Dezember 2008 - Platons Gastmahl

  • Materialien zum Symposion gibt es haufenweise; wer ein bisschen herumgoogelt, wird auf hunderttausende Treffer stoßen. Daher will ich nur ein paar wenige Links nennen.


    Das Werk selbst gibt es hier:
    http://www.textlog.de/platon-symposion.html
    in der Übersetzung von Schleiermacher
    http://www.e-text.org/text/Platon%20-%20Das%20Gastmahl.pdf
    http://www.opera-platonis.de/Symposion.html
    in der Übersetzung von F. Susemihl



    Schön beschrieben der Aufbau des Symposions auf der Gottwein-Seite:
    http://www.gottwein.de/Grie/plat/sympos_komp01.php

  • Zur Einstimmung ein paar Bemerkungen zur Institution des Symposiums, das ich aus dem großartigen Buch von James Davidson habe, Kurtisanen und Meeresfrüchte (Berlin 1999, S.65f):


    Zitat

    Die förmlichste Art, in der griechischen Welt Wein zu trinken, war das Trinkgelage oder Symposion, eine hochritualisierte Angelegenheit, das Feuer, worin im antiken Griechenland Freundschaften, Bündnisse und Gemeinschaften geschmiedet wurden - in der Tat ein beinahe perfektes anthropologisches Gemeinschaftsmodell des Trinkens, bei dem Geselligkeit über alles geht. Den Ablauf kann man aus einer Anzahl von Berichten zusammensetzen. Es fand im »Männerraum« (andron) statt, ein kleiner Raum mit einem rundum leicht erhöhten Boden, was ihn für die Archäologie des griechischen Hauses leicht identifizierbar macht. Diese Erhöhung des Bodens diente als Podest für die Sitzkissen, von denen es normalerweise sieben gab, manchmal elf und gelegentlich sogar fünfzehn. Jedes dieser Sitzkissen bot zwei Personen Platz, die sich, auf ihre Linke gestützt, darauf niederließen. Die Verteilung beschrieb mehr oder weniger einen in das Quadrat eingezeichneten Kreis, wobei die Sitzordnung dennoch nicht gleichgültig war. Der Kreis der Trinker wurde von der Tür durchbrochen, was bedeutet, daß es einen ersten und einen letzten Platz, Plätze für Gastgeber, Gäste, Symposiarchen (Vorsitzende des Gastmahls), Ehrengäste und ungeladene Gäste gab. Wein, Gesang und Unterhaltung gingen im Raum »von links nach rechts«, das heißt, wahrscheinlich gegen den Uhrzeigersinn. Die Anordnung entsprach weniger einem auf Gleichheit beruhenden festen Kreis als vielmehr einer dynamischen Reihe von Umläufen, die sich in Zeit und Raum entfalteten, mit der Möglichkeit, in lange Fahrten, Expeditionen und Reisen auszuarten. In diesem kleinen andron konnten die Trinker große Entfernungen zurücklegen.


    Das Symposion war genau den Wänden des Raumes entlang angeordnet. Die Atmosphäre war dementsprechend dicht und intim. »Nichts findet hinter den Trinkenden statt; das Gesichtsfeld blieb unverstellt, so daß sich die Blicke treffen konnten und Gegenseitigkeit gesichert war.« Der gemeinschaftliche Raum schuf in Verbindung mit der Wirkung des Alkohols das Gefühl, in eine andere Wirklichkeit einzutauchen. Im Symposion wurde eine Loslösung der Verbindungen zur Außenwelt mit einem Repertoire an Bildern und einem auf sich selbst bezogenen Diskurs bewirkt, die das Symposion und die Spiegelungen des Symposions en abime wiedergaben. Man lag im Männerraum und trank aus Bechern mit Abbildungen von Männern, die in Männerräumen lagen und aus Bechern mit Abbildungen tranken ... Man rezitierte Gedichte über das Gastmahl und erzählte Geschichten von anderen Trinkgelagen zu anderen Zeiten an anderen Orten. Man ging niemals von den Themen des Symposions wie Liebe und Sex, Genuß und Trinken ab. Tatsächlich läßt sich sagen, daß für die Zeit seiner Dauer das Symposion symbolisch die Welt bedeutete.[...]


    Der solide Teil des Mahles wurde mit dem Wegräumen der Tische beendet. Der Boden wurde von Muschelschalen und Knochen gereinigt, die sich dort im Laufe des Essens angesammelt hatten, und den Gästen wurde Wasser gereicht, damit sie sich die Hände waschen konnten. Zu diesem Zeitpunkt wurden die Gäste bisweilen mit Blumengirlanden behängt und mit Duftölen eingerieben. Das eigentliche Symposion begann mit einer Libation (einem Trankopfer) von unvermischtem Wein zu Ehren des Agathos Daimon, einer Schutzkraft des Guten, die von Freudengesängen für den Gott begleitet wurde. Dies war die einzige Gelegenheit, bei der der Genuß unvermischten Weins erlaubt war, was die gefährliche Atmosphäre anzeigt, von der die abendliche Zecherei erfüllt war.

  • Hrm, sehr interessant. So oft ich über Symposien gelesen und gehört habe, meist in kurzen Anekdoten, in einem so ausführlichen Umriss ist es mir noch nicht vorgekommen. Dass sich die Gäste so sehr hineinsteigerten war mir nie bewusst. Es erscheint mir schon wie ein Kultus. Auch, dass man kaum über die Themen Liebe, Genuss und Trinken hinausging ist mir neu. Aus irgendeinem Grund habe ich mir beim Lesen der zwei anderen platonischen Dialoge, die ich bisher las, immer vorgestellt, die Gespräche fänden während eines Symposions statt. Das würde aber zu den Themen von "Menon" und "Ion" nicht passen.


    Wenn der Raum "andron" heißt, waren Frauen folglich nie anwesend? Obwohl ich meine, bei Diogenes Laertios eine Anekdote gelesen zu haben, worin jemand einer Frau unter das Kleid geschaut haben solle, ohne dass sich die Frau darum scherte. Erinnere ich mich richtig, geschah das während eines Trinkgelages.


    Durften Sklaven teilnehmen?


    Aber ich muss zugeben, dass diese Fragen vielleicht mit Platons "Symposion" wenig zu tun haben werden.


    Gruß

  • Ehefrauen durften nicht teilnehmen, Hetären allerdings schon, ebenso Musikantinnen oder Prostituierte (oftmals dasselbe). Es waren aber auch männliche Musikanten und Possenreißer üblich, s. Xenophons Gastmahl.


    Sklaven haben im Grunde immer teilgenommen, als Kellner oder Lustobjekte eben. Die "Knaben", von denen in Platons Gastmahl die Rede ist, sind natürlich Sklaven. Auch Kinder durften nicht teilnehmen, erst ab der Teilnahme bei den Apaturien (Initiationsfest in Athen), d.h. dem Scheren des Haares (bei den Römern das Tragen der Toga virilis). Männliche Jugendliche konnten als Eromenoi teilnehmen, allein nicht, die jugendlichen Nachfahren des Gastgebers konnten auch als Mundschenk eingesetzt werden. Dieser Ausschluss als aktiver Teilnehmer war allerdings auf den Trinkteil des Symposiums, insbesondere dem Komos (Umzug nach dem Besäufnis), beschränkt, d.h. am Speisen konnten auch die Kinder des Hauses teilnehmen. (Quelle dazu: Athenaios X.425-429)

  • Weiter geht es mit den Materialien, hier ein Thema, das im Platonischen Gastmahl eine zentrale Rolle einnimmt.


    Zur Frage der griechischen Päderastie (der sog. "Knabenliebe") gehören diese beiden wiki-Artikel immer noch zum besten, die deutsche Seite ist leider sehr dürftig.


    http://en.wikipedia.org/wiki/Pederasty_in_Ancient_Greece
    http://en.wikipedia.org/wiki/Philosophy_of_Greek_pederasty


    Ich werde aber in den nächsten Tagen hier einen Auszug aus einem Artikel einstellen, der einen kurzen Abriss darüber gibt (auf Deutsch!). Bin aber noch am "Abtippen".

  • Hier der angekündigte 4-seitige Auszug aus einer kleinen Geschichte der antiken griechischen Päderastie, die dieses Phänomen als Koöptation in die Adelsschicht auffasst. Wegen des Textumfangs splitte ich den Auszug in 2 Teile.


    R. Baumgarten, Päderastie und Pädagogik, in: K. Horn, J. Christes, M. Parmentier(Hg.): Jugend in der Vormoderne. Annäherung an ein bildungshistorisches Thema, Köln 1998, 167-190


    ...bevor es gelöscht wird, lösche ich es selbst...


    Wer es benötigt, frage einfach per PN nach.


    :sauer:

  • Darf ich darum bitten, dass dieses Langzitat


    - entweder noch ausführlichst diskutiert (damit wir hier eine Auseinandersetzung mit dem Text vor uns haben)


    - oder gelöscht wird.


    Wir möchten hier keine Urheberrechtsprobleme. Danke! :winken:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • Wir möchten hier keine Urheberrechtsprobleme.


    Ihr Lieben,


    ich möchte Euch wirklich nicht den Spaß an Platon und den alten Griechen verderben, aber die umfangreichen und hochinteressanten Auszüge Kaspars überschreiten deutlich das Maß eines normalen Zitats. Selbst die ausführlichste Diskussion wird nicht daran rütteln, dass hier evtl. Urheberrechte verletzt werden.


    Viele Grüße


    Tom

  • So, heute ist der 10. Dezember, also muss ich als Symposiarch wohl das Gastmahl eröffnen, so will es zumindest der Brauch. :zwinker:


    Ich weiß ja nicht, wie sich eine solche Leserunde gestaltet (die Anleitung von nimue ist da wenig hilfreich): ob da jeder liest, was ihm gerade vorschwebt, oder ob das etwas geordneter geht?


    Einen solchen Text wie das Gastmahl würde ich auf jeden Fall in Abschnitte unterteilen, deren Bedeutung und Einordnung man allerdings oft erst im 2. Durchgang versteht. Erst wenn sich alle darauf verständigt haben, dass dieser Abschnitt "klar" bzw. ausgelutscht ist, sollte man im Text fortfahren; das wäre zumindest mein Vorschlag.


    Zu den Materialien:
    Im [url=http://www.klassikerforum.de/index.php/topic,2897.0.html]Materialenthread[/url] habe ich ein paar Links zum Text selbst angegeben, dann eine kurze Erläuterung zur Institution des antiken Gastmahls. Eine kurze Geschichte der griechischen "Knabenliebe" kann man via pn bei mir erhalten, und im Moment bin ich dabei, stichpunktartig eine kurze Geschichte des Gottes Eros zu erstellen.


    Der erste Abschnitt umfasst nun die Rahmenhandlung 172a-174a.


    Ein gewisser Apollodoros wird von einem Freund gebeten, über das Gastmahl bei Agathon zu berichten, er hatte aber dieser Bitte schon vor kurzem entsprochen, auf einer Fußreise von Phaleron nach Athen. Schon hier baut sich eine ziemlich komplizierte Erzählstruktur auf in verzweigten Indirektionsstufen. Eine kleine Missstimmung über die Rolle der Philosophie tritt auf, dann ist das Vorgeplänkel auch schon beendet und ab 174a beginnt der eigentliche Bericht.

  • Εὖ λέγεις! - Es ist gut, die Leserunde in jeweils kurzen Abschnitten zu teilen.


    Sinnvoll erscheint mir Schleiermacher, wenn er die anwesenden Personen mit "APOLLODOROS - FREUNDE" auflistet ( http://www.textlog.de/34765.html ). Die neuere Übersetzung der zweisprachigen Ausgabe bei Reclam, von Paulsen & Rehn, gibt hingegen an: "Apollodoros. Ein Freund."; obwohl Apollodoros wenigstens grammatikalisch mehrere Menschen anspricht (2. Person Plural: "... wonach ihr mich fragt..."). Die Reclam-Ausgabe gibt auch im Original sowohl "Apollodoros" als auch "Hetairos", also "Ein Freund", an, aber nach http://www.perseus.tufts.edu/c…73:text=Sym.:section=172a (Online-Version des originalen Textes) scheint es kein solches Personenverzeichnis zu geben.


    Nun ja, das sind belanglose Kleinigkeiten, womit man die Zeit vielleicht nicht vergeuden sollte; aber wenn jemand von euch etwas Genaueres dazu weiß, so bitte ich um Erläuterung!




    Rahmenhandlung 172a - 174a
    Hat die etwas komplexe Erzählstruktur nicht etwas Komödiantisches an sich? Es soll ja noch schlimmer werden. Das angesprochene Symposion scheint das zu sein, was man heute wohl "legendär" nennen würde. Es sind aber offenbar einige falsche Informationen über jenes Gastmahl im Umlauf. Laut Reclam fand das Symposion im Winter 416 v. Chr. statt, die Rahmenhandlung rund 15 Jahre später, kurz vor Sokrates' Hinrichtung im Jahr 399 v. Chr. Apollodoros wird nicht zum ersten Mal gebeten, einen Bericht über jenes Zusammensein abzustatten. Es muss also etwas Besonderes gewesen sein.


    Wozu dient die Missstimmung über die Philosophie in 173e? Ich weiß nicht, ob Platon eine Retardation beabsichtigt hat.


    Gruß


    P. S. Ich finde mich nicht ganz zurecht mit den PNs; doch bitte ich dich, mir die Geschichte zur Knabenliebe zu schicken!

  • Zitat

    Nun ja, das sind belanglose Kleinigkeiten, womit man die Zeit vielleicht nicht vergeuden sollte


    Also, ich gehe ganz gerne ins Detail, insbesondere bei einem Text, der doch so oft interpretiert wurde; vielleicht ergeben sich auf diese Weise neue Erkenntnisse? Ich bin mir auch sicher, dass bei Platon nichts "einfach so" dasteht.


    Zitat

    "APOLLODOROS - FREUNDE"


    Ja, das ist mir auch schon aufgefallen, dass hier "ich" und "wir" durcheinander gehen. So in der Übersetzung von Susemihl:

    Zitat

    DER FREUND: ... Gewähre uns vielmehr unsere Bitte...


    Spricht der im pluralis maiestatis? Oder wohl eher als Sprecher einer Gruppe von Freunden? Das kommt mir eher so vor.


    Nochmal in Zusammenfassung aller Angaben: Apollodoros berichtet Freunden von einer Erzählung des Aristodemos d.Kleinen von einem Gastmahl bei Agathon. Die Wahrheit über den Eros wird darin von Diotima berichtet, von der wiederum Sokrates erzählt.
    Ich versuch das mal graphisch, wobei die -> , <- und
    ^
    |
    Richtungspfeile des Ansprechens darstellen sollen! :breitgrins:


    [pre]
    Freunde Glaukon <---.
    ^ ^ |
    | | Unbekannter
    | | ^
    |--------------' |
    Apollodoros <---------. Phoinix
    ^ | ^
    | | |
    |------------------+------'
    Aristodemos |
    ^ |
    | |
    | |
    Gastmahl (Agathon...Sokrates)
    ^
    |
    Diotima
    [/pre]


    Zur zeitlichen Struktur der ganzen Sache: Agathons Gastmahl: es findet 416 vChr statt, denn sein Sieg beim Tragödienwettbewerb fand 417 statt (vgl. Athen. 5.217a). Die Rede des Apollodoros wird auf ca. 400-403 geschätzt, kurz vor Sokrates' Tod. 407 ging Agathon an den makedonischen Hof, das wird 172c indirekt erwähnt. Das Gastmahl wurde von Platon um 380 geschrieben. Die meisten Teilnehmer dieses Gastmahls sind bei Abfassung des Dialogs von Platon schon tot, Aristophanes hat, glaube ich, da noch gelebt.


    Tja, und was soll das Ganze - die zeitliche und erzählerische Distanz, ich meine die vielen Zwischenstufen des Erzählens? Komödiantisch? Hmm. Folgendes fiele mir ein:
    1. sehe ich eine Vergewisserung der Glaubwürdigkeit des ganzen durch die direkte Linie Sokrates - Apollodor, die man in der Graphik schön sieht, diese bricht also die aufgebauten Indirektionen wieder auf.
    2. Warum aber diese Indirektionen? Nimmt das Gastmahl nicht an Bedeutung zu, wenn es noch über Jahre hinweg - 416 bis 380 - erzählt wird und Gerüchte darüber im Umlauf sind?
    3. Man glaubt aber (wie jener Glaukon), dass es gerade gestern stattgefunden habe. Es ist also alt wie auch - zumindest in den Köpfen der Menschen - ganz neu und aktuell.


    Zitat

    Es muss also etwas Besonderes gewesen sein.


    Das meine ich auch. Die unveränderte Wirkung bis heute bestätigt das!


    Zitat

    Wozu dient die Missstimmung über die Philosophie in 173e?


    Mein Interpretationsvorschlag (vorweggenommen): Hier geht es um die Frage der Philosophie "reich / arm": wer ist glücklicher? Könnte das ein Hinweis auf poros / penia im Diotima-Gespräch sein? Und: geht es in der Platonischen Erotik gerade nicht auch um Philosophie? Der Philosoph als der eigentiche Erotiker?


    Puh, zu viel Text - aber auch so viele Fragen! ;)



    Knabe: Ich schreibe dir eine PN, schau nach oben, drücke den Link "Nachricht", und schon siehst du meine PN^^!

  • Ich weiß ja nicht, wie sich eine solche Leserunde gestaltet (die Anleitung von nimue ist da wenig hilfreich): ob da jeder liest, was ihm gerade vorschwebt, oder ob das etwas geordneter geht?


    Das ist an und für sich den Teilnehmern überlassen ... ;)

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo Kaspar und Knabe,


    mit Bewunderung lese ich eure eingehenden Beiträge zu diesem wichtigen Text. Leider kann ich aufgrund beruflicher Belastung, die auch die nächsten Wochenenden umfasst, nicht dabei mithalten, wender auf dem Niveau, das mich persönlich zufriedenstellen würde noch erst recht auf eurem. Seid mir deshalb nicht böse, wenn ich mich ausklinke: Eine oberflächliche Lektüre hat dieser Text, so wie ich ihn nach kurzem Prüfen und nach euren Kommentaren einschätze, nun wirklich nicht verdient.


    Sorry und viele schöne Einsichten, werde eure Diskussion immer dann, wenn ich Zeit habe, mit Interesse weiter verfolgen.


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo Kaspar, ich neige auch eher dazu, genauer in derartige Kleinigkeiten einzugehen; ich wollte nur nicht pedantisch scheinen und außerdem, meine ich, würde Sokrates derartiges nicht billigen. :breitgrins:


    Noch bin ich nicht dort angelangt, wo Sokrates Diotimas Erläuterungen wiedergibt. Aber es hieße:
    Apollodoros -> Aristodemos -> Sokrates -> Diotima. Diotimas Aussagen sind also sozusagen eine Rede auf vierter Ebene. Auf das "Komödiantische" kam ich, weil mir das Zitat im Zitat im Zitat absurd erscheint. Auch Jean Paul hat manchmal eine ähnliche Methode humoristisch angewendet. Aber mit deiner These Nummer 1, worin du meinst, die unmittelbare Bestätigung Sokrates' hebe die Indirektionen wieder auf, kann ich mich auch gut anfreunden.


    (Dieses Zitat im Zitat im Zitat könnte m. M. n. auch als [nicht außerordentlich gutes] Exempel für die Ideenlehre und Emanation gelten!)


    Zitat

    Mein Interpretationsvorschlag (vorweggenommen): Hier geht es um die Frage der Philosophie "reich / arm": wer ist glücklicher? Könnte das ein Hinweis auf poros / penia im Diotima-Gespräch sein? Und: geht es in der Platonischen Erotik gerade nicht auch um Philosophie? Der Philosoph als der eigentiche Erotiker?


    Ich lese das Symposion leider erst zum ersten Mal, sodass ich noch keine Bezüge zu Diotimas Erläuterungen herstellen kann. Meinst du "plousios / penes"? Also "reich / arm"? Oder doch "poros" (Weg)?


    Aus Apollodoros' Aussagen in 173c - 174d werde ich noch immer nicht ganz klug. Zuerst meint er, philosophische Dispute seien nützlich und erfreulich, die Reden der Geschäftsleute hingegen seien nichtig; doch würden die reichen Geschäftsleute sagen, dass man mit der Philosophie schlecht (kakodaimon) dran sei, so würde Apollodoros ohne weiteres zustimmen. Folglich widerlegt Apollodoros sich selber. Vielleicht hat das etwas mit der Sokratischen Einstellungen zu tun, bloß wissen zu müssen, dass man nichts wisse. Daher könnte man eigentlich auch nicht beurteilen, ob philosophische Dispute wirklich nützlicher seien als andere. Aber hier verliere ich mich schon wieder in Pedanterien, die womöglich in Aporien führen müssen. Da Apollodoros laut Reclams Personenverzeichnis ein enthusiastischer Jünger Sokrates' war, mag ich auch vermuten, dass dies eine Art Charakterzeichnung jenes Mannes sei...


    Nun ja, wie du siehst, lässt mich die Lektüre etwas wirr zurück.


    Gruß

  • Hallo,


    erstmal finde ich es gut, den Text in so kleine Abschnitte zu teilen. Das wird gerade später auch nötig sein.




    Das glaube ich auch.


    Zitat

    "APOLLODOROS - FREUNDE"


    Ja, das ist mir auch schon aufgefallen, dass hier "ich" und "wir" durcheinander gehen. So in der Übersetzung von Susemihl:

    Zitat

    DER FREUND: ... Gewähre uns vielmehr unsere Bitte...


    Zitat

    Spricht der im pluralis maiestatis? Oder wohl eher als Sprecher einer Gruppe von Freunden? Das kommt mir eher so vor.

    [/quote]


    Es handelt sich auf jeden Fall um eine Gruppe. Ganz zu Anfang spricht Apollodoros auch eine Gruppe an. Über die Situation in der "Jetzt"-Zeit erfahren wir nicht viel, ich stelle mir immer Apollodoros und Freunde in gemütlicher Runde beim Schmausen vor. :zwinker:

    Zitat


    Tja, und was soll das Ganze - die zeitliche und erzählerische Distanz, ich meine die vielen Zwischenstufen des Erzählens? Komödiantisch? Hmm. Folgendes fiele mir ein:
    1. sehe ich eine Vergewisserung der Glaubwürdigkeit des ganzen durch die direkte Linie Sokrates - Apollodor, die man in der Graphik schön sieht, diese bricht also die aufgebauten Indirektionen wieder auf.
    2. Warum aber diese Indirektionen? Nimmt das Gastmahl nicht an Bedeutung zu, wenn es noch über Jahre hinweg - 416 bis 380 - erzählt wird und Gerüchte darüber im Umlauf sind?
    3. Man glaubt aber (wie jener Glaukon), dass es gerade gestern stattgefunden habe. Es ist also alt wie auch - zumindest in den Köpfen der Menschen - ganz neu und aktuell.

    [/quote]
    Zur Funktion des sehr interessanten ersten Abschnittes denke ich folgendes: Man findet darin einen Kernaspekt der platonischen Philisophie, nämlich den Erkenntnisgewinn durch Gespräche. Nicht umsonst sind alle Werke Platons Dialoge und nicht umsonst gründete er später eine Akademie, wo er sich rege mit seinen Schülern austauschte. Nur denken reicht nicht, man muss sich auch den Spiegel vorhalten lassen um weiter zu kommen. So hatte er es ja schon von Sokrates gelernt. Den Punkten, die du genannt hast, stimme ich aber auch zu.


  • Dass es unendlich schade ist, muss ich wohl nicht erst erwähnen? Nein, böse sind wir ... ich meine, bin ich, bestimmt nicht. Du sollst dich ja nicht ermüden. Mein Niveau bitte ich dich nur nicht zu überschätzen. Ich bringe kaum Kenntnisse mit und kann nur kleinliche Unverständlichkeiten aufzeigen. :rollen:


    Noch haben wir aber auch noch Telemachos in unserer Runde, nicht wahr?


    Gruß


  • Zur Funktion des sehr interessanten ersten Abschnittes denke ich folgendes: Man findet darin einen Kernaspekt der platonischen Philisophie, nämlich den Erkenntnisgewinn durch Gespräche. Nicht umsonst sind alle Werke Platons Dialoge und nicht umsonst gründete er später eine Akademie, wo er sich rege mit seinen Schülern austauschte. Nur denken reicht nicht, man muss sich auch den Spiegel vorhalten lassen um weiter zu kommen. So hatte er es ja schon von Sokrates gelernt. Den Punkten, die du genannt hast, stimme ich aber auch zu.


    Telemachos, schön, dass du da bist! Schöner noch ist deine Antwort! Ich bin erstaunt darüber, auf was für Gedanken ich in vielen Situationen einfach nicht komme. Dabei liegt deine Antwort doch auf der Hand!


    Es ist also unwahr, wenn Christian Morgenstern sagt: Jedes Gespräch sei letzten Endes nur ein Selbstgespräch; denn die Sokratischen (Platonischen) Dialoge zeigen eindeutig auf, dass die Gesprächspartner einander 'befruchten' (können); was ich natürlich "geistig" meine. Während eines Dialoges kommt es also zu Erkenntnisprozessen: L'idée vient en parlant. ;)


    Gruß

  • Aus Apollodoros' Aussagen in 173c - 174d werde ich noch immer nicht ganz klug. Zuerst meint er, philosophische Dispute seien nützlich und erfreulich, die Reden der Geschäftsleute hingegen seien nichtig; doch würden die reichen Geschäftsleute sagen, dass man mit der Philosophie schlecht (kakodaimon) dran sei, so würde Apollodoros ohne weiteres zustimmen. Folglich widerlegt Apollodoros sich selber. Vielleicht hat das etwas mit der Sokratischen Einstellungen zu tun, bloß wissen zu müssen, dass man nichts wisse. Daher könnte man eigentlich auch nicht beurteilen, ob philosophische Dispute wirklich nützlicher seien als andere. Aber hier verliere ich mich schon wieder in Pedanterien, die womöglich in Aporien führen müssen. Da Apollodoros laut Reclams Personenverzeichnis ein enthusiastischer Jünger Sokrates' war, mag ich auch vermuten, dass dies eine Art Charakterzeichnung jenes Mannes sei...


    Ich hatte ganz ähnliche Gedankengänge beim Lesen wie du. Ist natürlich auch ein ganz lustiger Seitenhieb auf die "Finanzmenschen", die ihre Zeit vergeuden, was der Sprecher auch "ganz sicher" weiß(ἐγὼ μέντοι ὑμᾶς οὐκ οἴομαι ἀλλ᾽ εὖ οἶδα). Ein Klasse Satz. :breitgrins: