Kleist, der vergessene Dramatiker?

  • Ich meinte eigentlich über den verlinkten Greiner-Artikel hinausgehende "Verdachtsmomente".
    Auch Greiners Anmerkungen zur Interpunktion in der von ihm untersuchten Textstelle aus dem Zweikampf finde ich - im Gegensatz zu dir - überaus erhellend und treffend! Interpunktion hat ja wohl mit Rhythmus und Musikalität zu tun und hier prasselt ein wahres (mich wundert, dass Greiner das Wort nicht gebraucht hat) Staccato auf den Leser ein. Den quasi onomapoetischen Gebrauch der Interpunktion und der Hypotaxe, der auch an anderen Stellen des Kleist’schen Werkes zu finden und sein Markenzeichen ist, arbeitet Greiner sehr fein heraus. Er bedient sich gewagter Metaphern, die aber seinem außergewöhnlichen Gegenstand angemessen sind.

    Aber wir sollten nun weder darauf noch auf den Brücken weiter herumreiten, die stürzen sonst noch wirklich ein. :breitgrins:

  • Aber wir sollten nun weder darauf noch auf den Brücken weiter herumreiten, die stürzen sonst noch wirklich ein. :breitgrins:


    Abgesehen davon, dass ich die Metaphern so schlimm nicht finde (ist halt "old school" - Killy war auch so ein Metaphern-Reiter ...): Das Problem wären nicht ein paar Reiter. Aber wenn man die schweren Panzer auffahren lässt ... :breitgrins:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • Aber wir sollten nun weder darauf noch auf den Brücken weiter herumreiten, die stürzen sonst noch wirklich ein. :breitgrins:


    Nein, dieses Risiko sollten wir meiden, denn was die Qualität der Kleistschen Werke anbelangt, so sind wir uns wohl einig.


    Es grüßt


    Tom

  • Irgendwie hat es mir Kleist gerade angetan. Eigentlich wollte ich nur mal kurz in seine Werke reinschnuppern, aber nun lese ich schon die dritte Novelle von ihm.


    Heute morgen habe ich den kurzen Text "Das Erdbeben in Chili" verschlungen und derzeit bin ich so ziemlich am Schluss von der "Marquise von O." angelangt. Besonders beeindruckt bin ich von der Kunst Kleists erste Sätze zu schreiben.


    Der erste Satz von der Marquise hat mich sofort gefesselt: In M..., einer bedeutenden Stadt im oberen Italien, ließ die verwitwete Marquise von O..., eine Dame von vortrefflichem Ruf, und Mutter von mehreren wohlerzogenen Kindern, durch die Zeitungen bekannt machen: daß sie, ohne ihr Wissen, in andre Umstände gekommen sei, daß der Vater zu dem Kinde, das sie gebären würde, sich melden solle; und daß sie, aus Familienrücksichten, entschlossen wäre, ihn zu heiraten.


    Aber auch beim Erdbeben von Chili ging es mir ähnlich: In St. Jago, der Hauptstadt des Königreichs Chili, stand gerade in dem Augenblicke der großen Erderschütterung vom Jahre 1647, bei welcher viele tausend Menschen ihren Untergang fanden, ein junger, auf ein Verbrechen angeklagter Spanier, namens Jeronimo Rugera, an einem Pfeiler des Gefängnisses, in welches man ihn eingesperrt hatte, und wollte sich erhenken.


    Heutige Autoren sollten sich da eine Scheibe abschneiden. Bei manchen Büchern, die ich sonst so lese weiß ich oft nach 100 Seiten noch immer nicht was der Autor mir eigentlich sagen will und worum es in dem Buch eigentlich geht.


    Der Sommer wird wohl in meine persönliche Geschichte von "Highlights" eingehen. Erst entdecke ich Fontane für mich und nun hat es mir auch noch Kleist angetan.


    Katrin


  • Irgendwie hat es mir Kleist gerade angetan.


    Hallo Katrin,


    wenn Du Dir auch mal gerne von erstklassigen Stimmen vorlesen läßt, dann kann ich Dir nur die Lesung der Kleist-Novellen durch Rolf Boysen ans Herz legen. Ich hatte kürzlich hier darüber berichtet:


    [url=http://www.klassikerforum.de/index.php/topic,2309.msg50877.html#msg50877]http://www.klassikerforum.de/i…09.msg50877.html#msg50877[/url]


    Gruß
    Klaus

  • Da decken sich unsere Einschätzungen, Jaqui! Kleist redet als Novellist nicht lange herum, seine präzisen Expositionen sind unerreicht. Ich schätze ihn in der praktischen Kunst der Novelle höher ein als deren Theoretiker, Ludwig Tieck.


  • Bisher habe ich mit Kleist immer nur den zerbrochenen Krug verbunden, das hat sich seit dieser Woche schlagartig geändert. Als Schreiber von Novellen scheint er wirklich unschlagbar zu sein.


    Katrin


    Trotzdem: als Dramatiker ist er für mich noch ein Stück bedeutender. Drei Eindrücke werde ich nicht mehr los:


    Die flirrenden Dialoge im Amphitryon


    Den Gewaltdelir in der Penthesilea


    und, das vor allem, die Katharsis des eingekerkerten Prinzen von Homburg - das hat klassisches Format!


  • Habe ich alle drei noch nicht gelesen, aber das kann sich ja schnell ändern.


    Katrin