Unterschied zwischen Lyrik und Prosa

  • Hallo zusammen,


    sei ich lese verfolgt mich die Frage, was die Lyrik von der Prosa unterscheidet. Dass es einen fundamentalen Unterschied dazwischen geben muss, steht für mich ausser Zweifel, denn Lyrik kann ich fast gar nicht lesen, während mir das Lesen von Prosa ein echter Genuss sein kann.


    Nun, von mir aus gesehen gibt es eigentlich nur einen einzigen Unterschied zwischen Lyrik und Prosa: die Länge. - Und auch die nur in beschränktem Masse, denn Aphorismen zum Beispiel sind auch kurz und gelten als Prosa, sind mir auch irgendwie zugänglich. Früher gab es noch den Reim und die Metrik. Beides stört mich nicht nachhaltig, es gibt schliesslich auch Theaterstücke mit Reimen und mit einem ebenmässigen Versmass, was mir sogar noch gefällt. Aber heutzutage ist, von einem Laien aus gesehen, die Form der Lyrik vollkommen offen. Jeder der schreibt und nach spätestens sechs oder sieben Worten eine neue Zeile beginnt, hat das Recht, sein Werk ein Gedicht zu nennen, so sehe ich das jedenfalls.
    Wenn ich Gedichte lese, bzw. las (es kam eingentlich nur in der Schule vor), so kommt nach dem Ende immer das "Na und?" - Vielleicht liegt es auch am Inhalt, denn Balladen und die längeren, "sachlichen" Gedichte von Brecht, welche wohl auch zur Lyrik zu zählen sind, können mein Interesse schon eher wecken.
    Natürlich ist es lustig für freudige Interpreten: In jedem Komma, in jedem halben Wort, im Satzbau (den man immer zurechtbiegen muss für Gedichte) kann ein tiefer Sinn gefunden werden, alles verwandelt sich in eine Metapher, nahe- und fernliegende! - Und niemand darf sagen: Nein, das kann man so nicht sehen, das steht aber nicht so drin, das wollte der Autor nicht sagen. Gedichte leiden fast das gleiche Schicksal wie das Werk Kafkas (nur dass er zu viel schrieb, als dass man jeden Komma kommentieren könnte!)


    Da ich bemerkt habe, dass es erstens einige gelahrte Forumsmitglieder, die ihr Leben der Literatur widmen und zweitens, was noch wichtiger ist, auch einige Gedichteliebhaber gibt, bin ich zuversichtlich, zu erfahren, was die Lyrik denn eigentlich ausmacht und worin ihr Wert liegt, den ich nicht finden kann.


    Ich bin offen für Belehrung!


    Es grüsst
    alpha


    p.S. Die einzige Lyriksammlung, die seit langem in meinem Kopf herumgeistert ist "Les fleurs du mal" - Der Titel reizt mich, aber gelesen habe ich bis heute noch nichts daraus, besitze noch nicht einmal das Buch. Ist es ein "lohnende" Investition, ein "guter Einstieg in die Lyrik"? - Dumme Frage, ich weiss. Werde mir es sowieso früher oder später kaufen...

    Genug. Will sagen: zuviel und zu wenig. Entschuldigen Sie das Zuviel und nehmen Sie vorlieb mit dem zu wenig! <br /><br />Thomas Mann

  • ein Zitat aus Wikipedia:


    "Wo uns etwas erzählt wird, da handelt es sich um Epik,
    wo verkleidete Menschen auf einem Schauplatz etwas
    agieren, um Dramatik, und wo ein Zustand empfunden
    und von einem 'Ich' ausgesprochen wird, um Lyrik."
    (W. Kayser, 1948)

  • Hallo alpha und Roquairol

    Zitat von "Roquairol"

    [...]und wo ein Zustand empfunden
    und von einem 'Ich' ausgesprochen wird, um Lyrik."
    (W. Kayser, 1948)


    Dann wären Balladen aber keine Gedichte!


    @ Alpha,


    ich denke, dass Gedichte zwar nicht mehr unbedingt an Reimen erkennbar sind, aber sie beugen sich durch mehr oder weniger bewusstes Gestalten des Autors einer bestimmten Metrik (so eine Art Sprechrhythmus), die durchaus unregelmäßig sein kann. Auch Prosatexte können sehr schön melodisch sein, aber dennoch zeigen sie sich beim lauten Sprechen anders als Lyrik.
    Was Vorschläge zur Einführung in Lyrik angeht, halte ich das für schwierig: Wenn du selbst nichts dabei findest, solltest du es auch nicht zwingen. Vielleicht läuft dir ja mal ein Gedicht über den Weg, das dir die Freude an der Gattung gibt.
    Ich lese auch viel mehr Prosa, aber es gibt einige Gedichte, die mich genauso tief treffen wie ein besonderes Musikstück oder die ich genießen kann wie ein Glas guten Weins.


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo,

    Zitat von "finsbury"


    Dann wären Balladen aber keine Gedichte!


    Vielleicht sind's ja auch eigentlich keine ...
    :breitgrins:
    Das Nibelungenlied gilt als Epik und eine Ballade als Lyrik - irgendwie etwas willkürlich, diese Einteilung.


    Es gibt Gedichte von Brecht, in denen von Metrik keine Spur mehr zu finden ist. Früher habe ich mich immer gefragt, mit welchem Recht diese Texte als Gedichte bezeichnet werden. Nimmt man aber die Definition von Kayser, dann wird die Sache klar.


    Gruß,
    R.

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Roquairol"

    Vielleicht sind's ja auch eigentlich keine ...
    :breitgrins:
    Das Nibelungenlied gilt als Epik und eine Ballade als Lyrik - irgendwie etwas willkürlich, diese Einteilung.


    Balladen sind auch keine Lyrik im engern Sinne, sondern sie stehen m.M. auf der Grenze der Einteilung in Lyrik, Epik und Dramatik - s. auch den entsprechenden Artikel im Wikipedia.


    M.M. zeichnet sich Lyrik durch einen bewussten, ins letzte Detail durchgefeilten Sprachduktus aus, sowie dadurch, dass - im Sinne von Kayser - die Empfindung im Vordergrund steht. Lyrik lässt sich von daher auch nicht wirklich interpretieren oder analysieren. Natürlich kann man auf Metaphern aufmerksam machen, aber sie werden kaum im Zentrum des Erfassens von Lyrik stehen.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Zitat von "Roquairol"

    ein Zitat aus Wikipedia:


    "Wo uns etwas erzählt wird, da handelt es sich um Epik,
    wo verkleidete Menschen auf einem Schauplatz etwas
    agieren, um Dramatik, und wo ein Zustand empfunden
    und von einem 'Ich' ausgesprochen wird, um Lyrik."
    (W. Kayser, 1948)


    Hallo Roquairol,
    danke für das Zitat, aber ich kann nicht gar zu viel damit anfangen, ist mir eine sehr gute, aber sehr schwammige Definition, denn "wo ein Zustan empfunden und von eimen "Ich" ausgesprochen wird"- Kann das nicht auch auf Prosa zutreffen oder darf man dann Romane, die von einem Ich-Erfzähler erzählt werden und die von einem empfundenen Zustand handeln auch als Lyrik ansehen, "Stiller" von Max Frisch z. B. ein Stück Lyrik? - Ich weiss nicht so recht.
    (A propos: Gibts den Enderlin hier eigentlich noch?)
    Es grüsst alpha

    Genug. Will sagen: zuviel und zu wenig. Entschuldigen Sie das Zuviel und nehmen Sie vorlieb mit dem zu wenig! <br /><br />Thomas Mann

  • Hallo zusammen!


    Jetzt fangen wir aber an, Begriffe zu vermischen:


    'Epik' ist nicht gleich 'Prosa'; 'Gedicht' ist nicht gleich 'Lyrik'! (Ein Gedicht kann in Prosa sein!) Erinnert mich irgendwie an Le bourgeois gentilhomme ...


    Ich würde vorschlage, mal in der Wikipedia oder sonst wo die entsprechenden Begriffe nachzuschlagen. Andernfalls diskutieren wir hier querbeet und schrägrechts von oben nach unten aneinander vorbei ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Zitat

    Jetzt fangen wir aber an, Begriffe zu vermischen:


    'Epik' ist nicht gleich 'Prosa'; 'Gedicht' ist nicht gleich 'Lyrik'! (Ein Gedicht kann in Prosa sein!) Erinnert mich irgendwie an Le bourgeois gentilhomme ...


    Genau. - Also: Ein Ballade ist zwar ein Gedicht, aber keine Lyrik.
    Manche Texte von Brecht sind Prosa, aber Lyrik.


    Zitat

    oder darf man dann Romane, die von einem Ich-Erfzähler erzählt werden und die von einem empfundenen Zustand handeln auch als Lyrik ansehen


    Wenn es sich um einen Ich-Erzähler handelt, der etwas erzählt, wie du schreibst, dann ist es Epik, auch nach Kayser - Epik ist, wenn was erzählt wird (auch wenn der Erzähler ein "Ich" ist). Aber wenn dieses Ich eben nicht "erzählt", sondern eine Zustandsempfindung ausspricht, ist es Lyrik. Theoretisch könnte sich das auch über 500 Seiten erstrecken. Und dann schreibt der Verlag wahrscheinlich "Roman" drauf, damit es sich besser verkauft ... :klatschen:


    Gruß,
    R.

  • Zitat von "Roquairol"

    [Wenn es sich um einen Ich-Erzähler handelt, der etwas erzählt, wie du schreibst, dann ist es Epik, auch nach Kayser - Epik ist, wenn was erzählt wird (auch wenn der Erzähler ein "Ich" ist). Aber wenn dieses Ich eben nicht "erzählt", sondern eine Zustandsempfindung ausspricht, ist es Lyrik. Theoretisch könnte sich das auch über 500 Seiten erstrecken. Und dann schreibt der Verlag wahrscheinlich "Roman" drauf, damit es sich besser verkauft ... :klatschen:


    Gruß,
    R.


    Hallo Roquairol,


    ich finde deine Definition trotzdem etwas schwierig, weil sie rein inhaltsorientiert ist. Nach dem oben Stehenden wären dann zwei Drittel von Prousts "Suche" oder ein Großteil des Ulysses, z.B. Mollys Gedankenstrom Lyrik. :rollen:


    HG
    finsbury


    PS. Nach Otto F. Bests Definiton im "Handbuch der literarischen Fachbegriffe" heißt es:
    Dichtungsgattung, innerhalb derer die lyrische, d.h. seelenhaft 'erinnerte'
    Aussage den ihr angemessenen Ausdruck findet und als deren Hauptmerkmale Rhythmus, Metrum, Vers, Reim, Bild gelten.[...]
    Hier findet man inhaltliche und sprachliche Elemente in der Definition.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)


  • Jawohl, so ist es; jetzt mal auszugsweise sehen, was Wikipedia meint:


    Zitat von "de.wikipedia.org"

    Der Begriff [Lyrik] ist relativ unbestimmt und wird oft synonym zu Poesie (griechisch ποίηση - die Dichtung) verwendet. [...] Lyrische Texte werden auch als Gedichte bezeichnet. Sie unterscheiden sich von der Prosa durch ihre gebundene Form (Vers, Metrik, Strophenbau). Die Versform allein kann aber nicht ausschlaggebendes Kriterium sein, da die Versform auch in epischen und dramatischen Texten vorkommt. Die gebundene Form verliert im Laufe der Gattungsgeschichte, vor allem im 20. Jahrhundert, ihre Bedeutung, so dass sich Lyrik heute nur noch selten über die metrische Form definiert.


    Damit dass Prosa und Epik nicht Synonyme sind, sind wir wohl alle einverstanden.


    Wenn sogar in Wikipedia steht, dass der Begriff Lyrik unbestimmt verwendet wird, so bringt eine Diskussion über den Begriff selbst vielleicht nicht gar zu viel... Mir ging es nicht so sehr um die Definition, als um die Frage, was der fundamentale Unterschied ist - und dieser scheint "im Aussprechen einer Zustandsempfindung" zu liegen. Wenn ich das richtig verstanden habe, so bedeutet das, dass die Lyrik selbst unmittelbarer Ausdruck dieser Empfindungen ist, dürfte man sagen unreflektierter spontaner Ausdruck? - Demnach wäre wieder die Form aus der Definition geflogen. Ist das nun ein Fehler oder nicht? -

    Zitat von "Roquairol"

    Aber wenn dieses Ich eben nicht "erzählt", sondern eine Zustandsempfindung ausspricht, ist es Lyrik. Theoretisch könnte sich das auch über 500 Seiten erstrecken.

    Könnt ihr euch das wirklich vorstellen? - Ich mir nicht! - Was soll das für eine Zustandsempfindung sein, die man über 500 Seiten aussprechen kann? - Es sei denn, das "Ich" findet die richtigen Worte nicht. :breitgrins:
    Oder mir fehlt es an Vorstellungsvermögen.


    Es grüsst
    alpha

    Genug. Will sagen: zuviel und zu wenig. Entschuldigen Sie das Zuviel und nehmen Sie vorlieb mit dem zu wenig! <br /><br />Thomas Mann

  • Zitat von "alpha"

    Mir ging es nicht so sehr um die Definition, als um die Frage, was der fundamentale Unterschied ist - und dieser scheint "im Aussprechen einer Zustandsempfindung" zu liegen. Wenn ich das richtig verstanden habe, so bedeutet das, dass die Lyrik selbst unmittelbarer Ausdruck dieser Empfindungen ist, dürfte man sagen unreflektierter spontaner Ausdruck? - Demnach wäre wieder die Form aus der Definition geflogen. Ist das nun ein Fehler oder nicht? -


    Hallo alpha


    Ich empfehle "Ein Plädoyer in Sachen Lyrik" von Marcel Reich-Ranicki (zu finden in "Lauter Lobreden"). Ich las das Buch vor kurzem und paßt hier ganz gut rein.


    MRR beginnt in seinem Plädoyer kontrovers mit der Frage: Die Lyrik - brauchen wir sie wirklich? ..... Denn die Lyrik ist eine höchst fragwürdige literarische Gattung - und es gibt Anlaß genug, vor ihr zu warnen. In der Prosa wird mit offenen Karten gespielt, in der Lyrik hingegen oft mit gezinkten. Bei ihr fanden immer schon jene Unterschlupf, die nichts zu sagen haben, doch unbedingt gehört werden möchten, die singen wollen, weil sie nicht denken können, die dichten müssen, weil ihnen das Schreiben unüberwindliche Schwierigkeiten bereitet.


    bevor jetzt ein Aufschrei ertönt, er beginnt kontrovers, aber er schreibt ein Plädoyer für die Lyrik, das Kapitel endet mit ... Wenn Heine recht hat, dann ist es jedenfalls der Menschheit seltsamste, vielleicht sogar schönste Krankheit. Und wohl nie waren wir der Schönheit mehr bedürftig als heute. Aber ist sie nur schön und nicht auch nützlich? O doch, oft ist die Poesie auch nützlich - nützlich weil schön.


    die Kernaussage ist wohl dieses:

    Der Lyriker verbirgt sich nicht im Gedicht, er muß sich in ihm stellen. Das Gedicht ist die riskanteste, die schamloseste aller literarischen Formen....


    Lyriker sind professionelle Exhibitionisten - nur daß sie nicht etwa ihre Blöße poetisieren, sondern sich in der Poesie bloßstellen. Daher können wir uns in der Regel eher mit einem schwachen Theaterstück oder mit einem mittelmäßigen Roman abfinden als mit einem dürftigen Gedicht.... Wer sich aber entblößt, der provoziert seine Umwelt: Dramen, darf man wohl sagen, sind Angebote und Romane Einladungen - das Gedicht jedoch ist eine Herausforderung.


    da ich mich in der Materie nicht sehr gut auskenne, habe ich auf die Zitate zurückgegriffen.


    Gruß Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Zitat von "alpha"

    Könnt ihr euch das wirklich vorstellen? - Ich mir nicht! - Was soll das für eine Zustandsempfindung sein, die man über 500 Seiten aussprechen kann? - Es sei denn, das "Ich" findet die richtigen Worte nicht. :breitgrins:
    Oder mir fehlt es an Vorstellungsvermögen.


    Es grüsst
    alpha


    Hallo Alpha,


    wenn du dir das nicht vorstellen kannst, dann lies mal aus Prousts "Suche...." den Band "Die Entflohene". Da beklagt sich der Ich-Erzähler mehrere hundert Seiten lang über das Gefühl des Verlassenseins, der verratenen Liebe usw.
    Ich habe mich da etwas hindurchgequält, weil diese Thematik mich nicht sonderlich anspricht, aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass Menschen, bei denen Lebensfragen im Mittelpunkt stehen, die mit Prousts Thema korrespondieren, höchsten Gewinn aus diesen Seiten ziehen und kein Wort davon überflüssig finden.
    @ Roquairol: Aber als Lyrik würde ich es trotzdem nicht bezeichnen :zwinker: .



    HG
    finsbury
    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Zitat von "finsbury"


    wenn du dir das nicht vorstellen kannst, dann lies mal aus Prousts "Suche...." den Band "Die Entflohene". Da beklagt sich der Ich-Erzähler mehrere hundert Seiten lang über das Gefühl des Verlassenseins, der verratenen Liebe usw.
    Ich habe mich da etwas hindurchgequält, weil diese Thematik mich nicht sonderlich anspricht, aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass Menschen, bei denen Lebensfragen im Mittelpunkt stehen, die mit Prousts Thema korrespondieren, höchsten Gewinn aus diesen Seiten ziehen und kein Wort davon überflüssig finden.


    Hallo finsbury,
    danke, für den Hinweis auf Proust, habe ihn vor einem Jahr gelesen. Ein gutes Werk, wunderschön, aber Albertine disparue (müsste "Die Entflohene" sein oder?) ein Gedicht? - Nun ja, die Sprache ist schön wie ein Gedicht, aber daran darf man die Lyrik ja auch wieder nicht aufhängen! - Nebenbei: Ich fand, Marcel würde eigentlich ziemlich viel erzählen, schon nur, weil der Zeitpunkt, zu dem er es erzählt Jahre später ist. Oder sollten mich meine Französischkenntnisse im Stich gelassen haben? - Ist es nicht eine Erzählung? - Interessant? - Weniger, fand ich auch.


    Es grüsst
    alpha

    Genug. Will sagen: zuviel und zu wenig. Entschuldigen Sie das Zuviel und nehmen Sie vorlieb mit dem zu wenig! <br /><br />Thomas Mann

  • Hallo zusammen!
    ¨

    Zitat von "alpha"

    Ist das nicht eine Erzählung?


    Doch, doch - ist schon :zwinker: . Es ist halt einfach so, dass das 20. Jahrhundert die klassischen Grenzen zwischen Epik - Dramatik- Lyrik durchlöchert, verwässert, verschmolzen hat. (So, wie ein paar Jahre früher die Romantik ...)


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo alpha,


    ja, das finde ich eine spannende Frage: Wieso lesen die einen gerne und oft Gedichte (wie z.B. ich ;-)), während andere keine oder kaum Gedichte lesen, obwohl sie sonst sehr viel lesen.


    Der entscheidende Unterschied zwischen Lyrik (Gedichten) und Prosa ist die Versform. Die Kürze eines typischen Gedichtes im Vergleich zur Prosa ist natürlich ebenfalls auffallend, darauf hast Du schon hingewiesen. Vereinfacht kann man also sagen, daß ein Gedicht ein kurzer Verstext ist. Diese Definition könnte man noch verfeinern, um das Gedicht beispielsweise vom Versdrama oder der Verserzählung abzugrenzen, aber ich glaube nicht, daß das hier weiter führt, denn in der Praxis ist es kein besonderes Problem, einen Text als Gedicht zu identifizieren, unabhängig davon, ob man nun gerne Gedichte liest oder nicht. Hier kann man sich übrigens eine gut lesbare Einführung in die Gedichtanalyse herunterladen (in HTML oder PDF), in der insbesondere auch auf die Definitionsfrage eingegangen wird:
    http://www.uni-duisburg.de/FB3…/Gedichtanalyse/home.html


    Aber vor aller Gedichttheorie steht die Freude und die Begeisterung beim Gedichtelesen, wenn die nicht vorhanden sind, braucht man sich auch nicht für die Gedichtanalyse zu interessieren (außer es zwingt einen jemand dazu, z.B. in der Schule ;-)).


    Vielleicht entsteht ja die Liebe zum Gedicht schon in der Kindheit oder Jugend - die Freude am Klang der Wörter, an der Wiederholung, manche Gedichte liest man immer wieder, auch wenn man sie schon zigmal gelesen hat, auch der Reim ist ja eine Wiederholung, ebenso der Zeilenumbruch. Kennst Du das Grimmsche Märchen "Das Hausgesinde"? Von dem konnte ich als Kind nicht genug kriegen, obwohl ich gar nicht verstanden habe, um was es da genau geht; aber vom geradezu magisch wirkenden Klang der Worte war ich hingerissen. Das ist natürlich Prosa, aber wem dieses Märchen gefällt, der hat wohl auch einen Sinn für Lyrik. ;-)


    Lyrik ist eben auch Sprachspiel, es gibt bei Reclam eine schöne Anthologie (Poetische Sprachspiele - Vom Mittelalter bis zur Gegenwart), in der dieser Aspekt im Vordergrund steht. Aber es gibt natürlich noch etliche andere Arten von Gedichten, am besten nimmt man sich da eine umfangreiche Gedichtanthologie (z.B. das von Karl Otto Conrady herausgegebene Große Gedichtbuch) und blättert da einfach immer wieder darin herum. Da wird man dann schon an dem einen oder anderen Gedicht hängenbleiben; die vielen Gedichte, die man doof findet, überblättert man eben. Dazu braucht man auch nicht soviel Zeit wie zu einem dicken Roman, denn:


    "Die meisten Gedichte sind ziemlich kurz. Sich ordentlich die Nase zu putzen dauert länger, als ein Haiku zu lesen." (Charles Simic).


    Eine meiner Lieblingsanthologien im Netz ist diese von Michael Gratz zusammengestellte Sammlung, die man auf verschiedenen Lesepfaden erkunden kann: http://www.uni-greifswald.de/~…iss/Gratz/anthologie.html


    Wer da kein Gedicht findet, das ihm gefällt, der hat wohl wirklich ein echtes Lyrikproblem. ;-)


    Schöne Grüße,
    Wolf

  • Hallo,

    Zitat von "Wolf"


    ja, das finde ich eine spannende Frage: Wieso lesen die einen gerne und oft Gedichte (wie z.B. ich ;-)), während andere keine oder kaum Gedichte lesen, obwohl sie sonst sehr viel lesen.


    ergänzend würde mich interessieren: Wie steht jemand, der mit Lyrik nichts anfangen kann, eigentlich zur Musik?
    :bang:


    Viele Grüße,
    R.

  • Hallo Roquairol,


    irgendwie fühle ich mich von deiner Frage angesprochen, bisher fanden sich ja nicht allzuviele andere, denen es ähnlich geht mit Lyrik, wie mir.
    Nun, Musik ist ein sehr, sehr breites Feld! - Da gibt es bekanntlich von klassischer Musik über Jazz bis Techno und Rap sehr, sehr grosse Unterschiede. Die Frage kann ich also nicht wirklich pauschal beantworten.
    Im allgemeinen jedoch kann ich dennoch einen Trend ausmachen: Musik, die keinen Text hat, der mich als solchen interessiert, höre ich nie um ihretwillen, ausgenommen soloche, die ganz besondere Effekte beinhalten, die ich also technisch interessant finde. Aber so ein Konzert höre ich nie freiwillig. Als Hintergrund-Kulissengeräusch wiederum ist mir solche Musik sehr lieb; Opern mag ich gar nicht, diese Stimmen irritieren mein Gehör zu sehr: Entweder ich will einen Text hören, den man verstehen kann, oder dann keinen, nicht so bis zur halben Unkenntlichkeit verzerrte Klänge. Klaviermusik finde ich, im Gegensatz zu Synphonien oder anderen orchestrierten Werken, grundsätzlich langweilig und mit Jazz kann ich meist auch nicht viel anfangen; um es gleich gesagt zu haben, weder Volksmusik, noch Country noch Rap mag ich.
    Ich hoffe, deine Neugier gestillt zu haben, wenn du Schlüsse daraus ziehen kannst, teile sie mir bitte mit!


    Es grüsst
    alpha

    Genug. Will sagen: zuviel und zu wenig. Entschuldigen Sie das Zuviel und nehmen Sie vorlieb mit dem zu wenig! <br /><br />Thomas Mann

  • Hallo,

    Zitat von "alpha"


    wenn du Schlüsse daraus ziehen kannst, teile sie mir bitte mit!


    bevor ich Schlüsse ziehe, hätte ich lieber noch mehr Material von anderen ...
    :rollen:


    Interessant finde ich, daß du dich für Liedtexte interessierst, obwohl du andererseits schreibst, daß du mit Lyrik nichts anfangen kannst - aber Liedtexte sind ja auch Lyrik, und manchmal auch durchaus qualitätvoll, z.B. bei Grönemeyer; ich weiß nicht, ob du dich auch für englische Texte interessierst, sonst würde ich an erster Stelle Bob Dylan nennen.
    Nicht ganz klar wird mir leider, was du mit den "technischen Effekten" meinst. Besteht da ein Zusammenhang zu den orchestralen Werken, die du nicht grundsätzlich langweilig findest?


    Bei mir verhält es sich so: Ich mag Lyrik, und andererseits ist mir Musik äußerst wichtig, sowohl klassische Musik (vor allem Brahms und Beethoven) als auch Rockmusik und verschiedene Formen der "Weltmusik". Bei letzterem lege ich vor allem Wert auf instrumentale Virtuosität.


    Viele Grüße,
    R.