Gestern im Theater

  • Es wundert mich immer wieder, dass Literaturfreunde oft reine Bücherleser sind, sich aber nicht für Theater interessieren. Oder was ist sonst der Grund, dass dieser Thread schon 2 1/2 Jahre verwaist ist? Ich jedenfalls war gestern im Theater und will es hier zumindestens erwähnen.


    Seit ich letztes Jahr Thomas Manns "Doktor Faustus" gelesen habe, war ich auf der Suche nach einer Aufführung von Shakespeares Komödie "Verlorene Liebesmüh", ein eher selten aufgeführtes Stück - auch ich habe es bisher erst einmal (vor vielen Jahren als Freiluftaufführung in Neustadt/Weinstr.) gesehen. Gestern jedenfalls im Fritz Rémond Theater in Frankfurt habe ich mich sehr gut unterhalten. Die Komödie ist einfacher gestrickt als Shakespeares spätere Werke, aber von Anfang bis Ende ein reines Vergnügen. Auch die Rollen waren durchweg hervorragend besetzt, sowohl der junge König von Navarra mit seinen Hofherren, als auch die Prinzessin von Frankreich mit ihren Hofdamen, - herausragend Karsten Kramer als Diener Schädel.


    Eine Frage bleibt offen: "Warum hat der intellektuelle Adrian Leverkühn (Thomas Manns Doktor Faustus) ausgerechnet diese leichte Komödie vertont?

  • Es wundert mich immer wieder, dass Literaturfreunde oft reine Bücherleser sind, sich aber nicht für Theater interessieren. Oder was ist sonst der Grund, dass dieser Thread schon 2 1/2 Jahre verwaist ist?


    Vielleicht, dass wir unser Theater im Kopf so viel besser finden als das auf der Bühne? Nicht zu vergessen, die Tatsache, dass xenophanes zwar regelmässiger Theatergänger ist, aber hier nie etwas dazu schreibt ... ;)


    Eine Frage bleibt offen: "Warum hat der intellektuelle Adrian Leverkühn (Thomas Manns Doktor Faustus) ausgerechnet diese leichte Komödie vertont?


    Vielleicht, weil so das Libretto der Musik nicht im Wege steht? Wenn ich es mir so überlege: Mit Ausnahme von Wagner, der sich allerdings seine eigenen Libretti schrieb, können wohl die wenigsten Libretti einem höheren literarischen Anspruch Genüge tun, wenn man sie nur liest.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • Es wundert mich immer wieder, dass Literaturfreunde oft reine Bücherleser sind, sich aber nicht für Theater interessieren.


    Das ist etwas, was ich noch nie ganz verstanden habe: Nur weil ich gerne Bücher lese und mich für Literatur interessiere, muss ich doch nicht zwangsläufig gerne ins Theater gehen oder mir bildende Kunst anschauen.


    Ich zumindest finde das alles sehr langweilig. Hin und wieder schaue ich mir Theaterstücke an. Freunde von mir spielen an einem kleinen Theater in Wien. Gesehen habe ich schon von Brecht "Baal" und von Wolfgang Bauer "Gespenstern".
    Beide hätte ich mir aber nie freiwillig angeschaut.


    Und bei bildender Kunst muss ich leider komplett passen. Mein Vater liebt es stundenlang vor einem Bild zu verharren, ich habe diese Liebe von ihm eindeutig nicht geerbt.


    Katrin

  • Hallo Katrin,
    hallo zusammen!



    Das ist etwas, was ich noch nie ganz verstanden habe: Nur weil ich gerne Bücher lese und mich für Literatur interessiere, muss ich doch nicht zwangsläufig gerne ins Theater gehen oder mir bildende Kunst anschauen.


    Da hast Du absolut Recht! Schon der zweite Fall heute, wo ich mich nicht ausführlich genug ausgedrückt habe. Nur weil Du gerne Bücher liest, musst Du natürlich nicht auch gerne ins Theater gehen! Das wäre ja als würde ich von einem der mir erzählt, dass er gerne Fußball im Fernsehen sieht verlange er muss sich auch beim Neujahrsskispringen in Garmisch kalte Füße holen. Aber wenn wir uns irgendwo zufällig begegnen würden und Du würdest mir beim Small-Talk erzählen, dass Du dich für Literatur interessierst, könnte es schon sein, dass ich Dich nach Deinem letzten Theatererlebnis fragen würde. Weil zur Literatur gehört halt neben Epik und Lyrik auch die Dramatik und die guckt man sich am besten im Theater an.



    Ich zumindest finde das alles sehr langweilig. Hin und wieder schaue ich mir Theaterstücke an. Freunde von mir spielen an einem kleinen Theater in Wien. Gesehen habe ich schon von Brecht "Baal" und von Wolfgang Bauer "Gespenstern".
    Beide hätte ich mir aber nie freiwillig angeschaut.


    Auch da kann ich Dir nur zustimmen. Brecht im Theater? Also nur wenn ich mich quälen will und Wolfgang Bauers Gespenster kenne ich nicht mal dem Namen nach. Von ihm habe ich nur ein Stück gesehen – aber, dass ich mich nicht mal mehr an den Titel erinnere sagt ja schon was – kann sein es hieß so ähnlich oder genau so wie ein Song von den Small Faces, aber auch da fällt mir der Titel jetzt nicht ein.


    Imo wird in Wien auch oft professionelles Theater gespielt, guck doch mal ob Du auf einem Spielplan von WS Macbeth oder King Lear oder von Schiller Don Carlos oder von Ibsen Die Wildente findest – und dann geh hin. Wenn Du dann hier berichtest, das war aber sehr langweilig, will ich Dir den Eintrittspreis gerne erstatten.



    Und bei bildender Kunst muss ich leider komplett passen. Mein Vater liebt es stundenlang vor einem Bild zu verharren, ich habe diese Liebe von ihm eindeutig nicht geerbt.


    Vielleicht hat Dich dein Vater ja mit seinem stundenlangen Verharren vor einem Bild für die bildende Kunst verdorben? Wer länger als 10 Minuten vor einem Bild verharrt – ist mir persönlich schon suspekt. Lieber kehre ich alle halbe Stunde zu einem Bild zurück. Wenn Du mal in Italien bist werf mal in den vatikanischen Museen in Rom einen Blick auf „Die Schule von Athen“ und in Florenz auf die Gemälde von Botticelli und wenn Dir die gegenständliche Kunst nichts sagt, vertieft Dich mal in ein Gemälde aus Kandinskys Spätwerk – wenn das auch nicht hilft, dann bist Du wohl für die Kunst verloren. .


    Liebe Grüße
    Hubert

  • Hallo sandhofer,
    hallo zusammen,



    Vielleicht, dass wir unser Theater im Kopf so viel besser finden als das auf der Bühne?


    Das geht mir manchmal auch so, aber ohne das Regulativ auf der Bühne, verliert man da nicht schnell die Kontrolle?


    Nicht zu vergessen, die Tatsache, dass xenophanes zwar regelmässiger Theatergänger ist, aber hier nie etwas dazu schreibt ...


    Schlimm! Und dabei könnte er doch soviel hier beitragen. Btw: Was ist aus ikarus geworden – auch ein fleißiger Theatergänger und imo der eigentliche Gründer dieses Forums! – oder habe ich da wieder mal etwas falsch verstanden?


    Vielleicht, weil so das Libretto der Musik nicht im Wege steht? Wenn ich es mir so überlege: Mit Ausnahme von Wagner, der sich allerdings seine eigenen Libretti schrieb, können wohl die wenigsten Libretti einem höheren literarischen Anspruch Genüge tun, wenn man sie nur liest.


    Da hast Du ein Thema angeschnitten, dass eigentlich einen eigen Thread verdient. Wenn wir von Operette und von einem realen Komponisten sprechen würden – würde ich sage, Deine Antwort ist wieder einmal fast genial, aber wir sprechen von Oper und von Thomas Manns Romanfigur und Thomas Mann hat nicht realistisch geschrieben!


    Btw: Außer bei Wagner (da hast Du natürlich ins Schwarze getroffen) gibt es weitere Libretti die der Musik ebenbürtig sind: „Undine“, Text und Musik von Lorzing, „Mefistofele“, Text und Musik von Boito, die Mozart/da Ponto – Opern – auch Richard Strauß hatte zumindest zwei geniale Librettisten.


    Ich hatte aber gar nicht Komposition : Libretto gemeint (WS war ja nicht der Librettist von Leverkühn, sondern hat die literarische Vorlage geliefert – und da behaupte ich mal: auch in der wirklichen Opernwelt haben mehr als 50% aller guten Opern auch eine gute literarische Vorlage.


    Falls Du oder andere das Thema vertiefen wollen, kannst Du gerne diesen Beitrag (ein unter Zeitnot entstandener Schnellschuß) abtrennen und einen eigenen Thread anlegen.


    Viele Grüße


    Hubert

  • Hallo Hubert,



    Aber wenn wir uns irgendwo zufällig begegnen würden und Du würdest mir beim Small-Talk erzählen, dass Du dich für Literatur interessierst, könnte es schon sein, dass ich Dich nach Deinem letzten Theatererlebnis fragen würde. Weil zur Literatur gehört halt neben Epik und Lyrik auch die Dramatik und die guckt man sich am besten im Theater an.


    Dann sind wir uns noch nie begegnet. Die Leute, die ich kenne, fragen mich höchstens, was ich als Letzes im Kino gesehen habe. Was ich lese interessiert die alle gar nicht und da ich neben dem üblichen Mainstream auch noch Klassiker lese, bin ich sehr vielen sowieso suspekt. Also spare ich das Thema meistens aus.




    Imo wird in Wien auch oft professionelles Theater gespielt, guck doch mal ob Du auf einem Spielplan von WS Macbeth oder King Lear oder von Schiller Don Carlos oder von Ibsen Die Wildente findest – und dann geh hin. Wenn Du dann hier berichtest, das war aber sehr langweilig, will ich Dir den Eintrittspreis gerne erstatten.


    Ich nehme dich beim Wort :breitgrins:
    Ich denke, das Problem ist, dass ich beruflich manchmal ins Theater gehen muss. Voriges Jahr musste ich mir eine Oper von Haydn ansehen: Die Welt auf dem Mond.
    Meistens habe ich nur die Augen verdreht und mir gedacht: Was für einen Schwachsinn zeigen die da?? Da wird einem Mann weis gemacht, dass er plötzlich auf dem Mond ist und der glaubt das auch noch.
    Nach solchen Erlebnissen habe ich einfach keine Lust ins Theater zu gehen, weil ich mir immer wieder denke: Für so einen Blödsinn soll ich auch noch Geld ausgeben. Schlimm genug, dass ich mir das ansehen muss weil ich eingeladen werde.




    Vielleicht hat Dich dein Vater ja mit seinem stundenlangen Verharren vor einem Bild für die bildende Kunst verdorben?


    Das denke ich nicht. Von meinem Vater habe ich die Liebe zum Lesen geerbt. Und in Museen geht er erst seit meine Mutter vor einigen Jahren gestorben ist. Meine kleine Schwester und ich haben uns mal angeboten ihn zu begleiten. Wir waren bei einer Klimt Ausstellung und die war ja auch sehr interessant, aber mein Vater brauchte für einen Raum ewig. Schwesterherz und ich haben uns die Bilder angesehen und uns dann meist in die Mitte des Raums auf die Sessel gesetzt und gewartet bis er fertig war.
    Mit Bilder konnte ich noch nie was anfangen. Die meisten sind mir zu abstrakt, einige sind schon sehr schön, aber extra in eine Ausstellung gehen ist eben doch nicht meins. Von daher könntest du recht haben, wenn du schreibst:




    dann bist Du wohl für die Kunst verloren.


    Katrin

  • Meistens habe ich nur die Augen verdreht und mir gedacht: Was für einen Schwachsinn zeigen die da?? Da wird einem Mann weis gemacht, dass er plötzlich auf dem Mond ist und der glaubt das auch noch.
    Nach solchen Erlebnissen habe ich einfach keine Lust ins Theater zu gehen, weil ich mir immer wieder denke: Für so einen Blödsinn soll ich auch noch Geld ausgeben. Schlimm genug, dass ich mir das ansehen muss weil ich eingeladen werde.
    [/quote]


    Ist das nicht merkwürdig für jemand der "Fantasy" liest?

  • Ist das nicht merkwürdig für jemand der "Fantasy" liest?


    Nein, eigentlich nicht. Denn im Theater erwarte ich was ernstes, was reales, was handfestes und keine Fantasy-Geschichte. Vielleicht bin ich aber auch mit der falschen Einstellung hinein gegangen. Immerhin ist die Oper von Haydn, dem habe ich so viel Einfallsreichtum gar nicht zugetraut.


    Katrin

  • Btw: Außer bei Wagner (da hast Du natürlich ins Schwarze getroffen) gibt es weitere Libretti die der Musik ebenbürtig sind: „Undine“, Text und Musik von Lorzing, „Mefistofele“, Text und Musik von Boito, die Mozart/da Ponto – Opern – auch Richard Strauß hatte zumindest zwei geniale Librettisten.


    Libretti, die der Musik ebenbürtig sind, bzw. sog. "kongeniale" Librettisten: Ja. Das sind Libretti, die sich so gut an die Musik anschmiegen, dass die Oper wie aus einem Guss wirkt. Immer aber steht die Musik im Vordergrund und der Komponist. "Le nozze di Figaro" oder der "Don Giovanni" sind von Mozart. Nicht von da Ponte. Nicht einmal von Mozart und da Ponte. Und als eigenständige literarische Werke sind da Pontes Libretti ja auch nicht bekannt.


    Aber eigentlich war die Frage ja eine andere, da hast Du Recht. Nämlich die, warum Leverkühn eine recht bescheidene Vorlage für seine Oper genommen hat. Zwar von Shakespeare, aber nicht sein Bestes. Ich vermute ja einen Zusammenhang mit Mozart. Nicht nur, dass dessen "Figaro" einem bekannten Bühnenstück entliehen wurde, auch in der "Zauberflöte" finden sich ja - neben dem Alt-Wiener Volkstheater - Themen und Sujets aus dem Klassiker Wieland wieder. Bzw. einem Schwiegersohn, wenn ich mich recht erinnere.


    Nein, eigentlich nicht. Denn im Theater erwarte ich was ernstes, was reales, was handfestes und keine Fantasy-Geschichte. Vielleicht bin ich aber auch mit der falschen Einstellung hinein gegangen. Immerhin ist die Oper von Haydn, dem habe ich so viel Einfallsreichtum gar nicht zugetraut.


    Und das von einer Landsfrau von Raimund, Nestroy und Mozart? :breitgrins:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Nein, eigentlich nicht. Denn im Theater erwarte ich was ernstes, was reales, was handfestes und keine Fantasy-Geschichte. V


    Irgendwie hast du Recht. Keine Zauberflöte, kein Sommernachtstraum, kein Geist der stets verneint, was uns da alles erspart bleiben würde. :breitgrins:


  • Und das von einer Landsfrau von Raimund, Nestroy und Mozart? :breitgrins:


    :breitgrins: Ja, der Jux, den er sich da macht, geht auf meine Kosten :breitgrins:




    Irgendwie hast du Recht. Keine Zauberflöte, kein Sommernachtstraum, kein Geist der stets verneint, was uns da alles erspart bleiben würde. :breitgrins:


    Lustige Theater sind ja okay, so wie Nestroy, oder die ganzen Verwechslungskomödien. Und wenn ich diese Stücke lese finde ich sie auch sehr interessant, auch Shakespeare natürlich, aber was so manche Intendanten aus der Vorlage machen :rollen:
    Wenn ich mir die Kulturbeilage der Zeitungen so ansehe und die Fotos dazu, habe ich oft das Gefühl, dass alle nur mehr halbnackt auf der Bühne herumrennen um Aufmerksamkeit zu erregen.


    Und kann mir mal einer erklären, warum alle Stücke in die Gegenwart geholt werden müssen? Das ist etwas was ich auch noch nicht verstanden habe. Wieso muss alles modernisiert werden? Aber wirklich beitragen kann ich zu dem Thema nicht, denn bei der Diskussion über die Libretti bin ich komplett ausgestiegen.


    Katrin


  • Lustige Theater sind ja okay, so wie Nestroy, oder die ganzen Verwechslungskomödien. Und wenn ich diese Stücke lese finde ich sie auch sehr interessant, auch Shakespeare natürlich, aber was so manche Intendanten aus der Vorlage machen :rollen:
    Wenn ich mir die Kulturbeilage der Zeitungen so ansehe und die Fotos dazu, habe ich oft das Gefühl, dass alle nur mehr halbnackt auf der Bühne herumrennen um Aufmerksamkeit zu erregen.


    Und kann mir mal einer erklären, warum alle Stücke in die Gegenwart geholt werden müssen? Das ist etwas was ich auch noch nicht verstanden habe. Wieso muss alles modernisiert werden? Aber wirklich beitragen kann ich zu dem Thema nicht, denn bei der Diskussion über die Libretti bin ich komplett ausgestiegen.


    Mir geht es da ähnlich wie dir. Ich gehe so gut wie gar nicht ins Theater, weil mich die meisten Inszenierungen nicht ansprechen. Es ist nicht leicht zu beschreiben, warum es so ist.


    Im Rahmen meines Studiums war ich zweimal in Stratford und dort sind wir jedesmal eine Woche lang jeden Tag einmal, manchmal auch zweimal ins Theater gegangen; die meisten Inszenierungen haben mir ganz gut gefallen. Ich fand auch die meisten Inszenierungen im neuen Globe in London ganz gut. Ich weiß nicht, ob das heute in England immer noch so ist (meine Erfahrungen liegen mindestens 10 Jahre zurück), aber es gab dort weniger experimentelle und "moderne" Inszenierungen.


    Ich erinnere mich noch, als mal eine Engländerin gemeint hat, wenn sie in Deutschland ist, nimmt sie ihre Tochter ungern mit ins Theater, weil dort ständig nackte Männer rumrennen :breitgrins:.


    Mir gefallen traditionelle oder historische (oder wie auch immer man das nennt) Inszenierungen viel besser, als die neuen, modernen. Solche modernen habe ich in England auch gesehen (z.B. Macbeth im Globe), die haben mir meist auch nicht gefallen. Ich kann damit einfach nichts anfangen...


    Tut mir leid, wenn das jetzt wirr argumentiert ist, aber ich kann es nicht besser beschreiben.


    Viele Grüße
    thopas

  • Hallo Hubert,


    Zitat

    Eine Frage bleibt offen: "Warum hat der intellektuelle Adrian Leverkühn (Thomas Manns Doktor Faustus) ausgerechnet diese leichte Komödie vertont?"


    Wie wäre es damit: Weil diese Komödie ein Motiv seines Lebens abbildet!? Nämlich, zugunsten der Kunst/Wissenschaft auf das Leben zu verzichten?


    Wobei in der Komödie (anders als in Leverkühns eigener Lebensgeschichte) dieses wunderschöne Projekt von den Damen kunstvoll zum Scheitern gebracht wird.


    Gruß,
    Harald

    Aktuell: Altägyptische Literatur. Kafka. Theater des Siglo de Oro. Gontscharow. Sterne, Fielding, Smollett.

  • Hallo Hubert,



    Gestern jedenfalls im Fritz Rémond Theater in Frankfurt habe ich mich sehr gut unterhalten. Die Komödie ist einfacher gestrickt als Shakespeares spätere Werke, aber von Anfang bis Ende ein reines Vergnügen. Auch die Rollen waren durchweg hervorragend besetzt, sowohl der junge König von Navarra mit seinen Hofherren, als auch die Prinzessin von Frankreich mit ihren Hofdamen, - herausragend Karsten Kramer als Diener Schädel.


    Ich habe mir die Aufführung heute abend angesehen. Das war nicht "Verlorne Liebesmüh" von Shakespeare, sondern eine freie Bearbeitung durch den ehemaligen Klimbim-Schauspieler Horst Jüssen. Das Grundgerüst der Handlung ist erhalten geblieben, die Ausführung und die Texte sind von Jüssen. Eine nette Komödie mit Unterhaltungswert, aber eben nicht Shakespeare.


    - Harald

    Aktuell: Altägyptische Literatur. Kafka. Theater des Siglo de Oro. Gontscharow. Sterne, Fielding, Smollett.


  • Libretti, die der Musik ebenbürtig sind, bzw. sog. "kongeniale" Librettisten: Ja. Das sind Libretti, die sich so gut an die Musik anschmiegen, dass die Oper wie aus einem Guss wirkt. Immer aber steht die Musik im Vordergrund und der Komponist. "Le nozze di Figaro" oder der "Don Giovanni" sind von Mozart. Nicht von da Ponte. Nicht einmal von Mozart und da Ponte. Und als eigenständige literarische Werke sind da Pontes Libretti ja auch nicht bekannt.


    Hallo sandhofer,


    es gibt, ich hoffe ich kann das gelegentlich mal hier präsentieren, Programmzettel, da heißt es xxx, Oper von Da Ponte, Musik von Mozart.
    Jedenfalls für mich ist die Musik bei einer Oper nie die Hauptsache, deshalb höre ich mir auch keine konzertanten Aufführungen von Opern an, sondern immer ein Gesamtkunstwerk aus (im Idealfall) literarischer Vorlage, Libretto, Musik, Gesang, Bühnenbild, Kostüme und Licht.


    Gruß


    Hubert

  • Wie wäre es damit: Weil diese Komödie ein Motiv seines Lebens abbildet!? Nämlich, zugunsten der Kunst/Wissenschaft auf das Leben zu verzichten?


    Wobei in der Komödie (anders als in Leverkühns eigener Lebensgeschichte) dieses wunderschöne Projekt von den Damen kunstvoll zum Scheitern gebracht wird.


    Hallo Harald,


    dass T. Mann diese Komödie ohne Grund ausgesucht hätte, konnte ich mir nicht vorstellen und ich denke Du hast den Grund genannt: Leverkühn verzichtet zugunsten der Kunst auf die Liebe, der König von N. will, wenn auch nur zeitweise, zugunsten der Wissenschaft auf die Liebe verzichten. Vielen Dank für den Hinweis.


    Gruß


    Hubert


  • Ich habe mir die Aufführung heute abend angesehen. Das war nicht "Verlorne Liebesmüh" von Shakespeare, sondern eine freie Bearbeitung durch den ehemaligen Klimbim-Schauspieler Horst Jüssen. Das Grundgerüst der Handlung ist erhalten geblieben, die Ausführung und die Texte sind von Jüssen. Eine nette Komödie mit Unterhaltungswert, aber eben nicht Shakespeare.


    Hallo Harald,


    ein Shakespearestück auf einer deutschen Bühne, ist normalerweise übersetzt und damit bearbeitet, meistens auch gekürzt. Trotzdem bleibt es ein Shakespearestück. Ich habe mir gerade die Homepage des FRT nochmal angesehen:


    http://www.fritzremond.de/remond/stuecke/index.html


    Da heißt es ganz klar:


    VERLORENE LIEBESMÜH
    Komödie von William Shakespeare


    Gruß


    Hubert

  • Hallo Hubert,


    Zitat von "Hubert"


    Da heißt es ganz klar:


    VERLORENE LIEBESMÜH
    Komödie von William Shakespeare


    Ja, so heisst es da. Es hätte aber heißen müssen:


    "Verlorene Liebesmüh. Eine Komödie von Horst Jüssen, frei nach Motiven von Shakespeare."


    Du hast das Stück gesehen. Kannst Du auch nur eine Sekunde lang glauben, dass der Diener Schädel, der über Ehescheidungen, Steuererhöhungen und über Kindererziehung schwadroniert, einen Text von Shakespeare spricht?


    Die Aufführung des Remond-Theaters hat den Boyet gestrichen, Armado, Motte, Holofernes den Schulmeister, den Konstabler Anthony Dull, den Dorfpfarrer Nathaniel sowie das Milchmädchen Jaquenetta. Es gibt keine Maskerade, keine Moskowiter, keine "worthies" (Schauspiel der neun Helden), keinen Tod des Königs von Frankreich. Die Sache mit den vertauschten Briefen dagegen, aus der die Jüssen-Handllung im Wesentlichen besteht, kommt bei Shakespeare nicht vor.


    Die in verschiedenen Abwandlungen von Sprachwitz bestehende Komplexität des Stückes ist völlig vernichtet worden. Die Latinismen und Pedanterie von Holofernes, Armados rhetorischer Schwulst, überhaupt die intelligente Auseinandersetzung mit Sprache, alles ist verschwunden.


    Hier findest Du eine Kritik, die ich Wort für Wort bestätigen kann (mit Ausnahme des ersten Absatzes, der sich auf einen andere Inszenierung bezieht).


    Fazit: Unter Shakespeares Namen wurde eine Boulevardkomödie verkauft. Ein Etikettenschwindel.


    - Harald

    Aktuell: Altägyptische Literatur. Kafka. Theater des Siglo de Oro. Gontscharow. Sterne, Fielding, Smollett.

  • Hallo Hubert,


    Fazit: Unter Shakespeares Namen wurde eine Boulevardkomödie verkauft. Ein Etikettenschwindel.


    - Harald


    Hallo Harald,


    was soll ich sagen: - danke, dass Du Shakespeares Ehre gerettet hast! Ich verstehe nicht, dass ein renommiertes Theater, wie das FRT, so einen Etikettenschwindel nötig hat. Was bleibt: nach England fahren – das Original ansehen?


    Vielen Dank


    Hubert

  • Hallo Hubert,


    Ich habe sogar direkt am Abend nach der Aufführung eine Nachricht an das Fritz Remond Theater über deren Website geschickt, um meiner Enttäuschung über die Aufführung Ausdruck zu verleihen. Es ist leider keine Antwort gekommen... Ich weiß also auch nicht, was sie sich gedacht haben.


    Zitat

    Was bleibt: nach England fahren – das Original ansehen?


    Tja, was tun? Man kann das Original oder eine passende Übersetzung lesen und sich so seine eigene Aufführung im Kopf aufbauen. Oder man besorgt sich eine DVD mit einer renommierten Inszenierung. Aber wenn mir jemand unbedingt eine Reise auf die Insel und Theaterkarten z.B. in Stratford spendieren wollte, würde ich auch nicht Nein sagen :zwinker:


    Um auf Deine ursprüngliche Frage zurückzukommen: normalerweise ist mir der gedruckte Text lieber: ich kann so schnell oder langsam lesen, wie es mir passt, den Kommentar zu Rate ziehen etc. Auch sind mir viele moderne Inszenierungen zu schrill, unecht und nicht überzeugend in der Darstellung der Emotionen und der Handlung. Trotzdem gehe ich ab und zu gerne ins Theater. Es gibt immer Aspekte, die mir bei der Lektüre entgehen und erst durch eine Aufführung bewusst werden.


    Manchmal sind es Improvisationen, die den meisten Spaß machen. Die Aufführung von Tartuffe hier in Frankfurt am ersten Weihnachtsfeiertag hatte eine von Moliere ungeplante Komik. Eine Schauspielerin war wegen der Bahn-Winterwetter-Probleme verspätet. Eine Regieassistentin hat in den ersten Szenen mit dem Textbuch in der Hand deren Rolle übernommen. Sie ist dann mitten in der Szene, mitten im Satz durch die auf die Bühne laufende Schauspielerin ersetzt worden... es gab Szenenapplaus :-)


    - Harald

    Aktuell: Altägyptische Literatur. Kafka. Theater des Siglo de Oro. Gontscharow. Sterne, Fielding, Smollett.