Dezember 2008 - Platons Gastmahl


  • "Was gottgeliebt, ist gottverhasst"... Quelle versuche ich morgen zu finden.


    Ich habe mal kurz nachgeschaut, konnte aber nichts Entsprechendes finden. Hat aber auch nichts mit der gr. Götterverdoppelung zu tun.


    Doppelungen gr. Götter, die ich kenne:
    Dionysos, der Weingott vs. Dionysos-Zagreus, der Omophag
    Artemis als grausame Göttin, aber auch Behüterin der Frauen; sie ist Jungfrau, andererseits Fruchtbarkeitsgöttin.
    Ihr Bruder Apollon: Gott der schönen Künste (Musagetes) und der Heilung, aber auch einer, der die Pest bringt.
    Poseidon: Gott des Meeres und der Pferde (verstehe ich als unterschiedliche Herkünfte bzw. Quellen dieses Gottes)


    Zitat

    Und du siehst die Ursache im "unheilvollen Einfluss" des Christentums? Das Christentum gewährt die Sexualität, nur ist der Ort für deren Auslebung die Ehe... körperliche Liebe, wenn die geistige mit dabei ist, ist, wie ich die christliche Lehre verstehe, durchaus edel zu nennen.


    Ehe als notwendiges Übel, damit die Männer nicht noch "schlimmere Unzucht" begehen:

    Zitat

    Es ist dem Menschen [wohl: dem Manne] gut, daß er kein Weib berühre. Aber um der Hurerei willen habe ein jeglicher sein eigen Weib, und eine jegliche habe ihren eigenen Mann. [...] Solches sage ich aber aus Vergunst und nicht aus Gebot. Ich wollte aber lieber, alle Menschen wären, wie ich bin.


    (Paulus 1. Kor. 1-7)


    Die Ehe ist also so etwas wie ein Zucht- und Zähmungsinstrument, mithin das kleinere Übel.


    Aber bitte: die Bemerkung zum Christentum war absolut nebensächlich und berührt das Platonische Gastmahl überhaupt nicht. Ich ziehe also meine Bemerkung zurück.^^ Im Bedarfsfall können wir via PN darüber weiterdiskutieren.


  • Ich habe mal kurz nachgeschaut, konnte aber nichts Entsprechendes finden. Hat aber auch nichts mit der gr. Götterverdoppelung zu tun.


    Das habe ich nur aus einer Mitschrift einer Vorlesung. Der Satz soll aus "Eutyphron" stammen und Bezug auf die Uneinigkeit der Götter (Polytheismus) nehmen.


    Mein Ton war gestern etwas polemisch. So meinte ich es aber nicht! ;)



    PS: Beim Durchlesen dieses Beitrags bin ich noch einmal stutzig geworden über meine Beziehung von edel (himmlisch) und schön, den ich 1:1 herstelle. Darüber möchte ich nochmal nachdenken! Ist wirklich nur Eros Urania ein Anwärter auf das Schöne? Hat Eros Pandemos daran nicht teil?


    Bist du inzwischen auf eine Lösung gekommen? Was meinst du eigentlich? "Schön" im optischen Sinn, oder? Oder in einem moralischen? Bis jetzt dachte ich, dass Eros Pandemos bloß die Schönheit eines Körpers begehre. Aber von Schönheit ist ja doch gar nicht die Rede, sondern nur davon, dass solche gemeine Menschen mehr die Körper als die Seelen lieben (181b). Den gewöhnlichen Menschen aber ist es egal, ob sie auf schöne Weise lieben oder nicht.! (181b)


    Vielleicht verliert sich die schöne Art des Liebens, wenn man diese Wertung außer Acht lässt und für belanglos hält.


    Wie kann eigentlich ein auf vulgäre Weise Liebender schön lieben? Das war wohl deine Frage? Ich würde spontan sagen, gar nicht... aber vielleicht erhellen weitere Teile der Rede Pausanias' diese Schwierigkeit.


    Gruß


  • Bist du inzwischen auf eine Lösung gekommen? Was meinst du eigentlich? "Schön" im optischen Sinn, oder? Oder in einem moralischen? Bis jetzt dachte ich, dass Eros Pandemos bloß die Schönheit eines Körpers begehre. [...]
    Wie kann eigentlich ein auf vulgäre Weise Liebender schön lieben? Das war wohl deine Frage? Ich würde spontan sagen, gar nicht... aber vielleicht erhellen weitere Teile der Rede Pausanias' diese Schwierigkeit.


    Du schreibst von gewissen Unklarheiten innerhalb dieser Rede. Ich möchte die aufnehmen. In der Tat ergeben sich keine klaren Linien in Pausanias’ Rede.


    1.
    Zunächst würde ich einmal festhalten, dass auch Aphrodite Pandemos (bzw. ihr Sohn Eros; hier wird Eros ja als Sohn gehandelt und nicht als Ur-Kraft wie bei Phaidros) eine Göttin ist, gleichwohl ist sie "gemein", also „irdisch“ (pandemos: im Volk). Als Göttin ist sie himmlisch; so entsteht hier ein offensichtlicher Widersinn: die gemeine, irdische A. ist himmlisch genauso wie die himmlische. Dito Eros. Der Eros bei Phaidros und der Eros bei Pausanias sind also ganz unterschiedliche Charaktere.


    2.
    Was die Schönheit betrifft, so geht doch Pausanias wesentlich über das sichtbar Schöne hinaus:

    Zitat

    Mit jeder Handlung nämlich verhält es sich so: an und für sich selbst ist sie zu verrichten weder schön noch häßlich. Wie was wir jetzt tun, trinken, singen, sprechen, davon ist nichts an und für sich schön; sondern wie es in der Ausübung gerät, so wird es. Denn schön und recht gemacht wird es schön; unrecht aber wird es schlecht.


    Nun werden Handlungen als schön bezeichnet, und sie werden verknüpft mit der "rechten Weise". Es wird dann ein schönes Lieben von einem unschönen Lieben getrennt.

    Also, was Pausanias sagt, trifft wohl etwas Wichtiges: Schönheit liegt nicht nur in Gestalten, sondern auch in Handlungen. Schönheit geht über das Sichtbare hinaus.


    Also, die "Gemeinen" lieben Frauen und Knaben, dann mehr den Körper als die Seele (aber doch beides, nur eben den Körper mehr!), dann mehr die Unverständigen, weil man die besser rumkriegen kann. All das kommt von der irdischen Aphrodite her, die doch in Wahrheit auch eine himmlische Göttin ist. Das passt also nicht ganz, auch darin, dass die himmlische Liebe rein männlich ist. Da wir in der ganzen Männerrunde die höchsten Weihen der Liebe durch den Mund einer Frau (Diotima) hören, wird dieser Ansicht hierdurch von Platon widersprochen.


    Auch die Ausführung über die Knabenliebe ist widersprüchlich. Denn im Grunde redet P. von der Liebe unter Männern (Androphilie) und nicht von der Päderastie (Knabenliebe) (181d-e). Das ganze P.'sche Argument verwirrt sich also darin, dass die dem himmlischen Eros Folgenden, also die Päderasten, gerade eben nicht Päderasten sein dürfen, weil diese Liebe eben nicht himmlisch sein kann (wegen der Unvernunft der Jungen).


    So zeigen sich innerhalb der Rede des P. Widersprüche, die er mit seinem Doppelkonstrukt nicht lösen kann. Man könnte versuchen, dieses Interpretationsmuster von der Widersprüchlichkeit auch auf den Rest der P'schen Rede anzuwenden.


    Aber zweifellos „bleibt“ eine Errungenschaft dieser Rede: dass Schönheit auch eine ethische Dimension hat, wie denn überhaupt die Schönheit erst bei ihm als Topos auftaucht (bei Phaidros wird sie nur am Rande erwähnt). Und eine weitere Errungenschaft wird folgen, wenn wir im weiteren Verlauf die komplizierten Sitten in Athen betrachten.


    Des weiteren werde ich auch auf die Figuren eines Paares achten: von welcher Seite spricht P. vor allem: vom Erasten oder vom Eromenos aus? Phaidros hat seine Rede ganz auf den Erasten ausgelegt.


    Grüße
    Kaspar

  • Nochmal zu einem Punkt in deinem Beitrag, den ich übersehen habe:


    Zitat

    Den gewöhnlichen Menschen aber ist es egal, ob sie auf schöne Weise lieben oder nicht.! (181b)


    Es scheint offenbar so, dass der "irdische Eros" die ethische Schönheit (...auf schöne Weise...) suspendiert. Damit fällt auch die schöne Weise des Liebens nicht mit dem himmlischen Eros zusammen, sondern ist unabhängig davon, denn es ist ja wohl möglich, dass die "Gemeinen" auf schöne Weise lieben, nur ist es ihnen eben wurscht. Währenddessen der himmlische Eros einen Anreiz gibt, auf schöne Weise zu lieben (181a). So steht also die Schönheit des Liebens irgendwie "neben" der Pausanias'schen Unterscheidung der beiden Gottheiten und zeigt IMO umso mehr ihre Brüchigkeit.



    Und nochmal zur Götterverdoppelung: wir werden später in der Sokratischen Rede etwas über die Doppelnatur des Eros hören, aber ganz anders als P. Ich würde also diese Verdoppelung so sehen: sie weist in eine richtige Richtung, bringt aber selbst noch nicht den wahren Sachverhalt hervor.

  • Zu dem Argument des Pausanias, die schön Liebenden seien auch den Tyrannen abhold, gibt es viele Anekdoten. Zwei greife ich heraus.


    1. Eine Anekdote des Phanias aus Eresos:
    In der unteritalischen Stadt Herakleia hatte sich Antileon in einen Knaben aus vornehmster Familie, namens Hipparinos, verliebt. Trotz aller Bemühungen gelang es ihm aber nicht, sich die Gunst des Knaben zu erwerben. In den Gymnasien war er beständig an seiner Seite, ihm immer wieder beteuernd, wie sehr er ihn liebe und daß er ihm zuliebe jedweder Mühe sich unterziehen und jeden seiner Wünsche ihm von den Augen ablesen wolle. So sagte ihm denn der Knabe aus Mutwillen, er solle aus einem von Archelaos, dem Beherrscher von Herakleia, streng bewachten Orte die Glocke herbeischaffen, da er überzeugt war, daß der Liebende dieses gefährliche Wagestück nicht werde ausführen können. Antileon aber schlich sich heimlich an die Wachtposten heran, tötete den an der Glocke Diensttuenden und brachte die erbeutete Glocke dem Knaben, der ihn mit offenen Armen aufnahm und seitdem auf das freundschaftlichste behandelte. Nun geschah es aber, daß der eben genannte Regent nach dem Knaben verlangte, was den Antileon natürlich sehr betrübte, da jener Macht genug hatte, seine Wünsche auch zu verwirklichen. Um seinen Knaben aber nicht in Gefahr zu bringen, riet er ihm, er solle scheinbar auf die Wünsche des Tyrannen eingehen. Er selbst aber lauerte dem Tyrannen auf und tötete ihn. Danach ergriff er die Flucht und wäre auch sicherlich entkommen, wenn er nicht durch eine ihm auf der Straße begegnende Schafherde aufgehalten worden wäre. Da nun durch den Tod des Tyrannen die Stadt freigeworden war, errichtete man dem Antileon und seinem Knaben Standbilder und erließ das Gesetz, daß künftig keine Schafherden durch die Straßen getrieben werden dürften.


    2. Oder die berühmte Geschichte von Harmodios und Aristogeiton:
    Der Athener Tyrann Hipparch versuchte, die Freundschaft zwischen den beiden Freunden zu zerschlagen, weil er selbst auf Harmodios, den Jüngeren der beiden, scharf war. Als ihm dies nicht gelang, beleidigte er Harmodios' Schwester öffentlich. Darauf beschlossen die Freunde, Hipparch sowie seinen Bruder Hippias umzubringen, beides Söhne des Peisitratos und damit auch Tyrannen von Athen. Sie erschlugen Hipparch, doch Hippias entkam. Harmodios wurde im Verlauf des Attentats getötet, während Aristogeiton gefoltert und auf der Akropolis hingerichtet wurde.
    Quellen: Herodot VI.123, Thuk. vi.54 ff, Arist. Ath.Pol. XVIII.1-6, Athen. 695a-b

  • Liebe Platon-Freunde,


    ich möchte nur ganz kurz dazwischenfunken und Euch mitteilen, dass ich Eure Diskussion mit großem Interesse verfolge. Ich bin immer wieder erstaunt, was Ihr da rausholt!


    Weiterhin viel Spaß und einen guten Rutsch wünscht


    Tom

  • Alles sehr wahr, Kaspar. Auch fällt mir gerade auf, dass Pausanias das Wort "kalos" verwendet, was tatsächlich auch immer eine innere Beschaffenheit mit-meint. Und nicht nur die ästhetische. (Siehe auch kalos kagathos auf Wikipedia!)


    Das Wort für die ausschließlich optische Schönheit, "eumorphia", ist ja nicht zu finden.


    ;) Alles Gute zum neuen Jahr! will ich euch wünschen, falls ich hier morgen nicht mehr erscheinen sollte. Wo bleibt eigentlich Telemachos?


    Gruß

  • 181d-182a finde ich etwas fragwürdig oder, zum Schluss, unverständlich.


    181d: Früh gefreit hat nie gereut?!


    In 181e meint Pausanias, man müsse es gesetzlich verbieten, Kinder zu lieben, um nicht so viel Liebe auf ein Wesen zu verschwenden, von dem man gar nicht weiß, ob es sich tüchtig oder schlecht entwickeln werde. Diese Aussage scheint mir einerseits aus einem gutwilligen Ideal ausgesprochen zu sein, andererseits erscheint sie mir aber auch politisch betrachtet totalitär. Demokratisch wenigstens wäre es, denke ich, damals nicht leicht möglich gewesen, ein solches Gesetz durchzusetzen, da doch die meisten mit der Aphrodite Pandemos liebten?! Erinnert das nicht an "Politeia"?


    182a habe ich nicht verstanden. Wer sagt, dass es hässlich sei, Liebenden zu Willen zu sein, und wieso?


    Gruß

  • Knabe:
    Ich möchte erst einmal weitergehen und dann auf deine Fragen eingehen, da ich den folgenden Beitrag ohne Linsen ins Forum geschrieben habe.


    Ein bisschen scheue ich mich, an die komplizierten sozialen Regelungen der athenischen Werbung von Jungen heranzugehen. Denn im ersten Moment erscheint mir das als reine Folklore, mehr oder weniger korrekt, d.h. also ein "bloß" historischer Bericht. Hat diese Beschreibung auch noch systematischen Wert für den Text? Wie immer, wenn ich unsicher bin, versuche ich den Text in eigenen Worten zu rekonstruieren ("phänomenologisch" Knabe :breitgrins:) und schaue dann, was er enthält für die Frage nach dem Eros.


    Also den Text kurz gefasst (182d-185c).


    Zuvor die Bemerkungen zu denjenigen Poleis, in denen die Knabenliebe verpönt ist (182b-c), weil sie unmäßig sind (Ionier), und den Poleis, wo die Knabenliebe im Übermaß herrscht, weil die Leute dort zu blöd sind (ich verweise hier auf den Topos des "böotischen Schweins" bei Pindar, glaube ich). Die Verhältnisse in Athen liegen dazwischen. Und was unterscheidet sie von beiden Extremen? Sie sind nicht unmäßig. (Diese Überlegung folgt ein wenig der von Foucault, Sexualität und Wissen.)


    Doch jenseits von Foucault zum Text selbst!


    Der athenische Eros also ist:
    - öffentlich (182d)
    - auf den Besten, nicht den Schönsten gerichtet (182d)
    - der Erast darf sich lächerlich machen, z.b. vor der Tür lagern (s. später Penia, 203d, womit ja doch ein Wahrheitsbezug hergestellt wird!)
    - die Götter haben den Erasten alle Freiheiten eingeräumt
    - Aber: die Leidenschaften der Erasten werden gedämpft von den Vätern, Pädagogen und Kameraden der Eromenoi (183c; s.a. den letzen Absatz im Lysis)
    - Beständigkeit wird angestrebt (184a)
    - durch diese sozialen Kräfte und Gegenkräfte ("Jagen" und "Fliehen", s. auch Jagd-Motiv bei Sokrates in Xen.Mem.) wird die schöne Weise des Eros durchgesetzt:
    --- auf Seiten der Liebenden als Prüfung
    --- auf Seiten der Geliebten als die richtige Weise der Ergebenseins, nämlich durch Tugend (184c)
    Hierdurch erst ergibt sich ein Gleichgewicht, ein Maß also (184e), dieses ist es, was Eros Urania ausmacht (185b-c)


    Ich würde sagen, das kommt dem Sokratischen Gedankengut schon sehr nahe, hat aber noch Macken, dh. Widersprüche, die ich darin sehe:
    - die Orientierung an der Tugend vergisst die erotische Erregung / Leidenschaft
    - die angestrebte Beständigkeit kann natürlich nach Ideenlehre nur eine scheinbare sein, sie entkommt dem Werden und Vergehen nicht
    - die Schönheit des Geliebten wird suspendiert durch seine Tugendhaftigkeit; aber doch ist es die Schönheit des Jungen, der den Eros auslöst.


    Ergebnis:
    Die Darstellung der athenischen Sitten durch Pausanias kommt der Wahrheit schon recht nahe, trifft sie aber nicht, weil das Wesen von Eros hier noch nicht erfasst ist. IMO wird Eros zu einer Tugendangelegenheit "verniedlicht" bzw "erhöht", der Eros als Begierde, als Leidenschaft wird suspendiert, dessen "dunkle" Seite also. Dennoch enthält das Festhalten am athenischen Maß gegenüber den Unmäßigkeiten der Doofen (Böotier) und Geilen (Ionier) ein Element von Wahrheit.


  • Dennoch enthält das Festhalten am athenischen Maß gegenüber den Unmäßigkeiten der Doofen (Böotier) und Geilen (Ionier) ein Element von Wahrheit.


    Diese pointierte Gegenüberstellung beleuchtet einen eigenartigen Punkt der Knabenliebe, der mir bislang noch nicht bewusst war; er ist aber im Text hier nur am Rande interessant.


    Die Böotier sind ungebildete Leute ("doof"), daher erlauben sie die Knabenliebe im Übermaß.
    Die Ionier sind wegen ihrer Nähe zu den Barbaren selbst unmäßig ("geil"), daher verachten sie Gymnastik und Wissenschaft, also die griechischen Errungenschaften (was nicht stimmt, denn gerade die Wissenschaft kommt aus Ionien).


    Dennoch, die Gegenüberstellung finde ich interessant:
    - Die Ungebildeten frönen im Übermaß der Knabenliebe;
    - die Unmäßigen, Verweichlichten (so nicht im Text, ich ergänze das) verbieten die Knabenliebe.


    Wäre nun Knabenliebe (wie später im Mittelalter / Neuzeit bis 20.Jhr; aber auch schon in einer Rede des Dio von Prusa Or. 7 im 2. Jh n.Chr. und selbst der greise Platon in den Gesetzen) der Ausdruck einer unmäßigen Sexualität, dann müssten die Ionier (die "Geilen") ihr besonders huldigen, dort aber ist sie verboten. Dagegen huldigen ihr besonders die "primitiven" Völker in Griechenland. In ihr scheint also - nach Pausanias - eher etwas Ursprüngliches zu liegen als etwas Dekadentes.


    Wie gesagt, nur eine Nebenbemerkung. Ich wollte sie lediglich der Menschheit nicht vorbehalten ;)


  • In 181e meint Pausanias, man müsse es gesetzlich verbieten, Kinder zu lieben, um nicht so viel Liebe auf ein Wesen zu verschwenden, von dem man gar nicht weiß, ob es sich tüchtig oder schlecht entwickeln werde.


    Im ersten Moment dachte ich: naja, es geht darum, dass man ein Kind nicht lieben sollte (wohlgemerkt: erotisch), weil es noch ohne Vernunft ist und damit eine vernunftgemäße Form der Liebe nicht möglich ist. Ein Verdikt gegen Pädophilie also. Eine moderne Variante dieses so verstandenen Arguments kenne ich von David Finkelhor über den Informed Consent, der in der Kindesmissbrauchsdebatte eine zentrale Rolle spielt.


    Doch merke ich, wie leicht man moderne Argumente in einen alten Text hineinliest; wohl steht das so gar nicht drin! Du hast recht: Pausanias argumentiert damit, dass man seine Liebe nicht an jemand verschwenden sollte, von dem man nicht weiß, in welche Richtung er sich entwickelt! Das ist etwas grundlegend anderes als eine Warnung vor der Liebe zu unvernünftigen Kindern, denen man etwa eine erotische Liebe noch nicht zumuten möchte, also das zeitgenössische Denken über diesen Punkt.


    Darin wird mir wieder einmal deutlich, welche Kluft zwischen dem antiken und dem modernen Denken herrscht!


    Ich zitiere die Stelle, die es tatsächlich in sich hat:


    Zitat

    Es sollte aber auch ein Gesetz sein, nicht Kinder zu lieben, damit nicht aufs Ungewisse hin so viele Bemühungen verwendet würden. Denn bei den Kindern ist der Ausgang ungewiß, wo es hinaus will, ob zur Schlechtigkeit oder Tugend der Seele und des Leibes.

    (181e-182a)


    Würde man nicht gerade sagen, dass man ein Kind dazu anleiten sollte, zum Guten und zur Tugend zu gelangen? Wäre das nicht ein Sokratischer Standpunkt - ganz im Gegensatz zu Pausanias? Und das setzt m.W. Sokrates auch an. Ich denke also auch, dass diese "Argument" von Pausanias faul ist. Es steht dem "Sokratischen Eros" diametral gegenüber. Ein weiterer Hinweis darauf, dass in der Rede von P. Widersprüche lauern.


    Zitat

    182a habe ich nicht verstanden. Wer sagt, dass es hässlich sei, Liebenden zu Willen zu sein, und wieso?


    Nunja, um es in klarem Deutsch zu sagen (daher kommt die Redeweise auch), weil es - auch im antiken Griechenland - schändlich war, "den Arsch hinzuhalten". z.B.: Ein in flagranti ertappter Liebhaber durfte vom Ehemann mit einem Rettich, in den Hintern gesteckt, bestraft werden ;) - neben dem Schmerz war die Schande die eigentliche Entehrung.


    Vornehmer ausgedrückt: Es gibt eine Diskussion von Foucault und Dover auf der einen und Davidson auf der anderen Seite, bei der es um die Frage der analen Penetration geht in der Einschätzung der gr. Päderastie. Diese Textstelle ist einer der Streitpunkte. Anal penetriert zu werden, war eine Schande, aber der Eromenos musste es wohl mehr oder weniger, und die Einstellung zu diesem "wunden Punkt" sollte nach Foucault den gesamten Sittenkodex der antiken Päderastie ausgebildet haben. (vgl. M. Foucault, Sexualität und Wahrheit, Bd. 2, Eine problematische Beziehung) Wieso? Weil es nicht männlich ist, so Foucault.

  • Hallo,


    ein frohes neues Jahr auch von mir noch, da bin ich wieder.


    Zu Pausanias' Rede habt ihr schon viel interessantes geschrieben, noch eine Ergänzung von mir: Ich finde es immer wieder schön zu sehen, wie Platon in den Reden die Sprecher charakterisiert und karikiert. Was aus den bisherigen Reden für mich ganz deutlich wird: Jeder definiert Eros so, wie es ihm am besten passt.


    Phaidros, als jugendlicher Schwärmer, verfolgt in seiner Rede einen relativ simplen Gedankengang. Die Rede ist weder besonders lang oder gut, aber Phaidros ist von Idealen beseelt, wie viele Jugendliche.


    Pausanias, als Adliger, hebt einen sittlichen Aspekt hervor, wie es Adlige aus allen Jahrhunderten gerne tun. Auch die Abgrenzung Athens zu anderen Gegenden und die Unterteilung in 2 Arten des Eros ist charakteristisch für aristokratisches Gedankengut. Jeder der Redner preist den Eros also passend zu seinen Lebensumständen.


    Für mich wird deutlich, dass Platon diese Reden eher als unterhaltsames Vorgeplänkel sieht und dass wirklich profunde philosophische Aussagen erst bei Sokrates' rede zu erwarten sind.

  • Hallo Kaspar und Telemachos!


    Zur weiteren Rede des Pausanias:



    Merkwuerdig. Die Rede ist davon, ob man "Liebenden nachgeben" (charizesthai erastais) soll oder nicht, die meisten wuerden heute wahrscheinlich antworten: Kommt auf den Liebenden an! Aber in 182b werden BEREDSAMKEIT (Elis & bei den Boiotern) bzw. politische Situation (Barbaren) als Hauptfaktoren genannt. D. h. die Frage, ob man als Eromenos dem Liebenden entgegenkommen soll, ist in Elis: Ja, man soll; denn wir Einwohner von Elis verstehen uns nicht aufs Reden,
    "es ist schlicht als schoen festgesetzt, Liebenden Nachzugeben, [...] damit sie, glaube ich, beim Versuch, die Jungen durch Worte zu ueberreden, keine Schwierigkeiten haben, da sie ja nicht in der Lage sind, gekonnt zu reden." (182b)


    Ist diese Argumentation nicht zum Lachen?!? (Aber, wie es Kaspar in etwa formulierte: Die Unbildung der Boiotier fuehrt zur unmaessigen Geilheit; diese Wortwahl erscheint mir plausibler.)


    Die erste Antwort auf die Frage, ob man Liebenden nachgeben solle, war bei mir spontan: Je nach dem Liebenden; und Pausanias raeumt ein, dass so die Situation in Athen ist. - Aber Eros in Athen ist "ou rhadion katanoesai" (182d), also "nicht leicht zu begreifen". Und dann spricht Pausanias so atemlos und wirr, dass ich seinen Rausch und seine Begeisterung herauslesen zu koennen dachte, und es erinnerte mich an mich selber, wenn ich manchmal in die Welt hineinred', ohne zu wissen, was. :breitgrins:





    - Beständigkeit wird angestrebt (184a)


    "Schlecht aber ist jener gewoehnliche Liebende, [183e] der den Koerper mehr als die Seele liebt; denn er ist nicht bestaendig, da er nichts Bestaendiges liebt. Denn [... so] macht er viele Worte und Versprechen zunichte. Wer aber den Charakter, der anstaendig ist, liebt, bleibt durch das ganze Leben hindurch treu, da er mit etwas Dauerhaftem verschmolzen ist."


    Meint er damit die sogenannte platonische Liebe? Ist sie hier durch den Mund des Pausanias ausgesprochen? Hiesse das nicht, dass in der sog. platonischen Liebe der Koerper dann doch mit einbegriffen ist?



    184c-185c: Liebe soll das Streben nach Tugend sein... ich glaube, die letzten Absaetze der Rede sind mit unseren heutigen Sitten nicht vereinbar.


  • Für mich wird deutlich, dass Platon diese Reden eher als unterhaltsames Vorgeplänkel sieht und dass wirklich profunde philosophische Aussagen erst bei Sokrates' rede zu erwarten sind.


    Hallo Telemachos!


    Ja, waehrend all dieser Reden hatte ich oft das Gefuehl, einen Seitenblick auf Sokrates schiessen zu muessen, und als ob Sokrates immer nur mit einem souveraenen Laecheln zuhoeren wuerde. Das Bewusstsein, dass Platon hauptsaechlich auf die Rede des Sokrates zielen moechte, verstaerkt in mir die Spannung, mit der ich Sokrates' Meinung hoeren mochte... aber bis dahin dauert es ja noch einige Zeit!


  • Ich finde es immer wieder schön zu sehen, wie Platon in den Reden die Sprecher charakterisiert und karikiert. Was aus den bisherigen Reden für mich ganz deutlich wird: Jeder definiert Eros so, wie es ihm am besten passt.


    Phaidros, als jugendlicher Schwärmer, verfolgt in seiner Rede einen relativ simplen Gedankengang. Die Rede ist weder besonders lang oder gut, aber Phaidros ist von Idealen beseelt, wie viele Jugendliche.


    Pausanias, als Adliger, hebt einen sittlichen Aspekt hervor, wie es Adlige aus allen Jahrhunderten gerne tun. Auch die Abgrenzung Athens zu anderen Gegenden und die Unterteilung in 2 Arten des Eros ist charakteristisch für aristokratisches Gedankengut. Jeder der Redner preist den Eros also passend zu seinen Lebensumständen.


    Das ist eine interessante Feststellung und passt auch hervorragend auf die weiteren Reden von Eryximachos als Arzt, so auch seine Rede, von Aristophanes und Agathon jeweils als Komödien- und Tragödiendichter.


    Zitat

    Für mich wird deutlich, dass Platon diese Reden eher als unterhaltsames Vorgeplänkel sieht und dass wirklich profunde philosophische Aussagen erst bei Sokrates' rede zu erwarten sind.


    Wirklich profunde, ja. Sonst möchte ich widersprechen, und zwar deshalb, weil in jeder Rede Bezüge zur Wahrheit vorliegen, die man später (übrigens: nicht von Sokrates, wie du schriebst!) von Diotima hören wird. Ich habe das bislang im einzelnen dargestellt und will es nur ansatzweise wiederholen. Sogar bis ins Detail gehen diese Bezüge, etwa die Verdoppelung des Eros usw.



    Die Darstellung der athenischen Sitten durch Pausanias kommt der Wahrheit schon recht nahe, trifft sie aber nicht, weil das Wesen von Eros hier noch nicht erfasst ist. IMO wird Eros zu einer Tugendangelegenheit "verniedlicht" bzw "erhöht", der Eros als Begierde, als Leidenschaft wird suspendiert, dessen "dunkle" Seite also. Dennoch enthält das Festhalten am athenischen Maß gegenüber den Unmäßigkeiten der Doofen (Böotier) und Geilen (Ionier) ein Element von Wahrheit.



    Knabe
    Deine Beiträge habe ich noch nicht gelesen, bin in Eile, komme aber noch dazu^^


  • Wirklich profunde, ja. Sonst möchte ich widersprechen, und zwar deshalb, weil in jeder Rede Bezüge zur Wahrheit vorliegen, die man später (übrigens: nicht von Sokrates, wie du schriebst!) von Diotima hören wird. Ich habe das bislang im einzelnen dargestellt und will es nur ansatzweise wiederholen. Sogar bis ins Detail gehen diese Bezüge, etwa die Verdoppelung des Eros usw.


    Richtig. Einige Details stimmen mit der "Wahrheit" nach Platon überein. Dies kann man wieder unter dem Aspekt sehen, dass Platons Philosophie eben nicht dogmatisch ist, sondern auf apodiktische Urteile verzichtet. Auch in den weniger guten Reden ist Wahres drin, das herausgearbeitet weden muss.