Der Kriminalroman als literarisches Kunstwerk

  • Hallo und guten Tag,


    in meinen "jüngeren Jahren" las ich gern und viel Autoren wie R. Chandler, D. Hammet, G. Simeon, A. Christie und ähnliche Klassiker/Innen des Kriminalromans, dann las ich lange, sehr lange Jahre nicht einen einzigen "Krimi" mehr, warum, das weiß ich nicht zu sagen.
    Nun schenkte man mir einen russischen Kriminalroman von A. und G. Wainer - Die schwarze Katze, und ich bin nun verblüfft, wenn nicht begeistert, was für Meister der "erzählenden Prosa" sich dann doch unter dem Oberbegriff Krimiautoren dann so in den literarischen Landschaften herum tummeln.
    Nun zu meiner Frage:


    Kann mir jemand auf diesem Gebiet einige Empfehlungen geben und/oder seine Leseerfahrungen mitteilen, es dürfen ruhig "Russen" dabei sein, denn in meinem Leben las ich, außer natürlich den deutschen Schriftstellern/Klassikern, nichts lieber als was aus diesem großen und für uns oft doch so seltsamen und unbegreiflichen Land kam.


    Liebe Grüße


    Vult

  • Hallo Vult,


    falls Engländer für dich auch in frage kommen, könnte ich dir Wilkie Collins Der Monddiamant (The Moonstone, 1868) empfehlen, der einer der ersten englischen Kriminalromane ist. In meiner Ausgabe wird T.S. Eliots Meinung zu diesem Roman zitiert: "The first, the longest, and the best of modern English detective novels". Ist sehr lesenswert und bietet schon vieles, was später typisch für englische Krimis sein wird.


    Viele Grüße
    thopas

  • Der Krimi als literarisches Kunstwerk? Hm ... auf Anhieb fallen mir da mal zwei Schweizer ein, zwei Friedrichs noch dazu: Glauser und Dürrenmatt. Dann die beiden berühmten Bäume: Die Judenbuche und Unterm Birnbaum, die auch viel von einem Kriminalroman haben. Nicht zu vergessen einer meiner absoluten Lieblinge: Stopfkuchen von Wilhelm Raabe.


    Poes Kriminalnoveletten (im Gegensatz zu anderm, das er geschrieben hat) würde ich nicht als Kunstwerke bezeichnen. Collins' Œuvre übrigens genausowenig :zwinker: .

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • Poes Kriminalnoveletten (im Gegensatz zu anderm, das er geschrieben hat) würde ich nicht als Kunstwerke bezeichnen. Collins' Œuvre übrigens genausowenig :zwinker: .


    Hmmm. Das Problem dabei ist, daß ich Kriminalromane meist eher auf die Handlung konzentriert lese. Mir fällt natürlich auf, wenn jemand extrem schlecht schreibt; wenn jemand gut schreibt, dann ist das eher selbstverständlich. Meine Collins-Lektüre ist zu lange her, als daß ich darüber jetzt noch viel sagen könnte. Ob er den hohen Ansprüchen von Vult genügt (also ein "Meister der erzählenden Prosa" ist), kann ich nicht sagen. Er ist mir als Erzähler nicht negativ aufgefallen ist; das hätte ich mir dann gemerkt :zwinker:

  • Nu jo - es gibt Schlimmere als Collins. Aber so ganz Kunstwerk wollen mir weder The Moonstone noch The Woman in White scheinen. Dazu fehlt v.a. formal der letzte Schliff: Die Stories haben zwischendurch ganz schöne Löcher ... (Was nicht heisst, dass ich diese Bücher im Grossen und Ganzen nicht mit Vergnügen gelesen hätte ;) :winken: .) Ist halt dieser typische Fortsetzungsroman-Stil der Leute um Dickens. Immer fast gross, aber nie so ganz ... Wie der Meister himself ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • Nu jo - es gibt Schlimmere als Collins. Aber so ganz Kunstwerk wollen mir weder The Moonstone noch The Woman in White scheinen. Dazu fehlt v.a. formal der letzte Schliff: Die Stories haben zwischendurch ganz schöne Löcher ...


    An diese Löcher erinnere ich mich gar nicht mehr :redface:. Aber ich habe die Romane auch mit Vergnügen gelesen. Da ist halt im Nachhinein nur das Positive hängengeblieben :zwinker:. Vielleicht wäre eine Zweitlektüre gar nicht schlecht. Unterhaltsam ist The Moonstone ja.

  • Hallo,


    Ihr habt nun schon einige Krimis zusammengetragen, von denen ich meine, dass sie größtenteils durchaus die Ansprüche erfüllen, die Vult eingangs unter dem etwas nebulösen Begriff "literarisches Kunstwerk" versammelt hat.


    Als kleine Ergänzung aus dem französischsprachigen Raum fallen mir die Kurzromane von Léo Malet ein, der in den 50er Jahren mit seinen Pariser Detektivgeschichten rund um Nestor Burma eine giftig-gallische Variante der harten Krimischule Hammetts und Chandlers ablieferte. Auch seiner schwarzen Trilogie der späten 40er Jahre (z.B. "Das Leben ist zum Kotzen") kann ich durchaus etwas abgewinnen.


    Krimis habe ich früher übrigens nicht gelesen, sondern regelrecht verschlungen. Das hörte irgendwann auf, weil der "Nachschub" nicht mehr die Qualität erreichte, die ich von den Klassikern Chandler, Collins & Co. gewohnt war. Mankell und seinen Kommissar Wallander sowie andere Konsorten dieses Typs finde ich einfach nur ärgerlich. Erst in letzter Zeit sind mir einige Krimis aufgefallen, die sich ein wenig von der Masse abheben, z.B. "Die grauen Seelen" von Philippe Claudel und das deutsche Krimiwunder "Tannöd" von Frau Schenkel.


    Ich finde es übrigens gut, dass hier der Krimi mal ansatzweise diskutiert wird.


    Es grüßt


    Sir Thomas

  • Ich finde es übrigens gut, dass hier der Krimi mal ansatzweise diskutiert wird.


    Eine Theorie des Kriminalromans werden wir wohl kaum erstellen können ... :breitgrins:


    Ansätze eines kriminalromanischen "Whodunnit?" sind natürlich in vielen Romanen aufzufinden. Karl Mays Abenteuerromane leben davon, dass Kara Ben Nemsi / Old Shatterhand Verbrechen aufklären und Verbrecher aufspüren. Literarische Qualität ist aber dort allenfalls ansatzweise zu finden. John Buchans Thriller-Held Richard Hannay deckt ebenfalls Verbrechen auf und fängt die Übeltäter - am bekanntesten Thirty-nine Steps von 1915, das Hitchcock 20 Jahre später (mit völlig anderem Schluss) verfilmt hat. Buchan liefert solides Handwerk, als literarisches Kunstwerk würde ich seine Bucher, jedenfalls die, die ich kenne, auch nicht bezeichnen.


    Die Russen kenne ich leider viel zu wenig.


    Einen deutschen Klassiker habe ich noch vergessen: Das Fräulein von Scudéry von E. T. A. Hoffmann.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo,


    vielen lieben Dank für die Ratschläge und Hinweise, ich habe dann schon mal einiges ins Auge gefasst und werde mich überraschen lassen.
    Zum literarischen Kunstwerk - ich hätte mich da vielleicht etwas genauer Ausdrücken sollen, ich meinte bei diesem Kriminalroman auch die tiefe Menschlichkeit, das Drama, das Elend des russischen Volkes in der Nachkriegszeit überhaupt, die Unbedingtheit des Verbrechers weil man auf Gnade in diesem System nicht hoffen darf, ist es doch selbst in sich Gnadenlos und trotzdem dann bei einigen "Banditen" wieder diese hohe Ethik und Moral, man möchte schon bald sagen - Heiligkeit und das ohne jeglichen Kitsch oder Hollywoodeffekt, einfach nur die Verlorenheit eines Volkes in und unter der Totalität des Stalinismus.
    Authentisch gezeichnete Charaktere und eine traurige, oft erschütternde Handlung zeigt diese Menschen in ihrer rohen Brutalität ebenso wie in ihrer natürlichen Güte, zeigt auch die Schönheit der Seele des Menschen in sich, und das unter menschenunwürdigsten und widrigsten Umständen, das unbedingte Wissen darum, das nur der eigene Tod der wirkliche und am Ende einzige Ausweg aus diesen Höllen ist, das ist es eigentlich was ich sagen wollte und das Ganze dann noch als Krimi, das heißt dann für mich wohl erst einmal - bei den "Russen" weitersuchen.


    Liebe Grüße und Dank für die anregende Diskussion


    Vult


  • Eine Theorie des Kriminalromans werden wir wohl kaum erstellen können ... :breitgrins:


    Das ist an anderer Stelle längst geschehen. Ich erinnere mich dunkel daran, mal etwas gelesen zu haben über die gesellschaftsstabilisierende Funktion des Kriminalromans (das Gute siegt immer, das Böse wird bestraft, wie langweilig ... :breitgrins:). Aber das Herumtheoretisieren ist doch eher müßig, oder?


    Mir fällt da übrigens noch ein sehr weltliteratur-verdächtiges Kriminalwerk von J. Conrad ein: Der Geheimagent.


    So long, es grüßt


    Sir Thomas