Februar 2010: Th. Mann: Die Geschichten Jaakobs (Joseph I)

  • Ich habe heute den ersten Teil des dritten Bandes beendet ("Die Reise hinab").


    Die Highlights: Josephs Gespräche mit dem alten Kaufmann, in denen lebenspraktische Klugheit und Gewinnstreben auf philosophische Betrachtungen stoßen. Und natürlich der Eintritt der Reisegruppe in das ägyptische Weltreich. Sehr schön beschrieben finde ich die "Grenzformalitäten", die mich an so manchen Übergang in das ehemalige "Reich der Finsternis" (Ostblockstaaten) erinnerten.


    Ich nehme an, Thomas Mann hat bei diesem Kapitel nicht so sehr die ägyptischen Verhältnisse um 1.500 v.Chr. im Sinn gehabt, als vielmehr die zu seiner Zeit (Mitte der 30er Jahre) übliche Praxis einiger Staaten, an dessen Grenzen Emigranten und Flüchtlinge aus Deutschland auftauchten, um sich vor dem NS-Terror in Sicherheit zu bringen. Wenn er die aktuelle Einreiseverhinderungspolitik der EU-Staaten und der USA kennengelernt hätte, wäre das Kapitel vielleicht noch ein wenig schärfer ausgefallen.


    Nun trete ich also ein in das ägyptische "Totenreich" und bin gespannt, wie Thomas Mann, der ja eine Vorliebe für "überständige" (dekadente) Zivilisationen hatte, uns diese Welt näherbringen wird.


    Viele Grüße


    Tom

  • Die ersten Ägypten-Kapitel sind unerwartet humorvoll. Joseph staunt zwar viel, bewahrt sich aber eine gewisse Skepsis gegenüber den "Totenländlern". Die entpuppen sich mal als lebenslustig (in der sog. Katzenstadt), dann wieder als oberlehrerhaft (im goldenen Heliolopolis) oder depressiv (die zerknirschte Priesterschaft in Per-Sopd, einer langsam in die Bedeutungsloskeit sinkende und verfallende Stadt). Mehr als nur geschmunzelt habe ich, als Joseph angesichts der Pyramiden an ein "Großgerümpel des Todes" denkt. Welch eine herzerfrischende Respektlosigkeit! Und welch ein Kontrast zu der albernen Ägyptenverehrung, die man auf allen TV-Kanälen (in "Terra X" oder ähnlichen Pseudo-Dokus) zu sehen bekommt.


    Es grüßt


    Tom

  • Mittlerweile, es geht dem Ende zu, komme ich etwas flotter voran als geglaubt. Das dürfte jedoch eher an der Gewöhnung, als an einer Veränderung von Manns Erzählhaltung liegen.


    Im letzten Roman zeigt Manns Joseph wieder seine nur mühsam gedämpfte Überheblichkeit, die sich aus seiner Erwähltheit nährt und zu seinem Glück (natürlich ist das alles von Gott auch so gewollt) auf verständige Figuren trifft. So ist der Gefängnisamtmann mehr Freund und Mentor, als Aufseher, der Pharao selbst ein von sich eingenommener Gottsucher, der schon nahe am Monotheismus denkt und Joseph deshalb, ungeachtet der Traumdeutung, als Unterstützung gut brauchen kann. Ausgesprochen geschickt macht es T.M., wenn er die Deutung der Träume dem Pharao, angestoßen durch Josephs Rhetorik, selbst in den Mund legt.
    Ähnlich, wie in der Genesis, die ganze Abschnitte hat, die Abstammungslisten präsentieren, unterbricht auch Mann immer wieder die Erzählung durch die Analyse von Verwandtschaftsbeziehungen, sei es in den verwickelten Beziehungsgeflechten der Götter, sei es in den Großfamilien, die im Roman den Hintergrund bilden.
    Seine Position zu Joseph ist m. E. nach noch immer auch homoerotisch beeinflusst. Noch als fast Dreißigjähriger wird Joseph als "Jüngling" bezeichnet und immer wieder wird dem Leser seine Schönheit bewusst gemacht, wie überhaupt die Notabeln, zwar krank, aber nie verunstaltet erscheinen. Etwas, was ich für diese Zeit und in diesem Umfang eher für fragwürdig halte. Aber wer hätte schon Elizabeth Taylor als Cleopatra Pockennarben ins Gesicht geschminkt.
    Man merkt dem Text über alle vier Romane an, dass Thomas Mann mit viel Spaß schrieb. Sonst wäre das Versinken in diese vielen Einzelheiten, es wären die Wortschöpfungen und Sprachwendungen, die schon scholastischen Verklausulierungen, nicht so ausgebreitet.
    Mir selbst allerdings, wird bei dieser Dichte das Vergnügen am Lesen gemindert.


  • Ähnlich, wie in der Genesis, die ganze Abschnitte hat, die Abstammungslisten präsentieren, unterbricht auch Mann immer wieder die Erzählung durch die Analyse von Verwandtschaftsbeziehungen, sei es in den verwickelten Beziehungsgeflechten der Götter, sei es in den Großfamilien, die im Roman den Hintergrund bilden.


    Thomas Mann lässt nichts unversucht, uns immer wieder und in zahlreichen, zum Teil recht ermüdenden, Varianten folgenden Satz verstehen zu lassen: Wir wandeln in Spuren, und alles Leben ist Ausfüllung mythischer Formen mit Gegenwart (dritter Band, viertes Hauptstück, erstes Kapitel). Deshalb hat er wohl auch irgendwann beschlossen, die Vorgeschichten Abrahams und Jaakobs zu erzählen. Bekannt ist, dass der Joseph-Roman im Lauf der Entstehung immer größere Kreise zog. Redundanz ist dabei wohl der zu zahlende Preis, zumal T. Mann etwas gegen Kürzungen hatte.


    Viele Grüße


    Tom


  • Thomas Mann lässt nichts unversucht, uns immer wieder und in zahlreichen, zum Teil recht ermüdenden, Varianten folgenden Satz verstehen zu lassen: Wir wandeln in Spuren, und alles Leben ist Ausfüllung mythischer Formen mit Gegenwart [...] Redundanz ist dabei wohl der zu zahlende Preis, zumal T. Mann etwas gegen Kürzungen hatte.


    Sehr treffend auf den Punkt gebracht! :klatschen:


  • Im letzten Roman zeigt Manns Joseph wieder seine nur mühsam gedämpfte Überheblichkeit, die sich aus seiner Erwähltheit nährt [...]


    Hallo zusammen!


    Ich bin zwar noch nicht so weit wie Lost, aber der Aspekt von Josephs Auserwähltheit, und dass er einen von Gott vorbestimmten Weg zu folgen hat, tritt auch im dritten Band sehr deutlich zu Tage. Der Band beginnt damit, das Joseph die midianitischen Kaufleute fragt: "Wohin führt ihr mich?". Worauf diese prompt antworten:


    "Wohin wir dich führen? Führen wir dich denn? Wir führen dich doch gar nicht! Du bist zufällig mit uns, weil dich der Vater gekauft hat von harten Herren und ziehst mit uns, wohin wir ziehen. Das kann man doch nicht gut 'führen' nennen."


    Der Unmut der Midianiter über Josephs arrogante Frage ist nur allzu leicht verständlich: Wer möchte schon als blosses Mittel zum Zweck gelten, als Marionette eines Puppenspieler-Gottes?


    Dass die Kaufleute aber genau das sind, unbedeutende Nebenfiguren, blosse Wasserträger und Handlanger, macht der Erzähler mehr als deutlich, nachdem Joseph an Potiphars Haus verkauft wurde:


    Es war getan. Die Ismaeliter von Midian hatten ihren Lebenszweck erfüllt, sie hatten abgeliefert, was nach Ägypten hinunterzuführen sie ausersehen gewesen, sie mochten weiterziehen und in der Welt verschwinden - es bedurfte ihrer nicht mehr.


    Ich weiss ja nicht, wie es euch dabei ergangen ist, aber mir ist diese Stelle äusserst sauer aufgestossen. Wäre ich einer dieser Kaufleute und man würde mir sagen, der Grund weshalb ich geboren und in dieses Leben gesetzt wurde, bestände einzig und allein darin, Joseph nach Ägypten gebracht zu haben - ich glaube nicht, dass mir das als Rechtfertigungsgrund für mein Leben genügte. Aber Joseph spielt nun mal die Hauptrolle in diesem von Gott inszenierten Blockbuster und wie in jedem richtigen Film braucht es nun mal auch hier Statisten und Chargen, welche Die-Pferde-sind-gesattelt-Rolle übernehmen.


    Oder könnte es sein, dass wir es hier mit der berühmten Mann'schen Ironie zu tun haben. Ich bin letzthin zufällig über einen Artikel im Internet gestolpert, der sich mit der Ironie bei Thomas Mann beschäftigt. Normalerweise versteht man unter Ironie, wenn jemand das Gegenteil von dem sagt, was er meint. Aber eine solche Ironie trifft man in Manns Büchern nur selten an, stattdessen - so der Text - inszeniert Mann seine Form der Ironie hauptsächlich durch Über- und Untertreibungen. Falls jemand den Text lesen möchte, hier der Link dazu: http://www.uni-bielefeld.de/li…ke/ironie/uebersicht.html Es finden sich darin auch einige Beispiele aus den Joseph-Romanen.


    Gruss


    riff-raff

  • Sir Thomas und riff-raff:


    Ihr lest den Roman viel sorgfältiger als ich!


    Mir geht einfach zu viel, salopp gesprochen, auf den Wecker, es wird mir zu vieles zu kleinlich erörtert, was mich schlicht und einfach nicht interessiert und fesselt. Eure Bemerkungen sind mir dagegen nicht nur verständlich, sondern bringen auch Licht in meine dämmernde Gedankenwelt.


    So, wie ich die Ironie Manns in diesen Büchern sehe, ironisiert er die Ironie in ihrem klassischen Sinn, indem Mann immer wieder betont, dass das Gegenteil von dem, was er berichtet, genauso die Geschichte trägt und sich alles in einem ewigen Kreislauf, in den unterschiedlichsten Erzählungen wiederholt. Dabei kommt er vom Kleinlichen ins Kleinlichste und macht quasi literarisch dass, was wir tun, wenn wir in der Mathematik unser berühmtes noch so kleines Epsilon gegen Null streben lassen, um zum Schluss die Wahrheit einer endlichen Aussage zu beweisen.


    Ich bewundere und bedauere gleichzeitig die Kommentatoren, die sich mit der großen Werkausgabe befassen und mich wundert es nicht, dass die Josephromane noch keinen definierten Erscheinungstermin in diesem Rahmen haben.


    Manns Größe zeigt sich mit diesen Romanen für mich darin, dass er in der Lage ist, seine Erzähl- und Sprachkunst der Geschichte anzupassen. So wie er in den Buddenbrooks nüchtern bleibt, so fabuliert er im Joseph in wolkigen Worten. Er kann seinem Stil eine enorme Variabilität verleihen, wie ich sie von anderen Dichtern nicht kenne.


    Mit den Josephromanen habe ich einfach meine Fähigkeit Literatur aufzunehmen überfordert. Es bleibt viel Leere zurück und wenig, was mir nach dem lesen der Genesis deutlicher ist.


    Ich habe fertig, und fange an mich zu erholen.

  • Dank des gestrigen Regentages konnte ich einen Einblick nehmen in die Verhältnisse des Hauses Potiphar, Josephs neuem Dienstherrn. Unser Held begreift sehr schnell, dass die Stellung seines Herrn am Hofe Pharaos formal eine enorme Machtfülle darstellt, die aber kaum mit Inhalt gefüllt ist. So ist Potiphar zwar u.a. oberster Scharfrichter des Reichs, übt dieses Amt aber nicht eigenhändig aus, sondern lässt untergeordnete „Fachkräfte“ dieses schmutzige Handwerk erledigen.


    Auch erfahren wir, dass Potiphar von den Eltern (den Greisen Huij und Tuij) schon im Kindesalter auf seine Rolle als „Höfling des Lichts“ systematisch vorbereitet wurde. Wenn ich das von Joseph belauschte Gespräch zwischen Huij und Tuij richtig deute, dann gehörte die Kastration Potiphars zu den „Unannehmlichkeiten“, die der angehende Höfling auf sich nehmen musste (oder wie lest Ihr den „kleinen Schnitzer“ sowie die Kinderlosigkeit der Ehe Potiphars mit Mut-em-enet?).


    „Hohle Würde“ nennt Joseph die Verhältnisse im Hause Potiphar und bezeichnet damit das Selbstverständnis einer Elite, die sich auf das Repräsentieren (bzw. auf die Inkarnation der mythologischen Gesellschaftsfundamente) beschränkt und die Regierungsgeschäfte von einem Beamtenapparat erledigen lässt, dessen Loyalität für sie überlebenswichtig ist. Mir fiel auf, dass Thomas Mann in seinem Roman „Königliche Hoheit“ früher schon diese künstliche Identität eines Würdenträgers aufgegriffen hat und sie nun genüsslich auf die dekadente ägyptische Zivilisation überträgt.


    Joseph jedenfalls hat all das schnell durchschaut. Er ist entschlossen, seine Kenntnisse zu nutzen, um seinen persönlichen Aufstieg zu forcieren. Denn nach wie vor ist er davon überzeugt, dass Gott noch viel mit ihm vorhat.


    Viele Grüße


    Tom


  • Auch erfahren wir, dass Potiphar von den Eltern (den Greisen Huij und Tuij) schon im Kindesalter auf seine Rolle als „Höfling des Lichts“ systematisch vorbereitet wurde. Wenn ich das von Joseph belauschte Gespräch zwischen Huij und Tuij richtig deute, dann gehörte die Kastration Potiphars zu den „Unannehmlichkeiten“, die der angehende Höfling auf sich nehmen musste (oder wie lest Ihr den „kleinen Schnitzer“ sowie die Kinderlosigkeit der Ehe Potiphars mit Mut-em-enet?).


    So habe ich es auch aufgefasst. Huij und Tuij, Potiphars Eltern, sind ja Geschwister und dieser Inzest (wenigstens nach heutigen Massstäben) scheint die Beiden sehr zu beschäftigt zu haben. Einerseits mag ihr Verhalten zwar noch ganz im Einvernehmen mit der Tradition zu stehen


    Denn wir lebten dem Muster nach von Göttern und Königen, ganz im Einklang mit frommer Sitte und zum Wohlgefallen der Menschen.


    andererseits scheinen sich die Moralvorstellungen gewandelt zu haben und vor allem der Bruder, Huij, fürchtet, dass ihr Benehmen "den Mächten neuerer Tagesordnung" nicht mehr ganz genehm sei. Weshalb es sie nach einem Versöhnungsopfer verlangte:


    Unseren Hor, den wir gezeugt als Usir- und Eset-Geschwister im finsteren Grunde, ihn wollten wir entziehen dem dunklen Bereich und ihn dem Reineren weihen. Das war die Abschlagszahlung ans neue Alter, auf die wir uns einigten.


    Aber die erhoffte Gewissensruhe scheint es nicht gebracht zu haben. Und was sie selbsüchtig an ihrem Kind vollstreckten, als sie zum Barch [männl. kastriertes Schwein] das Eberlein machten, da es noch keine Meinung hatte, sondern nur zappelte und sich nicht verwahren konnte., und dadurch auch Mut-em-enet, seiner Gemahlin, zumuteten, der Potiphar schon als Kind versprochen ward, belastet ihr Gemüt jetzt, da es ans Sterben geht, besonders stark, da sie fürchten müssen, im Jenseits dafür zu bezahlen.


    Gruss


    riff-raff

  • Hallo riff-raff,


    wir sind wohl so etwas wie die letzten Mohikaner dieser Leserunde, wenn ich mich nicht irre ...


    Ich komme nur langsam voran. Ab Freitag steht zusätzlich die Milton-Runde an, was mein Lesetempo weiter drosseln wird.



    ... andererseits scheinen sich die Moralvorstellungen gewandelt zu haben und vor allem der Bruder, Huij, fürchtet, dass ihr Benehmen "den Mächten neuerer Tagesordnung" nicht mehr ganz genehm sei.


    Das ägyptische Reich, das Joseph betreten hat, scheint im Umbruch zu sein. Wir haben schon erfahren, dass sich eine Machtverschiebung in das weit südlich gelegene Theben vollzogen hat (die Klagen der Menschen aus Memphis und anderen nördlichen Städten deuten das an). Der damals regierende Pharao Amenhotep III. (immerhin der Vater des "Ketzers" Echnaton) scheint einige Korrekturen im Olymp der Götter eingeleitet bzw. fortgesetzt zu haben. Das schafft Unruhe im Land. Ich hoffe, im weiteren Verlauf mehr darüber zu erfahren.


    Ich habe mittlerweile die Bekanntschaft Potiphars gemacht - einem sanften Riesen mit weicher Stimme und traurigen Augen. Das entspricht so gar nicht dem Bild, das ich von einem Gewaltigen des ägyptischen Reichs im Kopf hatte. Potiphar scheint ein gutmütiger Koloss zu sein. Seine Unterhaltung mit Joseph im Palmengarten deutet darauf hin.



    Huij und Tuij, Potiphars Eltern, sind ja Geschwister und dieser Inzest (wenigstens nach heutigen Massstäben)


    Dieses wichtige Detail war mir entgangen. Danke, dass Du mich darauf aufmerksam machst.


    Viele Grüße


    Tom

  • Heute nur einige Zeilen zum Oberpriester Beknechons:


    Joseph (bzw. T. Mann) beschreibt ihn als einen kalten, hochmütigen und anmaßenden Charakter. Mit seinem totalitären Anspruch auf religiöse Wahrheit sowie seiner Angst vor einer drohenden Erschlaffung der ägyptischen Kräfte durch Überfremdung, sehe ich in Beknechons eine Parodie auf die Nazis.


    Wie unrecht der Oberpriester mit dieser Angst hat, demonstriert Thomas Mann nur ein Kapitel später. Joseph wird im Lauf der Zeit von der ägyptischen Kultur und Lebensweise assimiliert, er wird selbst zum Ägypter.


    Euch allen frohe Ostern!


    Tom

  • So langsam fühle ich mich hier recht einsam ...


    Nun gut, ich ziehe weiter meine Bahn:
    Joseph hat endlich, wenn auch nur von weitem, den Pharao gesehen. Der Herrscher Ägyptens macht auf ihn einen kränklichen Eindruck; er wird als wenig ansehnlich und korpulent beschrieben. Neben dem drahtigen, arroganten Beknechons sieht eine solche Figur naturgemäß schlecht aus. Ohne zu wissen, ob diese Schilderungen auf Wahrheit oder TMs Erfindungskraft beruhen, kann man feststellen: Der unmittelbare ägyptische Hofstaat (Pharao, Potiphar) wird als ziemlich degeneriertes und dekadentes Völkchen beschrieben.


    Auch Pharaos Sohn, der spätere Echnaton, taucht auf. Joseph weiß sofort, dass er sich auf den künftigen Machthaber konzentrieren muss, wenn er sein weiteres Fortkommen befördern will. Er ist nach wie vor davon überzeugt, im Auftrag Gottes dem "Höchsten" zustreben zu müssen - was für ein Sendungsbewußtsein!


    Sehr ergreifend hat Thomas Mann den Tod des getreuen Potiphar-Dieners Mont-kaw beschrieben. Ähnliches habe ich aus den "Buddenbrooks" in Erinnerung.


    LG


    Tom

  • Sehr ergreifend hat Thomas Mann den Tod des getreuen Potiphar-Dieners Mont-kaw beschrieben. Ähnliches habe ich aus den "Buddenbrooks" in Erinnerung.


    Nun, Mont-kaw hat Joseph gekauft (mein Lieblingskapitel in diesem Romanzyklus), er war, was Haushalt und Logistik betrifft, der Beweger im Haus und vor allem der Mentor Josephs. Ohne ihn hätte Joseph wohl keine Karriere gemacht (natürlich hätte Gott schon einen Ausweg gefunden, das ist ja der triviale Hintergrund der Geschichte). Hätte er ihm noch beistehen können, als Potiphars Frau Joseph aus verzweifeltem Begehren stürzte, wer weiß, wie es in der Bibel weiter gegangen wäre.


    Meine Vermutung ist, dass es auch bei der Titan Leserunde schnell einsam wird.

  • Bei der Geschichte mit Pothiphars Frau gelangt Joseph allerdings in eine ziemlich ausweglose Situation. Was wäre erst geschehen, wenn er ihrem Drängen nachgegeben hätte? So aber war das eine ziemlich niederträchtige Geschichte, in die Joseph von der Gemahlin des Mundschenks verwickelt wurde. Es ging schon ziemlich aberwitzig zu...damals. Für mich trotzdem erstaunlich dass Joseph nicht gleich hingerichtet wurde, immerhin musste es für die Hausbediensteten wie versuchte Vergewaltigung aussehen, was sicherlich damals kein Kavaliersdelikt gewesen ist. Noch dazu mit der Gattin eines ranghohen Beamten, der sicherlich imstande gewesen wäre, einige Willkür walten zu lassen. Oder war die Rechtssprechung unter dem damaligen Pharao tatsächlich schon soweit entwickelt, dass zunächst die Unschulsbehauptung stichhaltig widerlegt werden musste? Aber wer kann das schon heute noch genau nachvollziehen? Jedenfalls scheint sich Mann trotzdem im Großen und Ganzen an die biblische Vorlage gehalten haben, wenngleich natürlich mit einem Reichtum an Phantasie der unweigerlich dazugeören musste, um aus den paar Bibelseiten ein derartig gewaltiges Epos zu schaffen.


    Freundliche Grüße
    F. Hermann


  • Bei der Geschichte mit Pothiphars Frau gelangt Joseph allerdings in eine ziemlich ausweglose Situation. Was wäre erst geschehen, wenn er ihrem Drängen nachgegeben hätte? So aber war das eine ziemlich niederträchtige Geschichte, in die Joseph von der Gemahlin des Mundschenks verwickelt wurde. Es ging schon ziemlich aberwitzig zu...damals. Für mich trotzdem erstaunlich dass Joseph nicht gleich hingerichtet wurde, immerhin musste es für die Hausbediensteten wie versuchte Vergewaltigung aussehen, was sicherlich damals kein Kavaliersdelikt gewesen ist. Noch dazu mit der Gattin eines ranghohen Beamten, der sicherlich imstande gewesen wäre, einige Willkür walten zu lassen. Oder war die Rechtssprechung unter dem damaligen Pharao tatsächlich schon soweit entwickelt, dass zunächst die Unschulsbehauptung stichhaltig widerlegt werden musste? Aber wer kann das schon heute noch genau nachvollziehen? Jedenfalls scheint sich Mann trotzdem im Großen und Ganzen an die biblische Vorlage gehalten haben, wenngleich natürlich mit einem Reichtum an Phantasie der unweigerlich dazugeören musste, um aus den paar Bibelseiten ein derartig gewaltiges Epos zu schaffen.



    Nach Thomas Mann hat Potiphar den Braten gleich gerochen, und die Bestrafung Josephs ist eigentlich nur dem Streben nach Erhalt des gesellschaftlichen Status geschuldet, nach dem Motto: Fraternisiere nie öffentlich mit Lakaien. Entsprechende informelle Weisungen Potiphars an die Gefängnisleitung, um das Schicksal Josephs milde zu gestalten, bestätigen sein Wissen über die Realität der Anschuldigung. Dass er 3 Jahre nichts von den Ambitionen seiner Frau gemerkt haben soll, würde auf mich auch befremdlich wirken. Wer soll schon glauben, dass die eingeweihten Hofdamen wirklich dicht halten.
    Ich hätte gerne gehabt, wenn Mann mit der überlieferten Geschichte radikal gebrochen hätte. Aber so muss er große Anstrengungen machen, um die Kette von Unwahrscheinlichkeiten zu rechtfertigen.

  • Zitat

    Nach Thomas Mann hat Potiphar den Braten gleich gerochen, und die Bestrafung Josephs ist eigentlich nur dem Streben nach Erhalt des gesellschaftlichen Status geschuldet, nach dem Motto: Fraternisiere nie öffentlich mit Lakaien. Entsprechende informelle Weisungen Potiphars an die Gefängnisleitung, um das Schicksal Josephs milde zu gestalten, bestätigen sein Wissen über die Realität der Anschuldigung.


    Nun gut. Meine Lektüre ist bereits einige Zeit her. Man kann also sagen, es handelte sich quasi um eine "politische Entscheidung". Was mich trotzdem in der Meinung bestärkt, dass auf der Ebene des höheren Beamtentums einige halbwegs gerechte Entscheidungen getroffen werden durften. Den Mundschenk habe ich sowieso insgesamt noch in ganz guter Erinnerung, da sein gesamtes Verhalten doch einigermaßen humanistische Züge aufwies.


    Zitat

    Ich hätte gerne gehabt, wenn Mann mit der überlieferten Geschichte radikal gebrochen hätte. Aber so muss er große Anstrengungen machen, um die Kette von Unwahrscheinlichkeiten zu rechtfertigen.


    Nun das wäre dann aber vermutlich gleich gar nicht im Sinne des Erfinders gewesen. Die gesamte "Kette von Unwahrscheinlichkeiten" und deren Auflösung sind ja vermutlich das, was man heute als determiniert bezeichnet. Es gehörte einfach zum Weg Josephs dazu. Wäre er nämlich nicht im Gefängnis gelandet, hätte er sein seherisches Talent nicht unter Beweis stellen können. Wäre er nicht in eine solche Verlegenheit gekommen, wer weiß, was wären sonst für hättewennundabers...sorry, ich greife vor. Zugegeben, zieht man das höhere Wesen in Erwägung, wäre Joseph ohnehin am Hof des Pharao gelandet, wenngleich auf völlig anderem Wege. Aber das wäre dann wohl nichts als Spekulation...


    Freundliche Grüße
    F. Hermann

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  • Nun das wäre dann aber vermutlich gleich gar nicht im Sinne des Erfinders gewesen. Die gesamte "Kette von Unwahrscheinlichkeiten" und deren Auflösung sind ja vermutlich das, was man heute als determiniert bezeichnet. Es gehörte einfach zum Weg Josephs dazu. Wäre er nämlich nicht im Gefängnis gelandet, hätte er sein seherisches Talent nicht unter Beweis stellen können. Wäre er nicht in eine solche Verlegenheit gekommen, wer weiß, was wären sonst für hättewennundabers...sorry, ich greife vor. Zugegeben, zieht man das höhere Wesen in Erwägung, wäre Joseph ohnehin am Hof des Pharao gelandet, wenngleich auf völlig anderem Wege. Aber das wäre dann wohl nichts als Spekulation...


    Du hast schon Recht. Blickt man zurück, dann gibt es kein wahrscheinlich, sondern nur das was gewesen ist. Man darf aber danach fragen, ob es so gewesen ist wie es berichtet wird, und T.M. fragt das auch in Details und gibt seine eigenen Antworten.
    Als Leser mache ich mir dann auch meine eigenen Gedanken, und die sind in meinem Fall nicht durch den Wunsch nach göttlicher Fügung geleitet.

  • Zitat

    Blickt man zurück, dann gibt es kein wahrscheinlich, sondern nur das was gewesen ist. Man darf aber danach fragen, ob es so gewesen ist wie es berichtet wird, und T.M. fragt das auch in Details und gibt seine eigenen Antworten.


    Hallo Lost,


    ich möchte hier jetzt auch nicht "herumklugscheißern", es ist bloß schön, sich einmal über ein "anspruchsvolles" Buch unterhalten zu können, wenn meine Lektüre auch bereits einige Jahre zurückliegt und ich daher keine Gewähr für die Richtigkeit meiner Aussagen übernehmen möchte. Bloß denke ich, dass die Frage nicht lautete, ob es so gewesen ist, wie es beschrieben wird, sondern eher danach, wie konnte es sein, dass es so war? Und Mann gibt eben darauf entsprechend seiner eigenen Phantasie und verschiedenen Mutmaßungen über gewisse psychologische Konstellation Auskunft. Wie, was, wo und wann nun genau war, lässt sich nach ca. 4000 Jahren wohl sicherlich unmöglich genau sagen, was Mann ja auch bereits in der Höllenfahrt andeutet. Sicherlich haben die Bibelschreiber auch einiges an der Chronologie und dergleichen nach eigenem Gutdünken "zurechtgebogen", um eben den Eindruck geschichtlicher Notwendigkeiten zu erwecken. Apropos Bibel. Mich interessiert seit geraumer Zeit die Frage, ob die heutige Bibel in ihrer Zusammenstellung auf jenen Paulus zurückgeht, dessen erster Brief an Timotheus mir doch einigen Schrecken einjagte und m.M.n. in krassem Gegensatz zu den übrigen Berichten des neuen Testamentes steht. Meine Frau hatte mich seinerzeit auf diese Stelle mit Hymenäus und Alexander aufmerksam gemacht, was für uns Beide doch einige kritische Fragen aufwarf.


    Freundliche Grüße
    F. Hermann

  • Hallo Lost,


    ich möchte hier jetzt auch nicht "herumklugscheißern", es ist bloß schön, sich einmal über ein "anspruchsvolles" Buch unterhalten zu können, wenn meine Lektüre auch bereits einige Jahre zurückliegt und ich daher keine Gewähr für die Richtigkeit meiner Aussagen übernehmen möchte. Bloß denke ich, dass die Frage nicht lautete, ob es so gewesen ist, wie es beschrieben wird, sondern eher danach, wie konnte es sein, dass es so war? Und Mann gibt eben darauf entsprechend seiner eigenen Phantasie und verschiedenen Mutmaßungen über gewisse psychologische Konstellation Auskunft. Wie, was, wo und wann nun genau war, lässt sich nach ca. 4000 Jahren wohl sicherlich unmöglich genau sagen, was Mann ja auch bereits in der Höllenfahrt andeutet. Sicherlich haben die Bibelschreiber auch einiges an der Chronologie und dergleichen nach eigenem Gutdünken "zurechtgebogen", um eben den Eindruck geschichtlicher Notwendigkeiten zu erwecken. Apropos Bibel. Mich interessiert seit geraumer Zeit die Frage, ob die heutige Bibel in ihrer Zusammenstellung auf jenen Paulus zurückgeht, dessen erster Brief an Timotheus mir doch einigen Schrecken einjagte und m.M.n. in krassem Gegensatz zu den übrigen Berichten des neuen Testamentes steht. Meine Frau hatte mich seinerzeit auf diese Stelle mit Hymenäus und Alexander aufmerksam gemacht, was für uns Beide doch einige kritische Fragen aufwarf.


    Freundliche Grüße
    F. Hermann


    Natürlich, natürlich lieber Freund Hermann, T.M. muss es sich und nicht allen Recht machen. Mein Eingangssatz war auch mehr allgemein und nicht direkt auf die Geschichte bezogen, über die wir uns unterhalten. Was die Überlieferung der Josephgeschichte betrifft, so ist es ja deshalb einfach, weil die Darstellung schon in der Tora die Form hat, wie wir sie in der Genesis lesen. Ob es diese Geschichte überhaupt in der Realität gab, wird sich kaum noch ermitteln lassen, und so bietet sie der Phantasie viel Freiheit. Wahrscheinlich ist es meine persönliche Vorliebe für die Verlierer (neben den Problemen mit Manns hier gewählter Sprache und den luftigen Abschweifungen), die mir das Vergnügen einschränkt und mich auf andere Gedanken bringt.
    Die Kernthemen Versöhnung und Rückkehr des verlorenen Sohns lassen sich eben auf vielfältige Weise entwickeln, und die hier aufgezeigte Lösung, die über die Großzügigkeit eines Mächtigen und Erwählten gegenüber Bittstellern führt, gefällt mir nicht.

    Mein bescheidenes und lückenhaftes Wissen sagt mir, dass die heutige Bibel einem frühen Kirchenkonzil zu verdanken ist. Ist das so richtig?


    Eigentlich wollte den Romanzyklus so schnell wie möglich vergessen :sauer:

  • Zitat

    Die Kernthemen Versöhnung und Rückkehr des verlorenen Sohns lassen sich eben auf vielfältige Weise entwickeln, und die hier aufgezeigte Lösung, die über die Großzügigkeit eines Mächtigen und Erwählten gegenüber Bittstellern führt, gefällt mir nicht.


    Ich denke, da lässt sich auch stark die Persönlichkeit Thomas Manns heraushören, der sich sicherlich als "auserwählter" innerhalb der eigenen Familie fühlte. Zumindest danach zu urteilen, wie seine Persönlichkeit in dieser mehrteiligen Fernsehdokumentation dargestellt wurde. Zu der Frage nach der Bibelzustammenstellung kam ich auch bloß, weil ich in anderem Zusammenhang einmal gelesen hatte, dass es sich beim heutigen Christentum wohl mehr um ein "Paulstum" handle, wobei jener nicht sonderlich gut wegkam. Deshalb danke für deine klare Antwort. Warum wolltest du den Zuklus so schnell wie möglich vergessen? Oder besser, weshalb liest du ihn dann überhaupt erst? Ich weiß, das geht mich nichts an, neugierig bin allerdings trotzdem.


    Freundliche Grüße
    F. Hermann