Juni 2005: Jean Paul - Siebenkäs

  • Salut,


    Was man über Jean Paul bei Wikipedia findet:


    Jean Paul (* 21. März 1763 in Wunsiedel, † 14. November 1825 in Bayreuth), eigentlich Johann Paul Friedrich Richter, war ein deutscher Schriftsteller, nach kundigen Urteilen einer der 'ewigen Bestenliste'.


    Leben


    Kindheit und Jugend
    Johann Paul Friedrich Richter, der sich später "Jean Paul" nannte, kam als Sohn eines Lehrers und Organisten zur Welt. 1765 wurde sein Vater Pastor in Joditz, 1776 erhielt er eine bessere Stelle in Schwarzenbach an der Saale. Die Atmosphäre des protestantischen Landpfarrhauses prägte Jean Pauls Kindheit. Weniger durch seinen konservativen Vater als durch einen verehrten Lehrer und den Pfarrer eines Nachbarortes wurde er mit dem Gedankengut der Aufklärung vertraut gemacht. 1779 wechselte Jean Paul an das Gymnasium in Hof, wo er seinen engen Jugendfreund Johann Bernhard Hermann kennenlernte, das Vorbild vieler seiner Romanfiguren, etwa des "Leibgeber" im "Siebenkäs". Wenige Monate später starb sein Vater, wodurch die Familie in materielle Nöte stürzte. Jean Pauls Lebensweg stand nun für die nächsten Jahre im Zeichen des Hungers.


    Studienjahre
    Im Mai 1781 immatrikulierte Jean Paul sich an der Universität Leipzig, betrieb sein Studium der Theologie jedoch nur sehr lustlos. Stattdessen begann er nun, sich als Schriftsteller zu verstehen: Er schrieb nach ersten literarischen Experimenten vor allem Satiren, die in gesammelter Form 1783 als "Grönländische Prozesse" gedruckt wurden. Nach dieser ersten Publikation blieben jedoch weitere Erfolge aus. 1784 musste Jean Paul vor seinen Gläubigern fliehen und kehrte als "gescheiterte Existenz" nach Hof in das Haus seiner Mutter zurück. Wie er sich dort fühlte, ist in seinem späteren Roman "Siebenkäs" nachzulesen. Erst als Jean Paul ab 1787 ein Auskommen als Privatlehrer fand, linderte sich seine Notlage allmählich.


    Beginnender Ruhm
    Die Reihe seiner schriftstellerischen Erfolge begann 1793 mit dem Roman "Die unsichtbare Loge". Jean Paul hatte dem Schriftsteller Karl Philipp Moritz das Manuskript geschickt, und Moritz zeigte sich begeistert: "Ach nein, das ist noch über Goethe, das ist was ganz Neues!", soll er gesagt haben, und durch seine Vermittlung fand das Buch rasch einen Verlag. Aber "Die unsichtbare Loge" blieb ein Fragment, denn schon begann Jean Paul mit einem neuen Roman, dem "Hesperus", der 1795 erschien. Das Buch, das zum größten literarischen Erfolg seit Goethes "Werther" wurde, machte Jean Paul schlagartig berühmt. Herder, Wieland und Gleim äußerten sich enthusiastisch über den "Hesperus" - Goethe und Schiller fanden an dem Roman allerdings keinen Gefallen.


    Blütezeit
    Auf Einladung seiner Verehrerin Charlotte von Kalb besuchte Jean Paul 1796 Weimar - im literarischen Mekka seiner Zeit wurde er respektvoll aufgenommen. Zwei Jahre später wurde er selbst zum "Weimaraner"; inzwischen hatte er eine stattliche Anzahl literarischer Werke vorzuweisen: "Siebenkäs" (1796/97), "Das Leben des Quintus Fixlein" (1796), "Der Jubelsenior" (1797), "Das Kampaner Tal" (1797). Besonders in Weimar häuften sich die erotischen Verwicklungen, die Jean Paul Zeit seines Lebens begleiteten: Er verlobte sich mit Karoline von Feuchtersleben, was wegen des Standesunterschiedes einige Schwierigkeiten mit sich brachte - und als diese endlich ausgeräumt waren, entlobte Jean Paul sich wieder. Auch gegenüber Charlotte von Kalb musste er immer wieder neue Strategien der Ehe-Vermeidung austüfteln. Doch auch der ehescheue Jean Paul konnte sich schließlich seinem Schicksal nicht entziehen: Im Frühjahr 1800 lernte er auf einer Reise nach Berlin Karoline Meyer kennen, die er ein Jahr später heiratete. - Die Berlin-Reise stellte den Höhepunkt seines literarischen Ruhms dar: Selbst die preußische Königin Luise zeigt sich ihm als begeisterte Leserin seiner Werke. Dies brachte Jean Paul dazu, im Oktober 1800 ganz nach Berlin zu ziehen, wo er sich u.a. mit den Brüdern Schlegel, Tieck, Schleiermacher und Fichte anfreundete.



    Richter in späten Jahren
    Die späten Jahre
    Doch vom Gipfel des Erfolges ging es allmählich bergab: Jean Pauls nächste Romane "Titan" (1800-03) und "Flegeljahre" (1804/05) erzeugten nicht mehr den früheren Enthusiasmus bei den Lesern, obwohl sie heute als seine wichtigsten Werke gelten. - 1804 siedelte er mit seiner Frau und seinen zwei Kindern nach Bayreuth um, nachdem er kurze Zeit in Meiningen und Coburg gewohnt hatte. In Bayreuth führte er fortan ein zurückgezogenes Leben, unterbrochen nur von einigen Reisen, z.B. nach Bamberg, wo er E. T. A. Hoffmann besuchte, oder nach Heidelberg, wo ihm 1817 auf Vorschlag Hegels der Ehrendoktortitel verliehen wurde. Jean Pauls literarische Werke aus diesen Jahren, z.B. "Levana oder Erziehlehre" (1807) oder "Dr. Katzenbergers Badereise" (1809), erhielten bei weitem nicht mehr die Beachtung, die der "Hesperus" erlangt hatte. 1813 begann Jean Paul mit seinem letzten großen Roman, "Der Komet", doch der Tod seines Sohnes Max 1821 war ein Schicksalsschlag, den der Autor nicht verwinden konnte - "Der Komet" wurde aufgegeben und blieb Fragment. Die letzten Lebensjahre waren von Krankheiten gezeichnet: 1823 erkrankte Jean Paul am Grauen Star und erblindete allmählich. 1825 kam Brustwassersucht hinzu, an der er am 14. November verstarb.


    Literatur
    Rolf Vollmann: Das Tolle neben dem Schönen – Jean Paul. Ein biographischer Essay. Nördlingen: Greno 1988 (Neue Edition der Erstausgabe von 1975. – Ideale Einführung in die Literaturwelt Jean Pauls, die mithilfe vieler Zitate des Dichters auf unakademische Weise Lust auf die Lektüre des Originals bereitet.)
    Peter Sprengel: Innerlichkeit. Jean Paul oder Das Leiden an der Gesellschaft. München u. Wien 1977
    Kurt Wölfel: Jean-Paul-Studien. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1989. (Mittlerweile klassische Aufsatzsammlung des großen Jean-Paul-Forschers)
    Julia Cloot: Geheime Texte. Jean Paul und die Musik. de Gruyter 2001
    Ludwig Börne: Denkrede auf Jean Paul. In: Sämtliche Schriften, Band I. Düsseldorf 1964


    Weiterführende Links:
    Viele der Texte Jean Pauls sind beim Projekt Gutenberg (http://projekt.gutenberg.de/autoren/jeanpaul.htm) abrufbar
    Jean Paul-Gesellschaft (http://www.uni-wuerzburg.de/ge…/neu/jean-paul/index.html) (Uni Würzburg)
    Jean-Paul-Online (http://www.jean-paul-richter.de/jeanpaul.htm) (Der Nachlass Jean Pauls)
    Kommentierte Linksammlung (http://www.ub.fu-berlin.de/int…ren/multi_pqrs/jpaul.html) (FU Berlin)

    "Die Kunst des Nachdenkens besteht in der Kunst..., das Denken genau vor dem tödlichen Augenblick abzubrechen. - Thomas Bernhard, Gehen

  • Ein weiterer Link zu Jean Paul: http://hanskleine.de/romantik/jeanpaul.htm


    Zum Werk "Siebenkäs" aus dem Buch der 1000 Bücher:


    Siebenkäs
    OA 1796/97 Form Roman Epoche Romantik


    Im ersten Eheroman der deutschen Literaturgeschichte problematisiert Jean Paul zugleich die Idee der Unsterblichkeit angesichts des aufkommenden Atheismus. Der Kontrast psychologisch-realistischer Details und philosophischer Ideen ist ein Charakteristikum seiner humoristischen Literatur.


    Inhalt: Der volle Titel – Blumen-, Frucht- und Dornenstücke oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F. St. Siebenkäs – gibt die ungewöhnliche Reihenfolge der Abläufe vor. Zunehmende Entbehrungen kennzeichnen den ehelichen Alltag des in einem schwäbischen Provinzstädtchen niedergelassenen Armenadvokaten Siebenkäs und seiner Frau Lenette, einer »Putzmacherin«, die der Armut mit einer rigiden Besessenheit fürs Putzen und Fegen begegnet. Ihr Mann verfasst unterdessen, gestört vom ebenso braven wie unverständigen Versuch seiner Frau, die häusliche Ordnung wiederherzustellen, die Auswahl aus des Teufels Papieren (eine Satiresammlung, die Jean Paul 1789 anonym und mit wenig Erfolg veröffentlicht hatte). Das Schreiben ist die einzige, kärgliche Einnahmequelle, denn keinen anderen Prozess wird der Anwalt im Roman zu führen genötigt sein als seinen eigenen: Ein Namenstausch mit dem Freund und Doppelgänger Leibgeber, einem kritischen Freigeist, lässt den Verwalter der Erbschaft von 1200 Gulden, den Geheimen Rat von Blaise, an der Rechtschaffenheit des Mündels zweifeln. Um der wirtschaftlichen Misere und der für gescheitert geltenden Ehe zu entkommen, sieht Siebenkäs keinen anderen Ausweg, als einen Scheintod zu sterben. Lenette wird finanziell versorgt, verbindet sich dem biederen Schulrat Stiefel, stirbt jedoch im Kindbett. Siebenkäs nimmt unterdessen die Identität des sich auf Wanderschaft begebenden Leibgebers an (also seine eigene, wiedererhaltene) und heiratet die ihm seelenverwandte Natalie.


    Aufbau: Aus einer geplanten Sammlung kleinerer philosophisch-poetischer Arbeiten wuchs das satirische »Dornenstück« der Eheszene zu einer eigenständigen Handlung, welcher »Blumen-« (surrealistische Traumsequenzen) und »Fruchtstücke« (philosophische Abhandlungen) beigegeben sind. Die aus der Kunstgeschichte entlehnten Begriffe deuten auf die Metaphern-Theorie von Jean Paul, wonach der poetischen Sprache durch ihre im Menschen erzeugten Bilder jene Transzendenz gelinge, die für den Übergang vom Diesseits ins Jenseits nicht mehr verbürgt werden könne. Die Zweifel an der Unsterblichkeit formuliert Jean Paul in der Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei, einem literarischen Zeugnis des europäischen Nihilismus, das in der zweiten Auflage des Siebenkäs von 1818 in der Mitte platziert ist. Im Gegensatz hierzu erfährt der Armenadvokat seinen Scheintod nicht als Schrecknis, sondern als Befreiung und Wiederherstellung seines wahren Ichs. Der Dualismus Siebenkäs / Leibgeber ist indes ein Spiegel des humoristischen Erzählers, der sich, wie in allen Werken von Jean Paul, unter dessen Namen einmischt, mit Realität und Fiktion spielt sowie das Erzählte als ebenso geistreiche wie kunstvolle dichterische Collage ausweist.


    Wirkung: Siebenkäs zählte zu den größten Erfolgen von Jean Paul und übte nicht nur wegen seiner sozialkritischen, realistischen Schilderungen Einfluss auf zahlreiche Schriftsteller aus, sondern vor allem wegen der oft aus dem Romankontext gelösten und in zahlreiche Sprachen übersetzten Rede des toten Christus, deren apokalyptische Vision das die europäische Literatur im 19. Jahrhundert bestimmende Nihilismus-Erlebnis dichterisch vorwegnahm. C. Z.


    Eine Kurzbeschreibung des Werkes von Amazon:


    Kurzbeschreibung
    Der volle Titel - Blumen-, Frucht- und Dornenstücke oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F. St. Siebenkäs - gibt die ungewöhnliche Reihenfolge der Abläufe vor. Zunehmende Entbehrungen kennzeichnen den ehelichen Alltag des in einem schwäbischen Provinzstädtchen niedergelassenen Armenadvokaten Siebenkäs und seiner Frau Lenette, einer >>Putzmacherin<<, die der Armut mit einer rigiden Besessenheit fürs Putzen und Fegen begegnet. Ihr Mann verfasst unterdessen, gestört vom ebenso braven wie unverständigen Versuch seiner Frau, die häusliche Ordnung wiederherzustellen, die Auswahl aus des Teufels Papieren (eine Satiresammlung, die Jean Paul 1789 anonym und mit wenig Erfolg veröffentlicht hatte). Das Schreiben ist die einzige, kärgliche Einnahmequelle, denn keinen anderen Prozess wird der Anwalt im Roman zu führen genötigt sein als seinen eigenen: Ein Namenstausch mit dem Freund und Doppelgänger Leibgeber, einem kritischen Freigeist, lässt den Verwalter der Erbschaft von 1200 Gulden, den Geheimen Rat von Blaise, an der Rechtschaffenheit des Mündels zweifeln. Um der wirtschaftlichen Misere und der für gescheitert geltenden Ehe zu entkommen, sieht Siebenkäs keinen anderen Ausweg, als einen Scheintod zu sterben. Lenette wird finanziell versorgt, verbindet sich dem biederen Schulrat Stiefel, stirbt jedoch im Kindbett. Siebenkäs nimmt unterdessen die Identität des sich auf Wanderschaft begebenden Leibgebers an (also seine eigene, wiedererhaltene) und heiratet die ihm seelenverwandte Natalie.

    &quot;Die Kunst des Nachdenkens besteht in der Kunst..., das Denken genau vor dem tödlichen Augenblick abzubrechen. - Thomas Bernhard, Gehen

  • Salut zusammen,


    Ich denke, dass wir mit der Leserunde nun starten können, vielleicht schliessen sich uns ja noch ein paar weitere Leser an :smile:


    Der Materialthread steht bereits und kann/soll ergänzt werden.


    Nochmals kurz zu meiner Ausgabe: Sie ist 1969 beim List Verlag München erschienen unter der Reihe Epikon "Europäische Meisterromane", gebunden und mit einem Nachwort von Hermann Hesse. Habe sie dieses Frühjahr in einem Antiquariat erworben.


    Es beginnt mit der "Einleitung zur zweiten Auflage"(1817), danach folgt die Vorrede (1795), in welcher ich gerade stecke. Werde mich dann dazu äussern, hoffe noch heute Abend. Sind bei euren Ausgaben auch die Einleitung und die Vorrede enthalten?


    Wie sieht euer Lesetempo aus, d.h. wie schnell/langsam beabsichtigt ihr etwa zu lesen?


    Soweit,
    Imrahil

    &quot;Die Kunst des Nachdenkens besteht in der Kunst..., das Denken genau vor dem tödlichen Augenblick abzubrechen. - Thomas Bernhard, Gehen

  • Hallo,


    ich habe die Insel-Ausgabe von 1987.


    Mein Lesetempo ist eher langsam, vielleicht son 20-30 Seiten pro Tag.


    Gruß, Holla

  • Salut,


    So, nun habe ich die Einleitung zur zweiten Auflage, die Vorrede und das erste Kapitel gelesen, möchte nun meine Eindrücke, Anregungen einmal posten.


    > Einleitung zur zweiten Auflage


    Ist die in euren Ausgaben auch vorhanden? Jean Paul verfasste diese im September 1817 in Bayreuth. Er hält darin seine Verbesserungen fest, vor allem dass er deutsches Wortgut zuungunsten von Fremdwörtern eingesetzt habe. Des weiteren, dass ein Autor die richtige Mischung aus Herz und Kunstfertigkeit finden müsse.


    > Vorrede (1795 verfasst)


    Hier werden mehrfach die Wiener Briefe erwähnt. Was hat es mit denen für eine Bewandtnis?


    Sehr schön finde ich die Unterteilung des Publikums in drei Teile: Das Kauf-, Lese- und Kunstpublikum. Wobei ersters den Leib, zweiteres die Seele und letzteres den Geist verkörpert.


    In den Passagen wo der Erzähler den Gastgeber Jakob Oehrmann bewusst durch Langeweile in den Schlaf zu reden versucht, macht sich Jean Pauls Hang zur Komik bemerkbat. Wohlgemerkt, das ist mein erster Jean Paul, habe aber schon des öfteren gelesen, dass er zum Humor/Komik neige.


    Jean Paul spricht das Zeitalter an und schreibt: "in einem solchen Zeitalter gibt's für einen Autor keinen Trost..." dieser negativen Bezug zum Zeitalter hat mich spontan an Gotthelf erinnert, wenngleich er hier nur am Rande angerissen wird. Jean Paul suggeriert in der Folge gewissermassen, dass ein Autor ein Bettler sei.


    > Erstes Kapitel


    Siebenkäs wird sogleich eingeführt als sympathischer Armenadvokat, dem Geld ein Unsegen darstellt und humoristische Züge aufweist, auch lacht er gerne über sich.
    Die Vermählung mit Lenette steht an. Es finden sich dabei nette Metaphern zur Ehe.


    Auffällig ist der witzige Ton, Beispiele:


    "...machten vom Vorrechte des Trunks und der Spezialinquisition, nämlich Du zu sagen, untereinander Gebrauch."


    oder


    "die zwei Balsampappeln des Lebens, der Witz und die Menschenliebe"


    Auch der Liebesszene zum Schluss des Kapitels haftet eine Mischung aus Komik und Schönheit an.


    Zwei Verständnisprobleme, vielleicht könnt ihr mir weiterhelfen:


    Swedenborgs Vision (S.38 bei mir)
    Otaheiter (S.40)


    So, werde dann morgen/übermorgen das zweite Kapitel in Angriff nehmen, freue mich auf eure Kommentare.


    Imrahil

    &quot;Die Kunst des Nachdenkens besteht in der Kunst..., das Denken genau vor dem tödlichen Augenblick abzubrechen. - Thomas Bernhard, Gehen

  • Hallo Imrahil,


    Otaheiter = Einwohner von Tahiti


    Gruß, Harald

    Aktuell: Altägyptische Literatur. Kafka. Theater des Siglo de Oro. Gontscharow. Sterne, Fielding, Smollett.

  • Hallo!


    Endlich begann ich ebenfalls mit der Lektüre, wurde ja auch höchste Zeit. Vorreden und die ersten beiden Kapitel liegen hinter mir.


    Zitat von "Imrahil"

    Einleitung zur zweiten Auflage. Ist die in euren Ausgaben auch vorhanden?


    Ja, ich lese den Roman in der Hanser Werkausgabe (genauer in der 2001 Lizenzausgabe derselben).


    Zitat von "Imrahil"


    > Vorrede (1795 verfasst)


    Hier werden mehrfach die Wiener Briefe erwähnt. Was hat es mit denen für eine Bewandtnis?


    Das geht hier nicht wirklich hervor. Wien war aber die Verwaltungszentrale des deutschen Reiches, es könnte sich also um Bürokratenpost handeln.


    Zitat von "Imrahil"


    Sehr schön finde ich die Unterteilung des Publikums in drei Teile: Das Kauf-, Lese- und Kunstpublikum. Wobei ersters den Leib, zweiteres die Seele und letzteres den Geist verkörpert.


    Ein Bild, das auch den heutigen Buchmarkt noch gut beschreibt.


    Zitat von "Imrahil"


    > Erstes Kapitel
    Auffällig ist der witzige Ton, Beispiele:


    "...machten vom Vorrechte des Trunks und der Spezialinquisition, nämlich Du zu sagen, untereinander Gebrauch."


    Das wird auch so bleiben. Viele große komische Talente hat die deutsche Literatur ja nicht hervorgebracht, weshalb Jean Pauls Fähigkeiten in diesem Genre besonders auffallen.


    Zitat von "Imrahil"


    Swedenborgs Vision (S.38 bei mir)


    Swedenborg ließ sich in seinem Buch "Über die eheliche Liebe" (1768) über das Fortleben glücklicher Ehepaare im Himmel aus. Swedenborg war einer der führenden "Esoteriker" seiner Zeit, und die Menschen hingen ähnlich gebannt an seinen skurrilen Thesen, wie man das heute ja auch noch beobachten kann.


    >Das zweite Kapitel


    Auch hier finden sich eine Reihe komischer Glanzlichter, etwa der mit einer Haube bekleidete Hund, der aus dem Fenster sieht und dadurch einen klerikalen Bettelchor von der "Arbeit" abhält oder die grandiose Szene, in der Siebenkäs und Leibgeber Herrn von Blaise heimsuchen. Handlungstreibend ist die "Erbschaftsintrige", die in diesem Abschnitt eingeführt wird.


    Sprachlich fiel mir auf, dass Jean Paul immer wieder Vergleiche mit dem Tierreich, speziell Insekten, heranzieht, samt Fußnoten mit Hinweisen auf gelehrte zoologische Werke. Nicht nur hier wird deutlich, dass Jean Paul breiter Lektüre frönte.


    CK

  • Salut,


    Da sich bis heute niemand meldete hatte ich die Lektüre einstweilen beiseite gelegt und derweilen in anderen Büchern gelesen. D.h. ich habe im Moment erst die Vorreden und das erste Kapitel hinter mir. Werde aber spätestens ab Donnerstag wieder mit Eifer einsteigen ;-)


    Harald und Xenophanes: Danke für die Hinweise, respektive Erklärungen.


    Imrahil

    &quot;Die Kunst des Nachdenkens besteht in der Kunst..., das Denken genau vor dem tödlichen Augenblick abzubrechen. - Thomas Bernhard, Gehen

  • Hallo,


    durch Krankheit konnte ich erst gestern beginnen und habe gerade mal die Einleitung, die Vorrede und Teile des ersten Kapitels gelesen.


    Hervorzuheben in der Lektüre ist sicherlich der Witz, wie Imrahil schon anmerkte. Leider muß man die Schriftsteller mit entsprechenden Humor in Deutschland mit der Lupe suchen.


    Jean Paul schreibt in der Vorrede, das er die Pauline vielleicht nicht wiedersehen würde, sobald sein neuer Fürstenstand auskäme. Was bedeutet das, hat da jemand eine Erklärung?


    Zu den Wiener Briefen kann nichts sagen, aber er sagt ja im gleichen Satz zu Anfang, das er sein Gerichthalter gewesen war. Also vielleicht Gerichts Briefe.


    Ich hoffe bis Morgen oder Dienstag die ersten beiden Kapitel durch zu haben.


    Gruß, Holla

  • Hallo!


    Aus Zeitnot, ein kurz gehaltener Lesebericht:


    3. Kapitel


    Jean Paul schildert den Beginn der Ehe und führt weitere wichtige Figuren ein (Stiefel, Everad). Hervorzuheben wären die satirischen Passagen über das deutsche Autoren- und Rezensentenwesen:


    Sie hatte in ihrem Leben noch nichts von dem ungeheuren Ehrensold vernommen, welche deutsche Autoren gegenwärtig ziehen.(S. 82)


    Auch die Wirkung von "namenlosen" Rezensionen, die zu dieser Zeit sehr üblich waren, fand ich nett beschrieben. Man denke nur an die Aktivitäten, die notwendig waren um herausfinden, welche Texte aus den Frankfurter Gelehrten Anzeigen von Goethe stammten.


    4. Kapitel


    Der erste Ehestreit. Der nach meinem Geschmack etwas überkantitelte Brief Leibgebers. Die "Ende der Vorrede" setzt den Zusammenstoß zwischen Kaufmann und Künstler fort.


    5. Kapitel


    Das bisher komischste Kapitel. Die ausgiebige Schilderung des von der Hausarbeit geplagten Armenadvokaten amüsierte mich ebenso wie der Streit um das Lichtschneuzen. Jean Paul spitzt diese Alltagsneurosen zu und läuft zur Hochform auf.


    CK

  • Salut,


    Ich habe soeben das erste Bändchen (Kapitel 1-4 sowie Ende der Vorrede) zu Ende gelesen. Da ich in einer Woche eine Uniprüfung habe, werde ich voraussichtlich nicht allzu schnell voran kommen, danach aber dann umso schneller! :zwinker:


    Kapitel 2


    Wie Du bereits ansprachst Xenophanes, geht es hier um eine "Erbschaftsintrige", die nicht ganz einfach zu durchschauen ist. Ich hatte zunächst Mühe, dem Wirrwarr um den Namenstausch und dem Erbe zu folgen, Jean Paul erfordert wirklich Konzentration.


    Leibgeber und Siebenkäs sind ein herrliches Gespann in meinen Augen, ihr Überschwang und die Neigung zum komischen, zum Streiche ist wirklich amüsant. Von "Spasssucht ist die Rede."
    Die Begegnung der beiden mit Heimlicher (was muss man sich darunter genau vorstellen?) ist in der Tat köstlich!


    Es finden sich wieder komische (im Sinne von lustige) Sätze, wie:


    "Das Rad der Fortuna fing bald an zu knarren und Kot auszuspritzen;" (S. 57 bei mir).
    "Sehr gelassen will ich das ausgepolsterte Gesicht dieser betenden Schlafmütze ausschneiden und als gage d'amour mitnehmen." (S. 69).


    Beilage zum zweiten Kapitel


    Hier geht es um die Urbanisierung und dem Nebeneinander von Bürger und Patrizier. Konnotiert Jean Paul den Begriff "Bürger" als negativ? Immerhin rühmt er die relative Viehlzahl an Patriziern und Ironie kann ich dabei nicht erkennen.


    Kapitel 3


    Es beginnt mit den Flittterwochen, die Ehe nimmt ihren Anfang. Gefallen hat mir die Aussage von einer "Gütergemeinschaft des Körpers und Geistes" (S. 89).


    Eine Kleinigkeit: Dass Jean Paul seinen Siebenkäs Latein sprechen (!) lässt, hat mich stutzig gemacht. Damals war Latein zwar bestimmt noch gebräuchlicher, aber doch wohl kaum im Mündlichen...


    Im Folgenden dann die Episode mit Everard, der mit Lenett anzubändeln versucht.


    Auffällig ist auch, dass sich Jean Paul als Autor immer wieder selbst ins Spiel bringt, den Leser direkt anspricht oder seinen Helden, z.b.:


    "Lieber Held! Bleib aber einer"(S. 126).


    Kapitel 4


    Der Brief Leibgebers ist tatsächlich etwas überschwenglich, übertrieben in seiner Weise, aber ich las ihn sehr gerne. Amüsant wie sich Leibgeber in die Rolle Adams versetzt und dann die Folgen der Ehe mit Eva in Pars I und II aufzeigt. Z.b. der Satz:


    "Ich wandle hier mit einem Säetuch umhangen, worin die Sämerei aller Völker liegt, auf und ab und trage das Repertorium und die Verlagskasse des ganzen Menschengeschlechts, eine ganze kleine Welt und einen orbem pictum vor mir her, wie Hausierer ihr offenes Warenlager auf dem Magen." (S. 139).


    Werde beim genaueren durchsehen, vermutlich noch ein paar Fragen notieren.
    Soweit erst einmal von mir,
    Imrahil

    &quot;Die Kunst des Nachdenkens besteht in der Kunst..., das Denken genau vor dem tödlichen Augenblick abzubrechen. - Thomas Bernhard, Gehen

  • Hallo!


    Bin inwischen bis zum zehnten Kapitel vorgedrungen und damit bereits in der zweiten Hälfte des Romans angelangt. Wo sind denn eigentlich alle anderen, die noch mitlesen wollten?! :grmpf:


    6. Kapitel


    Lustig gleich zu Beginn die Satire auf die Übersetzung "Emilia Galottis" ins Lateinische und auf die Schulgelehrten. Die ironische Beschreibung des Ehealltags finde ich (trotz misogyner Züge) nach wie vor sehr kurzweilig. Die karikierende Darstellung der Gattin wird gut durch die Ironie gegenüber der Hauptfigur (sowohl Siebenkäs gegen sich selbst als auch der Erzähler gegenüber Siebenkäs) ausbalanciert. Durch den satirischen Ton klingt sehr deutlich Sozialkritik an. Thema ist auch die Armut des Intellektuellen und das in einer Ausführlichkeit wie wohl seit "Anton Reiser" nicht mehr.
    Das Extrablättchen über den Trost belegt einmal mehr, dass Jean Paul sich ausführlich mit der Stoa beschäftigt hat. Das zeigen auch die regelmäßigen Verweise auf Epiktet und Marc Aurel.
    Das Ende des Kapitels gewährt uns einen kurzen Einblick in Siebenkäs' Kindheit und die Prügelerziehung seines Vaters (was freilich damals nichts Außergewöhnliches war).


    7. Kapitel


    Endlich das Vogelschießen auf das sich die finanziellen Hoffnungen des Ehepaars seit Monaten richten. Amüsant-quirllig wird der Tag beschrieben. Mit Eduard im Schrank der Perückenmacherin rundet ein klassisches Komödienmotiv das Kapitel ab.


    CK

  • Salut,


    Ich muss mich zunächst entschuldigen für mein langes Schweigen. Die Lektüre lief in der letzten Woche nur schleppend, doch heute kam ich wiede richtig rein, würde die Lektüre eigentlich auch gerne in den nächsten Tagen abschliessen.
    Bin nun mit dem dritten Bändchen fertig.


    Kapitel 5


    Erneut ein sehr amüsantes Kapitel, in welchem Siebenkäs sich in seinem Schreiben durch Lenette ohne Ende gestört und sich nicht zu konzentrieren weiss. Egal weil "der Besen nicht ruhen" mag oder weil sie beim Licht schneuzen alles falsch anstellt, ein Ehezwist entsteht.
    Das Armut-Motiv tritt auf und Siebenkäs muss vierlerlei Dinge versetzen. Zuletzt kehrt (vorübergehender) Friede ein.


    Auffällig scheint mir der Hang Jean Pauls zu einer häufigen Verwendung von Metaphern und Allegorien, er verbildlicht gerne seine Aussagen.


    Kapitel 6


    Die Geldnot ist da, zu welcher sich die Scham der Armen gesellt, der Graben zwischen Reich und Arm wird beschrieben bzw. kritisiert.


    Jean Paul spricht die Vernunft als Trost an. Doch auch viel epikureisches findet sich in der Lektüre meine ich, Siebenkäs ist ja zu grossen Teilen ein Lustmensch.


    Wenn der fröhliche Siebenkäs sagt: "Wenn ich lustig bleibe, warum seid ihr denn mitleidig?", da frage ich mich, ob auch Jean Paul ein humorvoller, lustiger und fröhlicher Geselle war, bzw. ob vieles von ihm in seinen Protagonisten hineingeflossen ist?


    Zum Schluss des sechsten Kapitels übt Jean Paul auch Kritik an der Bürokratie, die anscheinend schon damals ein auffälliges Übel darstellte.


    Erinnert euch Jean Paul bisweilen auch an Gotthelf? Ich meine da einige Parallelen zu erkennen:


    - enger Bezug des Autors zum Protagonisten
    - Autor spricht des öfteren den Leser direkt an
    - psychologische Elemente
    - ausschweifendes, assoziierendes Erzählen

    &quot;Die Kunst des Nachdenkens besteht in der Kunst..., das Denken genau vor dem tödlichen Augenblick abzubrechen. - Thomas Bernhard, Gehen

  • Kapitel 7


    Jean Paul spricht die Unterteilung Protagonist - Deuteragonist - Tritagonist an: Ich habe diese Unterteilung zum ersten Mal anetroffen, muss man sich zweiteren und letzteren einfach als zusätzliche Hauptfiguren vorstellen oder hatten die auch separate, bestimmte eigene Funktionen?


    Oft wirft Jean Paul auch "Weisheiten" (oder wie man es nennen mag ein), für mich jedenfalls auffällig, z.b.: "Der Vorsatz einer Sünde verrät sich durch überflüssige Behutsamkeit" (S. 290).


    Rosas Episode, die ihn bis zum Entdeckt-werden im Kleiderschrank führt, war wirklich ungemein komisch. Und es wimmelt ja von solchen komödiantischen Passagen in diesem Buche.


    Kapitel 8


    Durch den Gewinn im Schiessen, können gewissen Schulden abgezahlt werden. Die neckische Blumenidee Siebenkäs' führt durch Irrtümer und Zufall zu erneutem Ehezwist, den Stiefel wieder einmal schlichtet.


    Erstes Blumenstück


    Hier spricht Siebenkäs den Atheismus an und lässt Christus verkünden, dass kein Gott sei. Zuletzt verrät Jean Paul jedoch seinen Gottesglaube.


    Zweites Blumenstück


    Die Funktion dieses Traumes war mir ehrlich gesagt nicht ganz klar, sollte ich nochmals lesen.


    Freue mich auf die weitere Lektüre und es ist sehr schade, dass anscheinend nur noch zwei Leser an der Leserunde teilnehmen. Was ist mit Holla?


    Imrahil

    &quot;Die Kunst des Nachdenkens besteht in der Kunst..., das Denken genau vor dem tödlichen Augenblick abzubrechen. - Thomas Bernhard, Gehen

  • Hallo,


    tut mir leid, daß ich mich erst jetzt melde, aber war leider durch Krankheit völlig außer Gefecht gesetzt. Ich konnte leider die ganze Zeit nicht lesen und hinke im Siebenkäs gewaltig hinterher.
    Ich weiß nicht ob ich den Anschluß an euch noch schaffe.


    Bis dahin erst mal,
    Gruß, Holla

  • LK!


    Imrahil: An Gotthelf erinnert mich Jean Paul eigentlich nicht, allerdings kenne ich von Gotthelf auch nicht sehr viel. JP scheint mir viel ironischer & geistreicher zu sein.


    8. Kapitel


    Wieder stehen die Finanzen im Mittelpunkt. Die Verwirrung rund um die Blumen fand ich ziemlich komisch.


    Blumenstücke


    Die "Rede des toten Christus" zeigt auf wenigen Seiten wie komprimiert JP hochgradig evokative Texte schreiben kann. Die Dichte & Mehrdeutigkeit dieser Szene erinnert einerseits stark an sehr moderne Texte und zeigt andererseits welche eigenständige literarische Stimme JP war (gerade in Hinblick auf die Weimarer).


    9. Kapitel


    Die Ehekrise vertieft sich, ebenso die Eifersucht auf den Pelzstiefel. Psychologisch sehr genaue "Szenen einer Ehe".


    CK

  • Salut,


    Habe mittlerweile den "Siebenkäs" ebenfalls beendet und einen wirklich sehr guten Eindruck. War wie gesagt mein erstes Buch von Jean Paul, aber dem werden mit Sicherheit noch weitere folgen. "Flegeljahre" (steht bereits in meinem Regal) sowie "Titan" sollen vor allem lohnenswert sein, habe ich gelesen.


    xenophanes: Gotthelf wird meines Erachtens oft unterschätzt und als "Bauernschrifsteller" abgetan, zu Unrecht wie ich finde. Habe jüngst zwei Semester lang eine Gotthelf-Vorlesung an der Uni besucht, welche mein Interesse für diesen Schriftsteller durchaus gefördert haben. Viel habe ich aber auch noch nicht gelesen.


    Wollen wir die restlichen - immerhin 14 - Kapitel noch besprechen?
    Vielleicht führen wir noch ein paar Auffälligkeit oder zu diskutierende Fragen an.


    - Die Natur tritt als Heilung und Linderung für Firmian in Erscheinung (9. und auch 12. Kapitel)
    - aufgefallen ist mir, dass Jean Paul immer wieder auf die Frauen und ihre Eigenarten zu sprechen kommt
    - Das Freundschaftsmotiv taucht immer wieder auf


    Zum ersten Fruchtstück: Wen meint Jean Paul mit "Kato der Ältere"?


    Kritik könnte man vielleicht üben, dass ein paar Szenen gar überschwenglich, fast pathetisch wirken. Wirkt in diesen empfindsamen, überschwenglichen Freundschaftsszenen ein wenig der Sturm und Drang nach?


    Imrahil

    &quot;Die Kunst des Nachdenkens besteht in der Kunst..., das Denken genau vor dem tödlichen Augenblick abzubrechen. - Thomas Bernhard, Gehen