet ihr den Traum mit dem schwachen Pferdchen das zu Tode geprügelt wurde?


    Ich war ganz schön entsetzt und ahnte da bereits, daß die nächste Begegnung mit der Pfandleiherin brutal beschrieben sein wird. Aber so brutal hab ich es mir nicht vorgestellt, auch was er dann mit der Halbschwester tat. *schauder*


    Ich bin zwar auch ein Krimileser, trotzdem ging mir die Szene an die Nieren.


    Noch kann ich mir nicht vorstellen, daß Raskolnikow durch und durch Böse ist. Seine Gedanken, seine Träume, sein Fieber, seine Beweggründe sind für mich noch wie ein Puzzle, es fehlen noch die wichtigsten Teile um das Gesamtbild zu sehen. Bin schon gespannt, wie das Innenleben Raskolnikow sich weiter entwickelt.


    Wann wird ein Mensch zum Verbrecher?


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Die Stelle mit dem Pferdchen traf mich ehrlich gestanden unvorbereiteter als die beiden Morden. Nach einem Mord fand ich es dann auch nicht wirklich überraschend, dass plötzlich noch Lisaweta auftauchte und sterben musste.


    Ganz durchblicke ich aber nicht, warum Raskolnikow auf Pjotr Petrowitsch Luschin so schlecht zu sprechen ist, wenn dieser doch seiner Familie hilft? Ich habe es erstmal als "Stolz trotz Armut" definiert, mal sehen ob die Geschichte noch mehr Aufschluss gibt.


    Ach so, ich bin jetzt auf Seite 202 (in der Fischer-TB-Ausgabe).

  • Hallo JMaria


    Zitat

    Ein sonderbarer Gedanke begann sich in seinem Kopf durchzupicken, wie ein Küken, das aus der Eierschale will..."


    Zitat

    "...wie wenn ihn jemand an der Hand genommen und unwiderstehlich, blindlings, mit einer übernatürlichen Kraft nach sich gezogen hätte, ohne Widerrede, ganz als wäre er mit einem Zipfel seines Rockes in das Rad einer Maschine geraten und mitgerissen worden."


    Das interessiert mich auch, wie sich das in der neuen Übersetzung von Frau Geier liest.


    Also: Das erste Zitat steht im 1. Kapitel, Ende des 2. Absatzes des 6. Abschnitts. Das zweite Zitat steht auch im 6. Abschnitt in meiner Ausgabe auf Seite 99. Kurz bevor er sich auf den Weg zur Mordausführung macht.


    Zitat

    Seine Gedanken, seine Träume, sein Fieber, seine Beweggründe sind für mich noch wie ein Puzzle, es fehlen noch die wichtigsten Teile um das Gesamtbild zu sehen.


    So sehe ich das auch. Vor allem hat sich der Mord jetzt als absolut sinnlose Gewalttat herausgestellt. Denn Raskolnikoff versucht ja panisch seine Beute möglichst schnell und spurlos zu beseitigen. Seltsames Verhalten. Sein ursprüngliches Motiv war doch, Geld zur Fortsetzung des Studiums zu erbeuten. Materielle Gründe können es also doch nicht gewesen sein. Aber welche dann? Bin gespannt, wie sich das Puzzle zusammenfügt.



    @Heidi
    Klasse, daß Du mitliest :D Hast ja auch schon mächtig aufgehohlt. Aber das Buch fesselt einen auch schon sehr.


    Zitat

    Ganz durchblicke ich aber nicht, warum Raskolnikow auf Pjotr Petrowitsch Luschin so schlecht zu sprechen ist, wenn dieser doch seiner Familie hilft? Ich habe es erstmal als "Stolz trotz Armut" definiert, mal sehen ob die Geschichte noch mehr Aufschluss gibt.


    Das habe ich auch nicht ganz verstanden. Ich sehe das aber auch wie Du, als verletzten Stolz.


    Ich bin jetzt auf Seite 180.


    Viele Grüße
    ikarus

    "Der Umgang mit Büchern bringt die Leute um den Verstand" (Erasmus von Rotterdam)

  • Hallo Ikarus


    nun habe ich die Absätze gefunden :)


    Schuld und Sühne:
    Ein sonderbarer Gedanke begann sich in seinem Kopf durchzupicken, wie ein Küken, das aus der Eierschale will...


    Verbrechen und Strafe:
    Eine seltsame Idee regte sich in seinem Kopf, wie ein Küken, das aus seiner Eierschale drängte, und nahm ihn gänzlich gefangen.


    Schuld und Sühne:
    ...wie wenn ihn jemand an der Hand genommen und unwiderstehlich, blindlings, mit einer übernatürlichen Kraft nach sich gezogen hätte, ohne Widerrede, ganz als wäre er mit einem Zipfel seines Rockes in das Rad einer Maschine geraten und mitgerissen worden.


    Verbrechen und Strafe:
    Als habe ihn jemand bei der Hand genommen und zöge ihn hinter sich her, unabwendbar, blindlings, mit übernatürlicher Kraft, keinen Widerspruch duldend. Als wäre er mit einem Zipfel seiner Kleidung in das Rad einer Maschine geraten und würde nun langsam in sie hineingezogen.



    So groß sind die Unterschiede m. E. nicht. Vielleicht liest sich die neue Übersetzung auf die Gesamtlänge des Romans leichter, da moderner übersetzt?


    Wäre vielleicht nützlich, während unseres Lesens ab und zu weitere Texte zu vergleichen.


    Heute bin ich nicht viel weiter gekommen. Bin im 2. Teil 2. Kapitel.
    R. geht gerade nach seinem Aufenthalt im Revier nach Hause.
    LG Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo !


    @Heidi: Toll, dass du mitliest !!


    Den Vorschlag, die Texte ab und zu zu vergleichen finde ich sehr gut und obwohl sich die Textstellen doch ähneln, finde ich die neuere Übersetzung doch irgendwie runder und eleganter.


    Es ist wirklich nicht leicht, die Psyche von Raskolnikow zu ergründen, aber ich hatte bisher auch eher den Eindruck, dass er im Grunde gut ist und nur durch die Umstände so schlecht wird. Wenn man vom Titel ausgeht, denke ich (oder hoffe ich) dass Raskolnikow seine Tat bereuen wird.


    Ich habe auch das Gefühl, dass er sich irgendwie in Opposition zu allem befindet, er wird auf der Polizeistation frech (hat mich schon sehr an Kafka erinnert), er lehnt Rasumichins Angebot, Übersetzungen zu machen ab. Mit ein Auslöser für die Tat war auch, dass er sich nicht von seinem künftigen Schwager "retten" lassen will. Sollte der Mord auch eine Art Beweis sein, dass er doch noch etwas zustandebringt ?


    Gruß von
    Steffi

  • Habe soeben von einer Kollegin erfahren, dass "Raskol" übersetzt soviel wie "Spaltung" oder "gespalten" heißt. Der Name ist wohl bewusst so gewählt, oder?


    Gespalten ist er ja z.B., was NEHMEN und GEBEN angeht. Raskolnikow ist gegen die Hochzeit seiner Schwester mit Luschin (was sie in erster Linie für R. täte), aber er auf der anderen Seite verschenkt er 25 Rubel an Marmeladows Familie. Also darf er nur GEBEN aber nicht NEHMEN. Warum aber sollte die Familie es NEHMEN dürfen? Darf man nur NEHMEN, wenn man selbst nichts zustande bringt?


    Der Mord scheint tatsächlich der Beweis für ihn selbst zu sein, etwas zustande bringen zu können. Darauf baut er sein Selbstbewusstsein, seine Überheblichkeit und eben auch die Tatsache, dass er aufgrund seiner zweifelhaften Tat GEBEN "darf".


    Ich bin jetzt an der Stelle wo Mutter und Schwester mit Rasumichin über den Brief von Luschin sprechen. Wie weit seid ihr so? :wink:

  • Hallo zusammen


    Ich bin überrascht, wie wenig Unterschied zwischen den Übersetzungen besteht. Aber anhand zweier kurzer Zitate läßt sich das schwer beurteilen. Ich weiß jetzt nicht, ob noch jemand ein Buch in der alten Übersetzung liest, oder ob ihr alle die Neuübertragung habt, aber ich war erstaunt, wie flüssig und modern sich die Geschichte liest. Das hatte ich mir irgendwie sperriger und altmodischer vorgestellt. Zumal in meiner Ausgabe steht, daß E. K. Rashin die Werke Dostojewskis zwischen 1906 und 1919 erstmals übersetzt hat und der Text dieser Ausgabe folgt.


    Zitat

    Habe soeben von einer Kollegin erfahren, dass "Raskol" übersetzt soviel wie "Spaltung" oder "gespalten" heißt. Der Name ist wohl bewusst so gewählt, oder?


    Der Name ist mit Sicherheit von Dostojewski bewußt gewählt. Ein sprechender Name. Ich werde aus diesem Raskolnikoff auch einfach nicht schlau. Aber das geht ihm ja auch selbst so.
    Schön, daß Du das herausgefunden hast, Heidi. Sehr interessant.


    Ich komme jetzt im 2. Teil zum 5. Kapitel.


    Viele Grüße
    ikarus

    "Der Umgang mit Büchern bringt die Leute um den Verstand" (Erasmus von Rotterdam)

  • Hallo zusammen
    ich kann mich der Verwirrung euch nur anschließen. Da schmeißt er doch glatt auch das 20-Kopeken-Stück ins Wasser (vom beseitigen der Beute ganz zu schweigen).


    Zu dieser Szene der Text aus Verbrechen und Strafe:

    In der Tiefe, dem Auge kaum noch erkennbar, erschien ihm seine Vergangenheit von einst, seine Gedanken von einst, die Ziele von einst, die Fragen von einst, die Eindrücke von einst, dieses ganze Panorama und er selbst und alles, alles... Es kam ihm vor, als Fliege er auf, in die Höhe, und alles entschwinde seinen Augen... Als er eine unwillkürliche Bewegung mit dem Arm machte, fühlte er plötzlich in seiner Faust das Zwanzig-Kopeken-Stück. Er öffnete die Faust, betrachtete die Münze aufmerksam, holte aus und warf sie ins Wasser... Dann drehte er sich um und ging nach Hause. Er hatte das Gefühl, als hätte er sich eigenhändig, wie mit einer Schere, von allen und allem abgeschnitten.


    Traurig, nicht wahr. Ich finde das ist eine Selbstgeiselung. Er überlegt zwar die ganze Zeit wie er Fehler vermeidet, beseitigt Spuren und doch sieht es für mich so aus, als ob er auf ein Extrem zusteuert um erwischt zu werden.


    Deswegen auch immer wieder das Fieber...


    Im 2. Teil Kapitel III steht eine Passage, daß evtl. als ein weiteres Teil des Puzzles zu verwenden ist. Ist euch aufgefallen, daß in der Rede Rasumichin, als Rodja aus seinem Delirium erwacht, erwähnt wird, daß die Hauswirtin ihn früher eigentlich als Familienmitglied ansah, dann aber das Mädchen starb (die Tochter?) und somit den Schuldsein weiter gab?


    (S. 170 "Verbrechen und Strafe" / ca. in der Mitte)


    Was meint ihr? Könnte der Tod des Mädchen diese Selbstqual ausgelöst haben? Mal sehen ob der Aspekt nochmals erwähnt wird.


    Wie Rasumichin die Gemüter der Frauen im Haus mit seiner Art beruhigt hat, er flirtet sogar mit der Köchin *g* / natürlich hat das Geld der Mutter Rodjas auch dazu beigetragen.


    Ich glaube wenn Rasumichin nicht gewesen wäre, hätte dieses Geld auch seinen Zweck verfehlt. Rodja betonte ja, er wolle das Geld seiner Mutter nicht. Wie findet ihr Rasumichin?


    Komme nun zum 5.Kapitel (2. Teil)


    LG Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo !



    Maria schrieb:


    Zitat

    Spuren und doch sieht es für mich so aus, als ob er auf ein Extrem zusteuert um erwischt zu werden.


    Genau das sehe ich auch so - er macht Andeutungen und besucht sogar den Tatort, er kann einfach nicht davon loskommen.


    Rasumichin und Raskolnikow - fast scheint es, als seien sie 2 Hälften einer Person, die gute, erstrebenswerte und die dunkle, böse. Dostojewski beschreibt ja sehr ausführlich die Verzweiflung von Raskolnikow. Er kann ja keinen klaren Gedanken fassen, bis dann der Unfall mit Marmeladow passiert. Vielleicht meint er, indem er hilft, kann er seine Schuld büßen ? Sehr bedrückend finde ich die Schilderungen der Armut der Familie - die saubere Wäsche jeden Morgen ist noch das Einzige, das die Menschenwürde noch aufrechterhalten kann. Traurig ....


    Ich bin im 2.Teil, Ende 7.Kapitel)


    Viele Grüße
    Steffi

  • Zitat

    Wie findet ihr Rasumichin?


    Rasumichin ist für mich ein echter Freund, der Rodja sein Verhalten nicht übel nimmt, sondern klipp und klar sieht, dass dieser krank und in Schwierigkeiten ist und versucht ihm bestmöglich zu helfen. Eine gute Seele, auch wenn gewisse Andeutungen auf gelegentliche Entgleistungen gemacht werden.


    Mir scheint, er hat keinen blassen Schimmer, dass R. zu dieser Tat fähig ist/war und schiebt alles auf die Krankheit.


    Sehr ominös finde ich auch, dass Rodja sich sozusagen als Täter präsentiert. Er hält sich offenbar für schlau genug, um sich nicht erwischen zu lassen und sich hinterher ins Fäustchen lachen zu können. Die Stelle, an der er lachend mit Rasumichin aufs Präsidium geht, deutet m.E. auf seine vermeintliche Überlegenheit hin. Er will sich als Besitzer einiger Schmuckstücke melden, schlittert aber in eine für ihn höchst unangenehme und schlecht beherrschbare Situation hinein. Ich denke, die Tat lastet schwerer auf ihm als er sich anfangs ausmalte.


    Bin gespannt wie es weiter geht.

  • Hallo !


    Noch ein kleiner Nachtrag zu den sprechenden Namen:


    Lt. Anmerkungen zu Verbrechen und Strafe:

    Wrasumichin: "rasum", russ. Vernunft, und "wrasumit", unterweisen, belehren. Durch die scherzhafte Veränderung seiners Namens stellt sich Rasumichin als Vermittler zwischen Raskolnikow und seiner Umwelt dar.


    Zitat

    Rasumichin ist für mich ein echter Freund, der Rodja sein Verhalten nicht übel nimmt, sondern klipp und klar sieht, dass dieser krank und in Schwierigkeiten ist und versucht ihm bestmöglich zu helfen.


    So als echten Freund sehe ich Rasumichin (noch) nicht. Irgendwie scheint er mir eindimensional zu sein, immer lustig, hilfsbereit, positiv, offen und ehrlich. Manchmal denke ich, er ist wie eine Art erweiterter Erzähler, der alles kennt und in eine bestimmte Richtung beeinflußt.


    Am Ende des 2. Kapitels sagt Raskolinkow:
    Es gibt Leben! Habe ich etwa vorher nicht gelebt? Mein Leben ist noch nicht mit dem alten Weib zu Ende gegangen.


    Das deutet doch daraufhin, daß er mit seinem Leben schon abgeschlossen hatte - er hatte keinen Grund mehr zu leben. Dann trifft er Sonja wieder und schon gibt es einen Grund.
    JMaria: das würde deine Theorie bzgl. der verstorbenen Tochter seiner Vermieterin bestätigen!


    Gruß von
    Steffi

  • Hallo zusammen


    @Heidi und Steffi: vielen Dank für die Namenserklärungen und auch für den Link mit Dostojewskij's Lebenslauf. Bin erst am Sonntag dazu gekommen ihn zu lesen und fand ihn sehr aufschlußreich.


    Ich habe das 5. Kapitel (2. Teil) gelesen. Fandet ihr ihn nicht auch sehr philosophisch? Armut und Nächstenliebe von der wissenschaftlichen und von der ökonomischen Warte aus gesehen?


    Ich erinnere mich, daß bereits auf den ersten Seiten des Buches die Armut wissenschaftlich begründet wurde. Konnte es aber noch nicht finden.


    Ist euch zu diesem Aspekt was aufgefallen?


    LG Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Nochmals Hallo
    beim weiterlesen ist mir die Stimmung aufgefallen von Rodja.
    Er sagte doch zu dem Straßenpassanten, daß er gerne den Straßensängern zuhört, aber dazu müßte es regnerisch sein, an einem kalten, dunklen und feuchten Herbstabend...


    dazu ist mir eingefallen, daß ich zum Beispiel gern im Winter, wenn es bereits dämmert und dunkel ist zum Einkaufen gehe, besonders wenn es schneit und im Supermarkt stimmungsvolle Musik läuft. :-)


    Nur ist es bei mir eine positive Stimmung, bei Rodja scheint es eher eine negative Stimmung zu sein.


    LG Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen


    Ist das 5. Kapitel des 3. Teils vielleicht ein Schlüsselkapitel des Buches?


    Langsam scheint sich das Puzzle zusammenzufügen. Anhand der Diskussion über Raskolnikoffs juristischen Aufsatzes kristallisiert sich sein wahres Mordmotiv heraus. Er hat getötet um sich selbst zu erfahren. Ein ungeheuerliches Weltbild tritt zutage. Raskolnikoff teilt die Menschheit in zwei Klassen ein: "in eine niedrigere (die gewöhnlichen), das heißt sozusagen in Material, das einzig zur Weitererzeugung von seinesgleichen dient, und in eigentliche Menschen, das heißt in solche, die die Gabe oder das Talent haben, in ihrer Umgebung ein 'neues Wort' zu sagen...Die ersten sorgen für die Erhaltung der Welt und vermehren sie der Zahl nach; die zweiten bewegen die Welt und führen sie zum Ziel." Aber: "Sowohl die einen wie die anderen haben das vollkommen gleiche Recht auf ihr Dasein." Allerdings haben diese Außergewöhnlichen oder "Übermenschen" das Recht, den gewöhnlichen für ihren Vorwitz "ab und zu ein wenig die Rute zu geben, um sie an ihren Platz zu erinnern" und sogar umzubringen. Zum Wohle der Menschheit, um diese zu "straffen".

    Ein Psychopath? Der Kerl wird mir jedenfalls immer unheimlicher und unsympathischer. Seine eiskalte Berechnung läßt mich beim Lesen manchmal richtig schaudern. Ich glaube auch, daß Porphyrij längst von der Schuld Raskolnikoffs überzeugt ist, ihm aber die Beweise fehlen. Es wird immer spannender.


    Viele Grüße
    ikarus

    "Der Umgang mit Büchern bringt die Leute um den Verstand" (Erasmus von Rotterdam)

  • Zitat

    Ein Psychopath?


    Sehe ich genauso, Ikarus. Zumal er unmittelbar nach dem Gespräch mit Samjotow und Porfirij bei sich denkt "langsam komme ich auf den Geschmack".


    Porfirij hat ihn längst durchschaut, die Frage nach der Anwesenheit der Anstreicher zum Zeitpunkt seines Besuches bei der Pfandleiherin zeigt dies deutlich.


    Ich denke, R. hat hochgradige Schuldgefühle. Er mag seiner Mutter und Schwester nicht unter die Augen treten, ihn nervt die Anwesenheit Rasumichins, und er sieht geheime Zeichen, die Porfirij ihm angeblich sendet. Durch seine Überheblichkeit versucht er diese vor den anderen - und vor sich - zu vertuschen.


    Ich habe gerade die ersten beiden Seiten des vierten Teils am Wickel. Swidrigajlow ist aufgetaucht und sitzt an Raskolnikows Bett. Vorher hat R. von S. geträumt, dass dieser ihn als Mörder identifiziert hat...


    Das Buch fesselt mehr und mehr, je tiefer man in die Geschichte eintaucht.