Juli 2012: Theodor Fontane: L’Adultera

  • Hallo zusammen,


    nachdem ich inzwischen 3. Kapitel gelesen habe, will ich mal mit ein paar Notizen den Anfang machen. Im ersten Kapitel wird der Kommerzienrat Ezechiel van der Straaten vorgestellt. Ich musste erst einmal nachsehen was ein Kommerzienrat ist:


    Kommerzienrat war ein Ehrentitel der im Deutschen Reich an Persönlichkeiten der Wirtschaft nach erheblichen „Stiftungen für das Gemeinwohl“ verliehen wurde. 1919 wurde der Titel abgeschafft: Nichtakademische Titel dürfen in Deutschland nur noch verliehen werden, wenn sie ein Amt oder einen Beruf bezeichnen. In Österreich wird dagegen der Kommerzialrat noch immer verliehen.


    Ezechiel so erfahren wir hasste es sich zu genieren und sich zu ändern und er hatte eine Vorliebe für drastische Sprichwörter und „geflügelte Worte“ und liebte es lyrische Zitate einzustreuen wie z.B. „O rühret, rühret nicht daran“ aus einem Liebesgedicht von Emanuel Geibel:


    http://www.poesie-liebesgedich…l/ruehret-nicht-daran.htm


    Der 42-jährige van der Straaten hatte die 17-jährige Schweizer Adlige Melanie de Caparoux geheiratet, deren Vater kurz zuvor gestorben war und nur Schulden hinterließ. Inzwischen sind 10 Jahre vergangen, das Ehepaar hat zwei Töchter und Melanie, die Ezechiels ganzer Stolz ist lebt wie eine Prinzessin im Märchen.


    Im 2. Kapitel wird die Kopie eines Gemäldes angeliefert, dass das Ehepaar bei einer Venedigreise gesehen hatte:


    Ich will dir übrigens zu Hilfe kommen... Ein Tintoretto.«
    »Kopie?«
    »Freilich«, stotterte van der Straaten etwas verlegen. »Originale werden nicht hergegeben. Und würden auch meine Mittel übersteigen. Dennoch dächt' ich...«
    Melanie hatte mittlerweile die Hauptfiguren des Bildes mit ihrem Lorgnon gemustert und sagte jetzt: »Ah, l'Adultera!... Jetzt erkenn' ich's. Aber daß du gerade das wählen mußtest! Es ist eigentlich ein gefährliches Bild, fast so gefährlich wie der Spruch... Wie heißt er doch?«
    »›Wer unter euch ohne Sünde ist...‹«


    Das Gemälde illustriert eine Stelle aus dem Johannesevangelium, nämlich Kapitel 8, Vers 1 – 11:

    http://www.die-bibel.de/online…/bibelstelle/jh%208,1-11/


    Sehr interessant ist das folgende Gespräch zwischen den Eheleuten: Melanie sieht was Ermutigendes darin, Ezechiel eine ständige Erinnerung, dass sein Glück nicht beständig sein kann.


    Im 3. Kapitel informiert Ezechiel seine Frau, dass ein Logiergast ins Haus steht: Ein Volontär, ältester Sohn eines befreundeten Frankfurter Hauses: Ebenezer Rubehn:


    »Ebenezer Rubehn«, wiederholte Melanie langsam und jede Silbe betonend. »Ich bekenne dir offen, daß mir etwas Christlich-Germanisches lieber gewesen wäre. Viel lieber. Als ob wir an deinem Ezechiel nicht schon gerade genug hätten! Und nun Ebenezer. Ebenezer Rubehn!


    An dieser Stelle ist mir erst klar geworden, dass nicht nur der neue Logiergast, sondern auch der Kommerzienrat jüdischer Abstammung ist. Es wird zwar nicht direkt ausgesprochen und beide sind auch getauft, aber nomen est omen


    Der Roman „L’Adultera“ basiert ja auf einer Skandalgeschichte im Berlin der wilhelminischen Ära: Louis-Fréderic Jacques Ravenè war von seiner Frau wegen eines jüngeren Mannes einem Assessor Simon verlassen worden. Der Liebhaber war ein Jude, der Ehemann allerdings nicht. Warum ist Fontane hier von der realen Story abgewichen? Wahrscheinlich wollte er nicht, dass in seinem Roman ein Jude einem Nichtjuden die Frau wegnimmt. Ein paar Jahre später hätte er diese Änderung wohl nicht mehr vorgenommen, sein Verhältnis zum Judentum hatte sich drastisch verschlechtert.

  • Hallo Montaigne,
    ich habe heute mit der Lektüre angefangen. Leider hat meine Ausgabe (Taschenbuch vom Aufbau Verlag) keine
    Anmerkungen. Das ist etwas ärgerlich für mich. Ich habe einige Fragezeichen an den Rand gemacht. Vielleicht könnt
    Ihr mir helfen.


    1. Kapitel:
    Bei der Vorstellung der beiden Töchter fiel mir auf, dass beider Name nicht genannt wird. Das Wesen der älteren Tochter
    wird als schwermütig beschrieben. Ein Hinweis auf die Ereignisse. die kommen werden?


    2. Kapitel:
    Was ist ein Subkriptionsball?
    Das titelgebende Bild L´Adultera wird geliefert. Vorher wird noch eine wohl nicht ganz ernst gemeinte kleine Eifersuchtsszene
    von Melanie van der Straaten geschildert. Ein weiterer negativer Zug an van der Straaten: Er hat keine Freunde, denen er
    sich anvertrauen kann:

    Zitat

    War er doch ohnehin, aller Freundschaft unerachtet, ohne Freund und Vertrauten, und so trieb es ihn denn, angesichts dieses Bildes einmal aus sich herauszugehen.


    3. Kapitel:
    Der Logiergast, ein Begriff den Melanie aus irgendeinem Grund nicht mag, wird angekündigt. Der junge Mann hat im Gegesatz
    zu van der Straaten ein gerüttelt Maß an Auslandserfahrung.
    Die Möglichkeit eines Ehebruchs mit einem verlobten Mann wird spielerisch in Erwägung gezogen. Dass der betrogene Ehemann
    auch ein Opfer dabei ist, wird von Melanie übersehen.


    Erika


    :blume:

    Wer Klugheit erwirbt, liebt das Leben und der Verständige findet Gutes.
    <br />Sprüche Salomo 19,8

  • Hallo Erika,


    ich lese die gleiche Ausgabe wie du und die hat tatsächlich nur ein Nachwort, Anmerkungen habe ich bisher allerdings noch nicht vermisst.


    Die Namen der Töchter wurden bisher noch nicht genannt, kann ja noch kommen, wenn es erforderlich ist. Und ja du hast Recht: „Die Augen .... der Tochter waren ernst und schwermütig, als sähen sie in die Zukunft.“


    Was ist ein Subskriptionsball? Subscription bedeutet im englischen soviel wie Abonnement, ich nehme deshalb an, dass es sich um einen Abonnementball handelt. So wie man heute noch ein Theaterabonnement haben kann, hatte man im wilhelminischen Berlin ein Ballabonnement. Vielleicht weiß aber Klaus mit seinen Anmerkungen dazu mehr?


    Dass der Kommerzienrat bisher negativ geschildert wird, habe ich so nicht wahrgenommen, aber so unterschiedlich liest man das Geschriebene. Interessant wenn man sich darüber austauscht.


    Das von Ezechiel am Ende des 3. Kapitels erwähnte Gemälde „Die Mohrenwäsche“ stammt übrigens aus dem Jahr 1841 und wurde von Carl Begas d. Ä. gemalt:


    http://www.kreismuseum-heinsbe…re/die-mohrenwaesche.html

  • Hallo Fontane-Freunde,


    ich habe jetzt die ersten 4 Kapitel durch. Auffällig fand ich, dass Fontane von dem mir bisher bekannten Schema abwich, das erste Kapitel mit einer Gebäude-, Landschafts- oder Situationsbeschreibung zu beginnen: diesmal besteht das Eingangskapitel aus einem Personenporträt: die Person des Commercienrats Van der Straaten, sein Charakter und seine Lebensverhältnisse werden uns eingehend beschrieben, bevor er im zweiten Kapitel handelnd und sprechend auftritt.


    Fontane läßt ja Kapitel oft mit besonderen Sätzen enden. Hier auch: der letzte Satz des ersten Kapitels lautet:


    "Aber während die Augen der Mutter immer lachten, waren die der Tochter ernst und schwermüthig, als sähen sie in die Zukunft."


    Eine kleine Andeutung auf Zukünftiges? Im zweiten Kapitel wird dann aber mit dem "Holzhammer" angedeutet. Ich bin mir nicht sicher ob das nun genial oder plump von Fontane ist, wie er hier das Thema Ehebruch einführt. Klar: Van der Straaten ist sich der Gefahr aufgrund des Alterunterschieds von 25 Jahren zwischen ihm und seiner Frau bewußt und der Kauf des Bildes resultiert vielleicht aus seiner gedanklichen Auseinandersetzung damit. Aber seine Frau sagt selbst, er solle den Teufel nicht an die Wand malen. Schön ist natürlich das Wort "malen" in Verbindung mit dem Gemälde, aber bzgl. der Art der Einführung des Themas Ehebruch würde ich sagen: hier malt Fontane mit einem groben Pinsel. Ursprünglich wollte Van der Straaten das Bild sogar in sein Zimmer hängen, aufgrund der Reaktion seiner Frau verbannt er es dann aber in die Galerie (die Ravenés hatten eine der größten privaten Gemäldesammlungen Berlins): so ist er denn doch nicht ständig mit dem Thema konfrontiert.



    Wahrscheinlich wollte er nicht, dass in seinem Roman ein Jude einem Nichtjuden die Frau wegnimmt. Ein paar Jahre später hätte er diese Änderung wohl nicht mehr vorgenommen, sein Verhältnis zum Judentum hatte sich drastisch verschlechtert.


    Hast Du dafür Belege? Das Thema des Jüdischen in diesem Roman ist natürlich pikant und ich bin gespannt wie Fontane damit umgeht.


    Zum Begriff "Subscriptionsball" sagen meine Anmerkungen: "Gesellschaftsball im Opernhaus, der auch vom Hof besucht wurde. Die Gäste trugen sich vorher gegen hohe Gebühr in eine Liste ein." Zusammen mit dem was Erika gefunden hat, haben wir jetzt wohl eine gute Vorstellung davon.


    Gruß
    Klaus :winken:

  • Hallo zusammen,



    Fontane läßt ja Kapitel oft mit besonderen Sätzen enden. Hier auch: der letzte Satz des ersten Kapitels lautet:


    "Aber während die Augen der Mutter immer lachten, waren die der Tochter ernst und schwermüthig, als sähen sie in die Zukunft."


    Das 7. Kapitel endet wieder mit einem Satz über Lydia, so heißt die Tochter, wie wir inzwischen erfahren haben:


    [i]Alle lachten. Aber Lydia ging in das Haus zurück, und in ihrem großen Auge stand eine Träne.

    Hast Du dafür Belege? Das Thema des Jüdischen in diesem Roman ist natürlich pikant und ich bin gespannt wie Fontane damit umgeht.


    Nein, Belege habe ich nicht. Deshalb habe ich meinen Eingangssatz zu diesem Thema „Warum ist Fontane hier von der realen Story abgewichen?“ mit einem Fragezeichen versehen und dann nur meine Vermutung geäußert. Aber eine bessere Erklärung fällt mir dazu nicht ein.

  • Bei Kapitel 7 bin ich noch nicht angekommen, aber hier meine Anfangseindrücke:


    Kommerzienrat van der Straaten, die „Berliner Schnauze“, wenig weltmännisch, ab und an vielleicht etwas plump, er ist wie er ist, verbiegt sich nicht, preußisch pünktlich.


    Melanie, liebevoll Lanni genannt, erscheint mir tatsächlich wie eine Prinzessin, wie „ihr Morgenschuh kokettisch an ihrem linken Fuß hin und her klappt“, sie sich nach der Unterhaltung über das Bild „l´ Adultera“ auf die Hauptsache konzentriert, nämlich die Ausfahrt zur Besorgung einer neuen Robe und ein Selbstporträt in ganzer Figur im eigenen Zimmer aufzuhängen hat für mich etwas von Selbstbewunderung.


    Deuten die verschiedenartigen Zimmer (Melanie: hell, Seide, Vogelbauer; Ezechiel: dunkle Paneele, Stemmeisen im Schreibtisch) auf ganz verschiedene Charaktere? Ich bin gespannt, was sich im Fortgang dazu sagen lässt.


    Etwas überrascht hat mich die schnelle Hinwendung zum Thema „Ehebruch“ auch. Die Diskussion über das Bild scheint eine Schlüsselszene zu sein. Van der Straaten beschwört den Ehebruch ja nahezu, als er sagt „alles wechselt im Leben“ und legt er sich für den Fall der Fälle nicht auch gleich eine gewisse Bewertung des Ganzen zurecht? Auch komisch, dass er ihr die Witwenschaft so positiv darstellt.


    Nun zum Bild, denn ich möchte doch gern nach der „Unschuld in der Schuld“ suchen. Ist es das bei wikipedia zum Buchartikel abgebildete Gemälde (welches ja gar nicht von Tintoretto sein soll, was Fontane aber nicht wissen konnte)? Aber was hat es dann mit diesem Bild auf sich: http://galleriabarberini.benic…oretto-cristo-e-ladultera ?


    Der distinguierte Ebenezer Rubehn trägt zum Frühstück sicher kein rotes häßliches Halstuch :zwinker:


    Gruß
    Eni

  • Hallo zusammen,


    in der Zwischenzeit habe ich das 5. und 6. Kapitel gelesen. Beim Dinner ereifert sich Van der Straaten gegen Richard Wager, für den Melanie wohl schwärmt. Er stellt ihn in Gegensatz zum Madonnen-Maler Murillo. Dessen Werk sei Zauberei, die des Komponisten Hexenwerk. Hier steht das Reine, Keusche der Murillo-Madonnen gegen die Darstellung des fleischlichen Begehrens in den Wagner-Opern (z.B. Tannhäuser). Dabei erwähnt er als Symbol auch den "kleinen lieben Bogenschützen" (Amor), der uns am Kapitelanfang, auf den Platzkärtchen dargestellt, schon auf dieses Thema einstimmte. Seine Frau sieht er dabei eigentlich auf der keuschen Seite und wundert sich über ihre Wagner-Begeisterung:


    "[...] Ihr stellt Euch stolz und gemüthlich auf die Höhen aller Kunst und zieht als reine Casta diva am Himmel entlang, als ob Ihr von Ozon und Keuschheit leben wolltet. Und wer ist Euer Abgott? Der Ritter von Bayreuth, ein Behexer wie es nur je einen gegeben hat."


    Laut meinen Anmerkungen ist "Casta diva" italienisch und bedeutet "keusche Göttin". Gemeint sei die Mondgöttin Luna und es seien auch die Anfangsworte von Normas Kavatine aus Bellinis Oper "Norma".


    Interessant auch was die Anmerkungen zu Murillo sagen: Er "gilt als Meister des Madonnentypus der Unbefleckten Empfängnis ('Immaculata Conceptio'), die das umstrittene Dogma veranschaulicht, daß Maria von der Erbsünde befreit sei".


    Ich finde hier braut sich Einiges zusammen zum Thema Keuschheit und deren Gegensatz (die Wolllust?, das Begehren?) und man muß dabei auch an den Satz aus dem 2. Kapitel denken: "es ist soviel Unschuld in ihrer Schuld".


    Im 6. Kapitel ("Auf dem Heimwege") fand ich interessant den Perspektivenwechsel. Nachdem man das Ehepaar Van der Straaten durch die Beschreibung des Erzählers (1. Kapitel) und handelnd und sprechend (2. bis 5. Kapitel) kennengelernt hat, erfährt man nun, wie die Mitmenschen über sie denken, und da kann man nur sagen: Geld wirkt anziehend. Nicht nur die Ehe zwischen Van der Straaten und seiner Frau wurde wegen seines Geldes geschlossen, sondern nach Ansicht des Legationsrates Duquede auch die zwischen seinem Schwager, dem Major Gryczinski und dessen Frau Jacobine, der Schwester Melanies.


    Gruß
    Klaus :winken:

  • Hallo zusammen,



    Bei Kapitel 7 bin ich noch nicht angekommen, aber hier meine Anfangseindrücke:


    Kommerzienrat van der Straaten, die „Berliner Schnauze“, wenig weltmännisch, ab und an vielleicht etwas plump, er ist wie er ist, verbiegt sich nicht, preußisch pünktlich.


    Melanie, liebevoll Lanni genannt, erscheint mir tatsächlich wie eine Prinzessin, wie „ihr Morgenschuh kokettisch an ihrem linken Fuß hin und her klappt“, sie sich nach der Unterhaltung über das Bild „l´ Adultera“ auf die Hauptsache konzentriert, nämlich die Ausfahrt zur Besorgung einer neuen Robe und ein Selbstporträt in ganzer Figur im eigenen Zimmer aufzuhängen hat für mich etwas von Selbstbewunderung.


    Hallo Eni, du hast die Charaktere sehr schön zusammen gefasst und ich finde der Kommerzienrat kommt dabei gar nicht so schlecht weg, sicher kein perfekter Mann, aber wer ist das schon, aber einer der seinen Mann zu stehen weiß und der seiner Frau alles bietet, was die sich wünscht.



    Deuten die verschiedenartigen Zimmer (Melanie: hell, Seide, Vogelbauer; Ezechiel: dunkle Paneele, Stemmeisen im Schreibtisch) auf ganz verschiedene Charaktere? Ich bin gespannt, was sich im Fortgang dazu sagen lässt.


    Ja, sehr gut erkannt, ich denke so ist das, obwohl mir das selbst gar nicht aufgefallen war.



    Nun zum Bild, denn ich möchte doch gern nach der „Unschuld in der Schuld“ suchen. Ist es das bei wikipedia zum Buchartikel abgebildete Gemälde (welches ja gar nicht von Tintoretto sein soll, was Fontane aber nicht wissen konnte)? Aber was hat es dann mit diesem Bild auf sich: http://galleriabarberini.benic…oretto-cristo-e-ladultera ?


    Es gibt mehrere Gemälde von Tintoretto mit dem Thema „Jesus und die Ehebrecherin“, zumindest drei sind mir bekannt, das von dir verlinkte, eins das in Dresden hängt und das bei Wikipedia abgebildete, das man in Venedig sehen kann und auf das letzte spielt Fontane an.



    Hier ein Link zu einem Artikel aus der "Zeit" zum Berliner Antisemitismusstreit (1879 bis 1881).


    Hallo Erika, danke für den Link, werde ich mir heute abend noch genauer durchlesen, Theodor Mommsen war ja immerhin der erste deutsche Literaturnobelpreisträger, der zweite Literaturnobelpreisträger überhaupt.

  • Das 7. Kapitel endet wieder mit einem Satz über Lydia, so heißt die Tochter, wie wir inzwischen erfahren haben:


    [i]Alle lachten. Aber Lydia ging in das Haus zurück, und in ihrem großen Auge stand eine Träne.


    Hallo Montaigne,


    habe gerade auch das 7. Kapitel beendet. Das ist wirklich eine schöne Entsprechung zwischen den Enden von Kapitel 1 und 7. Gefällt mir.


    Gruß
    Klaus

  • Wenn ich darf, mische ich auch noch mit. Wie ich im Fontane-Ordner schon geschrieben habe, habe ich den Autor erst jetzt für mich entdeckt und nach zwei Büchern "Irrungen, Wirrungen" und "Effi Briest" wollte ich eigentlich was anderes lesen, aber Fontane lässt mich offenbar nicht los. Also habe ich zu "L’Adultera" gegriffen und bin nach den ersten drei Kapiteln ganz angetan von der Geschichte.


    Dass im ersten Kapitel eine Person als erstes eingeführt wird in die Geschichte fand ich auch sehr eigenartig. Aber auf diese Weise habe ich schnell einen Zugang zu van der Straaten gefunden.




    An dieser Stelle ist mir erst klar geworden, dass nicht nur der neue Logiergast, sondern auch der Kommerzienrat jüdischer Abstammung ist. Es wird zwar nicht direkt ausgesprochen und beide sind auch getauft, aber nomen est omen


    Ich habe mich beim Lesen gewundert warum Melanie so gegen einen Hausgast ist. Wenn die Religion der Grund ist, ergibt alles einen Sinn. Ich finde allerdings, dass Fonate das Thema Ehebruch sehr geschickt darlegt. Am besten fand ich das Beispiel Melanie. Zuerst ist sie komplett dagegen und als sie dann ein Bild sieht macht es ihr nichts mehr aus, dass er zu Gast ist.


    Katrin


  • Wenn ich darf, mische ich auch noch mit.


    Hallo Katrin,


    im Eingangsposting zu diesem Thread hatte ich ja geschrieben:



    Weitere Mitleser und/oder Mitdiskutierer dürfen sich uns gerne anschließen


    und also darfst du.




    Dass im ersten Kapitel eine Person als erstes eingeführt wird in die Geschichte fand ich auch sehr eigenartig. Aber auf diese Weise habe ich schnell einen Zugang zu van der Straaten gefunden.


    Ohne jetzt extra nachgesehen zu haben, bin ich der Meinung, dass Fontane in späteren Romanen solche Personeneinführungen nicht mehr macht, da werden die Leute nur noch durch das was sie sagen charakterisiert. Hier in einem seiner frühen Romane geht Fontane noch auf Nummer Sicher. Klaus hat weiter oben schon darauf hingewiesen wie geschickt Fontane uns Lesern die einzelnen Personen vorstellt. Im 1. Kapitel wird das Ehepaar Van der Straaten beschreibend vorgestellt, im 2. und 3. Kapitel erfahren wir wie sie mit einander umgehen. Im 4. Kapitel wird ein erweiterter Personenkreis vorgestellt und im 5. Kapitel erleben wir wie sich das Ehepaar verhält wenn Dritte (der erweiterte Personenkreis) dabei sind. Im 6. Kapitel unterhalten sich Dritte u.a. über das Ehepaar und wir erfahren, welche Meinung diese von den Van der Straatens haben. Ich bin sicher, der ein oder andere Leser wird hier an dieser Stelle sein Personenbild noch einmal korrigiert haben.

  • Hallo zusammen,


    ja montaigne, es ist schon interessant, wie nach dem Abenddiner die Erzählebene wechselt und nun über van der Straatens gesprochen wird und z.B. Elimar versucht den Kutscher auszuhorchen.
    Plötzlich ist der „engere Zirkel“ kein Freundeskreis mehr, sondern vielmehr der Zweck die Verbindung zum millionenschweren Kommerzienrat zu pflegen. Der Legionatsrat Duquede macht dies ja im Fall Major Gryczinskis sehr deutlich. Und er selbst? Er wird von der Verbindung auch keinen Schaden nehmen.


    Schuld kann ich im Blick der Ehebrecherin auf Tintorettos Gemälde auch nicht entdecken, dafür bohrende Erwartungshaltung in den Augen der Umstehenden.


    Gruß
    Eni

  • Schon in den ersten Kapiteln seiner Novelle hat Fontane mehrfach Richard Wagner eingebaut. Auffällig viel Wagner. Und bald sieht man Wagner spaltet die Lager: Ezel einerseits, anderseits Melanie, Elimar, Rubehn.


    Warum gerade Wagner? Ich weiß es nicht, vielleicht war es einfach zeitgemäß. Ich erinnere mich jedenfalls an einige Textstellen aus einer Fontane Biografie von G. Sichelschmidt, die ich euch nicht vorenthalten möchte:


    Nach seiner Pflichtlektüre des „Ring des Nibelungen“ schreibt Fontane 1881 „… überall zappeln die niedrigsten Triebe, die komischsten Gemeinheiten, … die dadurch so widerwärtig wirken, dass man Richard Wagner immer persönlich mitzappeln sieht,… ." Fontane selbst, so beteuert er, „habe von seiner gutgemeinten Wagner-Lektüre nichts als Kopfweh, Verwirrung und Unbefriedigtsein zurückbehalten.“


    1889, sieben Jahre nach L’Adulteras Erscheinen, zieht es Fontane dann doch nach Bayreuth, um „unvoreingenommen in die geistige Sphäre des Meisters einzutauchen“. Er schreibt:
    „Sonntag „Parsifal“, Anfang vier Uhr. Zwischen drei und vier natürlich Wolkenbruch; für zwei Mark, trotzdem ich ganz nahe wohnte, hinausgefahren. Mit aufgekrempelten Hosen hinein. Alles nass, klamm, kalt. Geruch von aufgehängter Wäsche. Fünfzehnhundert Menschen drin, jeder Platz besetzt. Mir wird so sonderbar. Alle Türe geschlossen. In diesem Augenblicke wird es stockduster. Nur noch durch die Gardinen fällt ein schwacher Lichtschimmer, genau wie in „Macbeth“, wenn König Duncan ermordet wird. Und nun geht ein Tubablasen los, als wären es die Posaunen des letzten Gerichts. Mir wird immer sonderbarer, und als die Ouvertüre zu Ende geht, fühle ich deutlich: „Noch drei Minuten, und du fällst ohnmächtig vom Sitz.“ Also wieder raus. Ich war der letzte gewesen, der sich an vierzig Personen vorbei bis auf seinen Platz, … durchgedrängt hatte, und das war jetzt kaum zehn Minuten. … und als ich draußen war erfüllt mich Preis und Dank.“


    Fontane war kein Anhänger des Wagner-Kults.

  • Hallo,


    Van der Straatens Art zu reden, mit Bonmots um sich zu werfen, aus "seinem Herzen keine Mördergrube zu machen" und rundheraus zu sagen, was ihm durch den Kopf geht, hat den Leser bisher amüsiert und seine Frau Melanie hat sich bisher auch nicht sehr beklagt. Aber im 9. Kapitel kommt es darüber zum Konflikt zwischen den Ehepartnern. Als er über "gefallene Frauen" im Zusammenhang mit fallenden Sternen und Engeln schwadroniert, zuckt sie zusammen, aber niemand merkt es. Als er über die blonde Wirtin und ihre (seiner Meinung nach) Ähnlichkeit mit der germanischen Thusnelda spöttelt, schämt sie sich für ihren Mann und bemerkt, dass auch Ebenezer sich angewidert abwendet ("das Blut schoß ihr zu Kopf"). Schließlich versteigt sich Van der Straaten zu Vergleichen mit gewissen Venus-Statuen ("Venus Kallipygos" = Venus mit schönem Hinterteil, deshalb wohl auch der Pfirsichvergleich :zwinker:). Hier gebietet ihm seine Gattin Einhalt und der Ehefrieden ist für eine Weile gestört.


    Zeit für Melanie und Ebenezer sich auf der Bootsfahrt näher zu kommen. Ebenezer wird von Riekchen als reserviert beschrieben und mir war aufgefallen, dass er Probleme hat, Leute anzusehen (Lydia am Ende des 7. Kapitels und die blonde Wirtin suchten vergebens seinen Blick zu erhaschen). Um so erstaunter war ich über sein Verhalten bei der gemeinsamen Bootsfahrt:


    "Ist es immer nur das Wasser, dem Sie die Hand reichen, Freundin?"


    2 Seiten später:


    "Er nahm ihre Hand und fühlte, daß sie fieberte."


    Entweder kommt er schnell zur Sache mit Worten und mit Taten, oder ich hab hier was verpaßt, oder Fontane läßt wieder sehr viel ungesagt, was mir bei Effi Briest besonders aufgefallen war. Wahrscheinlich Letzeres.


    Schön fand ich übrigens die sich eventuell anbahnende zarte Romanze zwischen dem "Harmonika-Schulze" (Elimar) und Anastasia am Ende des 8. Kapitels. Bin gespannt, ob das noch weiter geführt wird.


    Gruß
    Klaus :winken:


  • Plötzlich ist der „engere Zirkel“ kein Freundeskreis mehr, sondern vielmehr der Zweck die Verbindung zum millionenschweren Kommerzienrat zu pflegen. Der Legionatsrat Duquede macht dies ja im Fall Major Gryczinskis sehr deutlich. Und er selbst? Er wird von der Verbindung auch keinen Schaden nehmen.


    Hallo Eni,


    sicher wird auch der Legionatsrat Duquede aus der Verbindung seinen Vorteil ziehen und seien es nur die Einladungen zum Diner, aber dafür zeigt er sich seinem Gastgeber gegenüber auch loyal und verteidigt ihn, während der Rest der Gesellschaft gerne die Vorteile nimmt, aber sich sehr unloyal verhält. Nun ja, am starken Charakter des Kommerzienrates prallt das alles ab.



    Schuld kann ich im Blick der Ehebrecherin auf Tintorettos Gemälde auch nicht entdecken, dafür bohrende Erwartungshaltung in den Augen der Umstehenden.


    Ja, stimmt. Übrigens habe ich im Tintoretto-Thread das Gemälde nochmals erwähnt.


    http://www.klassikerforum.de/i…35.msg51049.html#msg51049



    Warum gerade Wagner? Ich weiß es nicht, vielleicht war es einfach zeitgemäß.


    Sicher war Wagner grad’ in Mode, aber ich denke, das ist nicht der einzige Grund, Wagneropern werden ja durch den ganzen Roman hindurch erwähnt, z.B. die Anspielung auf Tannhäuser im 5. Kapitel und bei dem Tischgespräch geht es ja wie bei Tannhäuser u.a. um den Gegensatz von Venus und Maria.


    Vielen Dank für deinen Auszug aus der Fontane Biografie. Sehr interessant!


    Gruß
    montaigne


  • Fontane war kein Anhänger des Wagner-Kults.


    Hallo Eni,


    danke für Deine Zitate. Ich kann mir Fontane auch schwer als Wagner-Jünger vorstellen und wunderte mich schon, dass er überhaupt in seinem Werk vorkommt. Ich glaube die Wagner-Bewunderung setzte erst in den jüngeren Generationen ein: im wirklichen Leben beim Kollegen Thomas Mann und in unserem Roman bei Melanie, die 25 Jahre jünger als ihr Mann ist.


    Gruß
    Klaus