November 2007 - Oliver Goldsmith: The Vicar of Wakefield

  • Goldsmith verkaufte ihn erstmal nur deshalb, um die Schulden bei seiner Vermieterin begleichen zu können. Daß der Roman aus lauter Versatzstücken besteht, die woanders sicherlich besser behandelt werden, ist dann vielleicht auch kein Wunder.


    Vielleicht sogar ein Eingriff des Verlegers: "Hör mal: Wenn du das Buch wirklich verkaufen und aus den Geldsorgen herauskommen willst, musst du da viel mehr Schmalz hineinbuttern!" - Gesagt, getan?

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Vielleicht sogar ein Eingriff des Verlegers: "Hör mal: Wenn du das Buch wirklich verkaufen und aus den Geldsorgen herauskommen willst, musst du da viel mehr Schmalz hineinbuttern!" - Gesagt, getan?


    Hmmm... Das wird man wahrscheinlich nie genau wissen. Es ist halt mal wieder eine Anekdote, die um mehrere Ecken tradiert wurde. Taucht in einer Biographie über Dr. Johnson auf (ich kann heute abend nochmal genau nachschauen, hab gerade das Buch nicht hier). Dr. Johnson mußte für Goldsmith das Manuskript an einen Verleger verkaufen, da Goldsmith selbst von seiner Vermieterin nicht mehr aus dem Haus gelassen wurde, bis er nicht die Schulden bezahlt hatte. Der Verleger hat dann noch dreieinhalb Jahre gewartet, bis er das Buch herausgebracht hat. Möglicherweise war er sich nicht sicher, ob das Werk beim Publikum ankommt... Vielleicht mußte es Goldsmith tatsächlich nochmal überarbeiten?

  • So, gestern abend habe ich dann noch die letzten 70 Seiten gelesen. Ausser vielleicht bei der Predigt des Alten im Gefängnis, wo er heraushebt, wie schön es doch sein muss, wenn man im Paradies glücklich und zufrieden lebt mit der Erinnerung daran, wie schlecht es einem auf Erden gegangen sei und um wieviel mehr man doch das Paradies geniessen könne, wenn man eine Erinnerung an ein schlechtes Erdenleben habe als eine Erinnerung an ein glückliches Erdenleben - mit Ausnahme dieser Passage also kann ich weiter nichts mehr finden, das ich als Ironie empfinden könnte. Und selbst hier bin ich nicht sicher, ob die Ironie vom Autor intendiert war oder ob sie ihm versehentlich passiert ist.


    Eindeutig ein Werk also mit zwei ein bisschen disparaten Teilen? Noch komme ich zu keinem Abschluss ...

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  • Und selbst hier bin ich nicht sicher, ob die Ironie vom Autor intendiert war oder ob sie ihm versehentlich passiert ist.


    Ich hatte beim Lesen dieser Predigt nicht das Gefühl, daß das ironisch vom Autor gemeint war. Kann sein, daß wir so eine Predigt heutzutage eher ironisch empfinden.


    Ich bin leider diese Woche recht wenig zum Lesen gekommen. Ich habe jetzt noch die drei letzten Kapitel vor mir, also die Wendung hin zum Guten. Manche Szenen im Gefängnis finde ich schon arg schmalzig und etwas dick aufgetragen vom Autor. Was mich irritiert hat ist, daß einzig der Pfarrer selbst sich weigert, seine Tochter Olivia nicht als Mätresse an Squire Thornhill zu verscherbeln, um die Familie von den Schulden zu befreien. Mutter und Geschwister scheinen da keine Skrupel zu haben, Olivia zu opfern. Hab ich da die Ironie übersehen, oder war das für damals ein normales Verhalten?

  • Ich hatte beim Lesen dieser Predigt nicht das Gefühl, daß das ironisch vom Autor gemeint war. Kann sein, daß wir so eine Predigt heutzutage eher ironisch empfinden.


    Das befürchte ich eben auch ...


    Was mich irritiert hat ist, daß einzig der Pfarrer selbst sich weigert, seine Tochter Olivia nicht als Mätresse an Squire Thornhill zu verscherbeln, um die Familie von den Schulden zu befreien. Mutter und Geschwister scheinen da keine Skrupel zu haben, Olivia zu opfern. Hab ich da die Ironie übersehen, oder war das für damals ein normales Verhalten?


    Letzeres kann ich Dir so aus dem Stand jetzt auch nicht beantworten. Ironie? Hm ... wenn, wie wir es ja ein paar Mal schon hatten vorher, der Pfarrer letztlich von seiner Familie umgestimmt worden wäre und sich dann in scheinheilig-rechtfertigenden Monologen sich ergossen hätte, hätte ich es als Ironie aufgefasst. So zeigt es ... ja, was zeigt es?

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  • Ich bin leider diese Woche recht wenig zum Lesen gekommen. Ich habe jetzt noch die drei letzten Kapitel vor mir, also die Wendung hin zum Guten. Manche Szenen im Gefängnis finde ich schon arg schmalzig und etwas dick aufgetragen vom Autor. Was mich irritiert hat ist, daß einzig der Pfarrer selbst sich weigert, seine Tochter Olivia nicht als Mätresse an Squire Thornhill zu verscherbeln, um die Familie von den Schulden zu befreien. Mutter und Geschwister scheinen da keine Skrupel zu haben, Olivia zu opfern. Hab ich da die Ironie übersehen, oder war das für damals ein normales Verhalten?


    Ich bin erschüttert. Meines Weltbildes wegen. Habe das für völlig normal gehalten. :breitgrins:
    Insbesondere weil die gute Olivia, die Eitle der beiden Töchter, doch nicht unbedingt was dagegen gehabt hätte.



    Interessant finde ich übrigens die Anekdote, die in der Einleitung meiner Ausgabe (Oxford World´s Classics, 2006, new edition) steht, wie es überhaupt dazu kam, daß dieser Roman veröffentlicht wurde. Goldsmith verkaufte ihn erstmal nur deshalb, um die Schulden bei seiner Vermieterin begleichen zu können. Daß der Roman aus lauter Versatzstücken besteht, die woanders sicherlich besser behandelt werden, ist dann vielleicht auch kein Wunder.


    Das ist ja auch in der hier verlinkten 11th ed. der Encyclopedia so erzählt.
    Unter Beteiligung Dr. Samuel Johnsons.
    Und mit dem Hinweis darauf, dass G. schon vorab den Roman anderweitig verscherbelt hatte.


    Zitat


    Hmmm... Das wird man wahrscheinlich nie genau wissen. Es ist halt mal wieder eine Anekdote, die um mehrere Ecken tradiert wurde. Taucht in einer Biographie über Dr. Johnson auf (ich kann heute abend nochmal genau nachschauen, hab gerade das Buch nicht hier).


    Ja, über die Zuverlässigkeit Boswells weiß ich auch nichts.


    Zitat


    Vielleicht sogar ein Eingriff des Verlegers: "Hör mal: Wenn du das Buch wirklich verkaufen und aus den Geldsorgen herauskommen willst, musst du da viel mehr Schmalz hineinbuttern!" - Gesagt, getan?


    Ich bin mir ziemlich sicher, dass G. schon selber wusste, wie so ein Roman am besten aussehen musste.
    Wenn ich den Lebensweg mal glaub, wie er in diesem Encyclopedia-Artikel steht (dort wird übrigens angemerkt, dass bspw. Angaben über die Auslandsreisen mit Vorsicht zu nehmen sind), dann war er einer, der sich als freiberuflicher Autor durchschlug, nachdem er sich schon mit anderem durchgeschlagen hatte, und einfach war das gerade nicht.



    Das ist es, was mich aktuell so fasziniert: Das Ding ist entweder ungeheuer raffiniert aufgebaut - oder ungeheuer plump. Normalerweise - bilde ich mir ein - merke ich so was sehr schnell. Aber Goldsmith bringt mich tatsächlich ins Schleudern ... :smile:


    Oder beides. G. war raffinierterweise plump, indem er alles in den Roman reinschmiss von dem er meinte, dass es rein sollte.
    Er konnte ja den Erfolg vorab nicht kalkulieren.
    Sondern nur, wie er es schreiben musste, um es möglichst erfolgreich verkaufen zu können.


    Mag sein, er hatte seinen Spaß dran, den Leuten all diese Versatzstücke um die Ohren zu hauen.


    Das mit der Ironie (in der Enc. findet sich dieser Begriff übrigens nicht, und die Würdigung des „Vicar“ dort ist, mal freundlich ausgedrückt, durchwachsen ...) ist schwer festzumachen. Was wurde vor 250 Jahren für bare Münze genommen und was nicht.
    Ironisiert G. einen religiösen Monolog, indem er ihn dem etwas eitlen Primrose in den Mund legt?


    Ist die Frage, ob sich dann im Falle Goethes etc. von einer „Fehlrezeption“ sprechen lässt. Denn wenn wir es tun, machen wir es ja an unseren Maßstäben fest.


    Mit hat es jedenfalls Spaß gemacht. So für sich allein gelesen wäre es ja eher katastrophal gewesen :wink: aber den Kontext dazu genommen, ist es doch eine spannende Sache.


    LG
    Leibgeber

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)


  • Ich bin erschüttert. Meines Weltbildes wegen. Habe das für völlig normal gehalten. :breitgrins:
    Insbesondere weil die gute Olivia, die Eitle der beiden Töchter, doch nicht unbedingt was dagegen gehabt hätte.


    Daß Olivia wohl nichts dagegen gehabt hätte, ist mir auch aufgefallen. Das Motiv war mir nur nicht ganz klar: Eitelkeit oder Schuldbewußtsein? Aber daß die Mutter da mitspielt? Vermutlich liegts da wohl auch an der Eitelkeit...




    Das ist ja auch in der hier verlinkten 11th ed. der Encyclopedia so erzählt.
    Unter Beteiligung Dr. Samuel Johnsons.
    Und mit dem Hinweis darauf, dass G. schon vorab den Roman anderweitig verscherbelt hatte.


    Tut mir leid, wenn ich das aus Versehen nochmal angebracht habe. Ich habe den verlinkten Artikel noch nicht gelesen, werde es aber am Wochenende nachholen.



    Zitat


    Ist die Frage, ob sich dann im Falle Goethes etc. von einer „Fehlrezeption“ sprechen lässt. Denn wenn wir es tun, machen wir es ja an unseren Maßstäben fest.


    Sowas in der Richtung habe ich mir auch schon gedacht...


    viele Grüße
    thopas


  • Daß Olivia wohl nichts dagegen gehabt hätte, ist mir auch aufgefallen. Das Motiv war mir nur nicht ganz klar: Eitelkeit oder Schuldbewußtsein? Aber daß die Mutter da mitspielt? Vermutlich liegts da wohl auch an der Eitelkeit...


    Oder an beidem.
    Ja, und dann ist das alles ja auch noch, in der vorderen Hälfte des Romans jedenfalls, ironisch transzendiert ... und dass die ganze Entführungs- undsoweiter-Schote eingeschlossen termpotärer letaler Abgang :breitgrins: sich regeln wird, ist doch sowieso klar.




    Tut mir leid, wenn ich das aus Versehen nochmal angebracht habe. Ich habe den verlinkten Artikel noch nicht gelesen, werde es aber am Wochenende nachholen.


    Hast du ja nicht. :smile:
    Ich hab mir den englischen Text des Boswell mal runtergeladen, falls ich noch Lust drauf hab, schau ich drin nach Goldsmith.


    Für die, die keine Lust auf den ganzen Enc. Article haben, tu ich die Stelle hier rein.


    But he was still often reduced to pitiable shifts, the most popular of which is connected with the sale of his solitary novel, the Vicar of Wakefield. Towards the close of 1764(?) his rent is alleged to have been so long in arrear that his landlady one morning called in the help of a sheriff's officer. The debtor, in great perplexity, despatched a messenger to Johnson; and Johnson, always friendly, though often surly, sent back the messenger with a guinea, and promised to follow speedily. He came, and found that Goldsmith had changed The guinea, and was railing at the landlady over a bottle of Madeira. Johnson put the cork into the bottle, and entreated his friend to consider calmly how money was to be procured. Goldsmith said that he had a novel ready for the press. Johnson glanced at the manuscript, saw that there were good things in it,took it to a bookseller, sold it for £60 and soon returned with the money. The rent was paid; and the sheriff's officer withdrew. (Unfortunately, however, for this time-honoured version of the circumstances, it has of late years been discovered that as early as October 1762 Goldsmith had already sold a third of the Vicar to one Benjamin Collins of Salisbury, a printer, by whom it was eventually printed for F. Newbery, and it is difficult to reconcile this fact with Johnson's narrative.) But before the Vicar of Wakefield appeared in 1766, came the great crisis of Goldsmith's literary life.



    Sowas in der Richtung habe ich mir auch schon gedacht...


    Ja, aber das muss ja immer berücksichtigt werden, die Zeitgebundenheit eines Werkes zB.
    Was ich einfach nicht kapier, ist, dass Goethe einem so offenkundig nicht gerade glanzvoll geschriebenen Werk so aufgesessen ist.
    War er viellecht zu - ernsthaft? :breitgrins:

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)

  • Für die, die keine Lust auf den ganzen Enc. Article haben, tu ich die Stelle hier rein.


    Die Encyclopedia zitiert hier (bis zu "the sheriff's officer withdrew") praktisch wörtlich Boswell, der seinerseits Dr. Johnson zitiert. Boswell scheint übrigens Dr. Johnsons Reden recht exakt wiedergegeben zu haben - so exakt zumindest, wie das möglich ist, ohne zu stenografieren.


    Was ich einfach nicht kapier, ist, dass Goethe einem so offenkundig nicht gerade glanzvoll geschriebenen Werk so aufgesessen ist.


    Nun ja ... ohne jemandem nahe treten zu wollen - Goethes literarischer Geschmack ist nicht über jeden Zweifel erhaben. (Hölderlin zu raten, er solle sich in seinen Gedichten doch kürzer halten, zeigt m.M.n. nicht gerade viel davon.) Was mich eher erstaunt, ist, dass Herder aufs Moralisch-Idyllische so abgefahren ist. Ich schätze nämlich, ehrlich gesagt, Herder als Leser höher ein als Goethe, der doch immer nur rezipierte, was (zu) ihm passte.

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  • Für die, die keine Lust auf den ganzen Enc. Article haben, tu ich die Stelle hier rein.


    But he was still often reduced to pitiable shifts, the most popular of which is connected with the sale of his solitary novel, the Vicar of Wakefield. Towards the close of 1764(?) his rent is alleged to have been so long in arrear that his landlady one morning called in the help of a sheriff's officer. The debtor, in great perplexity, despatched a messenger to Johnson; and Johnson, always friendly, though often surly, sent back the messenger with a guinea, and promised to follow speedily. He came, and found that Goldsmith had changed The guinea, and was railing at the landlady over a bottle of Madeira. Johnson put the cork into the bottle, and entreated his friend to consider calmly how money was to be procured. Goldsmith said that he had a novel ready for the press. Johnson glanced at the manuscript, saw that there were good things in it,took it to a bookseller, sold it for £60 and soon returned with the money. The rent was paid; and the sheriff's officer withdrew. (Unfortunately, however, for this time-honoured version of the circumstances, it has of late years been discovered that as early as October 1762 Goldsmith had already sold a third of the Vicar to one Benjamin Collins of Salisbury, a printer, by whom it was eventually printed for F. Newbery, and it is difficult to reconcile this fact with Johnson's narrative.) But before the Vicar of Wakefield appeared in 1766, came the great crisis of Goldsmith's literary life.


    Sehr interessant. Die Einleitung in meiner Ausgabe zitiert direkt aus Boswell, dabei wird aber keine Jahreszahl erwähnt. Einige Absätze später schreibt der Autor nochmal von den "chaotischen Umstanden" unter denen das Manuskript 1762 verkauft wurde. Da nimmt man dann irgendwie an, daß diese Episode mit Johnson 1762 stattgefunden hat. Obwohl der Autor schon erwähnt, daß es viele widersprüchliche Berichte gibt und niemand die genaue Jahreszahl kennt bzw. es noch nicht mal sicher ist, welcher Verleger das Manuskript gekauft hat.


  • Sehr interessant. Die Einleitung in meiner Ausgabe zitiert direkt aus Boswell,


    ... oder aus der Enc.Brit. ? :breitgrins:


    Zitat


    dabei wird aber keine Jahreszahl erwähnt. Einige Absätze später schreibt der Autor nochmal von den "chaotischen Umstanden" unter denen das Manuskript 1762 verkauft wurde. Da nimmt man dann irgendwie an, daß diese Episode mit Johnson 1762 stattgefunden hat. Obwohl der Autor schon erwähnt, daß es viele widersprüchliche Berichte gibt und niemand die genaue Jahreszahl kennt bzw. es noch nicht mal sicher ist, welcher Verleger das Manuskript gekauft hat.


    Die Enc. drückt sich ja auch vorsichtig aus.
    Aber das zeigt eben ein Stückchen der schwierigen Umstände, unter denen ein Schriftstellerleben stattfand.


    Was den Boswell betrifft, ich hatte das vor vielen Jahren gelesen. Übersetzung Diogenes TB, wird wohl auf einer der gekürzten englischen Ausgaben beruhen.
    Aber über die ihm bescheinigte Genauigkeit weiß ich nichts.
    Ein gutes Gedächtnis haben, und trotzdem sich, sagen wir mal, mit poetischer Freiheit ausdrücken, also, den von ihm Biographierten zur Figur eines Tatsachenromans :wink: zu machen, das würde sich ja nicht ausschließen.


    Und an eine Angabe, die ich irgendwo las, erinnere ich mich:
    dass Boswell und Dr. Johnson keineswegs sehr oft zusammen waren.
    Sondern da gab es große Lücken.
    Und die mussten gefüllt werden.


    Mag also genauso sein, Boswell schrieb korrekt auf. Aber was Johnson ihm erzählte, das war halt ein wenig - ausgeschmückt. :wink:


    Was die Enc. 1911 betrifft, ich nehm ja an, dass die Original mit Belegen ausgestattet ist.
    Die fehlen eben in dieser Online Version.


    Ich wäre schon interessiert zu wissen, auf welchen Angaben sonst denn noch außer Johnson/Boswell dieser Abschnitt von Goldsmiths Leben beruht.

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)

  • dass Boswell und Dr. Johnson keineswegs sehr oft zusammen waren.


    M.W. machte Boswell nie ein Hehl daraus. Dr. Johnson war ja auch schon über 50 und eine Berühmtheit, als der (ich glaube) Mittzwanziger Boswell auf ihn stiess. Da ist es schon möglich, dass:


    Mag also genauso sein, Boswell schrieb korrekt auf. Aber was Johnson ihm erzählte, das war halt ein wenig - ausgeschmückt. :wink:


    Ich vermute mal, Boswells Faktentreue bezieht sich auf Dr. Johnsons Aussagen als solche. Ob die wiederum der Wahrheit entsprechen? M.W. gibt es keine andere Quelle als Dr. Johnson by Boswell für diese Version der Veröffentlichungsgeschichte vom Vicar of Wakefield.

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  • ... oder aus der Enc.Brit. ? :breitgrins:


    Er gibt in der Fußnote James Boswells Life of Johnson an. Das Zitat ist auch in Ich-Form geschrieben, gibt also wohl direkt den Bericht von Johnson wieder.



    Ich vermute mal, Boswells Faktentreue bezieht sich auf Dr. Johnsons Aussagen als solche. Ob die wiederum der Wahrheit entsprechen?


    Das ist in der Tat fraglich. Im Nachhinein werden solche Anekdoten ja oft gerne etwas "aufgepeppt", weil es dann wichtiger klingt :breitgrins:



    Ich bin jetzt übrigens auch fertig mit dem Buch und finde es trotz der gelegentlich etwas übertrieben schmalzigen Stellen ganz unterhaltsam. Die gute Olivia scheint echt einen Narren an Squire Thornhill gefressen zu haben (oder ihre Eitelkeit läßt sich durch nichts abschrecken), wenn sie nach alldem immer noch darauf hofft, daß er sich ändert. Oder sie glaubt einfach an das Gute im Menschen... (bei einer Pfarrerstochter vielleicht nicht verwunderlich)

  • Zitat


    ...und dies alles ohne eine Spur von Frömmelei oder Pedantismus. Vor beiden hatte den Verfasser der hohe Sinn bewahrt, der sich hier durchgängig als Ironie zeigt, wodurch dieses Werkchen uns ebenso weise als liebenswürdig entgegenkommen muss.



    Hat Goethe hier etwa doch ein bißchen Ironie entdeckt? Oder bezieht er sich da auf etwas anderes?


    Viele Grüße
    thopas

  • Die gute Olivia [...]


    Das ist ja der Teil, der mich echt erschreckt hat: Nicht nur die Tatsache als solche, dass Goldsmith hier ein weiteres As aus dem Ärmel zieht und die beiden rechtmässig verheiratet sein lässt - das ist schon schlimm genug, aber bei all den Taschenspielertricks des Autors auf den Schluss-Seiten fällt das kaum noch auf. Nein: Nur um einer bürgerlichen Moral genügen zu können, verheiratet er die eine Tochter tatsächlich an den Schurken. (Nun gab es diese Art von Ehen in den "besseren" Kreisen wohl damals zu Hauf: Beide leben voneinander getrennt und treffen sich allenfalls einmal jährlich, um die Einkommensitutation zu besprechen. Dennoch ...)

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Das ist ja der Teil, der mich echt erschreckt hat: Nicht nur die Tatsache als solche, dass Goldsmith hier ein weiteres As aus dem Ärmel zieht und die beiden rechtmässig verheiratet sein lässt - das ist schon schlimm genug, aber bei all den Taschenspielertricks des Autors auf den Schluss-Seiten fällt das kaum noch auf. Nein: Nur um einer bürgerlichen Moral genügen zu können, verheiratet er die eine Tochter tatsächlich an den Schurken. (Nun gab es diese Art von Ehen in den "besseren" Kreisen wohl damals zu Hauf: Beide leben voneinander getrennt und treffen sich allenfalls einmal jährlich, um die Einkommensitutation zu besprechen. Dennoch ...)


    Ja, genau das hat mich auch eher verstört. Deshalb meine Vermutung, ob sie evtl. an das Gute im Menschen glaubt. Oder war es damals tatsächlich besser, mit einem Schurken verheiratet zu sein (den man dann so gut wie nie sieht), als unverheiratet und ein "gefallenes Mädchen"? Vermutlich ja. Deshalb wohl diese Auflösung von Goldsmith... :angst:


  • Ja, genau das hat mich auch eher verstört. Deshalb meine Vermutung, ob sie evtl. an das Gute im Menschen glaubt. Oder war es damals tatsächlich besser, mit einem Schurken verheiratet zu sein (den man dann so gut wie nie sieht), als unverheiratet und ein "gefallenes Mädchen"? Vermutlich ja.


    Aber definitiv.
    Wobei die Frage, inwieweit bzw. wie weit eine Frau gefallen ist, wenn eine dann nachher ungültige Ehe vollzogen ...
    :breitgrins: :redface:


    Zitat


    Deshalb wohl diese Auflösung von Goldsmith... :angst:


    Nun, die Frage, inwieweit das ironisch gebrochen ist bzw. in welchem Umfang, die haben wir nicht geklärt.


    Die gute Olivia ist die eitle der beiden Töchter. Und insofern bekommt sie, was sie verdient und vielleicht auch will, denn eigentlich findet sie so schlimmes schlussendlich an Mr. Thornhill ja gar nicht auszusetzen.
    Für die Heirat ist die Zustimmung des Pater Familias erforderlich.


    Mr. Primrose ist Stütze der vorhandenen Ordnung, die er bspw. in seiner Rede zum Königtum mustergültig verteidigt.
    Es scheint inkonsequent, dass ein eitelkeitsbehafteter Prediger der Monogamie gleichzeitig ein recht gutes Plädoyer für die Milderung des sehr harten Strafrechts hält.
    Aber, so ist es menschlich, auch ein mit höchsten Grundsätzen behafteter Mensch kann sich an Dogmatismen aufhängen.


    Die Verheiratung ist als Muster einer bürgerlichen Vernunftehe völlig konsequent, da ja der Schurke, wenn schon moralische Besserung nicht nachweisbar, doch wenigstens kaltgestellt ist. Und die Möglichkeit einer Besserung billigt ihm Primrose, seinen fraglos vorhandenen Grundsätzen nach, sicherlich zu.


    Ich fände es ganz spannend zu wissen, was eine schon so lange goldsmithende Literaturwissenschaft zu alledem rausgekriegt hat.
    Wo in den Weitend es Web ist die höchstens 20-seitige Zusammenfassung? :breitgrins:


    Schwankt der Roman nur hin und her zwischen Ironie und einer Ernsthaftigkeit, die dann, nach unseren Maßstäben, in Sentimentalität und Kitsch abgleitet?
    Oder ist das alles ironisch gebrochen, und ich merke es nur nicht?


    Tendiere eher zu ersterer Sicht.
    Und denk mir andererseits, ein derartig massiertes Einsetzen des deus ex machina, das muss doch ein Witz sein.
    Oder war G. einfach nur ein cleverer, aber dabei mediokrer Gebrauchsautor?

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)

  • Schwankt der Roman nur hin und her zwischen Ironie und einer Ernsthaftigkeit, die dann, nach unseren Maßstäben, in Sentimentalität und Kitsch abgleitet?
    Oder ist das alles ironisch gebrochen, und ich merke es nur nicht?


    Genau vor dieser Frage stehe ich auch nach wie vor ...


    Tendiere eher zu ersterer Sicht.


    Dito. :zwinker:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus