Lew Tolstoi - Anna Karenina

  • Für den 2017er Lesewettbewerb habe ich nun die dtv-Ausgabe mit der Übersetzung von Rosemarie Tietze gewählt. Einfach auch weil ich neugierig auf diese vielgepriesene Übersetzung bin. Bisher finde ich sie sehr gut lesbar. Es gibt auch Anmerkungen der Übersetzerin am Ende des Buches, allerdings könnten es für meine Begriffe gerne mehr Anmerkungen sein :smile:.


    Mit der russichen Literatur habe ich mich bisher sehr wenig beschäftigt. Ich habe Der Meister und Margarita von Bulgakow gelesen (was mir gut gefallen hat) und Schuld und Sühne von Dostojewski, womit ich mich ziemlich gequält habe. Weiße Nächte vom selben Autor hat mir wiederum gut gefallen.


    Ich habe mich lange nicht an Anna Karenina herangetraut, weil es ein sehr dickes Buch ist und ich mir gedacht habe, dass ich mich durchquälen muss. Mein erster Leseeindruck ist aber ein anderer. Bisher (ich bin ca. auf Seite 150) liest es sich sehr flüssig, die Personen sind gut beschrieben; man wird gleich in die Geschichte hineingezogen. Und da ich ja weiß, wie die Geschichte ausgeht, kann ich den Aufbau des Romans auch etwas anders wahrnehmen, z.B. die Ankunft Annas am Bahnhof, als der Träger (oder was er genau ist), vom Zug überrollt wird. Interessant auch die Reaktionen der Beteiligten: während Stiwa ganz übel wird, scheint Wronski ziemlich unbeteiligt und tut die Angelegenheit mit einer Geldspende ab. Das läßt schon einen guten Einblick in seinen Charakter zu.

  • Ich mag Anna Karenina sehr, auch wenn ich finde, das der Roman oftmals sehr auf diese Handlung reduziert wird. Es gibt ja so viel mehr, was Tolstoi hier anspricht.
    Meine Lektüre ist aber schon über 10 Jahre her und ich kann mich nur noch Bruchstückhaft erinnern. Allerdings habe ich sage und schreibe 3 Monate dafür gebraucht. Ich habe damals tatsächlich vor allem Probleme mit den vielen Namen und deren verschiedensten Kosevarianten. Ich musste mir irgendwann eine Liste machen, damit ich noch wusste, wer, wer ist. :breitgrins: Heute bin ich mit russischen Romanen ein klein wenig besser vertraut. Schuld und Sühne/Verbrechen und Strafe fand ich dagegen sehr leicht zu lesen.

  • Mir persönlich hat die "Anna Karenina" auch gut gefallen, aber ich bin ein viel größerer Fan von "Krieg und Frieden". Wie du, @Holden, finde ich auch, dass hier die Liebesgeschichte zu sehr im Vordergrund steht. In "Krieg und Frieden" wird ein monumentales Bild des zaristischen Russlands entwickelt und dennoch ist der Roman spannend. Aber andererseits sind viele dieser Aspekte auch in "Anna Karenina" enthalten, und wer das Sujet mag, wird auch diesen Roman lieben. Außerdem sitzt man nicht so lange daran wie an dem Riesenroman :zwinker:. Auf jeden Fall viel Spaß bei der Lektüre!

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Danke für eure Eindrücke, Holden und finsbury. Meine Lektüre von Schuld und Sühne ist ewig her, vielleicht wäre das Buch inzwischen interessanter für mich. Ich fand die Geschichte an sich damals sehr mühselig, konnte damit nichts anfangen.


    Ich finde es momentan einfach spannend in das alte Russland einzutauchen und suche auch schon fleißig Informationen über die damalige Zeit.


    Sehr gut gefallen hat mir die Bahnfahrt zurück nach Petersburg, die fand ich beeindruckend geschildert. V.a. weil es hier bei uns momentan auch so viel schneit und eiskalt ist. Wenn ich mir da erst Russland im Winter vorstelle...


    Die nächsten paar Tage werde ich vermutlich wenig zum Lesen kommen; ich hoffe dann auf das nächste Wochenende.

  • Endlich ist Anna aufgetaucht (circa Seite 100).


    Aber auch bis dahin war es sehr gut. Die Figuren sind toll gezeichnet. Der liebe Stephan, der sich eigentlich selbst leid tut weil er seine Frau Dolly betrogen hat.


    Die kleine süße Kitty, die eher verliebt in die Idealvorstellung der Liebe ist als in einen Mann.


    Ljewin, der wirklich verliebt ist und dann natürlich noch Wronski, der nur spielen will ohne Rücksicht auf die Folgen.


    Bis hierhin hab ich vor Jahren schon mal gelesen. Nun kommt Neuland für mich.

  • So, wie das Leben von Lewin (in meinem Buch wird er so geschrieben) geschildert wird, frage ich mich, ob das wirklich was für Kitty wäre. Sie wird ja eher wie ein typisch städtisches Modepüppchen beschrieben. Würde sie auf dem Land glücklich werden?


    Möglicherweise interessiert Lewin als Mann das aber gar nicht. Auch später kommt ja eine Szene, wo man mal Karenins Gedanken geschildert bekommt. Er denkt ja auch, dass es für ihn nicht relevant ist, was in Anna vor sich geht. Sie soll sich nur gemäß der Sitten verhalten.


    Bin bisher ganz angetan von der Lektüre. Tolstoi kann schon sehr gut die Gesellschaftsszenen schildern. Ob im Restaurant oder bei Abendgesellschaften. Da bekomme ich dann auch richtig Lust auf Tee aus dem Samowar... :smile:

  • Tolstoi schreibt hier wirklich wunderbar. Ich fühle mich meist mitten im Geschehen und nicht als ausenstehehender Zuseher.


    Dieses Gefühl hatte ich bei Krieg und Frieden nicht. Da waren die ersten 100 Seiten kein Vergnügen. Hier fliegen die seiten nur so dahin.

  • Ich habe begonnen Anna Karenina zu hören, gelesen von Ulrich Noethen, der es wirklich gekonnt spricht, in der Übersetzung von Rosemarie Tietze.


    Faszinierend wie Tolstoi detailliert beschreiben kann, sollte mich eigentlich nicht überraschen, da ich mit großem Genuß die Urfassung von "Krieg und Frieden" las.


    Die Ballszene ist bezaubernd und so tragisch aus Kittys Blickwinkel. Wie wichtig hier die Mimik ist. Kitty beobachtet sehr genau und weiß den Ausdruck auf Annas und Wronskys Gesicht zu deuten. Auch ihr Gesichtsausdruck hat sich verändert, dass Wronski sie im ersten Moment nicht erkennt.


    Ich bin auch sehr angetan.

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Schön, dass du auch mit dabei bist, JMaria :winken:


    Ist das eine ungekürzte Lesung? Wie viele Stunden sind das denn?


    Den Ball fand ich auch sehr schön zu lesen. In den Anmerkungen wird auch noch erklärt, dass die Mazurka quasi der wichtigste Tanz des Abends ist, zu dem ein Herr die Dame bittet, die ihm am meisten bedeutet. Da ist es natürlich schon arg, dass Wronski Anna zum Tanz bittet und nicht Kitty. Quasi ein öffentlicher Schlag ins Gesicht...

  • Der Tanz ist wirklich sehr gut beschrieben.


    Bei mir läuft gerade "Sissi". Franz Joseph hat gerade die Blumen Sissi gegeben und nicht ihrer Schwester. Da musste ich gleich an Kitty denken.
    Die Demütigung muss ähnlich schlimm sein.

  • Ui, Sissi! Schmacht... Hab ich schon lang nicht mehr gesehen...


    Von Anna Karenina gibt es ja einige Verfilmungen. Ich habe gesehen, dass es einen relativ neuen Hollywood-Film gibt. Hat den jemand von euch gesehen? Ich kann mir irgendwie diese Hollywood-Typen nicht gut für eine solche Verfilmung vorstellen. Bei Literaturverfilmungen mag ich es ganz gerne, wenn die Schauspieler eher unbekannt sind.


  • Schön, dass du auch mit dabei bist, JMaria :winken:


    Ist das eine ungekürzte Lesung? Wie viele Stunden sind das denn?


    Den Ball fand ich auch sehr schön zu lesen. In den Anmerkungen wird auch noch erklärt, dass die Mazurka quasi der wichtigste Tanz des Abends ist, zu dem ein Herr die Dame bittet, die ihm am meisten bedeutet. Da ist es natürlich schon arg, dass Wronski Anna zum Tanz bittet und nicht Kitty. Quasi ein öffentlicher Schlag ins Gesicht...



    Danke für die wichtige Information!
    Sehr interessant die Benimmregeln. Kittys Mutter macht sich viele Gedanken darüber, wie sie Kitty schützen kann. Nur im Fall "Wronski" hätte sie auf ihren Mann hören sollen.


    In der Person Lewin wird der Landstand und seine Probleme aufgezeigt. Mit der Semstwo, ein Verwaltungapparat mit Vertreter aus Adel und Bauern, ist er nicht zufrieden. Sein Bruder Nokolaj ist auf Befreiung der Bauern aus, ist aber auch ohne Konzept, außerdem ist dieser todkrank und lebt als Außenseiter.



    Alles ist irgendwie im Umbruch. Auch auf dem Heiratsmarkt.



    thopas
    Die Lesung ist ungekürzt, knapp 37 Std !

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Die Gesellschaft ist tatsächlich im Umbruch. Auch Lewin diskutiert etwas später mit Stiwa darüber, dass es ihm nicht passt, dass der Adel seine Privilegien langsam verliert. Auf Lewins Landgut bekommt man einen guten Eindruck von seinem Leben, das so ganz anders ist, als das Stadtleben.


    Die Schilderung des beginnenden Frühlings auf dem Land ist auch sehr gut gemacht. Man spürt förmlich den letzten kalten Hauch des schmelzenden Eises und die ersten wärmenden Strahlen der Sonne (und bei uns schneit es schon wieder :sauer:).


    Von Kitty erfährt man momentan nichts mehr, sie scheint im Ausland zu sein. Die Handlung konzentriert sich dann wieder auf Wronski (ca. S. 300).


    Was mich erstaunt ist, dass die Handlung doch recht zügig vorangeht. Das hätte ich bei so einem Wälzer nicht erwartet. Mal sehen, was noch alles kommt; es sind ja noch fast 1000 Seiten...

  • Hallo thopas,


    Ja, überraschend wie der Roman einen an die Hand nimmt und nicht mehr loslassen will. Ich habe den 1. Teil beendet. Ich würde Anna am liebsten zu rufen, "lass es sein" .


    Wunderbar die Zugfahrt von Moskau zurück nach St. Petersburg, der Schnellfall... Manchmal hatte sie Zweifel ob der Wagen vorwärts oder rückwärts fahre oder ob er nicht vielleicht stillstehe.


    Lewin gefällt mir auch sehr gut, auch wenn er seine Ideale hoch auf einen Sockel stellt, aber er gibt nicht auf, auch wenn die Gegenstände in seinem Heim ihm zurufen: Nein, du kannst dich nicht von uns frei machen und wirst kein anderer Mensch; du bleibst, der du warst.......aber eine innere Stimme sagte ihm etwas anderes: daß man alles aus sich selbst machen könnte....


    Jaqui
    Wie weit bist du?


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Keine Eile! Ich komme meist nur am Wochenende zum Lesen. D.h. ich lese immer ein bisschen vor und hinke dann wieder hinterher :smile:


    JMaria: Zitierst du aus dem Gedächtnis? Wenn ja, Respekt!


    Was ich interessant finde, ist der allwissende Erzähler. Ich bin es schon so gewohnt, immer raten zu müssen, was in den meisten Personen vorgeht, dass es hier plötzlich so einfach erscheint. Der Leser weiß, was in Karenin vorgeht, und auch in Annas Sohn und sogar in Lewins Hündin Laska :breitgrins:.

  • Hallo thopas


    Ups, ich sollte noch kurz erkllären, dass ich zwar die Übersetzung von Rosemarie Tietze höre, aber da ich anfangs den Einstieg hörend schwer fand (wegen all den Namen und Kosenamen) habe ich das Buch hervorgeholt, eine Übersetzung von Fred Ottow. Die obigen Zitate stammen daraus. Vielleicht behalte ich das parallele Lesen bei.


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Da hast Du ja Glück. Ich bin damals mit den ganzen Namen dermaßen durcheinander gekommen. :breitgrins: Alle hießen irgendwie gleich und die ganzen Kosenamen und Familiennamen. :grmpf: :breitgrins:

  • Bei meinem ersten Russen bin ich mit dem Namen auch ständig durcheinander gekommen. Bisher habe ich damit aber auch keine Probleme.


    Mittlerweile ist Lewin übrigens wieder daheim und widmet sich seinem Landsitz. Das finde ich sehr interessant.