Juni 2008 - Karl Gutzkow: Die Ritter vom Geiste

  • So, Buch 9, noch knappe 100 Seiten vor dem Schluss. Jetzt ist einer der Wildungen-Brüder verhaftet worden. Im übrigen aber füllt Gutzkow seine Seiten tatsächlich mit extensivsten Beschreibungen der Charaktere seiner Figuren - durch sich selber oder durch den Erzähler. Natürlich löst sich der eine oder andere Handlungsknoten ebenfalls - aber irgendwie gehe ich wirklich mehr auf das Ende zu mit dem Gedanken «Uff, endlich durch!» als mit dem «Ich will wissen, wie's ausgeht!». Und so richtig interessant war auch die politische Handlung nur dort, wo Gutzkow erzählt statt zu theoretisieren ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Ich bin nun fast in der Mitte des dritten Buches. Und irgendwie kann ich Eure Begeisterung dafür nicht teilen. Mir erscheint es nicht besser oder schlechter als die beiden ersten Bücher.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)

  • Halli hallo,


    bin nicht wesentlich weitergekommen und werde das auch nicht in den nächsten zwei bis drei Tagen aufgrund vermehrter nicht-literarischer Tätigkeiten.
    Das vierte Buch gefällt mir bis jetzt ganz gut. Ich bin im Moment im Brandgassenkapitel.
    Gutzkow kann sich politisch nicht so recht entscheiden und ist daher oft zu gnädig mit den herrschenden Klassen. Ich habe in den letztenTagen vermehrt in meine Georg Herwegh und Georg Weerth - Ausgaben geschaut: Da herrscht ein ungleich schärferer Ton, echter Vormärz.
    Dennoch bleibe ich dabei: Für mich lohnt sich die Lektüre, weil sie viel Authentisches über die Zeitumstände der Mitte des vorletzten Jahrhunderts vermittelt. Vieles ist zäh, aber dazwischen finde ich immer wieder Lesenswertes.


    sandhofer,
    herzlichen Glückwunsch! Du bist ja im Parforceritt durch den Roman gejagt und nun wahrscheinlich schon fertig! Wir anderen werden wohl noch einige Wochen damit zu tun haben!


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)


  • sandhofer,
    herzlichen Glückwunsch! Du bist ja im Parforceritt durch den Roman gejagt und nun wahrscheinlich schon fertig! Wir anderen werden wohl noch einige Wochen damit zu tun haben!


    Vergiß nicht, sandhofer hat ja eine gekürzte Ausgabe. Das ist unlauterer Wettbewerb. :zwinker:

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)

  • herzlichen Glückwunsch! Du bist ja im Parforceritt durch den Roman gejagt und nun wahrscheinlich schon fertig!


    Parforce? Nein. Tägliche 60 bis 100 Seiten am Abend vor dem Einschlafen ... Das ist ungefähr Standard bei mir. Mehr als das schaffe ich pro Tag kaum je.


    Vergiß nicht, sandhofer hat ja eine gekürzte Ausgabe. Das ist unlauterer Wettbewerb. :zwinker:


    Soweit ich den Überblick habe (bisher hat man mich noch nicht vom Gegenteil überzeugen können) lesen wir alle den Text nach der "Ausgabe letzter Hand" - sprich die von Gutzkow selber gekürzte 5. Auflage, oder?

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  • Hallo,


    Zitat von "sandhofer"

    Parforce? Nein. Tägliche 60 bis 100 Seiten am Abend vor dem Einschlafen ... Das ist ungefähr Standard bei mir. Mehr als das schaffe ich pro Tag kaum je.


    Aber dann hast du doch eine kürzere Ausgabe (oder größere Seiten bzw. enger gedruckt) als wir Zweitausendeins-Leser.
    Denn wir lesen seit dem 1. Juni, also jetzt 26 Tage. Demnach müsstest du jetzt höchstens 2600 Seiten gelesen haben, bist aber fast fertig.
    Unsere Ausgabe hat mehr als 3500 Seiten. Auch sind die Bücher jeweils 300 bis 400 Seiten dick.
    Aber unsere Seiten sind klein.


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Aber dann hast du doch eine kürzere Ausgabe (oder größere Seiten bzw. enger gedruckt) als wir Zweitausendeins-Leser.


    Ich muss zugeben, dass ich sehr flatterhaft formuliert habe. Ich lese so meine 60-100 Seiten am Abend - wenn ich dazu komme. Diese Woche waren z.B. der Montag- und der Mittwochabend mit Terminen besetzt, also Lektüre = 0. Und dann habe ich noch für andere Leserunden gelesen. Meine Ausgabe umfasst total ca. 1'600-1'700 Seiten. Und ist offenbar kürzer als Eure. (Auch wenn ich nichts davon gemerkt habe.) In einigen Fällen finde ich in den Anmerkungen die Passagen wieder, um die Gutzkow seine erste Auflage für die fünfte gekürzt hat. Ich habe nicht wirklich den Eindruck, etwas verpasst zu haben ...

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  • Du könntest ja mal bei Gelegenheit ein paar kursorische Vergleiche anstellen, die "Ritter" der 2001-Ausgabe gibt es im dt. Projekt Gutenberg:


    http://gutenberg.spiegel.de/?i…d=1027&kapitel=1#gb_found


    Och nö ... noch mehr Ritter muss für mich gar nicht sein. :breitgrins:


    Es ist ja immer die alte Frage: Welche Ausgabe hat als die gültige zu gelten? Die erste? Oder die letzte, an die der Autor noch Hand legen konnte? Die erste ist meist frischer, leidet oft aber unter eklatanten kompositorischen Mängeln. Die letzter Hand ist meist handwerklich besser geraten, aber oft nimmt der alte Autor viel von dem Hitzigen und Aggressiven zurück, das den Jungen gerade auszeichnete ...


    Ich bin jetzt auf ca. S. 500 von rund 540, die der letzte Band umfasst. Auch der Wildungen ist nun aus dem Gefängnis gehüpft - illegal. Und irgendwer scheint sein Vermögen zu verpulvern ... Aber Gutzkow kommt natürlich wieder einmal nicht zu Potte sondern lässt seine Protagonisten seitenweise äussere und innere Monologe führen; und wenn's dann mal nicht die Progagonisten sind, dann halt er selber als Erzähler ...

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  • So,


    nun bin ich wieder zurück in den "Rittern". Bin neben anderen Tätigkeiten mit einem historischen Roman ([kaufen='9783894256074'][/kaufen]) fremdgegangen, der in fast der gleichen Zeit spielt und von dem ich mir ein bisschen mehr Spannung versprach, aber dann merkt man dann doch, dass Gutzkow bei all seinen Schwächen eben doch nicht ein reiner Unterhaltungsautor ist, sondern ein wenig mehr für Intention , Romanaufbau und sprachliche Gestaltung getan hat. Also kehre ich nun mehr oder weniger reumütig zurück und lese im vierten Buch weiter. Im Moment finde ich es etwas anstrengend, weil mit dem neuen Schauplatz Brandgasse ( ...nur ein Kapitel weitergekommen :sauer:) auf einen Schlag eine Menge neuer Personen eingeführt werden, deren angerissene Lebensumstände, Charakere und Beziehungen untereinander ich erstmal verdauen muss. Aber nun sind auch schon wieder die Gebrüder Wildungen miteinbezogen, denen scheint eine Polizeirazzia bevorzustehen, während sie sich bei Fritz Hackert in der Brandgasse treffen wollen.
    Hoffe, nun am Wochenende weiterzukommen. Nebenbei schmökere ich im GEO-Epochenheft Preußen, da sowohl Schauplatz und Zeit auch darin thematisiert werden, wenn auch nicht streng wissenschaftlich :zwinker:.


    Ein schönes Wochenende


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

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  • So, geschafft. Der Schluss war dann noch einmal recht spannend - auch wenn Gutzkow es nicht lassen kann und vieles wieder ruiniert, indem er seine Figuren zu viel räsonnieren lässt. Im Grunde genommen haben wir, wie ich finde, ja ein völliges Scheitern des Bundes der Ritter vom Geiste vor uns. Nicht nur, dass Hackert sich und ihr Geld abfackelt, Mama Wildungen wird dem Schatz des Bundes im Grunde genommen ebenso geopfert wie Papa Schluckert. Melanie ist an einen Mann gebunden, der in zwei Jahren Ministerium sich physisch und psychisch total zerstört hat. Pauline von Harder ist offenbar halb wahnsinnig geworden ...


    Was hat oder wird der Bund den konkret "Gutes" schaffen? Die Heirat der beiden Wildungen-Brüder mit zwei (nach heutigen Begriffen) minderjährigen Gänschen? Nein, wenn Gutzkow seinen Bund als anstrebenswerte Utopie darstellen wollte, ist er gescheitert. Grandios gescheitert, mag sein, aber: gescheitert. Nun werde ich das Werk noch ein bisschen verdauen und Euch zuschauen ... :winken: :breitgrins:

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  • Hallo zusammen,


    sandhofer,
    herzlichen Glückwunsch, denn du hast den Roman, scheint's, nicht genossen. Nun hast du's hinter dir!


    Ich bin jetzt raus aus der Brandgasse und auf dem Weg zum Fortunaball (IV, 8). Die Milieu- und Personenschilderung der letzten Kapitel kam mir sehr "Dickensisch" vor, bei der Schilderung der Familie Eisold wehte sogar ein Hauch "Weihnachtserzählungen" durchs Buch. Dickens und Gutzkow waren ja auch Zeitgenossen, allerdings weiß ich nicht, ob sich Gutzkow mit dem Werk Dickens' auseinandergesetzt hat, was frühe Übersetzungen desselben bzw. bei Gutzkow Englischkenntnisse vorausgesetzt hätte. Vielleicht ist es einfach nur ein Phänomen des Zeitgeistes, dass man sich langsam auch der Schilderung des Milieus der sozialen Verlierer zuwendete und auf Missverhältnisse aufmerksam machte.
    Die Brandgassenkapitel gehören jedenfalls in der Tat zu den besseren des Buches, wobei es Gutzkow durch die Schilderung der Gebrochenheit Hackerts und des Pförtnerehepaars gelingt, weitgehend Sozialkitsch zu vermeiden, solange er nicht Louise Eisold und ihrer Sippe zu Füßen liegt. Aber da ist ja auch Dickens manchmal ziemlich unerträglich!


    Einen schönen Sonntag
    wünscht finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • sandhofer,
    herzlichen Glückwunsch, denn du hast den Roman, scheint's, nicht genossen. Nun hast du's hinter dir!


    Gutzkow ist, wenn's hoch kommt, "interessant" und sein Roman weist durchaus schöne und gute Stellen auf. Auch halte ich ihm zugute, dass er tatsächlich, wenn ich mich nicht irre, keines seiner Rätsel zum Schluss vergessen hat, und brav alles auflöst. (Was ihn dann doch von Karl May unterscheidet, der solche Kleinigkeiten dann auch gerne mal vergisst.) Aber ein Lesegenuss ist er doch wohl nicht.


    Die Brandgassenkapitel gehören jedenfalls in der Tat zu den besseren des Buches, wobei es Gutzkow durch die Schilderung der Gebrochenheit Hackerts und des Pförtnerehepaars gelingt, weitgehend Sozialkitsch zu vermeiden, solange er nicht Louise Eisold und ihrer Sippe zu Füßen liegt. Aber da ist ja auch Dickens manchmal ziemlich unerträglich!


    In Bezug auf das erste Auftauchen der Brandgasse bin ich mit Dir einig. An Dickens hatte ich nicht gedacht, aber in der Tat lassen sich Ähnlichkeiten nicht leugnen - auch wenn Dickens, bei aller Sentimentalität, an der ich mir einst den Magen so verdorben habe, dass ich nichts mehr vom frühen oder mittleren Dickens lesen kann, auch wenn Dickens also seine Handlung bedeutend besser und konsequenter nach vorne treibt, als Gutzkow, und auch seine Erzähler und Protaginisten im Grossen und Ganzen davon abhält, seitenlang über Gott und die Welt zu räsonnieren. (Aber dann ist das auch der Ruf, den der Germane bis heute in der Welt hat: nicht zu handeln oder zu fühlen, aber sich in tiefsinnigste Gespräche zu verwickeln. Vielleicht ist ja doch was dran ...)

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Eines muss ich Gutzkow zu Gute halten: Nach allem, was ich weiss, ist er bei der Beschreibung anderer Geheimgesellschaften der Wahrheit ziemlich nahe geblieben. (Im Gegensatz zu seinen selbsterfundenen Rittern, die ja ziemlich nebulös bleiben.)

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  • Ich habe mich mittlerweile bis III.12 vorgekämpft (die Hitze und Gartenarbeiten haben mich ziemlich ausgebremst). Das Hin und Her zwischen den beiden Wildungen und Melanie ist ja schlimmstes Nackenbeißerniveau. Da ist mir die Politisiererei aber viel lieber. Und Buch III soll das beste sein? Ich mag gar nicht an die weitere Lektüre denken. :sauer:

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)

    Einmal editiert, zuletzt von BigBen ()

  • Vielleicht interessant Euch als Rückmeldung wie Eure Diskussion auf einen Leser wirkt, der Gutzkows Werk gar nicht kennt (gut, im Internet habe ich mal geschnuppert, aber nur ganz wenig angelesen): Es scheint ein Buch zu sein, bei dem man nur ein "Best of" wirklich genießen kann. Aber ein solches "Best of" würde sich durchaus lohnen.


    Und es scheint ein Buch zu sein, das seitenlang langweilen kann. Langeweile bzw. Spannung ist ja in der Literaturwissenschaft kein Qualitätsmerkmal, daher frage ich noch mal, warum das Buch nicht so recht gelungen ist. Wenn man Kafka liest ist man ja auch "froh", dass man nicht "eine runde Geschichte" präsentiert bekommt. Was ist bei Gutzkow schlechter (auch bei anderen großen Werken gibt es viele langweilige Stellen)?


    Gruß, Thomas