Juli 2011: Stendhal - Die Kartause von Parma


  • Ich liebe sprachliche Haarspaltereien.


    Ich auch. Aber nicht übertreiben, deshalb nur ganz kurz:


    Zitat von Giesbert

    In der Neuübersetzung gleich im ersten Absatz gestolpert: "… eine kleine Zeitung … gedruckt auf schmutziges Papier". Ich hätte da ein "schmutzigem" erwartet


    Akkusativ der Richtung: Wohin gedruckt...? Auf wen oder was...


    Ich lese auf Französisch, in der folio classique-Ausgabe. Die Edl-Übersetzung habe ich gestern ausgeliehen um ab und zu hineinzuschauen. Punkto Übersetzung ist mir als erstes der Name ins Auge gestochen: Aus Fabrice wird Fabrizio, was ich schade finde, weil bei Fabrice doch mitklingt, dass er einen Franzosen als Vater hat. Bei seinem Bruder schwankt das Original übrigens zwischen Ascanio und Ascagne, die anderen Namen sind italienisch.
    Noch etwas zu den Namen: Unmittelbar vorher habe ich Colomba von Merimée gelesen, eine Novelle, die 1840 erschienen ist: dort heisst ein Dorf gleich wie hier die Gräfin: Pietranera! Zufall? In Colomba geht es um Rache, mal schauen, wie sich die Kartause weiterentwickelt.


    Gelesen habe ich die ersten 5 Kapitel, Fabrice ist in den Krieg gezogen. Die ganze Geschichte und die Art, wie er es erlebt, erinnerte mich an den Simplizissimus. Er wird von einem Abenteuer zum nächsten getrieben und begreift gar nicht, was ihm geschieht.


    Zitat von Giesbert

    Was die Erzählperspektive angeht, geht es schon auf den ersten Seiten etwas drunter und drüber.


    Danke für den Denkanstoss, Giesbert! Werde den Anfang nochmals ein bisschen genauer lesen.


    Gruss, Jandix


  • Was die Erzählperspektive angeht, geht es schon auf den ersten Seiten etwas drunter und drüber. Das Buch beginnt mit dem üblichen "allwissenden Erzähler", der sagt dann plötzlich und recht unvermittelt "Ich", eine Figur erzählt ihm etwas, der Leser wird plötzlich direkt mit "Sie" angesprochen, als würde der Erzähler die Geschichte in geselliger Runde erzähle. ...


    Hast Du den "Hinweis" ("Avertissement") vor dem ersten Kapitel mit einbezogen? Dort wird die Geschichte dem Ich-Erzähler tatsächlich in geselliger Runde erzählt, und da er erklärt, sie zu einer Erzählung verarbeiten zu wollen, erhält er noch die Aufzeichnungen ("les annales") des Domherrn.
    Zu Beginn seiner Erzählung tritt er für eine Weile in den Hintergrund, schiebt aber schon nach 3 Seiten eine längere Binnenerzählung ein, vom Leutnant Robert.
    Unmittelbar nach der Geburt des Helden folgt die erste Leseransprache: "... ce marquis del Dongo si grand seigneur, et dont vous connaissez déjà le gros visage blême,..." (... Marchese del Dongo, jenes Grandseigneurs, dessen feistes bleiches Gesicht .... Sie bereits kennen.)


    Ich finde das nicht "drunter und drüber", sondern sehr linear aufgebaut. Ob wohl die Rahmenerzählung am Schluss noch einmal aufgegriffen wird?
    Gruss, Jandix


  • Hast Du den "Hinweis" ("Avertissement") vor dem ersten Kapitel mit einbezogen? Dort wird die Geschichte dem Ich-Erzähler tatsächlich in geselliger Runde erzählt, und da er erklärt, sie zu einer Erzählung verarbeiten zu wollen, erhält er noch die Aufzeichnungen ("les annales") des Domherrn.


    [...]


    Ich finde das nicht "drunter und drüber", sondern sehr linear aufgebaut. Ob wohl die Rahmenerzählung am Schluss noch einmal aufgegriffen wird?


    Na ja - das "Avertissment" macht die Sache eigentlich nur noch schlimmer. Wie sagt der Franzose so schön: macédoine de fruits - auch wenn wir in Italien sind: Fruchtsalat. Mich stört es nicht, aber - wenn's nicht Absicht ist, ist's halt doch ein Hinweis auf einen ungeübten oder schludrig arbeitenden Autor. Angesichts der Tatsache, dass Die Karthause von Parma 1839 (also vom 56-jährigen Bayle) in 59 Tagen nicht geschrieben sondern diktiert wurde, tippe ich dann doch auf letzteres ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • « C’est dans l’hiver de 1830 et à trois cents lieues de Paris que cette nouvelle fut écrite ; … »


    Die Erzählung wurde allerdings nicht 1200 km (das entspricht den 300 Meilen) von Paris geschrieben, sondern mitten in Paris und zwar in der rue Caumartin Nr. 8 und wie sandhofer schon anmerkte diktiert und das auch nicht im Winter 1830, sondern im Winter 1838, um genau zu sein vom 4. November bis zum 26. Dezember 1838, - 53 Tage: eine erstaunlich kurze Zeit für einen solchen Roman, Stendhal arbeitete dabei täglich mehr als 10 Stunden, Besuchern wurde gesagt er sei auf der Jagd.


    Wo wären die 1200 km von Paris gewesen:
    Paris – Parma ist Luflinie 756 km
    Paris – Padua ist Luftlinie 816 km, die Strecke beträgt 1.080 km
    Paris – Rom ist Luftlinie 1.106 km, die Strecke beträgt 1.444 km
    Hmm

  • Die Erzählung wurde allerdings nicht 1200 km (das entspricht den 300 Meilen) von Paris geschrieben, sondern mitten in Paris


    Wo wären die 1200 km von Paris gewesen:
    Paris – Parma ist Luflinie 756 km
    Paris – Padua ist Luftlinie 816 km, die Strecke beträgt 1.080 km
    Paris – Rom ist Luftlinie 1.106 km, die Strecke beträgt 1.444 km


    Gehts um die Kartause? Ich dachte, dass Stendhal sie während seiner Zeit als Konsul in Civitavecchia geschrieben hat, das ist lt. Google Maps ca. 50 km nördlich von Rom. In diesem Fall könnte das mit den 1200 km von Paris schon hinkommen.


  • Gehts um die Kartause? Ich dachte, dass Stendhal sie während seiner Zeit als Konsul in Civitavecchia geschrieben hat,


    Liebe Fee,


    es ist richtig, dass Stendhal „Die Kartause …“ während seiner Zeit als „Konsul in Civitavecchia“ geschrieben hat. Nicht richtig dagegen ist, dass er „Die Kartause …“ in Civitavecchia schrieb bzw. diktierte, auch wenn man das bei Wikipedia so lesen kann.
    Stendhal traf zwar am 17. April 1831 in Civitavecchia ein, nahm es aber mit seiner Anwesenheitspflicht als Konsul in der kleinen, ungeliebten Hafenstadt nicht so ernst und überließ die Bearbeitung der anfallenden Dienstgeschäfte dem Konsulatssekretär. U.a. reichte er im Februar 1836 aus gesundheitlichen Gründen ein Gesuch für 6 bis 8 Wochen Urlaub ein, das einen Monat später bewilligt wurde. Im Mai 1836 brach er deshalb nach Paris auf und hier angelangt verstand er es, seinen Diplomatenurlaub auf volle drei Jahre auszudehnen und erst im Juni 1839 erhielt er die Order nach Civitavecchia zurück zu kehren. Als er 1938 „Die Kartause …“ diktierte war er unzweifelhaft in Paris.


    LG


    Hubert

  • Liebe Fee,


    es ist richtig, dass Stendhal „Die Kartause …“ während seiner Zeit als „Konsul in Civitavecchia“ geschrieben hat. Nicht richtig dagegen ist, dass er „Die Kartause …“ in Civitavecchia schrieb bzw. diktierte, auch wenn man das bei Wikipedia so lesen kann. [...] Als er 1938 „Die Kartause …“ diktierte war er unzweifelhaft in Paris.


    Lieber Hubert,


    danke für die kompetente Klärung dieser Frage - Wikipedia weiß halt doch nicht alles. Scheint allerdings ein verbreiteter Irrtum zu sein, der Michelin-Reiseführer z.B. weiß über Civitavecchia zu berichten: "Hier nutzte der 1831 zum Konsul ernannte Stendhal die langen Momente der Muße, die dieses Amt mit sich brachte, um einige seiner Werke zu schreiben, darunter Die Kartause von Parma ."


    Viele Grüße FeeVerte

  • Hallo, ich melde mich auch mal wieder.
    Unser Nachwuchs lässt mir leider recht wenig Zeit, deshalb komme ich mit der Kartause nicht so richtig vorwärts.


    Zur Erzählperspektive: ich bin auch eher der Meinung, dass der Autor hier unsauber gearbeitet hat. (Auch wenn einer meiner ehemaligen Literaturdozenten mir jetzt gedanklich ins Genick schlägt... :zwinker: )
    Ich bin mal gespannt, ob sich die Perspektivenwechsel wiederholen, die Art und Weise könnte man dann als Beweis für oder gegen die Schludrigkeit anführen.


    Ansonsten muss ich sagen, dass mir Stendhals Humor recht gut gefällt. Leider habe ich aber schon gehört, dass er den ironischen Ton wohl nicht beibehält. Schade. Der ging wohl auch beim Diktieren verloren.


  • Ob wohl die Rahmenerzählung am Schluss noch einmal aufgegriffen wird?


    Interessante Frage und ich hab’ mal am Schluss nachgesehen: Nein! - womit es dann auch keine Rahmenerzählung wäre.


    Ansonsten geht es tatsächlich drunter und drüber! – Dabei stört mich persönlich nicht, dass die Erzählperspektive von einem auktorialen Erzähler zu einem Ich-Erzähler wechselt, der natürlich auch das Lesepublikum ansprechen darf, schon eher, dass der Ich-Erzähler, in der Szene in der von dem Vorbild vieler Autoren berichtet wird, die die Geschichte des Helden vor seiner Geburt beginnen lassen (mir persönlich fällt da nur Lawrence Sterne und „The Life and Opinions of Tristram Shandy Gentleman“ ein. Kennt Ihr mehr?) zum Wir-Erzähler wird und mir nicht klar ist, wer das „Wir“ sein soll: Ein Autorenkollektiv?.


    Aber das Alles finde ich nicht so schlimm. Wo steht übrigens geschrieben, dass ein Autor nicht die Erzählperspektive wechseln darf?


    Was mich stört, ist das inhaltliche „Drunter und Drüber“. Ein Beispiel:


    In der Edl-Übersetzung des Hanser Verlags verhungert auf Seite 21 die Gräfin Pietranera mit ihrem Gatten in Frankreich. Seite 24, [„Wir“ (und jetzt ist das „Wir“ kein Autorenkollektiv mehr sondern eine Verbrüderung zwischen Autor und Leser) haben inzwischen zehn Jahre übersprungen] ist sie dann aber eine der strahlendsten Frauen am Hof des italienischen Vizekönigs. Auch Graf Pietranera scheint den Hungertod überlebt zu haben, denn er stirbt ein weiteres Mal auf Seite 35 in einem merkwürdigen Duell. Bleibt zu hoffen, dass Stendhal hier nur das James Bond-Motto „You Only Live Twice“ vorweg nehmen wollte und der Graf nicht weitere Tode stirbt.


    Oder hat Edl hier falsch übersetzt, habe ich mich gefragt und in der Tat, in der Gutenberg-Version steht: (Sie) „zog es vor, in Frankreich mit ihm zu hungern“ – Wow – aber Entwarnung: „toujours folle d’amour, elle ne voulait pas quitter son mari, et mourait de faim en France avec lui.“ Und „mourir de faim» heißt nicht hungern sondern «sterben vor Hunger“, also „Sie verhungerte in Frankreich mit ihm“. Sicher hat der Gutenberg-Übersetzer das auch gewusst, aber er hat einfach Stendhal verbessert. Darf ein Übersetzer logische Fehler des Autors beseitigen, frage ich mich. Was meint Ihr?


  • Und „mourir de faim» heißt nicht hungern sondern «sterben vor Hunger“, also „Sie verhungerte in Frankreich mit ihm“. Sicher hat der Gutenberg-Übersetzer das auch gewusst, aber er hat einfach Stendhal verbessert. Darf ein Übersetzer logische Fehler des Autors beseitigen, frage ich mich. Was meint Ihr?


    Es geht nichts über ein gutes Wörterbuch: Umgangssprachlich, im übertragenen Sinn (fig.) heisst "mourir de faim" auch "am Verhungern sein, vor Hunger vergehen." Wäre übrigens auch bei leo.org so zu finden...
    Pech für die Übersetzung ist hier, dass verhungern meiner Meinung nach im Deutschen nur im Präsens im übertragenen Sinn gebraucht wird.


    Die ganze Vorgeschichte im 1. Kapitel wirkt tatsächlich drunter und drüber, doch widerspiegelt das in meinen Augen gut die politischen Wirren der Zeit.


    Gruss aus dem 6. Kapitel,
    Jandix


  • Es geht nichts über ein gutes Wörterbuch: Umgangssprachlich, im übertragenen Sinn (fig.) heisst "mourir de faim" auch "am Verhungern sein, vor Hunger vergehen."


    Danke, Jandix, fürs Nachschlagen im Wörterbuch, dazu war ich zu faul – oder zu arrogant und hab’ mich auf meine Französischkenntnisse verlassen, das Beispiel zeigt aber, dass es hier noch Verbesserungsmöglichkeiten gibt, was ja einer der Gründe ist, warum ich diesen Roman lese.



    Die ganze Vorgeschichte im 1. Kapitel wirkt tatsächlich drunter und drüber, doch widerspiegelt das in meinen Augen gut die politischen Wirren der Zeit.


    Da hast Du Recht, hat Deiner Meinung nach Stendhal das deshalb bewusst so gestaltet – das wäre dann genial?


    Gruß


    Hubert


  • Unser Nachwuchs lässt mir leider recht wenig Zeit, deshalb komme ich mit der Kartause nicht so richtig vorwärts.


    Mach Dir deswegen keinen Stress – Giesbert und sandhofer geht es anscheinend, mir ganz sicher, ähnlich, wenn auch vermutlich aus anderen Gründen – und wenn die Vorausleser sich etwas gedulden oder sich zwischendurch mit dem Autor beschäftigen, kann das noch eine sehr schöne Leserunde werden – das Potenzial ist jedenfalls vorhanden.


    LG


    Hubert


  • Die ganze Vorgeschichte im 1. Kapitel wirkt tatsächlich drunter und drüber ...


    Ich erlaube mir kurz in Eure Runde zu treten mit dem Hinweis, dass ich sowohl Stendhal als auch Balzac für schlechte Stilisten halte. Insbesondere Stendhal hat seine Romane mehr oder weniger im Vorbeigehen auf das Papier "gerotzt" und war Lichtjahre entfernt von den stilistischen Quälereien, denen Flaubert sich unterwarf.


    So, ich bin dann wieder weg und wünsche Euch weiterhin viel Spaß!


    Tom

  • Insbesondere Stendhal hat seine Romane mehr oder weniger im Vorbeigehen auf das Papier "gerotzt" und war Lichtjahre entfernt von den stilistischen Quälereien, denen Flaubert sich unterwarf.


    Dieses Dilemma scheint auch für die abrupten Szenenwechsel im Ersten Buch verantwortlich zu sein. Der Zweite Teil ist in dieser Hinsicht gediegender. Bloß im Romanschluss, ich verrate noch nicht, worum es da geht, schlammt Stendhal gewaltig dahin, als ob er keine Lust mehr zum Schreiben gehabt hatte. Dieselbe Lustlosigkeit muss Tolstoi am Ende von "Auferstehung" getrieben haben, "Auferstehung" sonst ein guter Roman ist.


    Liebe Grüße
    mombour


  • Ich erlaube mir kurz in Eure Runde zu treten mit dem Hinweis, dass ich sowohl Stendhal als auch Balzac für schlechte Stilisten halte. Insbesondere Stendhal hat seine Romane mehr oder weniger im Vorbeigehen auf das Papier "gerotzt"...


    Man traut sich ja nicht gleich so was zu sagen, aber mir kam der Gedanke auch schon.
    Ich hab mich sogar schon gefragt, ob Stendahl den Roman nach dem Diktat nicht wenigstens nochmal komplett gelesen hat, um manche Schnitzer glatt zu bügeln, die einfach passieren, wenn man den Text nicht ständig vor Augen hat.
    Vor allem die Wiederholungen finde ich unschön (z.B. als Fabrizio am Ende der Schlacht von Waterloo "am verhungern" war). Man hat den Eindruck, dass Stendahl einen gewissen Ausdruck unbedingt unterbringen wollte und vergessen hat, dass er diesen Ausdruck schon ein paar Absätze zuvor diktiert hat.

  • Mit den zwei Pässen, die Fabrizio vor seinem Kriegseinsatz erhält, zeigt Stendhal welche Wege unser Held einschlagen wird. Ich will nur mal auf den ersten Pass eingehen, der ihn als Vasi, einen "mit seiner Ware reisenden Barometerhändler" ausweist (S. 49). Fabrizio hat aber keine Barometer (damals gab es nur nach dem Prinzip der kommunizierenden Röhren funktionierende Flüssigkeitsbarometer) bei sich, d.h. er ist selbst kommunizierende Röhre, was der Name Vasi im ital. ja auch bedeutet. Fabrizio und das zeigen die folgenden Kapitel ist immer bereit in Kommunikation zu treten.
    Wie Goethe in seinem imo besten Roman auf das chemische Prinzip der Wahlverwandschaften zurückgreift, so greift Stendhal (übrigens wie Goethe Freimauerer) in der Kartause auf das physikalische Prinzip der kommunizierenden Röhre zurück um menschliches Empfinden darzustellen.



    Fabrice ist in den Krieg gezogen. Die ganze Geschichte und die Art, wie er es erlebt, erinnerte mich an den Simplizissimus. Er wird von einem Abenteuer zum nächsten getrieben und begreift gar nicht, was ihm geschieht.


    Ja schon bevor er in den Krieg zieht gibt es Ähnlichkeiten mit dem Simplizissimus z.B. die Erziehung durch einen Geistlichen und dass er weder Lesen noch Schreiben kann, d.h. aber imo nicht, dass Stendhal den Grimmelshausen kannte, ich denke eher beide schöpfen aus der selben Quelle: Parzival. Fabrizio, der reine Tor!


  • Ich erlaube mir kurz in Eure Runde zu treten mit dem Hinweis, dass ich sowohl Stendhal als auch Balzac für schlechte Stilisten halte.


    Geht's um die Kartause? - Ich wusste gar nicht, dass Balzac da mitgeschrieben hat. Vielen Dank für den Hinweis!
    [Übrigens hätten gute Stilisten hier "für einen schlechten Stilisten" geschrieben (Der Oberlehrer)]


    Zum Thema:
    Aufgefallen war mir, dass unser Held häufig das Pferd wechselt, beim nachzählen waren's dann aber doch nur vier! Pferde die Fabrizio während der Schlacht von Waterloo benutzt und mit jedem der vier Pferde lernt unser Held ein anderes Element kennen:
    z.B Seite 57 stürzt sein Klepper und Fabrizio macht mit dem Morast der Erde Bekanntschaft, das zweite Pferd führt ihn (Seite 62) ins Wasser und Seite 99/100 wird unser Held zusammen mit seinem Pferd im Stall vom Feuer heimgesucht.
    Das klingt nach Initiationsritus. Zuerst habe ich an Freimauerer gedacht - aber nein, er wird ja von einer Priesterin (in Gestalt der Marketenderin) übers Schlachtfeld geführt und eingeweiht - das muss also 2-3 Tausend Jahre älter sein. Und ja - schon im zweiten Kapitel weist Stendhal auf den Demeterkult hin, wenn Fabrizios Mutter (Demeter, die Bäumepflanzerin) eigenhändig Bäume pflanzt, die von Fabrizio kultig verrehrt werden und die er als Orakel benutzt, bevor er in den Krieg zieht (Seite 45/46).


    Stendhal hat hier, möglicherweise in Anlehnung an eine Schlachtbeschreibung Herodots die eleusinische Initiation (Die Mysterien von Eleusis wurden von ca. 1.500 v. Chr bis 352 n. Chr, als sie von Theodosius verboten wurden, alljährlich zur Initiation ausgewählter Jünglinge, gefeiert) von Fabrizio beschrieben.


    So was hätte imo z.B. ein Flaubert nicht hingekriegt und wenn er sich Lichtjahre gequält hätte, Flaubert war halt kein Genie wie Stendhal.

  • Das klingt nach Initiationsritus. Zuerst habe ich an Freimauerer gedacht - aber nein, er wird ja von einer Priesterin (in Gestalt der Marketenderin) übers Schlachtfeld geführt und eingeweiht - das muss also 2-3 Tausend Jahre älter sein. Und ja - schon im zweiten Kapitel weist Stendhal auf den Demeterkult hin, wenn Fabrizios Mutter (Demeter, die Bäumepflanzerin) eigenhändig Bäume pflanzt, die von Fabrizio kultig verrehrt werden und die er als Orakel benutzt, bevor er in den Krieg zieht (Seite 45/46).


    Stendhal hat hier, möglicherweise in Anlehnung an eine Schlachtbeschreibung Herodots die eleusinische Initiation (Die Mysterien von Eleusis wurden von ca. 1.500 v. Chr bis 352 n. Chr, als sie von Theodosius verboten wurden, alljährlich zur Initiation ausgewählter Jünglinge, gefeiert) von Fabrizio beschrieben.


    So was hätte imo z.B. ein Flaubert nicht hingekriegt und wenn er sich Lichtjahre gequält hätte, Flaubert war halt kein Genie wie Stendhal.


    Über etwaige Bezüge zu antiken Motiven ließe sich sicherlich noch viel spekulieren, aber möglicherweise nicht mit klarem Ergebnis.


    Was die Fürsorge der Marketenderin angeht, so deutet sie imho ein konstantes Muster in Fabrizios Leben an: Er ist, abgesehen von einigen wenigen emanzipatorischen Aufwallungen, das ganze Buch über Objekt (zumeist) weiblicher Fürsorge und Dominanz, eine freundliche, charakterschwache Niete, die weitgehend konzeptlos und opportunistisch durchs Leben trudelt und durch seine Gönnerinnen und Gönner je nach Gusto mal gefördert, mal behindert wird. Damit ist er das völlige Gegenstück zu dem kontrollsüchtigen, manipulativen Karrieristen Julien Sorel aus "Rot und Schwarz". Fabrizio wird so sehr zum Spielball des Schicksals bzw. seiner sozialen Umwelt, dass er im zweiten Teil der Kartause kaum noch als Handelnder in Erscheinung tritt. Trotzdem bleibt er die ganze Zeit Dreh- und Angelpunkt des Romans - aber eben nur als Objekt, über das verhandelt und entschieden wird, das aber selbst keinen Einfluss auf das eigene Leben hat. S gesehen ist Fabrizio mit Oblomov möglicherweise viel enger verwandt als mit Parzival.


    Und ja, wir können ja bei Gelegenheit mal ein Schlammcatchen zwischen Henri The Undertaker Stendhal und Gustave The Steamroller Flaubert anberaumen. Der Gewinner darf dann gegen Maupassant antreten - in der nächsthöheren Gewichtsklasse. :zwinker:


  • Lieber Hubert,


    danke für die kompetente Klärung dieser Frage -


    Liebe Fee,


    danke für Dein Kompliment, - so stolz ich wäre, ein solches Lob von Dir zu Recht zu erhalten: mit einer guten Biographie in petto kann ja jeder klug daherreden. in diesem Fall habe ich mehr oder weniger aus den Biographien von Robert Alter und Johannes Willms geschöpft, wobei ich die Details daraus entnommen habe, die Tatsache, dass Stendhal hier nicht ganz die Wahrheit sagt war mir schon früher bewusst, da ich in einer Zeit in der ich Thomas Mann u.ä. Autoren noch nicht verstand, also im Teeny-Alter mich für eher kindergerechte Autoren wie Stefan Zweig gegeisterte und der beginnt seine Lobeshymne über Strendhal [aus dem Gedächtnis zitiert:] wie folgt „Wenige haben mehr gelogen …….
    Setzt er ein Datum, so kann man schwören, es stimmt nicht, erzählt er in der Vorrede zur „Chartreuse de Parme“, dieses Buch sei 1830, und zwar zwölfhundert Meilen weit von Paris, geschrieben, so hindert dies nicht, dass er diesen Roman in Wirklichkeit 1839 (hier irrt Zweig, wie auch sandhofer, denn der Roman wurde 1838 diktiert), und zwar mitten in Paris verfasste.“


    Trotzdem wird mir Dein Lob Ansporn sein, auf Deinen letzten Beitrag werde ich allerdings heute nicht mehr antworten, - obwohl ich denke, dass Schlaf allgemein überschätzt wird – ganz ohne komme ich trotzdem nicht aus und morgen steht wieder ein harter Arbeitstag an..


    LG


    Hubert


  • [Übrigens hätten gute Stilisten hier "für einen schlechten Stilisten" geschrieben (Der Oberlehrer)]


    ???



    Flaubert war halt kein Genie wie Stendhal.


    Flaubert war kein Genie, da stimme ich Dir zu. Aber er war ein sehr reflektierter Autor. Ob Stendhal genial war, vermag ich nicht zu beurteilen. Seine Werke kommen mir teilweise wirr und zerfahren vor, was den Lesegenuss erheblich schmälert.


    LG


    Tom