Februar 2008 - A. v. Humboldt: Kosmos

  • Nun, vom Konzept her, gehört der Kosmos eher in das 18. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Enzyklopädisten: Zahlen,Daten,Fakten als Beschreibung der Welt.


    Ach so. Ja, so betrachtet, muss ich Dir Recht geben ... Ich bin unterdessen bis Buch V vorgedrungen, und frage mich gerade nach der Lektüre des Vorworts dort, ob Humboldt wohl etwas davon geahnt hat. Zwar kann er auch in Buch V nicht von seiner gewohnten Art lassen, aber im Vorwort scheint mir Humboldt doch recht deprimiert zu sein.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • S. 904 - Humboldts Kosmos beendet! Nun bin ich noch aufs Nachwort gespannt. Humboldt hat offenbar sein Monumentalwerk nicht vollenden können - mir will scheinen, er bricht mitten in einem Argument ab. Jedenfalls hat er sich zuletzt noch mit der Bildung der verschiedenen Gesteinsarten beschäftigt. Er unterscheidet vulkanischen Ursprung von neptunischem (davon scheint's aber sehr wenig zu geben :breitgrins: ) und von plutonischem. Letzteres, wenn ich recht verstanden habe, fliesst zwar auch aus der Erde, aber ohne die feurigen Begleitumstände eines Vulkanausbruchs.


    So, und heute abend gönne ich mir noch das Nachwort der Herausgeber. :eis:

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  • Zitat von "sandhofer"


    Humboldts <i>Kosmos</i> beendet!


    Respekt! :-) Ich lese mir immer wieder mal einige Abschnitte durch, das Nachwort habe ich übrigens schon gleich zu Anfang gelesen. Gerade habe ich mir ein paar "Vulkan-Seiten" reingezogen, das ist wirklich harter Stoff. :breitgrins:


    Durch das ausführliche Inhaltsverzeichnis am Anfang des Buches erhält man einen guten Überblick über den Aufbau des Gesamtwerkes. Vieles wird ja doppelt behandelt: erst einmal überblicksweise, dann später noch einmal ausführlicher. Wenn man die grobe Struktur des Werkes erst mal im Kopf hat, dann ist es viel einfacher, mit diesem Werk zurechtzukommen.


    So interessant ich dieses Werk im Detail finde, finde ich dennoch, daß Humboldt es nicht schafft, einem fachlich ungebildeten Leser einen guten Überblick über die verschiedenen Wissensgebiete zu geben. Was weiß man denn als Leser nach der Lektüre beispielsweise über das Sonnensystem oder den Erdmagnetismus? Bei der Magnetnadel gibt es die Deklination, die Inklination, und man kann die Intensität der Magnetkraft messen. Das alles kommt bei Humboldt vor, er knüpft auch recht interessante Beobachtungen und Überlegungen daran, aber er führt diese Begriffe im Laufe seiner Abhandlung nacheinander ein, statt sie gleich am Anfang zu erklären. Das ist nicht sehr leserfreundlich.


    Humboldt hüpft im <i>Kosmos</i> manchmal auch etwas unsystematisch von einem Aspekt zum anderen. Beim Mond wird beispielsweise erklärt, weshalb er keine Atmosphäre haben kann (Beobachtungen von Sternbedeckungen), kurz danach wird die Überlegung diskutiert, ob Teile der Mondoberfläche mit einem flachen Meer bedeckt sein könnten. Aber ohne Atmosphäre kann es dort gar kein flüssiges Wasser geben. Es ist unlogisch von Humboldt, erst das eine festzustellen, und diese Erkenntnis dann schon wenig später wieder zu vergessen, nur weil er das Wasser noch irgendwie unterbringen will.


    Zitat von "BigBen"


    Sorry, sandhofer. Aber ich werfe nun doch das Handtuch. Humboldts Aufzählungs- und Detailwahn haben mich geschafft. Ich dachte, im Studium hatte ich langweilige Lehrbücher lesen müssen (z.B. die statistische Theorie der Wärme), aber Humboldt ist noch einen Tick schlimmer. Und nach Deinen Zwischenberichten scheint es auch bis zum Ende des Buches nicht wirklich besser zu werden.


    Das zweite Buch unterscheidet sich von den anderen, darin geht es u. a. um die dichterische Naturbeschreibung und insbesondere auch um die "Geschichte der physischen Weltanschauung", wo beispielsweise Christoph Kolumbus behandelt wird oder der Einfluß der Araber auf die europäische Kultur. Das ist schon etwas anderes als die seitenweise Aufzählung von Vulkanen, wobei die ja immerhin recht hübsche Namen haben. ;-)


    Schöne Grüße,
    Wolf

  • Ja, das Nachwort habe ich gestern Abend dann nun auch noch gelesen. Es bringt ein paar interessante Aspekte.


    Noch zum Thema "tragisch". Nachdem ich nun fertig bin, würde ich lieber noch einen andern Aspekt des Werks "tragisch" nennen. Alexander von Humboldt ist vielleicht der letzte Universalgelehrte. Vor allem in Buch II, wo er eigentlich den Plan des Ganzen skizziert (na ja: eine im Original über 400 Seiten lange Skizze), sieht man dann, wieviel er schliesslich doch nicht mehr unterbringen kann: die ganze Geografie der Pflanzen, Tiere, Völker. Zu viel muss er ständig im Weltall, in unserem Planetensystem, an der Geologie ergänzen, zu schnell ist bereits der wissenschaftliche Fortschritt geworden. (Den er im übrigen eindeutig begrüsst hat, und dem er noch im höchsten Alter interessiert folgte.) Er scheitert an seinem universalistischen Konzept - die Zeit, wo ein einzelner das ganze Wissen umfassen und darstellen konnte, war vorbei.

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  • Noch zum Thema "tragisch". Nachdem ich nun fertig bin, würde ich lieber noch einen andern Aspekt des Werks "tragisch" nennen. Alexander von Humboldt ist vielleicht der letzte Universalgelehrte.
    ...


    Er scheitert an seinem universalistischen Konzept - die Zeit, wo ein einzelner das ganze Wissen umfassen und darstellen konnte, war vorbei.


    Durchaus nachvollziehbar. Wobei ich eher davon spreche, er wollte wohl ein Universalgelehrter sein. Mir erscheint der Begriff sowieso fragwürdig. Passt vielleicht gerade zum mitteleuropäischen philosophisch und humanistisch erzogenen Bildungsbürgertum, dem die Mathematik fremd ist. Ob Humboldt auf diesem Gebiet mit den damaligen Entwicklungen vertraut war, entzieht sich allerdings meiner Kenntnis. Jedenfalls, wenn man die Mathematik als Wissenschaft zulässt (sie lässt sich doch auch als Spiel auffassen, oder), ist sie seit dem 19. Jahrhundert bestimmend für die Erklärung der Welt.
    Das ist übrigens einer der Reize an "Die Vermessung der Welt"

  • Mir erscheint der Begriff sowieso fragwürdig. Passt vielleicht gerade zum mitteleuropäischen philosophisch und humanistisch erzogenen Bildungsbürgertum, dem die Mathematik fremd ist.


    Und dem Alexander von Humboldt, auch wenn er dem Adel entstammt, durchaus zuzurechnen ist.


    Ich glaube nicht, dass er die Fortschritte der reinen Mathematik verfolgte, auch in der Philosophie scheint er nur zu kennen, was in naturforschendem Zusammenhang wichtig ist. Abstraktes Denken um des Denkens willen ist wohl sein Ding nicht. Genauso wie ich den Eindruck hatte, dass er "schöne Dinge" (Bilder, Literatur etc.) nur zur Kenntnis nimmt, soweit sie seine geliebte Naturforschung betreffen. Und also, soweit es die Naturforschung betrifft, scheint mir Humboldt auch zur Kenntnis zu nehmen, was die Mathematik (als angewandte, als Hilfswissenschaft) in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundertes beizutragen hatte, z.B. bei der Berechnung der Bahn und Umlaufgeschwindigkeiten von Planeten und Kometen.


    Er ist der Forschungsreisende, nicht der Theorien wälzende Sesselfurzer. Insofern tendiere ich auch dazu, einen Unterschied zu machen zwischen dem (Universal-)Gelehrten des 18. und 19. Jahrhunderts und dem nun aufkommenden Wissenschafter.

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  • Und dem Alexander von Humboldt, auch wenn er dem Adel entstammt, durchaus zuzurechnen ist.


    Und also, soweit es die Naturforschung betrifft, scheint mir Humboldt auch zur Kenntnis zu nehmen, was die Mathematik (als angewandte, als Hilfswissenschaft) in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundertes beizutragen hatte, z.B. bei der Berechnung der Bahn und Umlaufgeschwindigkeiten von Planeten und Kometen.


    Er ist der Forschungsreisende, nicht der Theorien wälzende Sesselfurzer. Insofern tendiere ich auch dazu, einen Unterschied zu machen zwischen dem (Universal-)Gelehrten des 18. und 19. Jahrhunderts und dem nun aufkommenden Wissenschafter.


    Danke für die Erläuterungen! Da hätte er ja einiges mit dem großen Bahnbestimmer Gauß zu bereden gehabt.


    Humboldt saß aber auch länger im Sessel, als auf Pferd,Schiff,Boot und auf eigenen Füßen stehend. Darwin, der ja auch ein Forschungsreisender war, verbrachte die meiste Zeit seines Lebens im Studiersessel, und da hat schon was schönes ausgebrütet. Abenteuer gibt es eben auch am Schreibtisch.

  • Da hätte er ja einiges mit dem großen Bahnbestimmer Gauß zu bereden gehabt.


    Komm mir aber jetzt nicht mit dem Kehlmann, gelle? :breitgrins: Selten habe ich ein so gutes Thema so leichtfertig verschenkt gesehen ...


    Humboldt saß aber auch länger im Sessel, als auf Pferd,Schiff,Boot und auf eigenen Füßen stehend.


    Natürlich ... Ob das allerdings seinem Selbstverständnis entspricht? - - - OK - das werden wir wohl nie wissen ...

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  • Komm mir aber jetzt nicht mit dem Kehlmann, gelle? :breitgrins: Selten habe ich ein so gutes Thema so leichtfertig verschenkt gesehen ...


    Den Satz mit "Die Vermessung..." hatte ich schon geschrieben, aber dann doch lieber wieder gelöscht :-)
    Den Roman habe ich aber gerne gelesen. Kehlmann stellt hier zwei Charaktere gegenüber, die auch bezeichnet für das Selbstverständnis der Wissenschaftler dieser Zeit sind, und er macht es kurzweilig.
    Ich glaube nur, dass vielen das Einfühlungsvermögen für das Genie Gauß fehlt. Amazonasabenteuer ließt man schon als Kind gerne, die Trigonometrie dagegen ist für viele eben eine Nebensächlichkeit.

  • Danke für die Erläuterungen! Da hätte er ja einiges mit dem großen Bahnbestimmer Gauß zu bereden gehabt.


    Ob er Gauss persönlich kennengelernt hat, weiss ich nicht. Alexander von Humboldt kannte Gott und die Welt persönlich ... es könnte also schon gewesen sein. Er zitiert Gauss jedenfalls immer mal wieder - seine Werke hat er demnach zur Kenntnis genommen.

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  • Es sei mir ein kleines Fazit gestattet:


    Alexander von Humboldt galt zu seiner Zeit als einer der grossen Wissenschafter und Forschungsreisenden. Aber nicht nur das: Er war auch berühmt dafür, dass er das Wissen seiner Zeit in Vorträgen dem allgemeinen Publikum vermitteln konnte; er galt als ausgezeichneter Redner.


    Und so sitze ich hier nach der Lektüre von rund 900 Seiten Folio und frage mich, ob die Probleme bei der Lektüre, die ich empfand, an Humboldt oder an mir liegen. Haben sich unsere Rezeptionsgewohnheiten tatsächlich so geändert? Sind wir heute tatsächlich nicht mehr in der Lage, einem einfachen Text ohne aufgesteckte rhethorische Glanzlichter zu folgen? Oder ist es doch die Tatsache, dass "Wissenschaft" für uns heute etwas anderes ist als die fortwährende Aufzählung von irgendwelchen Messungen?


    Lohnt sich eine Lektüre von Kosmos? Eine Lektüre von A bis Z? Trotz aller Probleme würde ich sagen: Ja. Gerade weil Humboldt mit seinem Werk letztlich gescheitert ist. Denn dies sehen erst wir jetzt, seine Nachwelt. Kosmos war zu seiner Zeit noch durchaus ein Bestseller. Erst heute, erst im Nachhinein können wir feststellen, dass Humboldt damit scheiterte - gleich zweimal. Einerseits wissenschaftsgeschichtlich gesehen, indem seine Art der Naturbeschreibung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sehr rasch ausser Rang und Traktanden fallen sollte. Andererseits auch persönlich, indem zunehmendes Alter und zunehmendes Wissen in allen Bereichen ihn daran hinderten, das Werk zu einem Abschluss zu bringen. Und so fallen leider genau die Teile unter den Tisch, die wohl auch für den heutigen Leser am interessantesten gewesen wären: die über die damalige Pflanzen-, Tier- und Menschenwelt. Das ist schade, ändert aber nichts daran, dass Kosmos uns ein sehr präzises Bild liefert der Naturwissenschaft der Goethe-Zeit.


    Lesenswert? Ja. Auch wenn es ein Werk ist, das vom Leser die Geduld fordert, die der Leser des 19. Jahrhunderts zu erbringen noch bereit war ... :winken:

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  • Ganz unbekannt ist Alexander von Humboldt in Deutschland ja nicht. SWR3 hatte vor einiger Zeit eine kleine Serie kurzer Sketche über Alexander von Dumboldt und das Volk der Ndungu. Ich wollte die schon früher verlinken, aber SWR3 hat sein Archiv an Comix-Klassikern neu organisiert und stellt die alten Sachen nun erst nach und nach wieder ins Netz. Auch von den Ndungu waren mal mehr als die 4 aktuell auffindbaren Sketche vorhanden; ich vermute die restlichen folgen nach und nach ... :winken:

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  • Hallo sandhofer,


    Zitat von "sandhofer"


    Ja, ich hab's gesehen. So was, wenn man's im voraus wüsste ...


    ich hatte seinerzeit eine gebrauchte, aber noch neuwertige Kosmos-Ausgabe gekauft, die mich inklusive Versand knappe 45 Euro gekostet hat. Deshalb brauche ich mich jetzt über den billigen 30-Euro-Kosmos bei Zweitausendeins nicht besonders zu ärgern.


    Aber jetzt ist es natürlich ein echtes Schnäppchen, und wenn man erst mal die ersten hundert Seiten über die Lanzenpflege Vulkane hinter sich gebracht hat, wird das Buch richtig gut ... :breitgrins:


    Schöne Grüße,
    Wolf