Literarische "Verschwörungen"

  • Da im Umberto Eco-Ordner derzeit über Verschwörungstheorien im Allgemeinen und die "Protokolle von Zion" im Besonderen debattiert wird, scheint ein Ordner für berühmte literarische "Verschwörungen" angebracht zu sein.


    Spontan fallen mir folgende "Fakes" ein:


    Die kurz nach 1700 von einem Franzosen herausgegebenen "Märchen aus 1001 Nacht" sind keine Originalgeschichten aus dem Orient, sondern Erfindungen eben jenes Franzosen, der auf den Namen Galland hörte.


    Die keltische Nebelwelt des "Ossian", von der u.a. Herder so begeistert war, stammt nicht, wie behauptet, aus grauer Vorzeit Britanniens, sondern war das Produkt eine cleveren Schotten, der jedoch frühzeitig als Schwindler enttarnt wurde.


    Und noch einmal müssen wir die Märchenwelt als Brutstätte für Komplotte aller Art nennen: "Grimms Hausmärchen" aus dem Jahr 1812 beruhten ebenfalls nicht auf authentischen Quellen germanischer Fabulierlust, sondern stammen zumeist aus einer kurz vor 1700 veröffentlichten französischen Märchensammlung - was nicht heisst, dass diese Geschichten unbedingt französischen Ursprungs sein müssen.


    Fallen Euch weitere "Fälschungen" und "Verschwörungen" ein?


    LG


    Tom


  • Und noch einmal müssen wir die Märchenwelt als Brutstätte für Komplotte aller Art nennen: "Grimms Hausmärchen" aus dem Jahr 1812 beruhten ebenfalls nicht auf authentischen Quellen germanischer Fabulierlust, sondern stammen zumeist aus einer kurz vor 1700 veröffentlichten französischen Märchensammlung - was nicht heisst, dass diese Geschichten unbedingt französischen Ursprungs sein müssen.


    Soviel ich weiß war das allerdings nicht die böse Absicht der Brüder Grimm, sondern viel mehr der Umstand, dass sie alte Frauen nach Geschichten gefragt haben und diese Frauen französische Hugenotten waren, die diese Märchen aus ihrer Heimat mitgebracht haben. So gesehen haben sich die Brüder Grimm schon bemüht, nur ihre Quellen nicht hinterfragt.


    Ich kann viel Literaturbeispiele zu und über (politische) Verschwörungen anführen (und auch die narrative Verarbeitung des Themenkomplexes Verschwörung), v.a. weil ich mich letztes Uni-Semester hauptsächlich damit beschäftigt habe, aber wo die Literatur selbst eine Fälschung ist weniger.


    Aktuell ist allerdings Anonymus in den Kinos, ein Film von Roland Emmerich (mit Rhys Ifans und Vanessa Redgrave), der die "Shakespeare-Verschwörung" behandelt, also ob Shakespeare tatsächlich die Stücke geschrieben hat und wenn nein, wer dann (im Film wird konkret die verbreitete Theorie aufgegriffen, dass es Edward de Vere, 17th Earl of Oxford war).

    ... this is nat language at any sinse of the world.

  • Soviel ich weiß war das allerdings nicht die böse Absicht der Brüder Grimm, sondern viel mehr der Umstand, dass sie alte Frauen nach Geschichten gefragt haben und diese Frauen französische Hugenotten waren, die diese Märchen aus ihrer Heimat mitgebracht haben.


    Das ist, wenn ich richtig informiert bin, ein (tschuldigung) Märchen. Die Herren Grimm sassen gemütlich an ihrem Schreibtisch, liessen sich die Geschichten zuliefern (z.B. von Leuten wie Brentano und Arnim) und haben sie dann umgeschrieben. Sie taten dies in dem Glauben, das Material sei echt und ursprünglich. Insofern stimmt es: die Quellen haben sie nicht überprüft.


  • Spontan fallen mir folgende "Fakes" ein:


    Eben. Fälschungen (wenn man das mal sehr eng auslegen will: nicht alles in 1001er Nacht stammt vom Übersetzer, nicht alles haben sich die Grimms aus den Fingern gesogen). Und eben nicht: Verschwörung. Das ist ein himmelweiter Unterschied und der Vergleich mit den "Protokollen" nicht nur ziemlich daneben, sondern überdies wohl ein Missverständnis. Nicht die "Protokolle" und ihre Entstehung sind mit der Verschwörung gemeint (jedenfalls nicht vorrangig), sondern ihr Inhalt, der eine "jüdische Weltverschwörung" propagiert.


    Zum Thema:


    Karl Corino: Universalgeschichte des Fälschens. 33 Fälle, die die Welt bewegten. Eichborn 1998.


    Jürgen Roth / Kay Sokolowski: Wer steckt dahinter? Die 99 wichtigsten Verschwörungstheorien. KiWi 1998.


    Kursbuch Verschwörungstheorien. Juni 1996.


    In Corinos Buch werden unter anderem folgende (literarische) Fälschungen genannt (ich schreib das jetzt bloß ab, ohne immer so recht zu wissen, worum es da geht ;-)):


    * Heloise und Abaelard
    * Fortsetzung des Don Quijote
    * Ossian
    * Das Igor-Lied
    * Pustkuchens "Wanderjahre"
    * Hauffs "Der Mann im Mond" (der wäre ein eigenes, ziemlich interessantes Thema, dazu später vielleicht mals was ;-))
    * Die "Ura-Linda-Chronik"
    * Nietzsches fiktive Autobiographie "My Sister and I" (Sachen gibt's …)


    Das war's eigentlich schon. Doch eine eher dünne Auswahl.


  • Das ist ein himmelweiter Unterschied und der Vergleich mit den "Protokollen" nicht nur ziemlich daneben, sondern überdies wohl ein Missverständnis. Nicht die "Protokolle" und ihre Entstehung sind mit der Verschwörung gemeint (jedenfalls nicht vorrangig), sondern ihr Inhalt, der eine "jüdische Weltverschwörung" propagiert.


    Ist mir bekannt, daher gibt es kein Missverständnis. Ist das Anfertigen eines Dokuments, das eine nicht vorhandende Verschwörung konstruiert, nicht auch schon eine Verschwörung?


    Der Vergleich der "Protokolle" mit den "Märchen aus 1001 Nacht" und "Grimms Hausmärchen" ist natürlich ein wenig schief. Deshalb steht der Begriff "Verschwörung" im Threadtitel zwischen zwei Gänsefüßen. Bitte also nicht gleich alles so fürchterlich ernst nehmen ... :zwinker:


    LG


    Tom

  • Kann man auch Werke nennen, deren Helden so populär wurden, dass sie zu halbrealen Legenden mutierten?


    Dazu fiele mir "Zorro", alias Diego de la Vega, ein, der Held im Trivialroman "The Curse of Capistrano" von Johnston McCully, dessen Robin Hood-Manier ihn zu einem Nationalhelden der mittelamerikanischen Staaten machte, den viele für eine reale Gestalt halten.


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Mit etwas Nachdenken fällt mir noch ein: Carlos Castaneda, Die Lehren des Don Juan. Ein anthropologischer Hoax!