• Hallo,


    ich habe gestern im ZDF-Theaterkanal eine Sendung des Literaischen Quartetts gesehen, in der das Grass Buch Ein weites Feld besprochen wurde
    und die Kritik war vernichtend.
    Nun meine Frage an die Grass Leser, ist das haltbar, oder ist Ein weites Feld doch ein Stück weit lesbar?


    Gruß, Lauterbach


  • "EIn weites Feld" habe ich 1998 im Fontanejahr gelesen. Es wurde dadurch ein großes Vergnügen, weil ich unmittelbar vor diesem Roman eine Fontanebiografie gelesen hatte und auch Schädlings Roman Tallhover kannte. Dazu kam noch, dass ich damals seit Jahren zum ersten Mal eine Woche ans Bett gefesselt wurde (ohne dass der Kopf beeinträchtigt war), also genug Zeit zum Lesen hatte.


    Grass nimmt natürlich auch in diesem Buch eine sehr persönliche und kritische Haltung zur Art und Weise ein, mit der die Vereinigung durchgezogen wurde. Das war wohl die Hauptursache für die vielen kritischen Stimmen zum Roman. Damals hatte ich ja schon eine Tabuzone zu diesem Thema etabliert und die feine Gesellschaft in den Redaktionsstuben schwenkte bei jeder Gelegenheit die Fahnen des neuen Deutschlands.
    Die Figuren und Episoden sind eben auch typisch Grass, also nicht für jeden. Für mich war es in diesem Fall natürlich ein Erlebnis in der Grassgeschichte das Fontaneleben aufzuspüren, und ich habe mich weniger für die Bedeutung der Kritik an der Treuhand interessiert, da ich damals glaubte, hier ist sowieso viel unter den Teppich gekehrt worden.
    Man hat Grass ja unterstellt (möglicherweise zu Recht ???), er hätte mit dem Roman den großen Wenderoman schreiben wollen und konnte natürlich leicht nachweisen, dass es nicht der Fall war (diese rhetorische Volte ist ja verbreitet). Das hat mich aber auch nicht interessiert, also mein Vergnügen nicht beeinträchtigt.
    Jahre später habe ich noch den berühmten offenen Brief von MRR zum Roman im Internet aufgetrieben. Weshalb sich Grass über so einen erbärmlichen Brief, der onkelhaft und nebulös über den Roman herzieht, so aufgeregt hat, kann ich bis heute nicht verstehen. Er hat sich mit seiner unbeherrschten Reaktion nur selbst geschadet.
    Im Roman debattieren zwei Figuren über den Zeitverlauf, und Fonti ist einem alten Fontane nachgebildet, eine systemkonforme (DDR) aber zunehmend skeptische Figur, und sein "Mitläufer" ist einer der Stützen des Unterdrückungsaparats gewesen, der nun aber zu reflektieren beginnt. Hier sind eben die die Überlegungen von zwei alten, langsamen Herrn der schnellen Geschichte gegenübergestellt.
    Kein Wunder, dass mir der Roman sympatisch bleibt :zwinker:


  • Hallo Lost,


    danke für deine Einschätzung des Romans.
    Die Kritik im Literaischen Quartett war so vernichtend, das ich das kaum glauben konnte.


    Gruß, Lauterbach


    Ich muss zugeben, dass ich es niemals geschafft habe, eine Sendung des Literarischen Quartetts zu Ende zu sehen. Aber ich bin da etwas grenzwertig, was die Präsentation von Literaturkritik angeht. Nun waren da auch Intimfeinde von Grass auf dem Schirm, und es ging da auch um Unterhaltung. Trotzdem hast du mich motiviert, diese Sendung anzuschauen. Ist das möglich?


    Ich kann auch Günter nur gut zureden, dass er es als eine Ehre betrachtet, der umstrittenste deutsche Großdichter des 20. Jahrhunderts zu sein. Viel Feind viel Ehr.


  • Trotzdem hast du mich motiviert, diese Sendung anzuschauen. Ist das möglich?


    Sa, 13.11.2010 // 14:30 Uhr
    ZDF Theaterkanal // Das Literarische Quartett



    Thema:
    Günter Grass: "Ein weites Feld"
    Theodor Fontane: "Irrungen, Wirrungen"
    Antonio Tabucchi: "Erklärt Pereira"
    Dietrich Schwanitz: "Der Campus"
    Jonathan Lynn: "Mayday"


    Im August 1995 diskutierten Marcel Reich-Ranicki, Sigrid Löffler, Hellmuth Karasek und als Gast der Kritiker Joachim Kaiser über folgende Bücher:
    - Günter Grass: "Ein weites Feld"
    - Theodor Fontane: "Irrungen, Wirrungen"
    - Antonio Tabucchi: "Erklärt Pereira"
    - Dietrich Schwanitz: "Der Campus"
    - Jonathan Lynn: "Mayday"


    Grüße von
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Super Maria, danke. Wie immer bist du auf der Höhe der Zeit :winken:


    Da ich vermutlich den Theaterkanal nicht sehen kann, (oder ich finde ihn im Internet,) hier schon die Resultate der Kritik, wenn ich das 5. Rad am Rade gewesen wäre (quasi der Joker):

    Günter Grass: "Ein weites Feld"


    Großes Theater, sehr zu empfehlen. Können aber nur wahre Kenner würdigen



    Theodor Fontane: "Irrungen, Wirrungen"


    Aus heutiger Sicht eine schwache Geschichte, teilweise mit literarischen Schwächen, da Fontane Spaziergänge im 100m Renntempo machen lässt (oder den Mond zum Meteor umschreibt). Aus damaliger Sicht sicher für Preußen was Neues, für Frankreich Altbekanntes.


    Antonio Tabucchi: "Erklärt Pereira"


    Als Hörbuch hat mir die Geschichte und die Art der Erzählung, mit ihrer melancholisch kritischen Sicht sehr gut gefallen. Auch der Film überzeugt durch seine Atmosphäre.


    Dietrich Schwanitz: "Der Campus"


    Schund. Einer der wenigen Romane die ich abgebrochen haben. Die Logik der Erzählung ist sowas von vorhersehbar und reiner Mainstream und ablausberechnet.


    Jonathan Lynn: "Mayday"
    Mal was Neues. Kenne ich nicht.


    Ach ja, wenn ich nicht wäre :zwinker:

  • Hallo Lost,


    in jedem Monat wird auf ZDF Theaterkanal eine Sendung des Literaischen Quartetts wiederholt, diesen Monat unter anderem mit
    der Besprechung von Ein weites Feld. Die Wiederholung läuft an verschiedenen Terminen im November.
    Z.B. an dem von Maria genannten Termin.


    Gruß, Lauterbach

  • Moin, Moin!


    Ich habe "Ein weites Feld" in guter Erinnerung und konnte mir den damaligen Verriß nicht erklären. Ich bin mir allerdings unschlüssig, was eine Zweitlektüre bringen würde. Eine gewisses Grass-Gesättigtsein ist schon zu beobachten, was mit die Lektüre von "Grimms Wörter" zeigte.

  • Eine gewisses Grass-Gesättigtsein ist schon zu beobachten, was mit die Lektüre von "Grimms Wörter" zeigte.


    Nun kann man zu Grass stehen wie man will (Grimms Wörter liegen bei mir nach wie vor ungelesen), aber:


    Er ist der erste Autor (bzw. der Thread über ihn), der es in die Top10 der Threads nach Zahl der Beiträge geschafft. Nicht Goethe, nicht Schiller - Grass. (Die andern sind archivierte Leserunden, der allgemeine Was-lese-ich-gerade-Thread und der zu e-books.) :breitgrins:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Nun kann man zu Grass stehen wie man will (Grimms Wörter liegen bei mir nach wie vor ungelesen), aber:


    Er ist der erste Autor (bzw. der Thread über ihn), der es in die Top10 der Threads nach Zahl der Beiträge geschafft. Nicht Goethe, nicht Schiller - Grass. (Die andern sind archivierte Leserunden, der allgemeine Was-lese-ich-gerade-Thread und der zu e-books.) :breitgrins:


    :lol:Also auch hier von zweifelhaftem Ruhm :breitgrins:


    Poppea, jetzt auf der Flucht vor Lost :wegrenn:


  • Ich habe eben mit "Grimms Wörter" begonnen und bin gespannt, wie sich mein Leseerlebnis in das bisher hier Gesagte einordnet.


    Ja, und wir sind auch gespannt. :breitgrins:


    Zitat von Dostoevski

    Ich lese zurzeit den Kinderfresser.


    Das bedeutet doch hoffentlich nicht, dass wir in puncto Grimms Wörter nun von dir nichts mehr hören!
    Also, wir warten :winken:

  • Moin, Moin!


    Das bedeutet doch hoffentlich nicht, dass wir in puncto Grimms Wörter nun von dir nichts mehr hören! Also, wir warten :winken:


    Die Lektüre liegt schon etwas zurück. Inzwischen las ich Raymond Carvers "Warum tanzt ihr nicht. Erzählungen" sowie Tim Parks' "Schicksal". ;-)


    Hatte ich gestern über Grimms Wörter nichts geschrieben? Irgendwie hatte ich den Eindruck, als sei Grass die Puste ausgegangen. Mit der Danziger Trilogie, dem Butt und dem "Weitem Feld" vermochte er noch zu sättigen. Inzwischen, ich weiß nicht. Es ist kein großer Wurf. Kein schlechtes Buch, aber auch keine, das fühere Leseerlebnisse mit Grass einholen könnte.

  • Nun, ich zumindest kann hoffen, ein wenig Beurteilung durch seine Nachwelt nocn erleben zu dürfen. Wir werden sehen, wie sie ausfällt.


    Meine Vermutung ist, es wird sich erweisen, dass ein ein tolles Buch geschrieben hat. Damit hat er fast allen Menschen auf diesem Planeten ja schon ungeheuer viel voraus!!


    :winken:
    Poppea

  • Ich vermute, die doch seltsam wohlwollende Aufnahme des Buches durch die Kritik hat mit Grass' Ankündigung zu tun, dieses sei sein wahrscheinlich letztes Buch. Man will ihm wohl keinen Grund liefern, dass er nachlegt.



    das Kapitel "K" hat mich doch sehr berührt, wenn er schreibt.... auszugsweise ...


    Nun aber drängt sich mir der Tod auf. Nein, Freund Jacob, nicht an den allgemeinen, an meinen Tod denke ich... Der Millionen zählende Tod systematisch Ermordeter, der gegenwärtig in fernen Ländern alltägliche Hungertod, .... der in Statistiken gelistete Massentod erfüllt mich mit Scham, empört mich, bleibt aber dennoch entrückt, während mir das langsame Sterben meiner Mutter nicht aufhören will, als sei ihr Tod erst gestern eingetreten.


    Jetzt aber steht er mir bevor....Ich treffe, weil im allgemeinen Chaos, wie darin geübt, auf Ordnung bedacht, Vorkehrungen, ziehe Bilanz, räume auf. Gewiß, noch bleibt Neugierde auf den kommenden Frühling, die Spargel-, die Erdbeerenzeit. Die geplante August-Bebel-Stiftung will auf den Weg gebracht, das wahrscheinlich letzte Buch für den Druck fertig werden.... ..


    einzig der Tod gewiß ist, will ich ihn, wie Jacob es tat, als ungeladenen, aber unumgänglichen Gast empfangen und allenfalls mit der bitte belästigen: mach es kurz und schmerzlos.




    Dieser Schwanengesang stimmt mich traurig.


    Grüße von
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)