Klassiker mit 20 und mit 40

  • Hallo,


    ich las vor einigen Jahren den Faust mit ganz neuen Augen, las den Faust noch einmal und noch einmal und, so merkwürdig das auch klingen mag, danach las ich zum ersten Mal in meinem Leben die Bibel, das Tao Te King und die Gita.
    Ist schon alles sehr merkwürdig.


    Liebe Grüße


    Vult


  • Oh ... die deutsche Gegenwartsliteratur ist nicht besser ... nein, ich habe nichts gegen amerikanische Gegenwartsliteratur, weil sie amerikanisch ist - sondern weil sie Gegenwartsliteratur ist :zwinker: :breitgrins:


    Wenn ich ein Autor wäre, würden mich solche Leute wie Du davon abhalten, den Beruf auszuüben. Da helfen auch keine Smileys.

  • Hallo!



    Also Balzac kann man doch als junger Mensch auch gut lesen, er bedient sich ja nicht selten auch Mitteln der Unterhaltungsliteratur. Bei Schiller wiederum würde ich die ästhetischen Schriften eher ins "Alter" verschieben.


    CK



  • Meine Meinung über Heminway muss ich mir noch bilden, lese in Kürze "Fiesta". Liebe Grüße
    mombour


    Hallo mombour


    "Fiesta":
    Der Protagonist in dem Roman heißt Jake. Ein Mann mit einer Beherrschtheit, Großzügigkeit und Menschlichkeit, wie ich nur selten las. Ehrlich gesagt, fällt mir kein vergleichbarer Protagonist ein. Von den knappen Dialogen ganz zu schweigen, die genieße ich sehr bei Hemingway.


    Viel Vergnügen mit "Fiesta" wünscht
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()

  • Also Balzac hat ja sehr unterschiedliche Romane und Novellen mit sehr unterschiedlichen Qualitäten verfasst.


    Ich beziehe mich da vor allem auf die späteren Romane, wie "Tante Lisbeth" und "Vetter Pons", auch auf "Vater Goriot", oder "Glanz und Elend der Kurtisanen".


    Ich habe mal den "Vater Goriot" als Jugendlicher angefangen zu lesen, konnte aber nichts damit anfangen. Erst mit circa 40 Jahren habe ich Balzac schätzen gelernt. Die Desillusionierung, die in seinen späteren Werken, ähnlich wie bei Dickens, mochte ich als Jugendlicher nicht teilen. Ich hatte immer auf einen guten Ausgang gehofft und war dann maßlos enttäuscht über das Ende. Die geradezu physische Härte, mit der Balzac mit seinen Figuren umgeht, ihre gewisse Ausweglosigkeit und Tristesse, -man denke an das Ende von "Vater Goriot" oder "Tante Lisbeth", von dieser Härte und Ausweglosigkeit wollte ich mit meinen 20 Jahren damals nichts wissen.


    Was Schiller angeht: Sein Pathos, seine frühen Dramen und seine Lyrik,all das ist etwas pubertär. Mitreissend geschrieben, gewiss, aber im Vergleich zu Goethe einfach pubertär. Man setze einmal "Die Räuber" und "Stella" nebeneinander.


    Rolf


  • Oh ... die deutsche Gegenwartsliteratur ist nicht besser ... nein, ich habe nichts gegen amerikanische Gegenwartsliteratur, weil sie amerikanisch ist - sondern weil sie Gegenwartsliteratur ist :zwinker: :breitgrins:


    Es gibt selbstverständlich jede Menge ganz individueller Kriterien des persönlichen Geschmacks in der Literaturauswahl - Provenienz, Epoche, Themen betreffend usw usf. Völlig legitim sich z.B. nur für bayrische Autoren des 19.Jahrhunderts zu begeistern, denn, nach Tucholsky: Jeder bestimmt die größe seines Karos selbst.
    Logischerweise werden dann, im Fall jedweder a priori Einschränkung, nur in's Raster passende Autoren gelesen. Warum jedoch außerhalb liegende anscheinend abgelehnt werden müssen - was ja eine deutliche Wertung beinhaltet - ist schwer nachvollziehbar.
    Auch die Autoren der Vergangenheit schrieben dereinst Gegenwartsliteratur und bedurften zu ihrer Kanonisierung erstmal der zeitgenössischen Leser.
    Unsere Zeit hat, schwerlich bestreitbar, genau wie die Vergangenheit, weltweit großartige Autoren, wenn es auch nicht notwendigerweise immer nur/oder überhaupt die von Medien und Preisen in die Prominenz erhobenen sind. Um sie zu eigenen Lebzeiten selbst entdecken zu können, muß man sie allerdings lesen und kann nicht abwarten wer wann dereinst auf dem Olymp residieren wird.
    Natürlich ist es auch eine Frage, was der Einzelen überhaupt aus der Kunst für sich ziehen möchte. Meinerseits schätze ich es unter anderem sehr, über meine persönliche Lebenserfahrung hinausgehend, viel über die innere Verfasstheit der gegenwärtigen Zeit aus der Literatur zu erfahren. So z.B. bei der Lektüre des quälenden Houellebecq. Unter solchem Aspekt ist nämlich Wertherns Wert recht gering :breitgrins:
    Nicht nur in die Tiefe, sondern auch möglichst unvoreingenommen in die Breite zu lesen, das wäre (sollte mich mal jemand fragen :breitgrins: ) mein Votum. Bei weitgehendem Verzicht auf Gütesiegel vergangener oder gegenwärtiger Koryphäen entsteht so zwangsläufig eine Weitwinkelperspektive und relativ unabhängige, eigene Werteskala, die ich für die persönlich einzig relevante zu halten geneigt bin (jedenfalls für den hier sicher dominanten Laienliteraturliebhaber).


    Gruß :winken:
    g.

  • Aber selbstverständlich liest man mit 20 zig anders als mit 40 + :zwinker: Sagt hier ganz locker meinereiner!
    Mit zwanzig habe ich Bücher gelesen um in andere Welten abzutauchen, es war eine Realitätsflucht, okay zwischendurch habe ich auch ernste Dinge gelesen, aber Michael Ende, Mark Helprin und auch Stephen King u. a. waren meine Favoriten.
    Heute liegt mein großes Interesse vorwiegend in der tiefenpsychologische Ebene im Buch, gespiegelt oder nur das Du, wenn das ein Autor kann, finde ich das großartig. Viele Zeitgenossen zeigen das scheinbar Realistische stark unrealistisch, oder total übertrieben, da bevorzuge ich dann lieber ein tolles Konstrukt, welches realistisch erscheint.
    Ferner schaue ich auch gerne dem Autor auf die Finger, und tauche dabei in die Theorie ein. Dies scheint manchen anderen Lesern als suspekt, ein Lesen, das keinen Spaß machen kann, aber ich denke, hier im Klassiker-Forum brauche ich derweil keine Ausreden :smile: Mir macht es einfach Spaß auch meinen Kopf zu gebrauchen bei der Lektüre :winken:


    LG
    Anita

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in "Also sprach Zarathustra"

    Einmal editiert, zuletzt von Anita ()

  • Selbstverständlich gibt es Klassiker für 20 jährige und für ältere. Ich habe Dostojewski, den ich als junger Mann förmlich verschlungen habe, wirklich sehr lange nicht gelesen. Den Idioten habe ich irgendwann noch mal gelesen. Und mich irgendwann mal durch den Jüngling förmlich durchgequält.


    Ist man älter, dann ist man skeptischer. Ist man jung, dann ist man ungeheuer eindrucksfähig. Ob es der Nietzesche Übermensch ist oder Dostojewskis Christentum oder Hesses Unbürgerlichkeit oder Kierkegaards "Angst", man nimmt das alles furchtbar ernst und ist furchtbar beeindruckt. Heute weiß ich es zu schätzen, wenn jemand die wirklich wesentlichen Geschichten zu erzählen vermag wie Gontscharov und dabei in Bezug auf Religion und Gesellschaft wunderbar diskret bleibt ohne ins Pamphletistische abzugleiten.


    Also das was man früher furchtbar aufregend fand, findet man heute eher langweilig und das, was man früher langweilig fand, das unaufgeregte Erzählen einer Geschichte ohne jeden ideologischen Überbau, bzw. wenn Überbau dann jedenfalls nicht aufdringlich, finde ich heute interessanter. Ich hätte auch die Molierschen Komödien, die anscheinend gar nichts besonderes erzählen, sondern sich nur eines gewissen Themas wie meinetwegen der eingebildeten Krankheit oder vorgegebener Frömmigkeit oder Misanthropie widmen als junger Mensch nie so zu würdigen gewußt, ich hätte es vermutlich "ganz nett" gefunden, aber eben nicht "weltbewegend", in der Jugend mußte alles immer irgendwie "weltbewegend" sein.


    Und dann gibt es trotzdem immer noch Dinge, deren Faszination nicht aufhört, wie etwa Kafka.


    Gruß Martin

  • Hallo Marlino,



    das unaufgeregte Erzählen einer Geschichte ohne jeden ideologischen Überbau, bzw. wenn Überbau dann jedenfalls nicht aufdringlich, finde ich heute interessanter.


    In der Phase bin ich anscheinend noch lange nicht. Ich brauche bei jedem Buch noch eine "Story" im Hintergrund, wo sich was tut und nicht nur eine Aneinanderreihung von Sätzen, mit denen ich nichts anfangen kann.


    Vielleicht komme ich ja noch dorthin, mal sehen.
    Bei Kafka stimme ich dir aber zu. Der hat mich mit 17 genauso fasziniert wie heute mit über 30.


    Katrin

  • Moinsen,
    zugegebenermaßen habe ich mit 20 so gut wie überhaupt nichts gelesen. Außer ab und zu Dürrenmatt oder Gedichte von Gottfried Benn (wovon ich mich aber an kein einziges erinnere). Das änderte sich erst, als ich meine Frau kennenlernte. Zwischen 40 und 50 war dann aber auch wieder ein Nachlassen meiner Leselust festzustellen, was sich erst wieder änderte, seit wir das Rentenalter erreicht haben und wir uns vornahmen, die gesamte Bibliothek meiner Großtante durchzulesen, in der Hoffnung, evtl. einige noch nicht wiederentdeckte Schätze zu finden. Immerhin umfasst die Hinterlassenschaft meiner Großtante an die 30000 Bände von Neuerscheinungen aus den Jahren 1852-1918. Es würde mich wundern, gäbe es nicht darunter einige gute Autoren, die wir bisher noch gar nicht kennen.


    Freundliche Grüße
    F. Hermann

  • Wenn man liest, warum sollte man mit Sechzig, Vierzig nicht anders lesen als mit Zwanzig? Lesen sollte doch einen Einfluss auf das Denken ausüben, und denken hat doch einen Anteil bei der Auswahl von Lektüre.
    Natürlich gibt es auch Menschen, die sind mit Zwanzig am Ende und andere, die sind mit Sechzig noch nicht reif für Musil.
    Das Dumme ist doch eher, dass sich mit zunehmender Erfahrung und zunehmenden Alter die Welt der Literatur immer größer wird und die Anzahl der Bücher, die noch gelesen werden können, in Summe immer kleiner.

  • [...]reif für [...]


    Was heisst "reif für" in diesem Zusammenhang? Mögen? Verstehen? Kompetent kritisieren können? (Und was heisst dann "kompetent" in diesem Zusammenhang?)


    Das Dumme ist doch eher, dass sich mit zunehmender Erfahrung und zunehmenden Alter die Welt der Literatur immer größer wird und die Anzahl der Bücher, die noch gelesen werden können, in Summe immer kleiner.


    Man kann Bücher natürlich auch zweimal lesen. Oder mehrmals :zwinker:. Aber selbst dann wird die Zahl der Bücher, die noch gelesen werden können, nicht kleiner. Es ist m.M.n. so, wie man mir damals in der Schule den geometrischen Punkt erklärt hat: Du hast zwei Punkte unmittelbar nebeneinander - A und B. Die sind aber nur scheinbar unmittelbar nebeneinander. Dazwischen hat nämlich noch ein dritter Punkt Platz: C. Und zwischen A und C hat noch D Platz. Und zwischen C und B noch E. Und zwischen A und D noch ...


    Und so findest du immer noch Bücher, die Lücken schliessen zwischen zwei Büchern, wo du ursprünglich gar nicht gedacht oder gewusst hast, dass da eine Lücke ist ... :winken:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • Das Dumme ist doch eher, dass sich mit zunehmender Erfahrung und zunehmenden Alter die Welt der Literatur immer größer wird und die Anzahl der Bücher, die noch gelesen werden können, in Summe immer kleiner.


    Naja, wenn ich noch alles lesen wollte, was auf meiner Liste steht, müsste ich 120 werden. Demnach wird der Pool mit dem Alter natürlich kleiner, aber die Auswahl an sich ist doch immens.


    Katrin

  • Naja, wenn ich noch alles lesen wollte, was auf meiner Liste steht, müsste ich 120 werden. Demnach wird der Pool mit dem Alter natürlich kleiner, aber die Auswahl an sich ist doch immens.


    Katrin


    So war es gemeint, was das Dumme betrifft.
    Das Schlimme ist, was du noch als Liste hast, habe ich schon im Regal und es ist bezahlt und tsieht nach einer unwirtschaftlichen Investiton aus. :zwinker: Und das ganz Schlimme ist, ich kann es nicht lassen mit dem Bücher kaufen.

  • Hallo Lost,


    ich wollt gestern abend ja nichts sagen, aber der "Einspruch Euer Ehren" von sandhofer kam mir auch direkt :breitgrins:
    Sicher hast du Recht, wenn du Bücher als eine Gesamtzahl gedanklich vor dir aufgereiht hast. Doch mir ist diese Zahl/Pool unvorstellbar. "Ich weiß, dass ich nichts weiß" und somit wird die Zahl der Bücher, die ich im Leben noch lesen möchte stetig größer :redface: und der Tod wird es schon richten :grmpf:


    LG
    Anita :zwinker:

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in "Also sprach Zarathustra"

  • somit wird die Zahl der Bücher, die ich im Leben noch lesen möchte stetig größer


    Für Dich kann ich nicht sprechen; bei mir ist es ja eine Frage der Perspektive. Sprich: Ich kann so weit nicht in den unendlichen Tunnel hineinsehen. Somit bleibt die Zahl der Bücher, die ich noch lesen möchte, immer ungefähr gleich gross. Hingegen steigt die Zahl der Bücher, die ich wieder lesen möchte, stetig an. :winken:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Für Dich kann ich nicht sprechen; bei mir ist es ja eine Frage der Perspektive. Sprich: Ich kann so weit nicht in den unendlichen Tunnel hineinsehen. Somit bleibt die Zahl der Bücher, die ich noch lesen möchte, immer ungefähr gleich gross. Hingegen steigt die Zahl der Bücher, die ich wieder lesen möchte, stetig an. :winken:


    Biologie der Leseratten und Geografie der Bücherwelt sind einfach unglücklich. Natürlich ist es manchmal schön am gleichen Ort Urlaub zu machen. Aber auf der Erde sind die weißen Flecken immer weniger geworden, in der Bücherwelt werden sie immer mehr. So verstehe ich wenigstens Anita. Und meistens wird die Zeit um neue Entdeckungen zu machen für Leseratten erst dann mehr, wenn die Kräfte nachlassen.


  • Selbstverständlich gibt es Klassiker für 20 jährige und für ältere. Ich habe Dostojewski, den ich als junger Mann förmlich verschlungen habe, wirklich sehr lange nicht gelesen. Den Idioten habe ich irgendwann noch mal gelesen. Und mich irgendwann mal durch den Jüngling förmlich durchgequält.


    Ein gutes Beispiel. Ich habe Dostojewskij auch Anfang 20 zum ersten Mal ziemlich komplett gelesen. Bei Zweitlektüren in den letzten Jahren waren meine Eindrücke sehr unterschiedlich. So war ich von "Verbrechen und Strafe" eher enttäuscht.


    Die "Brüder Karamasow" fand ich aber bei meiner zweiten Lektüre immer noch hervorragend:


    http://koellerer.net/2006/10/1…j-die-bruder-karamasow-2/


    Ebenso die "Bösen Geister".


    CK

  • Hallo,


    Ein gutes Beispiel. Ich habe Dostojewskij auch Anfang 20 zum ersten Mal ziemlich komplett gelesen. Bei Zweitlektüren in den letzten Jahren waren meine Eindrücke sehr unterschiedlich. So war ich von "Verbrechen und Strafe" eher enttäuscht.



    CK


    bei mir war das so mit Hesse. Mit 17, 18 jahren habe ich ihn begeistert gelesen, aber schon mit 25 Jahren hat
    er einer Zweitlektüre nicht standgehalten. Und heute werde ich ihn vermutlich nicht mehr lesen.


    Andersrum habe ich die Qualitäten von Fontane und Thomas Mann erst im fortgeschrittenen Alter ( so ab
    35 Jahren) schätzen gelernt. So das unaufgeregte Erzählen und die Sprache, etwas was ich in jungen Jahren
    nicht so beachtet habe und mir heute sehr wichtig geworden ist.


    Gruß, Lauterbach