Mai 2003: Honoré de Balzac - Ursule Mirouet

  • Hallo Maria, wir erleben einen historischen Augenblick. An Balzacs 205. Geburtstag beginnen wir mit der Lektüre von Ursule Mirouet. Ich werde mir das Buch auch nochmal vornehmen. Vielleicht können wir auch außerhalb der Leserunden ein paar Gedanken austauschen. Zum Inhalt:


    Ursule Mirouet


    Der Roman entführt den Leser in die bunte Welt des Provinzalltags von Nemours. Geschildert wird die Jugend der Titelheldin, ihre keusche Liebe zu den adligen Savinien und die Gefahren, die beider Glück durch die in widerlicher Habgier Intrigen spinnende Familie Minouret drohen.


    Klingt schon mal gut. Also ran ans Werk, Maria! :smile:


    Nun muss ich erstmal das Buch suchen und entstauben, Tschüß Frank.
    :zwinker:

  • Hallo zusammen!
    Hallo JMaria und Frank W.


    Zitat von "JMaria"

    Ich hätte gerne mit Band 1 (Eugenie Grandet) begonnen, habe aber festgestellt, dass dieser mir fehlt.


    Kennt jemand bereits "Ursule Mirouet"?


    Zur Frage: nein.


    Zum ersten Satz (ohne dem Spezialisten ins Handwerk pfuschen zu wollen): Ähnlich wie bei Zola ist auch Balzacs Comédie humaine keine Serie, die bei Band 1 begonnen werden müsste, damit man alles versteht. Es ist, soweit ich sehe, eher eine Reihe von - mehr oder weniger gelungenen - Romanen, die im selben Erzähluniversum spielen; so, dass einige Figuren öfters auftauchen.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • „Ähnlich wie bei Zola ist auch Balzacs Comédie humaine keine Serie, die bei Band 1 begonnen werden müsste“


    Hallo, grundsätzlich richtig. Es gibt ein paar Romane, die man der Reihenfolge nach lesen sollte, weil sich die Personen in der „Menschlichen Komödie“ auch weiterentwickeln. Wer „Glanz und Elend der Kurtisanen“ lesen möchte, sollte vorher die „Verlorenen Illusionen“ lesen, um die Herkunft und den Werdegang des Lucien de Rubempre besser zu verstehen. Auch Vater Goriot sollte man ziemlich früh lesen, um die Ursprünge von Eugene Rastignac und dem Kriminellen Vautrin kennen zulernen. Andere Personen treten zwar auch immer wieder auf, z.B. wenn ein Arzt „gebraucht wird“, kommt Bianchon auf die „Bildfläche“ oder ein Bankier, dann der Baron von Nuncingen. Eugenie Grandet und viele andere sind unabhängig voneinander.


    „mehr oder weniger gelungenen – Romanen“


    Manchmal denke ich, ein drittklassiges Buch, fast unbekannt und gerade da steckt soviel Weisheit drin. Für einen Romanleser, weder spannend noch fliesend und vieles schwer zu verstehen. Für einen, der etwas über die Sitten jener Zeit erfahren möchte, eine wahre Goldgrube. Man sollte es von verschiedenen Seiten betrachten.


    „ohne dem Spezialisten ins Handwerk pfuschen zu wollen“


    Kein Spezialist, sondern Liebhaber der Menschlichen Komödie. Nicht Vertreter Balzacs auf Erden, sondern Fan. Freundschaft, Frank. :smile:

  • Balzac - Geburtstag


    Hallo Freunde, ich danke noch mal für euren gestrigen Besuch auf meiner homepage. Ich hoffe, dass neue Design auf der „Geburtstags-Präsentations-Seite“ war ansprechend. Die Hintergrund-Musik wirkte vielleicht etwas kitschig, ansonsten fand ich es gut, dass der Balzac-Geburtstag diesmal auch als Feiertag gewürdigt wurde. Das wollte ich schon immer mal vorschlagen. :zwinker: Mit der Lektüre von „Ursule Mirouet“ habe ich begonnen (zumindest mit der Widmung an seine Nichte), aber nun geht es voran, Maria. :smile:


    http://home.arcor.de/frank.weidemann/index.html


    (zur Erklärung: es ist keine kommerzielle Seite, keinen Cent Einnahme - nur Ausgaben, also auch keine Schleichwerbung, sondern nur erstellt für Interessenten und Leute die Spaß an schöngeistiger (?) Literatur haben).
    Alles Gute, Frank.

  • Hallo Frank



    Hallo Freunde, ich danke noch mal für euren gestrigen Besuch auf meiner homepage. Ich hoffe, dass neue Design auf der „Geburtstags-Präsentations-Seite“ war ansprechend. Die Hintergrund-Musik wirkte vielleicht etwas kitschig, ansonsten fand ich es gut, dass der Balzac-Geburtstag diesmal auch als Feiertag gewürdigt wurde. Das wollte ich schon immer mal vorschlagen. :zwinker:


    ich finde es sehr schön auf deiner Webseite. Weiter so. Man merkt, dass sie dir am Herzen liegt.



    Mit der Lektüre von „Ursule Mirouet“ habe ich begonnen (zumindest mit der Widmung an seine Nichte), aber nun geht es voran, Maria. :smile:


    *bg* - ich bin auf Seite 47, also auch noch nicht sehr weit.


    auf deiner Webseite hast du ein Balzac-Zitat wie folgt:

    Das Leben ist ein Bekleidungsstück;
    wenn es schmutzig ist, bürstet man es aus!
    Wenn es ein Loch hat, stopft man es;
    aber man bleibt so lange damit bekleidet,
    wie man kann!


    (aus "Tante Bette")


    paß mal im Ursule Mirouet auf, wie die Bekleidung des Pfarrers bzw. seine 'Unart' des Kleidens beschrieben wird *G*


    Es fiel mir außerdem auf, dass die Verwandten des Arztes, die es nur auf das Geld abgesehen haben, ziemlich schlecht im Aussehen wegkommen. Die Freunde des Arztes sind viel angenehmer und positiver beschrieben.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • als Hinweis noch:


    bei Jokers gibt es die Rororo-Monografie über Balzac für 2,50 €


    http://www.jokers.de/tabelle_a…art=&purl=tabelle_ar3.asp


    meine Jokersbestellung ging heute bereits raus, denn es gibt u.a. auch ein Gesamtwerk von Heinrich Heine für 10,- € die sehr schön aussieht.


    http://www.jokers.de/tabelle_a…rtnr=188828&rub=1&Urub=15


    nur nebenbei erwähnt :winken:


    Gruß Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • Hihi - hat sich so ergeben :breitgrins:


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo Maria, bin auch ein Stück vorangekommen (Seite 20). Ich lese eine Neuauflage von 1982 der Übertragung von Johannes Schlaf, erschienen im Insel Verlag Leipzig 1924. Nur wegen der Verständnisschwierigkeiten bei verschiedenen Übersetzungen. Der französischen Sprache bin ich leider nicht mächtig. :redface:
    Also noch mal auf die Widmung bezogen: Er widmet den Roman seiner Nichte Sophie Surville, der Tochter seiner Schwester Laure. „Ihr Mädchen seid ein fürchterliches Publikum, denn man kann euch nur Bücher lesen lassen, die rein sind, so rein wie eure Seelen, und gewisse Lektüren muss man euch verbieten, so wie man euch daran hindert, die Gesellschaft zu sehen, wie sie ist.“ Diese Widmung sagt bestimmt schon einiges über den Inhalt? Ich denke, bei Ursule wird es sich um ein tugendhaftes Mädchen handeln und ihrer Auseinandersetzung mit der „rauen“ Gesellschaft. :rollen:
    Der Roman wurde 1841 geschrieben, spielt im Jahr 1830.


    1. Die aufgeregten Erben


    Minoret-Levrault, Posthalter, großer dicker Mann (60)


    Es folgt eine sehr detaillierte Beschreibung dieses „Atlasses ohne Weltkugel“ oder „Elefant ohne Rüssel“ über Aussehen, Charakter und Herkunft – eine typische Typ-Beschreibung Balzacs. Nun erscheint auch eine Frau Minoret-Levrault, „ ohne die ein so stattliches Vermögen unmöglich gewesen wäre“ und ein Sohn, dessen Laufbahn man ebnen möchte: „Notar in Paris oder Staatsanwalt“.
    Der alte Minouret darf sich Meister von Nemours nennen, warum? Balzac zeigt uns etwas ironisch, was in der Gesellschaft zählt: Körperstatur, Reichtum, Haupt eines großen Anwesens. Alles materielle Dinge. „Er war ein praktischer Materialist, ein praktischer Landwirt, ein praktischer Egoist und ein praktischer Geizhals…


    Désiré, der Sohn wird vergöttert. So nutzt der Sohn, diese übertriebene Liebe, melkt die Kasse der Mutter und schöpft aus des Vaters Beutel. So verprasst der „Bengel“ das Geld der Eltern.
    Sehr interessant an dieser Stelle eine kleine Studie über die Namen der Postwagen und Pferde sowie über die Sprache der Kutscher und Kondukteure: „Soviel Berufe in Frankreich, soviel verschiedenes Rotwelsch.“. :breitgrins:


    Etwas später tritt Ursule auf den Plan, was den Postkutscher sehr zornig macht. Ursule (15), Enkelin? des Doktors Minoret (83). Doktor Minoret der nie kirchlich war, geht auf einmal in die Kirche. Das versetzt alle (Erbschleicher) in Rage.


    Nun versuche ich mich gerade durch die Bürgerschaft von Nemours „duchzuschlagen“, den Minorets, den Massins, den Levraults und den Cremieres. Die nun alle miteinander verwandt sind: die Massin- Crémières, die Levrault-Massins, die Massin-Minorets, die Minoret-Minorets, die Crémière-Levraults, die Levrault-Minoret-Massins, die Massin-Massins, die Crémière-Massins das noch gescheckt mit >>der Jüngere<<, >>der Ältere<< mit Crémière-Francois mit Levrault-Jaques…. Ein Puzzlespiel, das wohl noch etwas Zeit bedarf, bis ich dahinter gestiegen bin. :entsetzt:


    Erkannte Personen: :zwinker:
    Massin-Levrault, der Jüngere – Aktuar des Friedensrichter, abstoßender Mensch
    Madame Massin, Cousine von Minoret-Levrault
    Abbé Chaperon, Pfarrer von Nemours
    Goupil (27), Schreiber des Notars –hässlicher Mensch mit hässlichem Charakter
    Madame Crémière, Frau des Steuereinnehmers von Nemours – Finanzfrau letzten Ranges
    Monsieur Cémierè –Dionis – Notar von Nemours


    Also bitte noch etwas Geduld. Vorerst Alles Gute, Frank. :winken:

  • Balzac befasst sich mit Abstammung und Verbreitung von Familie. Er bringt den Beweis mit der Schachspieltheorie, die wir ja auch schon in Mathematik „ungläubig“ wahrgenommen haben. Er streift Religion, Wissenschaft und Medizin.


    Wenn ich mal abschweifen darf: Interessant ist, dass Balzac nach Aussage des Professor Devic (eines Psychiater aus Lyon) „achtzig Jahre vor Bleuler die Zeichen einer neuen Krankheit festgestellt hat: der Dementia praecox (Quelle: Doktor Lotte, zitiert von G. Sigaux: „Balzac, Vater seines Jahrhunderts“.).


    Du merkst, man kann den Roman, durch die vielen Abschweifungen und Querverweise nicht so fließend lesen, aber das gehört dazu. Dafür bekommen wir eine detaillierte Aufarbeitung der Zeit und der Menschen jener Zeit. Wie kommst du mit den Namen zurecht? Das ist auch schon eine Wissenschaft. Wie viel Seiten dürfen wir hier eigentlich beschreiben? Ich werde mich jetzt kürzer fassen. Bis morgen, Frank.
    :winken:

  • Hallo Frank


    Meine Ausgabe ist ein Insel-Taschenbuch von 1996, neu durchsehen von Eberhard Wesemann. Ich bin leider der französischen Sprache nicht kundig :sauer:


    „Ihr Mädchen seid ein fürchterliches Publikum, denn man kann euch nur Bücher lesen lassen, die rein sind, so rein wie eure Seelen, und gewisse Lektüren muss man euch verbieten, so wie man euch daran hindert, die Gesellschaft zu sehen, wie sie ist.“ Diese Widmung sagt bestimmt schon einiges über den Inhalt? Ich denke, bei Ursule wird es sich um ein tugendhaftes Mädchen handeln und ihrer Auseinandersetzung mit der „rauen“ Gesellschaft.


    das werden wir im Augen behalten :-)


    die Namen verwirren mich schon ein bißchen, aber ich lasse mich deswegen nicht entmutigen.


    Die Abstammung dieses Dorfes und die Namenskombinationen lehnen sich auch an die Genesis.


    Balzac: Ursule Mirouet (Die aufgeregten Erben) (Insel-TB S. 25)
    Seit langem schon hatten die Minorets die Lohgerbereien, die Cremieres die Mühlen, widmeten sich die Massins dem Handel, blieben die Levraults Landwirte. Zum Glück für das Land teilten sich diese drei Stämme, anstatt sich selbst weiter fortzuentwickeln, oder stießen durch Auswanderung der Kinder Steckreiser ab, die ihr Glück außerhalb versuchten: ....


    3 Stämme wie nach der Sintflut: Sem, Ham und Japhet.


    Balzac: Ursule Mirouet (Die aufgeregten Erben) (Insel-TB S. 26)
    Wie die erhabene Genealogie der Bibel berichtet, können in tausend Jahren drei Familien, Sem, Ham und Japhet, mit ihrer Nachkommenschaft den Erdball bedecken. Eine Familie kann eine Nation werden und unglücklicherweise eine Nation eine einzige schlichte Familie.


    dazu der Vergleich in der Genesis 4, 20-22 (noch vor der Sintflut, aber interessant weil Berufsgruppen genannt werden).

    und Ada gebar Jabal; von dem sind hergekommen, die in Zelten wohnen und Vieh halten. Und sein Bruder hieß Jubal; von dem sind hergekommen alle Zither- und Flötenspieler. Zilla aber gebar auch, nämlich den Tubal-Kain; von dem sind hergekommen alle Erz- und Eisenschmiede.


    bemerkt? ein Doppelname: Tubal-Kain


    Genesis 9: 18-19 (nach der Sintflut)

    Die Söhne Noahs, die aus der Arche gingen, sind diese: Sem, Ham und Japheth. Ham aber ist der Vater Kanaans. Das sind die drei Söhne Noahs; von ihnen kommen her alle Menschen auf Erden.


    bei Balzac herrscht vorrangig das Bürgertum, der Adel ist verarmt.
    Die Minorets, Massin, Levrault und Cremiere sind sehr stolz auf ihren weitgreifenden Stammbaum.


    Danke für deine schöne Zusammenfassung der gierigen Erben und ihr Aussehen. Dagegen wirken der Arzt und seine Freunde viel angenehmer:


    der Arzt, Minoret
    Der Doktor heiratete aus Liebe, er war wohltätig und intelligent.


    der Pfarrer, Abbé Chaperon
    damals 60 Jahre alt, katholisch, gänzlich weißes Haar.
    Nie kaufte er sich Wäsche und Kleider und trug seine Kleidung so lange, bis er sie nicht mehr anlegen konnte. ...
    Er war mittleren Wuchses, weder dick noch mager. Sein sehr furchiges, sehr ausgehöhltes, farbloses Gesicht fesselte den Blick sofort durch die tiefe Ruhe seiner Linien und die Reinheit seiner Umrisse, die wie mit einem Lichtsaum umgeben schien....
    Insel-TB S. 38 und S. 40


    der alte Kapitän; Monsieur de Jordy
    ein kleiner, trockener, magerer, aber trotz seines sehr bleichen Gesichtes von seinem Blut geplagter Mann, fiel sofort durch seine schöne Stirn à la Karl XII auf, über der er seine kurzgeschorenen Haare nach Art eines solchen Königssoldaten hielt. Insel-TB s. 41


    der Friedensrichter, Monsieur Bongrand
    er lebt bescheiden... Er glich so ziemlich einem alten, pensionierten Divisionskommandeur: er hatte jenes weniger bleiche als ausgebleichte Gesicht, auf dem die Geschäfte, getäuschte Hoffnungen, Überdruß ihre Spuren zurückgelassen, dem Nachdenken und wohl auch die beständige Verkniffenheit, wie sie Leuten eignet, dieverpflichtet sind, nicht alles zu sagen, Furchen eingegraben haben; doch zeigte es sich zugleich von jenem Lächeln erhellt, das Menschen an sich haben, die wechselweise alles und nichts glauben, die gewohnt sind, ohne sich davon überraschen zu lassen, alles zu sehen und alles zu verstehen und in die Abgründe einzudringen, die der Eigennutz in den Tiefen des Herzens auftut.
    Insel-TB S. 44


    Es steht als 4:4 (der Stammbaum des Dorfes : Arzt und seine Freunde)


    Ich konnte noch nicht weiterlesen, bin also immer noch auf S. 47. Ich glaube nun lernen wir Ursule kennen.


    Wie viel Seiten dürfen wir hier eigentlich beschreiben? Ich werde mich jetzt kürzer fassen.


    soviel wie wir wollen :breitgrins:


    Bis dann
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Die Abstammung dieses Dorfes und die Namenskombinationen lehnen sich auch an die Genesis.


    Leider bin ich nicht Genesis kundig, aber gut erkannt und kombiniert. Wenn du so weitermachst, werde ich dich als „Hintergrundanalytiker“ einstellen. :breitgrins:


    Es ist schon makaber, wenn ein alter Mann kurz vor seinem Tode von Erben belagert wird, die arglistig seinen Besitz abschätzen. :rollen:


    Ursule ist ein Waisenkind, woher stammt sie? – Noch nicht erkannt, wahrscheinlich Enkelin.


    Die Freunde des Doktors, wie ist die Zusammenstellung?


    Es sind 4 Tugenden – der Arzt steht für Hilfe, Heilung, Unterstützung, der Pfarrer steht für Nächstenliebe und Mildtätigkeit, der Kapitän für Welt und Weitblick und der Friedensrichter für Gerechtigkeit.


    Alle sind „Einzelgänger“ und hatten ein Schicksal, dass sie geformt hat. Der Doktor verlor seine Frau, der Pfarrer stritt sich mit seiner Magd über die Ausgaben, gab alles den Armen (z.B. die Silberschnallen der Schuhe), deshalb auch die Vernachlässigung der Kleidung; der Kapitän, verbirgt das schmerzliche Geheimnis seiner Vergangenheit („Also auch sie haben Kinder verloren?“); der Friedensrichter, mit 45 Witwer geworden….


    Alle 4 sind weise Gesellen, die sich um das Wohl von Ursule sorgen. Es sind die einzigen, die in Nemours Bildung in hinreichendem Maße besaßen.


    Alle 4 betrachteten sich als Adoptiveltern von Ursule: Der Pfarrer dachte an die Seele, der Friedensrichter machte sich zu ihrem Vormund, der Militär (Kapitän) versprach sich, ihr Lehrer zu werden und Minoret war Vater und Mutter ihr Doktor.


    Alles erscheint als eine heile Welt, „Friede Freude, …“ aber der Leser merkt schon, dass sich ein Gewitter zusammenbraut (die Erben, gegen die man machtlos ist). :redface:


    Deine Seitenangaben sind nicht mit meinen identisch, aber es ist eine gute Orientierung. Ich muss nur ein paar abziehen. So, nun habe ich etwas aufgeholt, bin eben noch kein schneller Leser. Erstmal Tschüß, Frank. :smile:

  • Hallo Maria, nun wird in „Ursule Mirouet“ und auch in anderen Büchern Balzacs immer „Whist“ oder „Tricktrack“ erwähnt. Whist war ein bedeutendes Kartenspiel des 19. Jahrhunderts. Na ja das waren damals die Familienabende, da hatte das Spiel noch eine Bedeutung. Die Spielregeln findet man übrigens auch im Internet.


    Nun weiter mit der Erbschaft. – Ursule ist den Erben ein Dorn im Auge, ein „Damoklesschwert“.


    Betrachten wir die geldgierigen Verwandten, so zeigt uns doch Balzac sehr deutlich, dass „Geld den Charakter verdirbt“. Jeder spekuliert und träumt vom Reichtum und das Schicksal von Ursule interessiert dabei herzlich wenig. Ist es nicht ein skrupelloses Resultat der Gesellschaft, wo nur materielle Dinge zählen und uns jeden Tag von den Reichen berichtet wird, gestern wie heute?



    Eine schöne Beschreibung des Kopfes von Doktor Minoret –


    „Diese Köpfe bieten – wie gut gelungene Prägungen, denn sie fordern geradezu heraus, auf Medaillen geprägt zu werden – ein beinahe puritanisch ernstes Profil dar, einen kalten Ton, einen mathematischen Verstand, in dem gleichsam zusammengedrängten Gesicht eine gewisse Eingeschränktheit, kluge Augen, einen ernsten Mund, eine gewisse Aristokratie… „oben zurückweichende Sirn, was den Hang zum Materialismus verrät. Man findet diese Kopfform….die sich Deisten nannten und Atheisten waren.“
    Eine etwas haltlose Theorie, von der Kopfform auf die Weltanschauung zu schließen, was meinst du? :entsetzt:


    Schönen Abend, Frank.

  • Hallo Maria,
    hallo Frank,


    da habt ihr ja still und heimlich eine schöne Leserunde gestartet. :zwinker: Soll ich den Thread in das "Gemeinsame Lesen" verschieben? Vielleicht schließt sich ja noch jemand an? Ode wollt ihr lieber hier weiterposten?


    Gruß von Hubert

  • Zitat von "Hubert"

    Hallo Maria,
    hallo Frank,


    da habt ihr ja still und heimlich eine schöne Leserunde gestartet. :zwinker: Soll ich den Thread in das "Gemeinsame Lesen" verschieben? Vielleicht schließt sich ja noch jemand an? Oder wollt ihr lieber hier weiterposten?


    Gruß von Hubert


    Hallo Hubert, hallo Sandhofer
    danke dass ihr daran gedacht habt. Wir sind ganz unschuldig in die Leserunde geschlittert. :breitgrins:


    Von mir aus könnt ihr gerne den Thread ins gemeinsame Lesen verschieben (Frank was meinst du?). Doch dann ändert bitte den Titel in " Ursule Mirouet" .


    Wer mitmachen möchte, ist natürlich herzlich eingeladen. :winken:


    @Frank:
    Schachbrett-Theorie? Ist mir nicht bekannt. Ich werde mal in Netz suchen gehen und mein Wissen erweitern.


    Leider bin ich nicht Genesis kundig, aber gut erkannt und kombiniert. Wenn du so weitermachst, werde ich dich als „Hintergrundanalytiker“ einstellen.


    *ggg* - mein Wissen ist eher begrenzt im Vergleich zu anderen im Forum.
    Aber schön, dass wir uns ergänzen können, denn deine Aufstellung der 4 Tugenden ist mir entgangen. Vielen Dank, das ist toll. Was mich auch wundert ist, dass das Buch ganz anders im Stil ist als "Eine Frau von dreißig Jahren".


    "Ursule Mirouet" gefällt mir bisher sehr gut. Bist du auch schon auf ihre Herkunft gestoßen?


    Eine schöne Beschreibung des Kopfes von Doktor Minoret –


    „Diese Köpfe bieten – wie gut gelungene Prägungen, denn sie fordern geradezu heraus, auf Medaillen geprägt zu werden – ein beinahe puritanisch ernstes Profil dar, einen kalten Ton, einen mathematischen Verstand, in dem gleichsam zusammengedrängten Gesicht eine gewisse Eingeschränktheit, kluge Augen, einen ernsten Mund, eine gewisse Aristokratie… „oben zurückweichende Sirn, was den Hang zum Materialismus verrät. Man findet diese Kopfform….die sich Deisten nannten und Atheisten waren.“
    Eine etwas haltlose Theorie, von der Kopfform auf die Weltanschauung zu schließen, was meinst du?
    :entsetzt:


    Balzac bezieht sich da auf den deutschen Arzt Franz Joseph Gall. In meinem Anhang heißt es dazu:

    deutscher Arzt und Begründer der Schädellehre, wonach besondere menschliche ANlagen und Fähigkeiten durch Schädelwölbungen kenntlich seien. Während Gall in Deutschland mit seiner Lehre nur Gelächter erntete, hatte er seit 1807 in den Pariser Salons großen gesellschaftlichen Erfolg


    ob es heute noch Phrenologen gibt? Ich höre zum ersten Mal davon und weiß ehrlich nicht was ich davon halten soll.


    erste Anzeichen von Veränderungen sind zu erkennen. Der Kapitän ist verstorben und hat ihr ein kleines Legat vererbt. Der "Sturm" braut sich zusammen?


    a pro po "Sturm". Der Posthalter Minoret-Levraults wird vom Aussehen gleich zu anfangs mit "Kaliban" verglichen. Die personifizierte Gewalt in "Der Sturm" von William Shakespeare.


    Sogar dessen Frau, die doch recht energisch ist und sich sogar Respekt verschafft in dieser Männerwelt von Postkutschern, ist vorsichtig, wenn ihr Mann verärgert ist.


    Ich bin gespannt ob die "Gewalt" von ihm ausgeht, wenn der Doktor verstirbt.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen!


    Wenn ich mich einmischen darf:

    Zitat von "JMaria"

    Balzac bezieht sich da auf den deutschen Arzt Franz Joseph Gall. In meinem Anhang heißt es dazu:

    deutscher Arzt und Begründer der Schädellehre, wonach besondere menschliche ANlagen und Fähigkeiten durch Schädelwölbungen kenntlich seien. Während Gall in Deutschland mit seiner Lehre nur Gelächter erntete, hatte er seit 1807 in den Pariser Salons großen gesellschaftlichen Erfolg


    ob es heute noch Phrenologen gibt? Ich höre zum ersten Mal davon und weiß ehrlich nicht was ich davon halten soll.


    Es gibt heute keine mehr. Gall wurde übrigens in Deuschland durchaus ernst genommen, allerdings erst 100 Jahre nach der Zeit, als er in Paris persönlich Furore gemacht hatte. Dies v.a. in Gestalt der Werke des auf ihm aufbauenden Italieners Lombroso (1836-1909), der der Meinung war, z.B. anhand der Schädelformen und anderer äusserlicher Merkmale (z.B. zusammengewachsener Augenbrauen!) Leute ausmachen zu können, die er als "geborene Verbrecher" bezeichnete. Das galt zur Jahrhundertwende ins 20. Jh. als wissenschaftliche Tatsache. Unter Berufung auf Lombrosos Thesen führten die Nationalsozialisten während des 3. Reichs in Deutschland Zwangssterilisationen bei Kriminellen und Geisteskranken durch. Soweit zum Thema "ernete nur Gelächter" ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo Zusammen,


    „Wir sind ganz unschuldig in die Leserunde geschlittert.“


    Wir sind in diese Leserunde geschlittert, weil ich mich hier hineingemogelt habe, ungeachtet bestehender Verfahrensabläufe, weil ich etwas provoziert habe, mit Balzac-Geburtstag und Webseite und was mich besonders freut, Maria dazu animieren konnte, einen Roman von Balzac zu lesen. Ich danke nochmals und fühle mich schuldig. Freue mich aber, wenns Spass macht und neue Erkenntnisse bringt.


    „Von mir aus könnt ihr gerne den Thread ins gemeinsame Lesen verschieben (Frank was meinst du?)“
    Schiebt mich wohin ihr wollt, aber lasst uns unsere kleine Konversation. Wenn sich noch ein paar Leute beteiligen, umso besser. Man kann nur lernen. Vielleicht ist es besser, wenn wir den Titel umbenennen, dann auch die dazugehörigen Beiträge etwas filtern?


    sandhofer: Schädellehre, danke für die Erläuterungen. In der Schule lernten wir, den Zusammenhang zwischen Gehirnmasse und Intelligenz. Dies wurde am Beispiel von Lenin demonstriert, der ein überdurchschnittliches großes Gehirn hatte. Wer in der DDR in die Schule gegangen ist, wird sich vielleicht erinnern?



    Schachbrett-Theorie? Ist mir nicht bekannt. Ich werde mal in Netz suchen gehen und mein Wissen erweitern.“


    Maria: Eigene Wortschöpfung, such nicht im Netz. Ich hatte mich auf Balzacs Aussage bezogen, dass 3 Familien in 1000 Jahren die ganze Welt bevölkern würden. Dabei ist mir die Potenzrechnung mit dem Schachbrett eingefallen. (Die Geschichte war so, als der König den Erfinder des Schachbretts fragte, welchen Lohn er erhalten möchte, so gab dieser zur Antwort: Auf das erste Feld ein Weizenkorn, af das zweite zwei, das dritte vier usw. . Am Ende war es eine Welternte.)



    Hubert: Auf deine Frage in meinem Balzac-Forum habe ich geantwortet. Vielleicht finde ich noch mal etwas über das Thema?



    Erstmal alles Gute, ich werde mich jetzt mal wieder Ursule widmen, Frank. :winken:

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Frank W./JMaria"

    'Wir sind ganz unschuldig in die Leserunde geschlittert.'


    Unschuldig oder nicht, das bleibt sich gleich :zwinker: , jetzt seid Ihr offiziell zur Leserunde erklärt. In diesem Forum findet Ihr veilleicht auch noch eher Mit-Leser ...


    Zitat von "Frank W."

    Vielleicht ist es besser, wenn wir den Titel umbenennen, dann auch die dazugehörigen Beiträge etwas filtern?


    Ersteres ist geschehen, letzteres nicht. Persönlich finde ich die Mäander einer Diskussion in diesen Foren ebenso spannend wie eigentliche Diskussion zur Sache.


    Zitat von "Frank W."

    In der Schule lernten wir, den Zusammenhang zwischen Gehirnmasse und Intelligenz. Dies wurde am Beispiel von Lenin demonstriert, der ein überdurchschnittliches großes Gehirn hatte. Wer in der DDR in die Schule gegangen ist, wird sich vielleicht erinnern?


    M.W. hat man auch das Gehirn von Einstein irgendwo in Essig und Öl eingelegt und konserviert. Das sind alles noch so Ausläufer von Gall-Lombrosos Theoremen ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo Maria,
    Hallo Alle zusammen,


    Was die Erben fürchterlich erschreckt, ist dass die kleine Ursule es fertig gebracht hat, den Doktor, einen eingefleischten Atheisten, in die Kirche zu bringen.
    „Seine bekannte Abscheu vor dem „Pfaffengesindel“ und sein Deismus…..“
    Nun befürchten die „Erbschleicher“, dass er sein Vermögen der Kirche überlässt?


    Noch spielt Ursule keine Rolle für die Erben, jeder denkt an seinen Erbteil. Ursule wird nur als lästig empfunden, als Hindernis.
    Balzac lüftet das Geheimnis sehr spät und lässt den Leser bewusst spekulieren. Warum?
    Es ist fast wie ein „Krimi“, wo man erst zuletzt erfährt wer der Täter ist.


    Typ - Beschreibung: die Frau des Posthalters, diesen eingangs Erwähnten „Elefanten ohne Rüssel“, hat „die Hosen an“. – kleine, magere, bleiche, blonde Frau…Hausfrau ohne Flitterkram und Spielereien…ihre klaffende Stimme tat den Ohren weh… „In der ganzen Stadt hieß es: „Wo wäre Minoret ohne seine Frau!“
    Das ist wieder eine typische „Typ-Beschreibung“. Diese Konstellation hat man häufig. Ein großer dicker Mann wird von einer kleinen, mageren Frau „beherrscht“. (Gegensätze zieh’n sich an).


    Personen:Valentin Mirouet, Instrumentenbauer, Schwiegervater des Doktors (1785 verstorben) hinterlässt einen Sohn Joseph Mirouet, einen Tunichtgut, der Sänger und Komponist - mit einem jungen Mädchen nach Deutschland geflohen...


    Es ist vielleicht ein Bezug auf Balzacs erste Liebe, seine Dilecta (die Auserwählte), Laure Antoinette de Berny, war die Tochter eines aus Wetzlar (der Werther-Stadt), stammenden deutschen Harfenvirtuosen namens Hinner.

    „Joseph Mirouet, … führte fünfzehn Jahre hindurch jenes Zigeunerleben, das der Berliner Hoffmann so vortrefflich geschildert hat.“


    Bezug auf E.T.A. Hoffmann (1776-1822), von dem Balzac alles gelesen hat (Quelle: Werner Fuchs Hartmann – Geliebtes Leben, Diogenes 1999).
    Bei meiner Quellensuche nach Balzac und die Deutschen, lese ich, dass auch die Mütter der Romanfiguren „Modeste Mignon“ und „Ursule Mirouet“ deutsche waren. Also wir haben in diesem Roman echte Beziehungen zu seinem Leben und zu Deutschland.


    Mal sehen wie es weitergeht, alles gute Frank. :smile:

  • Zitat von "Frank W."

    Hubert: Auf deine Frage in meinem Balzac-Forum habe ich geantwortet. Vielleicht finde ich noch mal etwas über das Thema?


    Hallo Frank,


    Danke für Deine Antwort. Ich habe ja auch schon einiges von Balzac gelesen (aber halt nicht alles) und konnte mich an keinen "sinnlosen Mord" erinnern, aber es hätte ja sein können, dass dir etwas bekannt ist.


    Hallo zusammen,


    den Eintrag in "Gemeinsames Lesen - Chronik", macht ihr den, oder soll ich das machen.


    Gruß und weiterhin viel Spaß


    Hubert