Siegfried Lenz: Heimatmuseum


  • Ich muss aber sagen, im Moment interessieren mich mehr die Personen als der Heimatbegriff, der Großvater z.B. oder auch Edith. Hier spielt Lenz seine Erzählkunst richtig aus !


    diese sind mir im Moment noch zu flüchtig ! Ob wir vom Großvater tatsächlich noch mehr erfahren werden? Von Edith vermutlich schon. Conny ist mir sehr gut beschrieben und entwickelt sich interessant. Bin schon gespannt wie es weitergeht. Wie weit bist du?


    Ich komme zum 6. Kapitel.


    gestern bin ich zufällig auf folgende Zeilen von Nietzsche gestossen:


    Die Krähen schrein
    und ziehen schwirren
    Flugs zur Stadt.
    Bald wird es schnein, -
    weh dem, der keine
    Heimat hat.



    Erst wenn es verloren geht, kommt diese Sehnsucht. Es ist wie mit Glück oder mit Gesundheit; erst wenn es fehlt, bemerkt man es um so mehr.


    Im 5. Kapitel kommt indirekt die Krankenschwester zu Wort.... solange unser Museum existierte, sagte sie, hätten unsere Leute - wenn auch nur in ihrer Phantasie - heimkehren können; dies sei nun vorbei.


    Zitat von "Steffi"

    Stimmt, gleichzeitig kann es aber auch zur Belastung werden, wenn man so besessen ist wie Adam Rogalla


    oja, da hast du recht. Sah man gut als es zur Volksabstimmung ging und den Konflikt mit den Polen aufloderte.


    Edit:


    Zitat von "Steffi"

    Hier spielt Lenz seine Erzählkunst richtig aus !


    bezaubernd fand ich die Beschreibung eines Schwips':


    Der Meschkinnes: zuerst machte er mir Gummibeine, dann ließ er die Schöpfe der Fichten leicht rotieren, dann hob er die Lichtung zu schräger Ebene an, dann spannte er Draht um meine Schläfen, dann drückte er mich auf den Waldboden, dann ließ er mir das Schmugglervolk schwebend vorkommen und die Schonung selbst schlingern, wie bei Seegang.


    Liebe Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

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  • diese sind mir im Moment noch zu flüchtig ! Ob wir vom Großvater tatsächlich noch mehr erfahren werden? Von Edith vermutlich schon. Conny ist mir sehr gut beschrieben und entwickelt sich interessant. Bin schon gespannt wie es weitergeht. Wie weit bist du?


    Hallo JMaria,


    ich komme zum 10. Kapitel.


    Ich finde, im Moment entwickelt sich die Geschichte recht rasant, es gibt weniger von den abstrakten Überlegungen. Vielleicht gefällt es mir deshalb, weil ich auch immer mal wieder an Proust und die Erinnerung denke. Diese ist doch sehr individuell und grade dieses Einzigartige, könnte das durch Gegenstände erlebt bzw. ersetzt werden ? Es ist für mich schon ein Widerspruch und ich frage mich, ob es letzendlich darauf hinausläuft. Andererseits, die Teppiche bewahren und erzählen etwas ganz besonderes, kann man das so einfach vergessen ? Ein überaus komplexes und wichtiges Thema, das da ausgelöst wurde.


  • Ich finde, im Moment entwickelt sich die Geschichte recht rasant, es gibt weniger von den abstrakten Überlegungen. Vielleicht gefällt es mir deshalb, weil ich auch immer mal wieder an Proust und die Erinnerung denke. Diese ist doch sehr individuell und grade dieses Einzigartige, könnte das durch Gegenstände erlebt bzw. ersetzt werden ? Es ist für mich schon ein Widerspruch und ich frage mich, ob es letzendlich darauf hinausläuft. Andererseits, die Teppiche bewahren und erzählen etwas ganz besonderes, kann man das so einfach vergessen ? Ein überaus komplexes und wichtiges Thema, das da ausgelöst wurde.


    Hallo Steffi, hallo Lost


    ein schöner Vergleich mit Proust. Für ihn waren ja Namen und Orte sehr wichtig für die Erinnerungen. Was passiert, wenn man Namen tilgt und durch andere ersetzt? Die Erinnerung wird verfälscht, gerät in Vergessenheit, wird neu definiert. Zu Beginn des 10. Kapitels finde ich das wunderbar verdeutlicht durch die kurze Wanderschaft des Ofensetzers Eugen Lawrenz, als die Ortsnamen verändert wurden. Und dann konnte er sich sogar nicht mehr an seinen Namen erinnern.


    Erinnerung und Geschichte liegen nahe beieinander. Als die Zensur beim Heimatmuseum ankommt, wurde es sehr brenzlig. Plötzlich wird Heimatgefühl zu nationalem Stolz mißbraucht, wird zur völkischen Arroganz, alles Fremde wird gekennzeichnet.


    mir gefällt es gut wie Siegfried Lenz die NS-Zeit umschreibt; Beispiele:


    -jetzt kommen die völkische SEifensieder, die uns Reinheit und Hygiene bringen... (S. 346)
    -Auf S. 448 wird von "Ihrem Gruß" gesprochen.
    -S. 436 Uniformen mit Runen auf den Kragenspiegeln.


    ich bin im 10. Kapitel (S. 525)


    Weiß jemand was ein Ostlandreiter ist?


    Grüße von
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Weiß jemand was ein Ostlandreiter ist?


    Leider weiß ich auch nicht, wo der Begriff direkt herkommt. Ich glaube aber, das im Zusammenhang mit dem Mittelalter schon gehört zu haben. Ach, da hab ich doch noch was gefunden: "Naer Ostland willen wy rejden - Ins Ostland wollen wir reiten"


    http://www.lexikus.de/Norddeut…/Die-Eroberung-des-Ostens


    Mir gefällt nach wie vor die Erzählweise sehr gut; neben dem Heimatbegriff gibt es doch sehr viel Lokalkolorit und auch die konkrete Situation der Menschen wird deutlich.



    Erinnerung und Geschichte liegen nahe beieinander.


    Das hast du schön und sehr passend ausgedrückt. Ich bin im 12. Kapitel.

  • Hallo Steffi,


    Kapitel 11:
    "nu is all wieder Kriej."


    ein Gänsezug wurde beschossen ! Man stelle sich vor. *kopfschüttel*


    Das war dann wohl das letzte Erntedankfest, das die Domäne so gelassen feierte. Ich mußte lächeln, als ich las, dass die Leute den Schieber tanzten. ("Max du hast das Schieben raus..." *träller* , meine Eltern tanzten den sehr gern )


    mir gefällt die Art des Erzählens ebenfalls sehr gut.


    Danke für den Link, der eine schöne geschichtliche Übersicht gibt, auch der Deutschritterorden wird erwähnt und welche Rolle er im Osten spielte.


    Schöne Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

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  • Im 12. Kapitel ist nun das Kriegsende absehbar. Bis zur letzten Minute sinnlose Verteidigungsanstrengungen. Auch das kenne ich vom Erzählen meiner Großmutter, deren Nachbardorf sich noch vehement gegen die einrückenden Amerikaner gewehrt haben. Plötzlich wird der Begriff Heimat greifbarer, weil der Verlust so nahe ist. Und gleichzeitig auch der noch einzig bestehende Grund für die Verteidigung bis zum letzen Atemzug.


    Man spürt auch, dass Heimat ein sehr vielfältiger und leicht zu mißbrauchender Begriff ist, dazu mit sehr vielen Gefühlen besetzt.


  • Man spürt auch, dass Heimat ein sehr vielfältiger und leicht zu mißbrauchender Begriff ist, dazu mit sehr vielen Gefühlen besetzt.


    Sehr treffend, Steffi.


    Wie die Menschen ihre Sachen zusammen suchten in aller Eile, manchmal in Erstarrung, in Anbetracht der Dinge, die sie zurücklassen mußten, ist so traurig.


    Wie leicht Siegfried Lenz schreibt; ganz unauffällig setzt er in Kapitel 12 eine Szene, wo die Leute beim Grabenziehen 1000jährige Schlacke finden, während das sogenannte "Tausendjährige Reich" im Osten zerfiel.


    letzter Satz aus dem 12. Kapitel:
    ...es gibt keine Rückkehr, es gibt überhaupt für keinen eine Rückkehr zu dem, was einmal war, selbst wenn wir, durch Wunder und ein genaues Gedächtnis geleitet, die zerrissenen Fäden wieder aufnehmen und sie nur kurz zusammenknoten: Einmal jetrännt - für immer jetrännt, sagte Sonja Turk; nuscht is mit neuem Beginnen.


    Ein sehr starkes Kapitel.


    Ist dir der Begriff "Gehörlosen Bataillon" aufgefallen. Wird erst seit jüngeren Jahren erforscht, wie mir scheint:
    http://oehrli-treff.de/?p=61


    Schöne Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • Wie leicht Siegfried Lenz schreibt; ganz unauffällig setzt er in Kapitel 12 eine Szene, wo die Leute beim Grabenziehen 1000jährige Schlacke finden, während das sogenannte "Tausendjährige Reich" im Osten zerfiel.


    Dieser Zusammenhang ist mit gar nicht aufgefallen - danke für den Hinweis !


    Zitat


    letzter Satz aus dem 12. Kapitel:
    ...es gibt keine Rückkehr, es gibt überhaupt für keinen eine Rückkehr zu dem, was einmal war, selbst wenn wir, durch Wunder und ein genaues Gedächtnis geleitet, die zerrissenen Fäden wieder aufnehmen und sie nur kurz zusammenknoten: Einmal jetrännt - für immer jetrännt, sagte Sonja Turk; nuscht is mit neuem Beginnen.


    Ein sehr starkes Kapitel.


    Ja, ich hatte am Ende Gänsehaut, ein sehr treffender Satz !


    Zitat


    Ist dir der Begriff "Gehörlosen Bataillon" aufgefallen. Wird erst seit jüngeren Jahren erforscht, wie mir scheint:
    http://oehrli-treff.de/?p=61


    Mir ist zwar der Begriff aufgefallen, ich dachte aber nicht darüber nach. Fein, dass du recherchiert hast, danke !
    Überhaupt muss ich sagen, obwohl ich doch schon etliche Bücher mit dem Thema Nationalsozialismus gelesen habe, ist "Heimatmuseum" eines, das trotz der sehr subjektiven und zurückhaltenden Beschreibungen eines der intensivsten ist.

  • Ich habe nun am Wochenende "Heimatmuseum" beendet. Gegen Ende nahm die Geschichte richtig Fahrt auf und ja, ganz schön desillusionierend war die Situation nach dem Krieg.


    Die Wandlung Connys konnte ich nicht recht nachvollziehen. Er hatte sich doch immer auch über "Heimat" lustig gemacht und dann wird er schließlich noch Ehrenbürger. Aber es ist irgendwie eine Art Mißbrauch, die er mit dem Museum treibt, so schien es mir. Vielleicht, weil er sich im Westen nicht anpassen konnte oder keine andere Arbeit als die in seinen Lucknower Blättern fand ? Weil es schön für ihn war, so hofiert zu werden, etwas zu gelten ? Traurig ja, aber doch die Erkenntnis, dass Heimat in uns selber bleibt und das wichtiger und wertvoller ist, als das Gemeinschaftsgefühl, das beschworen wird.


    An der Erzählhaltung ist mir noch aufgefallen, dass es zwar aus der persönlichen Perspektive von Zygmund geschrieben wurde, dennoch seine inneren Gefühle nicht zur Sprache kamen. Selbst seine Gefühle beim Verlust von Frau und Kind waren nur angedeutet. Diese konsequent ausgeführte Distanziertheit und Objektivität hat mir sehr gut gefallen.


    Auch wenn ich am Anfang etwas Schwierigkeiten hatte, hat mich Siegfried Lenz auch dieses Mal wieder nicht enttäuscht. Wunderbare Atmosphäre und Beschreibungen, vielschichtige Personen, ein interessantes Thema, das vielfach beleuchtet wurde und am Ende steht eine eindeutige Aussage - ein großes Lesevergnügen.


  • Die Wandlung Connys konnte ich nicht recht nachvollziehen. Er hatte sich doch immer auch über "Heimat" lustig gemacht und dann wird er schließlich noch Ehrenbürger. Aber es ist irgendwie eine Art Mißbrauch, die er mit dem Museum treibt, so schien es mir. Vielleicht, weil er sich im Westen nicht anpassen konnte oder keine andere Arbeit als die in seinen Lucknower Blättern fand ? Weil es schön für ihn war, so hofiert zu werden, etwas zu gelten ? Traurig ja, aber doch die Erkenntnis, dass Heimat in uns selber bleibt und das wichtiger und wertvoller ist, als das Gemeinschaftsgefühl, das beschworen wird.


    Hallo Steffi,


    du machst mir Conny verständlich. Ich habe seine Wandlung nicht so recht verstanden. Aber was du schreibst ist schlüssig. Geltungsbedürfnis, Nicht-Anpassung an die neue Heimat, Leben in der Erinnerung.


    Zygmunt dagegen hat begriffen, dass die Erinnerung uns nicht weggenommen werden kann, sie sind in uns und leben in uns. Aber es gibt auch eine Gegenwart und eine Zukunft und er zeigte uns, dass es einen Mißbrauch mit dem Begriff Heimat gab und immer wieder geben könnte.


    Besonders gefallen hat mir Siegfried Lenz dezente Symbolik; das Feuer (eine Art Reinigung, Neubeginn?), seine äußere Heilung (die neuen Hautinseln hat sein Körper akzeptiert) parallel zu der inneren Heilung (das Erzählen), seine feinen Umschreibungen wenn es um Kriegshandlungen ging. Ja, das ist für mich Siegfried Lenz. Das Versöhnen und dass Zufriedenheit wichtiger als Stolz ist, das kommt in seinen Werken immer ans Licht.


    Eine schöne Leserunde war das mit Lost und mit dir. Danke :winken:


    Grüße von
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

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  • Hallo JMaria,
    hallo Lost !



    Besonders gefallen hat mir Siegfried Lenz dezente Symbolik; das Feuer (eine Art Reinigung, Neubeginn?), seine äußere Heilung (die neuen Hautinseln hat sein Körper akzeptiert) parallel zu der inneren Heilung (das Erzählen), seine feinen Umschreibungen wenn es um Kriegshandlungen ging. Ja, das ist für mich Siegfried Lenz. Das Versöhnen und dass Zufriedenheit wichtiger als Stolz ist, das kommt in seinen Werken immer ans Licht.


    Ich gebe dir völlig Recht - Lenz bleibt immer seinen Werten treu und kann diese auch immer dezent und unaufdringlich erläutern.


    Auch ich habe unsere Leserunde wieder sehr genossen, vielen Dank euch beiden !