Februar 2010: Albert Camus - Die Pest

  • Hallo,
    habe gestern den ersten Teil beendet. Am interessantesten fand ich dessen Ausgang, wo sich alles mit der Situation abzufinden scheint. Tarrou beobachtet den Alten, der immer die Katzen bespuckt. Grand, der vermeintliche Schriftsteller, kehrt jeden Abend zu seiner geheimnisvollen Arbeit zurück, Cottard streift herum, der Untersuchungsrichter leitet seinen Zirkus, die Volksmenge erfüllt am Abend die Straßen und vor den Kinos werden die Schlangen länger...Die Seuche scheint zurückzugehen. Als aber die Todesfälle wieder 30 pro Tag übersteigen erhält Rieux vom Präfekten eine offizielle Depesche des Inhalts: Pestzustand erklären, Stadt schließen.


    Da ich leider ebenfalls auf keine Sekundärliteratur zurückgreifen kann, stellt sich mir die Frage inwiefern dies alles im Zusammenhang mit dem WWII steht.


    Mutmassungen:


    1. Tarrou: Sehr geheimnisvolle Figur. Steht im Kontakt zu spanischen Musikanten und verfasst selbst eine Art Chronik der Ereignisse, die sich scheinbar absichtlich mit lauter Nebensächlichkeiten befasst. In Spanien herrschte zu dieser Zeit ebenfalls eine faschistische Diktatur. Es könnte daher sein, dass diese Figur für einen spanischen Geheimagenten steht. Was haltet ihr von dieser Theorie?


    2. Beim ersten Todesopfer handelt es sich um den Hauswart (Concierge?) Michel. Erscheint mir als ziemlich deutsche Namensfindung. Andererseits ist es auch derjenige, der sich durch direkten Kontakt mit verendeten Ratten angesteckt haben könnte.


    3. Die Stadt wird am Ende des ersten Teils geschlossen. Niemand kann sie von da an mehr verlassen. Analogie zum WWII? War es zu einem bestimmten Zeitpunkt des Krieges nicht mehr möglich Frankreich zu verlassen? Interessant ist, dass Oran eigentlich eine algerische Hafenstadt ist. Frankreich war zur damaligen Zeit innerhalb seiner Grenzen von zwei faschistischen Regimen umschlossen. Deutschland im Osten, Spanien im Westen. Dazwischen höchstens noch die kleinen Beneluxstaaten und im Südosten evtl. die Schweiz, die aber sicherlich auch nicht die Möglichkeit hatte, unbegrenzt Flüchtlinge aufzunehmen. Flucht war also eigentlich nur noch auf dem Seeweg möglich.


    Fazit: M.E. bedeutet das Ende des ersten Teils den Zeitpunkt kurz vor Ausbruch des Krieges an der Westfront. Trotzdem geht das Leben vorerst seinen gewohnten Gang.


    Schade, dass die Seiten meiner Ausgabe durchweg von meinem Ersatzlieferanten laminiert wurden, so dass ich leider keine Anstreichungen vornehmen kann. Ich hoffe trotzdem, den kommenden Ereignissen folgen zu können und bin weiterhin auf eure Rückmeldungen gespannt.


    Grüße
    F. Hermann

  • Hallo zusammen,
    hallo Hermann,


    ich lese deine Mutmassungen mit großem Interesse.


    1. Tarrou: Sehr geheimnisvolle Figur. Steht im Kontakt zu spanischen Musikanten und verfasst selbst eine Art Chronik der Ereignisse, die sich scheinbar absichtlich mit lauter Nebensächlichkeiten befasst. In Spanien herrschte zu dieser Zeit ebenfalls eine faschistische Diktatur. Es könnte daher sein, dass diese Figur für einen spanischen Geheimagenten steht. Was haltet ihr von dieser Theorie?


    Spanien als faschistischer Staat, würde gut in Camus' Intention passen. Tarrou könnte dies tatsächlich darstellen, wenn ich auch nicht denke, dass er ein Spion ist, aber warum nicht... Ich finde das ist ein guter Gedanke.



    2. Beim ersten Todesopfer handelt es sich um den Hauswart (Concierge?) Michel. Erscheint mir als ziemlich deutsche Namensfindung. Andererseits ist es auch derjenige, der sich durch direkten Kontakt mit verendeten Ratten angesteckt haben könnte.


    ich habe mir noch garnicht überlegt, warum gerade der Concierge der erste Tote ist. Du gibst neue Denkanstösse.



    3. Die Stadt wird am Ende des ersten Teils geschlossen. Niemand kann sie von da an mehr verlassen. Analogie zum WWII? War es zu einem bestimmten Zeitpunkt des Krieges nicht mehr möglich Frankreich zu verlassen? Interessant ist, dass Oran eigentlich eine algerische Hafenstadt ist. Frankreich war zur damaligen Zeit innerhalb seiner Grenzen von zwei faschistischen Regimen umschlossen. Deutschland im Osten, Spanien im Westen. Dazwischen höchstens noch die kleinen Beneluxstaaten und im Südosten evtl. die Schweiz, die aber sicherlich auch nicht die Möglichkeit hatte, unbegrenzt Flüchtlinge aufzunehmen. Flucht war also eigentlich nur noch auf dem Seeweg möglich.



    Hier denke ich, dass es Camus darum ging, ein hermetisch abgeschlossenes Gebiet zu schaffen, in dem es ums Überleben geht bzw. was der Mensch in einer Extremsituation auf Leben und Tod macht.


    Oran hat er vielleicht gewählt, weil er die Stadt im Grunde hässlich fand, wie es aus seiner Lebensgeschichte hervorgeht. Er liebte Algerien, aber nicht die Hafenstadt Oran. Sozusagen in einer verhassten Situation fest sitzen. So erging es ihm, als er sich in Paris versteckt hielt und Artikel für seine Zeitung veröffentlichte, immer auf die Gefahr hin, gefasst und getötet zu werden.


    Es ging also mMn nicht darum einen Fluchtweg zu finden.



    Fazit: M.E. bedeutet das Ende des ersten Teils den Zeitpunkt kurz vor Ausbruch des Krieges an der Westfront. Trotzdem geht das Leben vorerst seinen gewohnten Gang.


    Klasse Gedanke :smile:


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()

  • Hallo Maria,


    freut mich, dass du mit meinen Anmerkungen einverstanden bist. :smile:
    Habe gerade auch den zweiten Teil beendet. Wie siehts bei euch aus?


    Im Moment bloß ein paar kurze Anmerkungen zu Tarrou: M. E. zumindest kein negativer Spitzel/Agent o.ä. Falls doch ein solcher, dann aber mehr eine Art "guter Hirte". Engagiert sich für die Sanitätsgruppen und ist ständiger Begleiter von Rieux. Dafür wird mir dieser Cottard immer suspekter. Er hat irgendwelchen Dreck am Stecken und bleibt nur aufgrund des Wütens der Pest unbehelligt. Interessant natürlich auch die Predigt von Pater Paneleux, der die Pest darin immer wieder mit erhobenem Zeigefinger als Geisel Gottes ausruft. Außerdem wird neben Cottard auch der Journalist Rambert als ein letzter Mensch bezeichnet, wenngleich er sich am Ende des zweiten Teils doch noch für die Sanitätstruppen gewinnen lässt. Ich muss aber erst noch einmal über das Gelesene nachdenken. Warte jetzt erst einmal auf weitere Beiträge.


    Gruß
    Felix

  • Hallo zusammen,


    ein paar Gedanken zum 2. Teil habe ich bereits geäußert, siehe S. 1 hier im Thread u.a. auch zur Predigt von Paneloux....


    Zitat von "JMaria"

    Rieux und Paneloux sind mMn Gegenparts. Himmel und Erde.


    Vielleicht ist Rieux so schweigsam wie die Erde...


    Wenn zum Beispiel einer von ihnen von der Krankheit hinweggerafft wurde, so geschah es fast immer, ohne daß er darauf achten konnte. Er wurde dann aus diesem langen inneren Gespräch herausgerissen, ..., und übergangslos in das tiefste Schweigen der Erde geworfen... (S. 88/89)


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo Maria & all,


    es kann natürlich gut sein, dass die beiden (Rieux und der Pater) als gegensätzliche Figuren aufgefasst werden müssen/sollen. Während der Pater die Seuche/den Krieg als Bestrafung für die Sünden der Menschen anführt, infolgedessen auch die Erlösung nur von dieser Seite zu erwarten oder zu erhoffen wäre, beschränkt sich der Arzt darauf, seine Arbeit so gut als möglich zu verrichten, wenngleich er sich darüber bewusst ist, dass es letztendlich wohl doch nicht einzig in seinen Händen liegt, ob der eine oder andere vor dem Tod errettet werden kann. Der Pater führt ja auch Sodom und Gomarrha und ähnliche Beispiele an, wohingegen der Arzt die Menschen insgesamt weniger schlecht einschätzt und alles insgesamt rationaler betrachtet. M.E. haben beide damit mehr Recht als Unrecht. Eben jeder von seinem Standpunkt aus gesehen. Ich kann mir vorstellen, dass vielleicht vor Ausbruch des Krieges sich sehr viele Menschen durch die verschiedensten Umstände in irgendeine Art von Schuld verstrickt hatten, wodurch eine solche Katastrophe erst möglich wurde, indem die Menschen dadurch gezwungen/ genötigt wurden, irgendeiner bekloppten Idee anzuhängen oder alles gegeneinander aufgewiegelt wurde. Ich lese erst einmal weiter, um mir ein klareres Bild von den einzelnen Figuren zu verschaffen.


    Gruß
    F. Hermann


    p.s. Ist der Rest der LR etwa in Urlaub?

    Einmal editiert, zuletzt von Freund Hermann ()

  • Hallo,


    nein, ich bin nicht in Urlaub, sondern lese fleißig weiter und bin auf Seite 200 angekommen. Leider kann ich mit dem Buch nach wie vor wenig anfangen, daran hat sich auch nach all den Jahren, seit ich es zum ersten Mal las, wenig geändert. Es sagt mir einfach zu wenig, ich verstehe den tieferen Sinn nicht.


    Rieux und Paneloux sehe ich schon als Gegenparts. Während der Arzt für mich schon leichte Resignation erkennen lässt - was allerdings auch an seiner Wortkargheit liegen kann -, ereifert sich Paneloux energisch über die Hintergründe der Pest. Etwas konträr kommt mir allerdings vor, dass er die Krankheit einerseits als von Gott gesandt betrachtet, andererseits aber selbst in der Sanitätseinheit tätig wird, um den Kranken zu helfen, womit er eigentlich seinem Glauben zuwider handelt, da er sich damit gegen die "Strafmaßnahmen" seines Gottes stellt. Selbst wenn er den Kranken vielleicht auch nur das Sterben erleichtern möchte, passt das nicht ganz zusammen.


    1. Tarrou: ... Sehr Es könnte daher sein, dass diese Figur für einen spanischen Geheimagenten steht. Was haltet ihr von dieser Theorie?


    Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich sehe in ihm nur einen Mann, der jahrelang ohne Aufgabe halbwegs dahinvegetierte, bis ihm die Pest wieder eine Aufgabe bescherte. Allerdings weiß ich nichts über die spanischen Verhältnisse und Gründe, warum sich ein spanischer Agent in Oran aufhalten könnte.


    Gruß
    Doris

  • Hallo Doris,


    schön, dass du dich wieder zu Wort meldest. Ich habe den Roman gestern Abend zu Ende gelesen und könnte auch nicht unbedingt behaupten, den tieferen Sinn wirklich verstanden zu haben. Für mich persönlich war es überraschend festzustellen, dass Grand gar nicht an der Epidemie stirbt und zumindest seinen ersten Satz, wenngleich ohne ausschmückende Adjektive, doch noch beendet, was aber im Grunde recht nebensächlich sein dürfte. Zu dem Gegensatz zwischen Pater und Arzt möchte ich noch nichts weiter sagen, außer dass erstgenannter innerhalb einer zweiten Predigt seine ursprüngliche Auffassung noch revidiert. Auch über Tarrou wird im weiteren Verlauf der Erzählung noch Erhellendes berichtet. Wahrscheinlich ist er eine Art Diplomat. Aber ich möchte nicht vorgreifen und warte zunächst ab, bis ihr das Buch ebenfalls abgeschlossen habt und lese derweil noch "Der Fremde", der in meiner laminierten Ausgabe :rollen: zusätzlich abgedruckt ist.


    lg
    F. Hermann

    Einmal editiert, zuletzt von Freund Hermann ()

  • Hallo zusammen,


    im Urlaub bin ich auch nicht. Ich bin nur gerne auf ungefähre Höhe mit den anderen. Denn wenn ich ein Buch gelesen habe, schließe ich es für mich gerne ab und diskutiere nicht gerne im nachhinein, lieber parallel. Deswegen auch die kleine Pause, damit Doris und Jaqui aufholen können. Da Doris mich nun überholt hat und Freund Hermann durch ist, werde ich mich wieder ins Buch stürzen ;-)


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo,


    Ich urlaube leider auch nicht :breitgrins:


    Ich habe gestern Kapitel 3 beendet und wende mich nun Kapitel 4 zu. Ganz so auf meiner Linie liegt das Buch aber nach wie vor nicht. Rambert kann ich gut verstehen, mit ihm kann ich mich am ehesten identifizieren. Er will raus aus der Stadt und ich kann gut nachvollziehen warum.


    Die anderen sind für mich nach wie vor Figuren die mir nicht nahe kommen und ich weiß nicht ob mir das gefällt.
    Ich finde die Stimung im Buch gut gemacht und auch die Zahlen der Toten sagen ja schon einiges aus, aber irgendwie hat es Camus noch nicht geschafft den Schrecken bei mir anzubringen. Ja, es sterben viele Menschen, aber wo ist ihre Verzweiflung, wo sind ihre Fluchtversuche aus der Stadt? Außer Rambert ist mir noch keiner untergekommen der das versucht.


    Und die Wachen bewachen alles und lassen niemanden raus - okay klar, aber wieso fliehen sie selber nicht?
    Dieser Aspekt kommt mir hier viel zu kurz.


    Was ich auch erschütternd fand, ist die Tatsache, dass einige tatsächlich überlegt haben ihre Verwandten wieder zurück zu holen in die Stadt. Wollen die etwa dass ihre Lieben sterben? Camus erzählt, dass alles so trocken runter sodass ich das Gefühl habe es geht mich nichts an.


    Bei der Predigt dieses sogenannten Pfarrers ist mir übrigens die Galle hochgekommen. Wie verbohrt muss ein Mensch eigentlich sein um die Pest als eine Strafe Gottes zu bezeichnen. Ich hätte ihn am liebsten genommen und gegen die Wand geschmissen. Insgeheim wünsche ich mir fast, dass er bei der Pest auch umkommt, damit die Menschen sehen, dass die Pest nicht nur Ungläubige dahinrafft.


    Aber ich lasse mich zu sehr gehen und meinem Ärger zu freien Lauf, daher höre ich erstmal auf.


    Katrin

  • Hallo zusammen,


    der III. Teil vermittelt mir starke Bilder. Die Resignation der Menschen. Es ist eine Epidemie und egal ob sie sich auflehnen, sie ändern nichts an der Situation. Nur wenn der Wind Ruß und Rauch aus der Verbrennungsanlage zu ihnen rüberweht, dann begehren sie auf, weil sie ihr Leben bedroht fühlen und meinen die Krankheit fiele vom Himmel.


    Auch die Sprache finde ich sehr schön, z.B. finden sich immer wieder sehr poetische Sätze in diesem Grauen:


    Aber auch in allen Herzen war es Nacht.... (S. 195)



    Die Probleme in der Verwaltung und wie man die Ordnung aufrecht erhält, hat der Autor mE erschreckend detailiert beschrieben.


    Man hatte alles der Effektivität untergeordnet. (S. 197)


    doch auch feine Ironie findet sich darin:


    Er sagte sogar zu Rieux, daß dies letzten Endes besser sei als die von Negern geschobenen Totenkarren, wie sie in alten Pestchroniken erwähnt werden.


    "Ja", sagte Rieux, "die Beerdigung ist gleich, wir aber legen Karteikarten aan. Der Fortschritt ist unbestreitbar. (S. 201)



    Das Abstumpfen der Menschen:
    Niemand bei uns hatte mehr große Gefühle. Aber jeder empfand monotone Gefühle. (S. 206)
    Ohne Erinnerung und ohne Hoffnung, richteten sie sich in der Gegenwart ein. In Wahrheit wurde für sie alles Gegenwart. (S. 207)


    mich beeindruckt die Chronik der Gefühle, die darin resultierende Veränderung, die mir der Autor hier präzise aufführt.


    und dann die Bilder mit den Gleisen und den Zügen, die zur Verbrennungsanlage des Nachts fahren, ein alptraumhaftes Bild.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Alles in Allem fand ich das Buch trotzdem ungemein spannend zu lesen. Ich erinnere mich noch an meinen ersten Versuch, als ich hauptsächlich mit dem Arzt mitfieberte, ob er denn nun die Pest am Ende überlebt und musste dieses Mal erschreckt feststellen, dass...äh. Ich greife vor. Es endet jedenfalls ziemlich traurig. Zumindest für den Arzt. Jetzt beim Nachhausegehen habe ich auch darüber nachgedacht, dass es bei dieser Sache mit Grand vielleicht doch um das Problem der Unzulänglichkeit von Sprache im Allgemeinen geht. Wie überhaupt sehr vieles symbolisch aufgefasst werden kann. Immerhin lässt sich das Buch auch einfach als eine tatsächliche Pestchronik lesen, ohne dass es deswegen großartig Wert verliert. Im Vergleich zur gerade begonnen Erzählung "Der Fremde" erscheint es auch sprachlich viel ausgereifter oder zumindest abwechslungsreicher. Ich halte auch den Pater nach seiner zweiten Predigt gar nicht einmal für eine so negative Figur, wenngleich ich seine Meinung insbesondere auch nach dem, was das neue Terstament erzählt, eigentlich überhaupt nicht nachvollziehen kann. Vielleicht liegt das aber auch wieder in seiner Eigenschaft als Jesuitenpater begründet. Dafür kenne ich mich leider zu wenig aus. Freue mich jedenfalls über den mittlerweile regen Austausch.


    Grüße
    F. Hermann

  • Hallo zusammen,


    ich bin nun auf S. 249 und habe den Tod des Jungen hinter mich gelassen. Das hat mich jetzt sehr mitgenommen und muß kurz verschnaufen. Die Impfung schien das Sterben noch qualvoller zu machen. Doch weckte es im Arzt und im Pater neue Emotionen, die sie wieder in ein anderes Licht tauchen.



    Ich halte auch den Pater nach seiner zweiten Predigt gar nicht einmal für eine so negative Figur, wenngleich ich seine Meinung insbesondere auch nach dem, was das neue Terstament erzählt, eigentlich überhaupt nicht nachvollziehen kann.


    darauf bin ich nun gespannt, auf diese 2. Predigt. Es deutet sich ja am Totenbett des Jungen bereits eine gewisse Gesinnungsänderung an oder ist es besser ausgedrückt, eine Menschlichkeit, die nicht so sehr in die Ewigkeit schaut (?)


    als der Pater ausrief: Mein Gott, rette dieses Kind. Fand ich ihn sehr menschlich. Denn im Grunde weiß der Pater, dass Gott kein Wunder tätigen wird und doch macht er einen solchen unvollkommenen Ausruf. Später sagte er zum Arzt, dass er in diesen Tod die Gnade Gottes gesehen hat. Was ich nachempfinden konnte. Die Gnade die im Sterben liegt, erkennt man tatsächlich, wenn man schon bei einem schweren Sterben dabei war. Hat mich jetzt sehr erschüttert, weil soviele Erinnerungen wach wurden.


    Wie erklärt ihr euch den Anfang von Kapitel IV:
    Lautlose Züge Stare und Drosseln flogen von Süden kommend sehr hoch dahin, mieden aber die Stadt, als hielte Paneloux' Dreschflegel sie fern, das seltsame Stück Holz, das pfeifend über den Häusern kreiste.


    ist mit dem Stück Holz sinnbildlich das Kreuz Christi gemeint?


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Zitat

    Wie erklärt ihr euch den Anfang von Kapitel IV:
    Lautlose Züge Stare und Drosseln flogen von Süden kommend sehr hoch dahin, mieden aber die Stadt, als hielte Paneloux' Dreschflegel sie fern, das seltsame Stück Holz, das pfeifend über den Häusern kreiste


    ist mit dem Stück Holz sinnbildlich das Kreuz Christi gemeint?


    Ich denke eher, das ist bloß eine nachträgliche/nachdrückliche Erläuterung zum Dreschflegel. Dreschflegel sind doch aus Holz, oder? Habe insgesamt eher ein Bild im Kopf, das in der Kunst immer in Form der apokalyptischen Reiter Ausdruck findet (Pest, Krieg, Hungersnot, Tod).


    P.S. Habe wegen des Seitenumbruch's der Verständlichkeit halber nachträglich editiert.


    :rollen:


    Grüße
    F. Hermann

    Einmal editiert, zuletzt von Freund Hermann ()

  • Ich habe bei dem Holz auch an kein Kreuz gedacht, wäre aber eine interessante Idee, aber ich bin da eher Freund Hermanns Auffassung, dass es eine Erläuterung zum Dreschflegel ist.


    Ich bin übrigens fast fertig, zehn Seiten fehlen mir noch.
    Der Pfarrer ist mir sehr suspekt, anscheinend hat er seine Meinung nun geändert, immerhin will er dem Kind ja helfen. Was ich dagegen wieder blöd finde, ist, dass er zwar gestorben ist aber nicht eindeutig an der Pest. Was will uns Camus damit nun sagen? Dass er mit seiner ersten Rede doch recht hatte und nur Ungläubige sterben an der Pest und die Gläubigen an "zweifelhafter Todesursache"? Da hätte ich mir mehr Mut vom Autor gewünscht und ihn ebenfalls an der Pest sterben lassen.


    Dass Tarrou am Ende gestorben ist fand ich sehr traurig und auch Rieux Frau. Hier hätte ich einen Ausgang erwünscht. Bei Grand war ich sehr überrascht dass er überlebt hat, das hätte ich nicht erwartet.


    Ich werde nun die paar Seiten noch lesen und über das Buch nachdenken. Der Sinn dahinter ist mir nicht ganz klar. Bei solchen Büchern erkenne ich immer öfter, dass ich eben keine typische Klassiker-Leserin bin. Ich kann mit diesen ganzen Andeutungen und versteckten Hinweisen nichts anfangen. Ich will eine Geschichte wo etwas passiert, wo alles klar definiert ist und vor allem wo ich mich mit mindestens einer Person anfreunden kann. Und das ist hier gar nicht der Fall.


    Katrin

  • Hi Jaqui,


    dieses "zweifelhafter Fall", das beim Pater in die Papiere eingetragen wurde gab mir auch zu denken. Ich kann mir vorstellen, dass Paneloux das Verhalten der römischen Kirche während des WWII im allgemeinen symbolisiert. Schließlich besteht eines der Gelübde des Jesuitenordens in der unbedingten Papsttreue. Habe mich über Wiki mal erkundigt. Trotzdem bleibe ich dabei, dass mir der Pater nicht unbedingt unsymphatisch ist. Auch Rieux mochte ich, trotzdem dass er so wortkarg dargestellt wird. Insgesamt ist wohl Camus auch ein Vertreter des Absurden, weshalb er natürlich mit Verfremdungen arbeitet, um auf diesem Wege dem Ganzen mehr Allgemeingültigkeit zu verleihen, was ja auch an einigen Stellen des Textes und im Motto direkt angesprochen wird.


    lg
    F.Hermann

    Einmal editiert, zuletzt von Freund Hermann ()


  • Ich denke eher, das ist bloß eine nachträgliche/nachdrückliche Erläuterung zum Dreschflegel. Dreschflegel sind doch aus Holz, oder? Habe insgesamt eher ein Bild im Kopf, das in der Kunst immer in Form der apokalyptischen Reiter Ausdruck findet (Pest, Krieg, Hungersnot, Tod).


    hallo zusammen,


    Sein Reiter hieß Tod und der Hades folgte ihm, Offenbarung 6,8 .
    Die apokalytischen Reiter würden wirklich hier passen. Vielen Dank für den Denkanstoß.


    "Darf ein Priester einen Arzt aufsuchen?" so der Titel des Traktats. Ob man nun religiös ist oder nicht, eine Aussage in der zweiten Predigt dürfte alle Menschen betreffen: Man müsse sich nur aufmachen und in der Finsternis ein wenig blindlings vorwärts gehen und versuchen, Gutes zu tun.


    stilistisch gefiel mir die "Chronik in der Chronik". In der zweiten Predigt gibt der Pater seinen Zuhörer selbst eine Chronik vergangener Geschehnisse.


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()

  • Wie erklärt ihr euch den Anfang von Kapitel IV:
    Lautlose Züge Stare und Drosseln flogen von Süden kommend sehr hoch dahin, mieden aber die Stadt, als hielte Paneloux' Dreschflegel sie fern, das seltsame Stück Holz, das pfeifend über den Häusern kreiste.


    ist mit dem Stück Holz sinnbildlich das Kreuz Christi gemeint?


    Der Dreschflegel wird gegen Ende des Buches nochmals erwähnt, und dabei drängte sich mir der Gedanke auf, dass es nicht das Kreuz Christi ist, sondern das Kreuz, das jeder selbst zu tragen hat, der sich in der Stadt aufhält und der Pest ausgeliefert ist.


    Mir ergeht es mit den Empfindungen gegenüber der Erzählung ähnlich wie Jaqui. Für das Verständnis der Andeutungen und versteckten Hinweise fehlt es mir wahrscheinlich am nötigen Hintergrundwissen, da helfen selbst eure Gedanken dazu nicht wirklich weiter. Im Grunde genommen kann ich damit genauso wenig anfangen wie bei meinem ersten Leseversuch. Aber nun fehlen mir nur noch wenige Seiten, dann werde ich nochmal ein paar Eindrücke dazu schreiben.


    Grüße
    Doris

  • Der Dreschflegel wird gegen Ende des Buches nochmals erwähnt, und dabei drängte sich mir der Gedanke auf, dass es nicht das Kreuz Christi ist, sondern das Kreuz, das jeder selbst zu tragen hat, der sich in der Stadt aufhält und der Pest ausgeliefert ist.


    Hallo zusammen,
    hallo Doris,


    ebenfalls ein guter Gedanke, denn in den Personen, die im Buch auftreten, finden wir ja auch die Vertreter versch. Verhaltensweisen. Am Ende kristallisiert sich heraus, dass der Erzähler dann doch Rieux ist, der dies nicht preisgab, um beim Leser nicht unglaubwürdig zu wirken und deswegen diesen "Ton" anschlug.


    auch der Erbsenzähler gibt uns zu denken: Aber was heißt das schon, die Pest? Es ist das Leben, sonst nichts.


    ohne euch wären mir viele Gedanken entgangen und mir hat die Leserunde sehr viel gebracht. Sich bei diesem Thema mitteilen zu können, hat gut getan. Mich hat die Geschichte beeindruckt; in seinem Aufbau, der nüchterne Ton, die unterdrückten Gefühle, das Beobachten wie die Menschen sich verändern...


    viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo Maria,



    Mich hat die Geschichte beeindruckt; in seinem Aufbau, der nüchterne Ton, die unterdrückten Gefühle, das Beobachten wie die Menschen sich verändern...


    Ich finde es immer wieder erstaunlich wie unterschiedlich man ein Buch sehen kann. Mich hat der nüchterne Ton eher abgeschreckt und die unterdrückten Gefühle haben mir das Gefühl von kühler Distanz vermittelt, sodass ich mich in keine der Personen hineinfühlen konnte.


    Cottard tat mir am Ende übrigens sehr leid. Ich hätte noch gerne erfahren was er denn angestellt hat, aber das wird ja leider nicht verraten.


    Katrin

  • @ Jaqui
    Über Cottard habe ich mir schon früher Gedanken gemacht, besonders als er während eines Gespräches mit Tarrou die Bemerkung "Unverhofft kommt oft" fallen ließ, die mir Freund Hermanns Vermutung bezüglich eines Agenten wieder ins Gedächtnis rief. Sein Verhalten war öfter etwas undurchsichtig, und dass er irgendetwas zu verbergen oder zu verkraften hatte, das ihn sogar zum Selbstmord trieb, war offensichtlich.


    Ich bin nun auch fertig mit dem Buch und nach wie vor ohne tiefere Erkenntnisse. Im Interpretieren von Klassikern bin ich ohnehin nicht sehr geschickt, aber hier stehe ich wirklich ratlos da. Auch die zweite und vollständige Lektüre bringt mich nicht weiter. Zwar hat mich die Leserunde angespornt, nicht wieder das Handtuch zu werfen, aber von Camus werde ich wahrscheinlich nichts mehr lesen.


    Grüße
    Doris