Adalbert Stifter

  • Ich hab den Nachsommer zwar bisher nur einmal gelesen, aber auch sehr gute und intensive Erinnerungen daran. Vielleicht dauert es ein wenig, bis du dich darauf einlassen kannst, Jaqui, aber es lohnt sich. Man muss sich von den dort vermittelten Stimmungen durch das Buch tragen lassen.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Ja, sehr interessant und mehr als das! Bonhoeffers Vorliebe für Stifter war mir bislang nicht bekannt. Es hat mich berührt zu lesen, dass er in der Zeit der Inhaftierung und existenziellen Bedrohung Stifters Lektüre als wohltuend und heilsam empfunden hat. Gerade habe ich Stifters Erzählung Abdias wiedergelesen und mich gefragt, warum diese simple Hiobsgeschichte um einen gefährdeten und einsamen Menschen mich so fasziniert. Das „geborgene und verborgene Leben seiner Gestalten“, Besinnung auf „die wesentlichen Lebensinhalte“, „Reinheit der Sprache und der Personen“, „seltenes merkwürdiges Glücksgefühl", die Stichworte Bonhoeffers, die du zitiertst, beschreiben ziemlich genau, wonach ich suchte.
    Ja, die Erzählung( ich hab durchaus noch andere therapeutische Literatur auf Lager :smile:) ist so etwas wie ein Rückzugsort, an dem ich wieder zu mir finde.. Dass, wie du schreibst, Bonhoeffer sich durch die Stifter-Lektüre „gegenüber den äußeren Umständen abzugrenzen“ suchte und „sein inneres Leben zu pflegen“, finde ich einleuchtend und berührend.
    Danke für Deine Ausführungen!


    So ging es mir ebenso in der Zeit des Realsozialismus. Seit 1981 habe ich den "Nachsommer" neunmal gelesen. Er war ein Trost in einer Zeit, in der Erziehung in "Kollektiven" stattzufinden hatte, wer sich "vom Kollektiv abgrenzte", wenn auch nur, weil er einmal allein sein wollte, machte sich verdächtig.
    Schon vor 1989 fand ich Äußerungen von Schriftstellern wie Friedrich Hebbel, die meinten, dass an Stifter die Konflikte seiner Zeit, Revolution und Konterrevolution, Krise und Krieg, einfach spurlos vorbeigegangen seien und er eine weltfremde "Idylle" konstruiert habe, in der es patriarchalisch zuging und die Dienstboten lediglich stumm für das Wohl der Bewohner des Asperhofes oder des Sternhofes sorgten. Und Arno Schmidt meinte ja, dass Stifter schlicht nicht schreiben könne und Fehler zuhauf gegen einfache Regeln der Logik und Grammatik begangen hätte.
    Die Leserschaft war bis ins 20. Jahrhundert gespalten in "Stifter-Enthusiasten" und "Stifter-Gegner". Den "Witiko" habe ich übrigens nie bewältigt. Das "reale Mittelalter" in meiner Thüringer Heimat war immer anhand sichtbarer und mündlicher Überlieferungen, die ich seit meiner Kindheit kannte, gar nicht so fern und leicht erfassbar.


    In den 1980er Jahren war ich davon überzeugt, dass ich die Alpen in meinem Leben wegen der Mauer nicht mehr sehen könnte. Hätte ich geahnt, dass ich in jedem Jahr mehrere Wochen dort leben würde! Ich habe mir den "Nachsommer" mitgenommen und - siehe da - angesichts der hohen Berge und auch wenige Kilometer vom "Simmi-Eis" entfernt, das nach dem tüchtigen Geologen Simoni benannt ist, der zum Teil für den blässlichen Heinrich Drendorf das Vorbild abgab, lese ich den Roman wieder mit Genuss.


    Gontscharow


    ( ich hab durchaus noch andere therapeutische Literatur auf Lager :smile:)


    Würdest Du eventuell einen Einblick in dieses "Lager" gewähren? Vor Jahren hatte ich einmal einen Thread in dieser Richtung aufgemacht und auch mehrere Hinweise bekommen; es stellte sich allerdings als schwierig heraus, etwas Passendes zu finden.

  • Nachdem ich beschlossen habe, mich wieder mehr den Klassikern zuzuwenden und Adalbert Stifter ganz oben auf meiner Liste steht, werde ich mich in den nächsten Tagen mit dem "Bergkristall" beschäftigen.
    Ich habe mich nie an Stifter gewagt, weil ich ein ganz krudes Bild von seiner Literatur vermittelt bekommen habe - und dieser Thread hat es nicht besser gemacht :breitgrins:.

  • Bergkristall ist die ideale Lektüre für heute oder morgen. Am besten am Nachmittag zu lesen, wenn es langsam dunkelt. Man hat das kleine Werk ja in einem Rutsch gelesen. Sehr schön und anrührend. Ganz sicher eines der zugänglichen Werke von A. S.


  • Bergkristall ist die ideale Lektüre für heute oder morgen. Am besten am Nachmittag zu lesen, wenn es langsam dunkelt. Man hat das kleine Werk ja in einem Rutsch gelesen. Sehr schön und anrührend. Ganz sicher eines der zugänglichen Werke von A. S.



    Der Bergkristall liegt hier auch noch rum.


    Na dann nichts wie zur Hand damit! Wir könnten uns dann direkt drüber austauschen :smile:. Habe gerade einen kurzen Blick reingeworfen und die ersten Sätze sind schön. Heute Nachmittag werde ich es mir auf dem Sofa damit gemütlich machen.

  • Bin ziemlich genau zur Hälfte durch. Gerade finde ich es ziemlich spannend!


    Es hat allerdings ein Weilchen gedauert bis ich Folgendes verstanden habe:
    Mitternacht = Norden
    Mittag = Süden
    Morgen = Osten
    Abend = Westen


    Und was das Lesen wirklich erschwert, ist, dass bei Aufzählungen keine Kommata gesetzt werden. Hab ich eine miese Ausgabe oder ist das spezifisch für Stifter?


  • Ich hab jetzt auch den Bergkristall zur Hand genommen. Liest sich ja sehr schön.


    Ja, gell? Anfangs muss man sich etwas einfinden, aber dann ist es wirklich schön. Die Erzählung hat einen ganz eigenen Rhythmus bzw. Ton. Auch fand ich sie spannend, ich habe mit den Kindern unglaublich mitgelitten und war am Ende zu Tränen gerührt (!). Aber das liegt vielleicht daran, dass heute Weihnachten ist [Blockierte Grafik: http://www.cosgan.de/images/smilie/xmas/a022.gif].


    Hab mir überlegt, ob ich noch mehr von Stifter lesen würde: Also einen 800-Seiten-Roman würde ich nicht durchhalten, aber ich werde bestimmt mich noch an seinen anderen Erzählungen vergreifen.

  • Er beschreibt darin auch Möbelstücke. Und Kirchenaltäre. :breitgrins:


    Och, wenn es darin so witzige Stellen gibt wie diese: "Es war der aus Angst aschenhaft entfärbte Färber, [...]" totlach