Mai 2010: Cervantes - Don Quijote

  • Hiermit eröffne ich die Leserunde. Ich weiß nicht, ob ich heute gleich dazu kommen, da noch ein anderes Buch schnell beendet werden will, aber ich freue mich schon riesig auf die Lektüre.
    Ich lese die Neuübersetzung von Susanne Lange in der WBG Ausgabe.


    [kaufen='3446230769'][/kaufen]

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)

  • Hallo zusammen!


    Vor einiger Zeit las ich ein Buch des Spaniers Carlos Eugenio López mit dem Titel "Abgesoffen". Es geht darin um zwei Killer, die stundenlange Autofahrten ans Meer unternehmen um dort ihre Leichen zu 'entsorgen'. Dabei unterhalten sie sich über Gott und die Welt - der ganze Roman besteht nur aus Dialogen. Unter anderem kommen sie auch auf den "Don Quijote" zu sprechen. Ich möchte euch diese Passage nicht vorenthalten:


    - Hast du den Don Quijote gelesen?
    - Nein. Und du?
    - Ich auch nicht. Aber da du sonst so viel liest ...
    - Den Don Quijote hat keiner gelesen.
    - Meine Mutter hat immer gesagt, dass sie ihn gerne lesen würde.
    - Und? Hat sie?
    - Nein. Meine Mutter kann nicht lesen.
    - Selbst wenn, hätte das nichts geändert Ich habe eine Sendung im Fernsehen gesehen, und in El Toboso hatte ihn nicht einmal der Bürgermeister gelesen. Und das in El Toboso.



    Wenig später kommen sie nochmals kurz auf das Thema zurück:


    - Hast du Mein Kampf gelesen?
    - Spielt das eine Rolle? Mein Kampf hat niemand gelesen.
    - Den Don Quijote auch nicht.
    - Die wichtigen Bücher muss man nicht gelesen haben, um zu wissen, was drin steht. Genau deshalb sind sie wichtig. Wer hat schon die Bibel gelesen?
    - Die Priester.
    - Nicht einmal die ...



    Könnte glatt als Definition für Klassiker durchgehen: Bücher, die jedermann kennt, aber keiner je liest ...


    Gruss


    riff-raff

  • So, Vorwort und Widmungsgedicht gelesen und schon die erste interessante Entdeckung gemacht. Ich lese ja die Übersetzung von Susanne Lange (1), habe aber auch noch die Tiecksche (2) und die Übersetzung von Ludwig Braunfels (3) zur Hand.
    Der direkte Vergleich ergibt das folgende Bild:
    - Widmung an den Herzog von Béjar -> (1) vollständig, (2) gekürzt, (3) fehlt
    - Widmungsgedichte -> (1) vollständig, (2) fehlt, (3) verstümmelt


    Zur Verstümmelung der Widmungsgedichte in der Braunfels-Ausgabe: Beim ersten Widmungsgedicht hat Cervantes jeweils die letzte Silbe in der Zeile weggelassen. Laut Kommentar ist das ein satirisches Stilmittel ('versos de cabo roto'), das der Dichter Alonso Alvarez de Soria Anfang des 17. Jahrhunderts zum ersten Mal in Spanien gebraucht und populär gemacht hat. Braunfels hat einfach die Silben ergänzt. :grmpf:

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)

  • Braunfels hat einfach die Silben ergänzt. :grmpf:


    Kein Grund zum Ärger ;) ... Ich weiss nun nicht, wie das bei Dir ist: In meiner Braunfels-Ausgabe sind die ergänzten Silben mit einem Bindestrich abgetrennt, also schon kenntlich gemacht. Ich weiss nicht, ob man in der Lange-Übersetzung das Gedicht überhaupt versteht. Braunfels' Version jedenfalls wäre ziemlich unverständlich ohne den ergänzten Vers-Schluss. Das "cabo roto" ist eigentlich nur möglich, weil im Spanischen die Zahl der möglichen Endsilben kleiner ist als im Deutschen, der Leser also praktisch immer erraten kann, was noch folgen sollte. :winken:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Kein Grund zum Ärger ;) ... Ich weiss nun nicht, wie das bei Dir ist: In meiner Braunfels-Ausgabe sind die ergänzten Silben mit einem Bindestrich abgetrennt, also schon kenntlich gemacht. Ich weiss nicht, ob man in der Lange-Übersetzung das Gedicht überhaupt versteht. Braunfels' Version jedenfalls wäre ziemlich unverständlich ohne den ergänzten Vers-Schluss. Das "cabo roto" ist eigentlich nur möglich, weil im Spanischen die Zahl der möglichen Endsilben kleiner ist als im Deutschen, der Leser also praktisch immer erraten kann, was noch folgen sollte. :winken:


    Ich habe als erstes die Lange-Version gelesen und problemlos verstanden.


    Die Bindestriche sind auch in meiner Braunfels-Ausgabe. Und von wegen kenntlich machen. Woher soll der Leser wissen, wieso da die zusätzlichen Bindestriche stehen? Manchmal ist sowas auch ein Relikt aus dem Umbruchsprozess während des Setzens des Buches. Nee, ich finde Braunfels ist da zu weit gegangen mit seinem Eingriff.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)

  • Ich habe als erstes die Lange-Version gelesen und problemlos verstanden.


    Die Bindestriche sind auch in meiner Braunfels-Ausgabe. Und von wegen kenntlich machen. Woher soll der Leser wissen, wieso da die zusätzlichen Bindestriche stehen? Manchmal ist sowas auch ein Relikt aus dem Umbruchsprozess während des Setzens des Buches. Nee, ich finde Braunfels ist da zu weit gegangen mit seinem Eingriff.


    Natürlich versteht man das inhaltlich ohne weiteres. Die Frage ist doch: Wie überträgt man einen Text von einer Sprache in die andere -- so, daß er dann auch vollständig verstanden wird? Und gerade insoweit wurde ja die Neuübersetzung gelobt. Ich habe zwar nur die Lange-Übersetzung vorliegen, meine aber, Braunfels dürfte hier richtiger gelegen haben, denn im Deutschen kennen wir ja keine versos de cabo roto, und wenn man erst im Kommentar nachlesen muß, weshalb hier jeweils die letzte Silbe weggelassen wurde, ist das m.E. keine angemessene Übersetzung mehr. Wenn der satirische Stil hier im Deutschen nicht auf diese Weise erzeugt werden kann, wirkt das doch -- sagen wir: ziemlich seltsam. Jedenfalls für einen Cervantes-Neuling, wie ich es bin. Greife diese Runde übrigens gerne auf, um endlich mit dem Don Quijote zu begonnen ...

  • schneeschmelze: Schön, dass Du zu uns gestoßen bist.


    Also ich fand die Version von Lange, mit den gekürzten Silben, schon witzig, noch bevor ich den Kommentar las. Also funktioniert es auch in der Übersetzung.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)


  • Also ich fand die Version von Lange, mit den gekürzten Silben, schon witzig, noch bevor ich den Kommentar las. Also funktioniert es auch in der Übersetzung.


    Klar ist das witzig gemacht. Aber es ist schon eine erste heikle Stelle der Übersetzung. Es gibt keine Entsprechung für dieses Stilmittel im Deutschen.

  • Während meine Wochenendreise habe ich auch begonnen die WBG-Ausgabe zu lesen, mich allerdings um die Widmungsgedichte wenig gekümmert. Ich sehe sie, zusammen mit der fragwürdigen Vorrede, als eine Parodie des zeitgenössischen Literaturbetriebs oder Trotzreaktion an.
    Es ist Jahrzehnte her, dass ich eine zusammengeschusterte Ausgabe gelesen habe und ich hoffe, dass die Lorbeeren, die auf der neuen Übersetzung ausgestreut wurden, sich im Lesevergnügen widerspiegeln. Die ersten Kapitel, in denen sich Don Quijote selbst erfindet und durch die Reflektion seiner ersten Abenteuer optimiert, sprechen nicht dagegen. Da ich jeden Grund zum mäkeln nutzen will (es wird wenig genug geben), fällt mir allerdings die lieblose Einführung von Sancho Pansa auf. Da mein Herz mehr für die Lakaien als für Herren schlägt, muss ich es Cervantes übel nehmen.

  • Ich komme nur langsam rein. An die Sprache Cervantes' muß ich mich erst gewöhnen.
    Ich habe mich gestern Abend gefragt, wie wohl die Lektüre für jemanden war, der die ganzen Ritterromane noch aus der eigenen Lektüre kannte.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)

  • Ich leiste mir lieber ein Gedankenexperiment und folge nicht der von Cervantes suggerierten Position unser Helden wäre geistig umnachtet. Das bringt mich ihm näher und auch zum lachen.


    Don Quijote kommt mir wie ein Gelehrter vor, den es nach der Praxis drängt. Ein seltner Fall also, ein Fall für einen Roman. Ähnlich, wie Homer uns in Ilias eine lange Liste von Schiffen präsentiert, listet uns Cervantes die Ritterromane auf die D.Q. studiert hat, und es lässt sich ermessen, dass viel Zeit für ihr Studium erforderlich war, dazu einiges Personal, um den Rückzug in die Studierstube zu erlauben. Er kennt sein Fach, das geht aus den Dialogen hervor, sein zurückgezogenes Studium lässt ihn nur nicht die Wirklichkeit seiner Zeit erkennen. Ging es nicht z. B. einigen Philosophen, Mathematikern und Schachspielern ebenso? Q. ist damit ein Vorläufer vieler adliger Privatgelehrten, ein Armer und Machtloser bezogen auf seinen Stand, ein Reicher bezogen auf das Volk, und was gibt jemand von Stand zuletzt auf: seine Ehre und Bedeutung. Hat er keine mehr, so schafft er sie sich, und genau das macht unser Herr und er macht es so, dass wir ihm dafür nicht böse sein dürfen, denn er folgt guten Vorsätzen und unterhält uns.
    So wie der zeitgenössische Träumer im Frühjahr den Schalldämpfer aus dem Auspuff seiner Harley schraubt, in die Lederkluft steigt und auf der Route 66 durch den Schwarzwald cruist, so folgt Cervantes Easy Rider seinem Ideal der Freiheit, einem Ideal, das aber im Gegensatz zur heutigen Suche nach persönlicher Freiheit mit der Verpflichtung verbunden ist das Böse zu bekämpfen, also ein Ideal das der Freiheit einen höheren Sinn gibt.
    In den ersten Kapiteln sieht man, der Roman würde nicht lang, wenn der Ritter alleine durch die Welt ziehen würde. Sein Untergang wäre schnell unausweichlich, zu sehr ist sein Wissen über Kreuz mit der Realität. Heute gibt es Universitäten und Stiftungen für solche Leute, in der rohen frühen Neuzeit Ähnliches für ein paar Auserwählte, für die anderen die Scheiterhaufen oder eine Stelle im Klerus. Cervantes hat es von Anfang an, oder nach dem Schreiben des ersten Kapitels gemerkt und ihn wieder heim geschickt, in einem Zustand, so dass er sich erst ein Mal wieder sammeln muss und sich mit dem wichtigsten aller Waffen, dem Geld, frischen Hemden (falls er Gelegenheit bekommt vor seiner Erwählten auf die Knie zu fallen) und soweit ich es vermute mit einer Lebensversicherung, einem Knappen versieht.
    Bis dort hin bin ich vorgedrungen.

  • Hallo Lost! :klatschen:



    Ich leiste mir lieber ein Gedankenexperiment und folge nicht der von Cervantes suggerierten Position unser Helden wäre geistig umnachtet.


    Ein sehr interessanter Gedanke. Dieses die Erzählung gegen den Strich zu lesen kann vielleicht noch sehr erhellend sein.


    Wenn ich das recht verstanden habe, siehst du in Sancho Panza so was wie eine Art Lebensversicherung für Don Quijote ... - Bin zwar noch nicht so weit mit Lesen, d.h. 'mein' D.Q. ist immer noch ohne Knappe, aber dein Einfall scheint mir wert, ihn im weiteren Verlauf der Lektüre im Hinterkopf zu behalten.


    Tolle Anregungen, die du da lieferst. Danke!


    Gruss


    riff-raff

  • Danke riff-raff für deine netten Worte.


    Mein Experiment scheint in dem Ansatz nach zu funktionieren.


    Zitat


    "Das Glück lenkt unsere Geschäfte besser, als wir hätten hoffen können, denn vor dir, Sancho Panza, mein Freund, siehst du wenigstens dreißig grimmige Riesen, mit denen ich eine Schlacht zu schlagen gedenke, bei der mir alle über die Klinge springen sollen. Und mit der Beute legen wir den Grundstein unseres Reichtums, da es ein gerechter Krieg ist und eine wahrlich gottgefällige Tat, derlei Schandgezücht vom Erdboden zu tilgen"


    Könnte das nicht sinngemäß aus einem Gespräch zwischen George Bush und Tony Blair stammen? Und ein amerikanischer Präsident kann doch nicht blemblem sein, oder?


  • Ich leiste mir lieber ein Gedankenexperiment und folge nicht der von Cervantes suggerierten Position unser Helden wäre geistig umnachtet. Das bringt mich ihm näher und auch zum lachen.


    Don Quijote kommt mir wie ein Gelehrter vor, den es nach der Praxis drängt.


    Ich denke auch eher an eine Art Schilderung der conditio humana, und die allzu oft angeführte Beteuerung, D.C. sei verrückt, verfängt zumindest an dieser Stelle letztlich (noch?) nicht. Don Quijote „erfindet sich“ nach seinem Studium. Er lebt in einer kleinen Welt und hat die große nur aus den Büchern kennengelernt. Nun bricht er in sie auf, nimmt aber die Differenz zwischen seiner Literatur und der Wirklichkeit nicht zur Kenntnis. Die Geschichte lebt aus dieser Differenz. Er ist übrigens auch schon nicht mehr ganz jung. Heutzutage würde er sich Sorgen machen, in den nächsten etwa 15 Jahren möglichst reibungslos in Rente gehen zu können... die Abwesenheit von materiellen Sorgen hat auch etwas Märchenhaftes ... und damals müssen 50 Jahre schon ein hohes Alter gewesen sein.


  • Ich denke auch eher an eine Art Schilderung der conditio humana, und die allzu oft angeführte Beteuerung, D.C. sei verrückt, verfängt zumindest an dieser Stelle letztlich (noch?) nicht. Don Quijote „erfindet sich“ nach seinem Studium. Er lebt in einer kleinen Welt und hat die große nur aus den Büchern kennengelernt. Nun bricht er in sie auf, nimmt aber die Differenz zwischen seiner Literatur und der Wirklichkeit nicht zur Kenntnis.


    Genau wie du schreibst schneeschmelze, der häufige Widerspruch zwischen Buchgelehrsamkeit und den Anforderungen der Praxis scheint mir im Roman auch verarbeitet zu sein, wenn auch durch die Wahnvorstellungen des Ritters satirisch überspitzt, und wenn wir Don Quijote leichtfertig als verrückt einstufen, dann müsste das doch auch für einen Großteil der damaligen Mediziner, Geografen und Naturphilosophen auch gelten. Cervantes hat sich vielleicht, durch seine Betonung der „Verrücktheiten“ Ärger mit Gesetz und Klerus ersparen wollen und seine Überzeichnungen müssen wir dann nicht nur als Beschreibung des Ritterwahns lesen sondern noch auf andere Sachverhalte hin untersuchen, und um das zu tun, am Besten selbst in die Rolle von Don Quijote hineinschlüpfen. Als ich mich heute auf mein Stahlroß schwang und den Helm überzog, kam mir ein Gedanke:


    Wer eine wahre Geschichte spannend oder satirisch erzählen will, der muss sich was einfallen lassen. Die Wahrheit ist oft langweilig und deshalb kann es angebracht sein der äußeren Wahrheit eine innere hinzuzufügen. Dabei wird man halt leicht von oberflächlichen Naturen erwischt und der Lüge angeklagt, doch Cervantes hat einen guten Trick gefunden, um sich aus der Affäre zu ziehen, er macht aus der Erzählung eine Nacherzählung und klugerweise, schiebt er das Original einem verlogenen Araber zu. Damit erwirbt er sich Ehre bei den Christen, die sich noch gut an die Reconquista erinnern können oder besser gesagt, die einschlägigen historischen Bücher, die die Wahrheit darüber erzählen, gelesen haben, und wenn seine innere Wahrheit, die wahre Wahrheit sozusagen, angezweifelt wird, lassen sich die weniger logischen Stellen auf den Muselmanen schieben. Ob Cervantes diesen Trick erfunden hat weiß ich nicht, aber dass er Vorbild für andere Schriftsteller war, das lässt sich gewiss sagen. Ähnlich macht es Eco bei seinem Roman "Der Name der Rose", so erfinden manche Historiker ihre Quellen, manche Wissenschaftler ihre Daten, oder man selbst fand als Schüler ab und zu ein Goethezitat, das sich nie wieder finden ließ.
    Nun, wie sich aus dem Kommentar entnehmen lässt, wurde streng wissenschaftlich der Heimatort des Ritters lokalisiert und somit ist auch er selbst historisch verbürgt. Was ist aber zum Beispiel mit des Ritters Ebenbild Rocinante, diesem dürren alten Klepper, der aber auch im Kampf dahinfliegen kann wie Iltschi oder Rih? Muss man nicht vermuten, dass Cervantes hier übertreibt, oder literarisch etwas nachlässig ist. Kann man sich so ein Pferd vorstellen, dass mitsamt seinem Ritter von Riesen durch die Luft gewirbelt wird, auf dem Acker aufschlägt und wenige Minuten später wieder gelassen seinen Reiter aufsteigen lässt? Kann man es nicht, was bietet sich für eine Lösung an? Ein Araber ist rassische Pferde gewöhnt, er hat hier wohl nicht den Griffel im Spiel. Schaut man sich aber die Charakterisierung des Pferdes genau an, seine Bedürfnislosigkeit, die Hinweise auf sein Aussehen, dann deutet alles darauf hin, man hat es mit einer Maschine zu tun. Als der Roman erschien, war Leonardo da Vinci seit mehr als 80 Jahren tot, aber er kommt alleine für die Konstruktion solch einer Maschine in Frage. Die Zeit hat gereicht, um die Baupläne auf geheimen Wegen von Italien nach Spanien kommen zu lassen, und da die Spanier, besonders die Andalusier, bekanntermaßen mehr mit Pferden anfangen können als die Italiener, die immer nur an Frauen und Fußball denken, ist es kein Wunder, wenn der Bau in Andalusien erfolgte. Die Teile des Romans, die von Cervantes selbst stammen sind deshalb wahrscheinlich in erster Linie eine Verschlüsselung (was wäre passiert, wenn die arabischen Horden hinter die Pläne gekommen wären) und eine Gebrauchsanleitung für das mechanische Pferd als Wunderwaffe, und ich bin sicher, aus der weiteren Lektüre lässt sich der Plan entschlüsseln, wenn die erforderlichen geistigen Fähigkeiten dazu ausreichen, was wohl bisher bei den vielen Gelehrten und Literaten, die sich mit dem Roman beschäftigt haben, nicht der Fall war. Und habt ihr euch schon ein Mal die Frage gestellt, wieso der Erfinder der netten Spielzeuge für James Bond ausgerechnet Q heißt?

  • Überrascht bin ich, wie schnell und lapidar die Geschichte mit den Windmühlen erzählt wird. Ich vermute, wenn man fragt, welche Episode man zuerst mit Don Quijote verbindet, dann wäre es diese, aber im Roman wirkt sie unscheinbar.


    Sancho stellt sich wirklich, neben einer gewissen Einfalt, was versprochene Belohnungen betrifft, als das realistische Drittel unseres Trios dar, wobei mir in der Vergangenheit entgangen ist, dass Rocinante einHengst ist.


    In Kapitel 14 gibt es einen beachtlich modernen Monolog der Hirtin Marcela, in dem sie ihre Unabhängigkeit begründet und verteidigt. Sonst lesen sich die meisten Passagen wie Berichte über Zusammenstöße von Hooligans. Es wird sehr viel ausgeteilt und eingesteckt.


  • Sonst lesen sich die meisten Passagen wie Berichte über Zusammenstöße von Hooligans. Es wird sehr viel ausgeteilt und eingesteckt.


    Der russische Schriftsteller Vladimir Nabokov ("Lolita") hielt in den 50er-Jahren in Harvard eine Vorlesungsreihe über den "Don Quijote" und bezeichnete dabei das Buch als eine Folterkammer und veritable Enzyklopädie der Grausamkeit, ja, als eines der furchbarsten und barbarischsten Bücher, die je geschrieben wurden.


    Die Spässe, diagnostizierte Nabokov, würden sich auf dem untersten Niveau mittelalterlicher Possenreisserei abspielen und der Humor sei brutal und abstossend.


    Ich denke, Nabokov übertreibt ziemlich, heutzutage sind wir uns von Film und Fernsehen weitaus stärkeren Tobak gewöhnt. Und die Zeit, in der der Roman spielt, war sicherlich auch kein Zuckerschlecken. Man denke an den "Simplicissimus" und den Dreissigjährigen Krieg, der zwei Jahre nach Cervantes Tod in Deutschland ausbrach.


    Interessant: Nabokov hat sich die Mühe gemacht, sämtliche Don-Quijote-Zweikämpfe nach Sieg und Niederlagen zu untersuchen. Resultalt: unentschieden (20 zu 20). Hat mich überrascht, da Don Quijote ja meist als Verlierertyp stilisiert wird.


    Nabokovs Vorlesungen erschienen übrigens 1983 auch als Buch im Fischer Verlag unter dem Titel "Die Kunst des Lesens. Cervantes' 'Don Quijote'". Ist heute leider vergriffen und meine Informationen dazu stammen alle aus dem Internet.


    Gruss


    riff-raff


  • Überrascht bin ich, wie schnell und lapidar die Geschichte mit den Windmühlen erzählt wird. Ich vermute, wenn man fragt, welche Episode man zuerst mit Don Quijote verbindet, dann wäre es diese, aber im Roman wirkt sie unscheinbar.


    Genau den gleichen Eindruck hatte ich auch. Nach nur zwei Seiten war DIE bedeutende Episode schon vorbei.


    Zitat


    ... wobei mir in der Vergangenheit entgangen ist, dass Rocinante einHengst ist.


    Auch hier muß ich Dir zustimmen. Rocinante ist in meinen Augen ein weiblicher Name (gewesen).

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)

  • Der russische Schriftsteller Vladimir Nabokov ("Lolita") hielt in den 50er-Jahren in Harvard eine Vorlesungsreihe über den "Don Quijote" und bezeichnete dabei das Buch als eine Folterkammer und veritable Enzyklopädie der Grausamkeit, ja, als eines der furchbarsten und barbarischsten Bücher, die je geschrieben wurden.


    Die Spässe, diagnostizierte Nabokov, würden sich auf dem untersten Niveau mittelalterlicher Possenreisserei abspielen und der Humor sei brutal und abstossend.


    Ich denke, Nabokov übertreibt ziemlich, heutzutage sind wir uns von Film und Fernsehen weitaus stärkeren Tobak gewöhnt. Und die Zeit, in der der Roman spielt, war sicherlich auch kein Zuckerschlecken. Man denke an den "Simplicissimus" und den Dreissigjährigen Krieg, der zwei Jahre nach Cervantes Tod in Deutschland ausbrach.


    Das ist eine interessante Information für mich. Danke riff-raff! Nabokov ist noch nicht lange in meinem Lektürespektrum präsent, hat aber sofort eine hohe Leuchtkraft entfaltet, und deine Zitate von ihm zeigen, er ist nicht einer der gewöhnlichen Schleimer, die vor jedem Großwerk nur ihre Kotaus machen. Nun ist nicht nur die Zeit, in der Don Quijote entstand, sondern auch das Leben von Cervantes selbst durch Gewalt und Erniedrigung durchdrungen. Soldat, Gefangener, Häftling, das ist schon extrem. Aus meinem Leben heraus unbegreiflich, wie man sich damit noch aufrecht halten kann.


    Nach etwa 180 Seiten, die ich bis jetzt gelesen habe, lässt sich nahezu immer vorhersagen, was passiert, wenn der Ritter und sein bedauernswerter Kappe auf andere Figuren treffen. Das liest sich dann etwas mühseelig, lässt mir aber auch Spielraum für Überlegungen zu den weniger spektakulären Facetten der Geschichte. So ist es anrührend, wie unsere beiden Helden, zwar schon physiognomisch und durch die Reittiere in hoch und niedrig geschieden sind, freundschaftlich miteinander verkehren, das wenige was sie haben teilen und Don Quijote sogar bereit ist die Ratschläge von Sancho zu beherzigen (nicht ohne sie entsprechend aus seinem Weltbild heraus zu deuten). Aus meiner dilettantischen Sichtweise heraus, wirkt der Ritter wie ein reiner Vertreter der Deduktion, der jede Erfahrung in sein fest gefügtes Schema presst. Das ist doch nicht reine Verrücktheit, sonder mehr die Form von Starrsinn, wie sie zum Beispiel auch Kreon, in Sophokles "Antigone" zeigt, oder der ältere Mao Tse Tung, von deutschen Führern gar nicht zu reden.




    Genau den gleichen Eindruck hatte ich auch. Nach nur zwei Seiten war DIE bedeutende Episode schon vorbei.


    Vielleicht kommt es durch die Bearbeitungen, die man so als Jugendlicher vorgesetzt bekommt. Denke ich an Robinson Crusoe, Moby Dick, Die Schatzinsel, die ich ursprünglich als Jugendbücher gelesen habe, sind die Eindrücke aus der späteren Lektüre auch anders. Bei den Bearbeitungen wird oft der Rahm abgeschöpft und die Molke weggeschüttet.