September 2006 - Marcel Proust

  • Hallo zusammen,


    Zitat von “Manjula“


    Die Schriftstellerkarriere des Erzählers ist momentan auf Eis gelegt, oder? Und auch sonst hat er wohl keine beruflichen Ambitionen. Nennt man so jemanden nicht einen Bonvivant?


    Bis jetzt lebt er wohl auf Kosten seiner Eltern. Ob das bereits als Lebemann durchgeht? Eigentlich finde ich ihn noch zu jung, mit zu wenig Lebenserfahrung. Aber wenn er nicht aufpasst .... ;-)


    Norpois hat ihn auch gefragt, was seine Schreiberei macht.


    S. 310.
    „Haben Sie zur Zeit irgend etwas in Arbeit?“ ... „Sie haben mir da einmal ein etwas gewundenes Werklein gezeigt, wo Sie sich mit Haarspaltereien aufhielten...“


    ob Proust auch mal gesagt bekam, er hielte sich mit Haarspaltereien auf?
    Jedenfalls hat Proust den Heuschnupfen in sein Werk mit eingebracht. Er litt ja darunter. S. 298 heißt es, dass junge Herzog von Chatellerault darunter leidet. („Das ist die Modekrankheit jetzt“ bemerkte der Archivar).


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen,


    was haltet ihr von Charlus Vorschlag an den Erzähler? Mir ist der Mann so was von unheimlich. Auch die Wahl der Kutsche ist doch seltsam. Da steckt doch was dahinter. Mir schien es, dass Charlus auf einen jungen betrunkenen Kutscher nur gewartet hatte. Da Charlus immer so erregt wirkt, könnte ich mir durchaus vorstellen, dass er ein Liebesabenteuer sucht. Oder wie nennt man es am besten? Habt ihr auch so einen Unterton verspürt oder hab ich mir das eingebildet?


    Ich bin gespannt, ob der Erzähler den Vorschlag Charlus annimmt. Hoffentlich nicht.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

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  • Hallo zusammen !


    Zitat

    Da Charlus immer so erregt wirkt, könnte ich mir durchaus vorstellen, dass er ein Liebesabenteuer sucht. Oder wie nennt man es am besten? Habt ihr auch so einen Unterton verspürt oder hab ich mir das eingebildet?


    Ja, eindeutig erotische Avancen. Nicht umsonst ist der Erzähler noch von Mme de Villeparisis gewarnt worden. Und ich vermute, dass Charlus es auf junges Fleisch abgesehen hat. Und er will ja auch noch selbst das Verdeck zumachen, tststs.


    Das mit den Laternen war entweder nur ein Vorwand oder es gab damals einen Zusammenhang, ich denke da an rote Laterne usw. Wie dem auch sei, ein schlüpfriger Wicht !


    Zitat

    Jedenfalls hat Proust den Heuschnupfen in sein Werk mit eingebracht.


    Und bei der Beschreibung der Krankheit seiner Großmutter gibt es auch viele Stellen, die wirken, als ob sie Proust selbst erlebt hat. Einmal spricht er von einem inneren, lange verschütteten Wesen. Hm, ich muss mal die Stelle raussuchen.


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen !


    Nun also die Textstelle (S. 420, suhrkamp TB 3643):


    Nun entdeckte meine Großmutter in ihrem Inneren die Gegenwart eines Geschöpfs, das den menschlichen Leib besser kannte, als meine Großmutter es tat, die Gegenwart eines Zeitgenossen verschwundener Geschlechter, eines Ureinwohners aus einem Zeitalter vor der Erschaffung des denkenden Menschen; sie verspürte, wie dieser jahrtausendealte Verbündete, ein wenig derb sogar, ihren Kopf, ihr Herz, ihren Ellbogen abtastete; er erkundete das Terrain und bereitete alles vor für den prähistorischen Kampf, der gleich darauf einsetzten sollte.


    Der Erzähler nimmt die Großmutter in den Park mit. Dort gibt es eine Wiederbegegnung mit der öffentlichen Toilette (naja, so öffentlich scheint sie nicht zu sein :breitgrins: ), wieder eine recht skurrile Szene, während der Erzähler auf seine Großmutter wartet. Und plötzlich wird man mitten in die Realität mit all ihrer Tragik hineinkatapultiert ! Eine sehr berührende, aber auch faszinierende Szene.


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen,
    Ich habe mit dem II. Teil von Guermantes begonnen.


    Steffi, die Textstelle hat mich auch berührt. Folgende passt gut dazu;
    S. 417:
    Aber Mitleid von unserem Körper zu verlangen ist, als wollten wir mit einem Kraken ein Gespräch eröffnen, für den unsere Worte nicht mehr Sinn hätten als das Geräusch des Wassers und mit dem zu stetem Zusammenleben verurteilt zu sein uns mit Grauen erfüllen würde.


    Sehr realistisch beschrieben sind auch die unterschiedlichen Behandlungsmethoden der verschiedenen Ärzte. Der Todeskampf wird nicht beschönigt, auch nicht die aufkeimenden Hoffnungen der restlichen Familienmitglieder und die darauf folgenden Enttäuschungen, weil die Hoffnung umsonst ist.


    In der Zwischenzeit weiß man so ungefähr wie die Personen reagieren. Francoise z.b. ist sehr beflissen zu helfen, doch ihre Beweggründe sind eher pragmatischer Natur (der Handwerker, die Kleideranprobe) und manchmal geht es schon ins Grausame (Haarekämmen) der Erzähler meint dazu:


    Im Leben der meisten Frauen läuft alles, selbst der größte Schmerz, schließlich auf eine Anprobe hinaus.


    Tief ins Herz treffen so kurze Aussagen wie z.B. auf S. 446 Jeder Mensch ist doch völlig allein. oder auf S. 439 Sie war noch nicht tot. ich war schon allein.


    "Guermantes" ist grandios. Ich habe manchmal die Befürchtung, dass "Guermantes" nicht mehr zu toppen ist (ich meine damit die nachfolgenden Bände).
    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

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  • Guten Morgen,


    mir gefällt „Guermantes“ auch sehr gut. Proust blickt hier angenehm bissig auf die Salongesellschaft, was mich oft zum Schmunzeln oder Lachen bringt. Z.B. folgender Ausspruch der Herzogin:


    Ich gebe zu, sie sieht nicht wie eine Kuh aus, sondern wie mehrere Kühe…ich schwöre, ich war in größter Verlegenheit, als da auf einmal eine Kuhherde mit einem Hund auf dem Kopf in meinen Salon trat.


    Und dann noch der Historiker, der auf ihre Bemerkung hin, die Besucherin habe einen Wanst wie die Königin von Schweden, erwidert, es sei doch schmeichelhaft, wie eine Königin auszusehen :breitgrins:


    Auch die Dreyfus-Affäre wird ausführlich diskutiert. Interessanterweise lässt der Erzähler keine eigene Meinung erkennen.




    Eure Beiträge motivieren mich, mal wieder in den 3. Band (evtl. als Hörbuch) in die Hand zu nehmen. Hatte ihn gar nicht so gut in Erinnerung, aber die von Euch zitierten Stellen begeistern auch mich.


    Schöne Grüße,
    Thomas


    Dann will ich noch eines nennen, das mich sehr berührt hat (Beginn Salonszene):


    Wir sind unausgesetzt darum bemüht, unser Leben zu gestalten, kopieren dabei aber unwillkürlich immer nur wie auf einer Zeichnung die Züge der Person, die wir sind, und nicht derjenigen, die wir gern sein möchten.


    Sehr scharf beobachtet, aber auch traurig, oder?


    Liebe Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • Hallo !


    Maria schrieb:

    Zitat

    "Guermantes" ist grandios. Ich habe manchmal die Befürchtung, dass "Guermantes" nicht mehr zu toppen ist (ich meine damit die nachfolgenden Bände).


    Das habe ich bei den vorigen Bänden auch schon gedacht :breitgrins: : die Leichtigkeit von Combray und die impressionistische Unbeschwertheit in Balbec. "Guermantes" ist ernster, ironischer und wie Manjula schrieb:

    Zitat

    Sehr scharf beobachtet, aber auch traurig


    Ich bin am Beginn des II. Teils - die Einteilung ist etwas konfus ... In den letzten Tagen wollte ich irgendwie nicht weiterlesen, denn es bahnt sich ja der Tod der Großmutter an und ich befürchte, es könnte ziemlich schonungslos werden. Auch die Gegenüberstellung zwischen der künstlichen Welt der Salons und der persönlichen Realität und dem Tod finde ich sehr direkt.


    Gruß von Steffi

  • Dann will ich noch eines nennen, das mich sehr berührt hat (Beginn Salonszene):


    Wir sind unausgesetzt darum bemüht, unser Leben zu gestalten, kopieren dabei aber unwillkürlich immer nur wie auf einer Zeichnung die Züge der Person, die wir sind, und nicht derjenigen, die wir gern sein möchten.


    Sehr scharf beobachtet, aber auch traurig, oder?


    Tolles Zitat. Ich bin mir nur nicht sicher, ob ich dem Inhalt zustimmen soll. Ein Zitat, welches zum Nachdenken anregt.


    Gruß, Thomas

  • Hallo zusammen,


    Steffi:

    Zitat

    Ich bin am Beginn des II. Teils - die Einteilung ist etwas konfus ... In den letzten Tagen wollte ich irgendwie nicht weiterlesen, denn es bahnt sich ja der Tod der Großmutter an und ich befürchte, es könnte ziemlich schonungslos werden. Auch die Gegenüberstellung zwischen der künstlichen Welt der Salons und der persönlichen Realität und dem Tod finde ich sehr direkt.


    ich kann gut verstehen, dass du eine Pause eingelegt hast.


    Die Tode von Emma Bovary ("Madame Bovary") und der Protagonistin (Namen vergessen) in „Am Weg“ von Herman Bang sind schon sehr realistisch dargestellt. Sie fielen mir in dem Zusammenhang ein. In diesen Romanen wird der Todeskampf der Frauen schonungslos beschrieben. Aber im großen und ganzen ist er recht kurz, wenn man es nun mit Proust vergleicht. Die Gedanken des Erzählers, seine Vergleiche, seine Beobachtungen und die Großmutter wie sie Sauerstoff bekommt, oder die Qual einer Entscheidung zwischen Medikamente, die ihre Nieren belasten oder den Schmerzen, hier zu wählen, das war wirklich hart zu lesen und so real. Wer schon einen lieben Menschen durch eine schwere Krankheit verloren hat, der findet in Proust Worte, die vieles zum Ausdruck bringen, was man im Unterbewusstsein vergraben hat.


    Liebe Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen,


    was mir während der Sterbeszenen der Großmutter auffiel war, dass plötzlich der Großvater wieder erwähnt wurde.


    Zitat von "Manjula"

    Wir sind unausgesetzt darum bemüht, unser Leben zu gestalten, kopieren dabei aber unwillkürlich immer nur wie auf einer Zeichnung die Züge der Person, die wir sind, und nicht derjenigen, die wir gern sein möchten.


    du hast recht; scharf beobachtet und traurig. Man sieht es ja auch am Verhalten der Personen in AdSndvZ, ihre "Züge" sind fast immer gleich.


    Martin Walser schrieb in "Meßmers Reisen": Vor meinem Gesicht hängt ein Gesicht, schwerer als meins.



    nach dem Tod der Großmutter war ich dann doch überrascht, wie die Geschichte weitergeht. Der Erzähler plant sein Liebesabenteuer und Albertine taucht wieder auf. Die Eltern sind ein paar Tage nicht zu Hause und das nutzt Marcel um sich mit Alix von Stermaria zu treffen. Sie kam in der "Mädchenblüte" vor, jedoch kann ich sie gerade nicht einordnen. Er lässt sich eine Nische in einem Restaurant auf der Insel im Bois für ein intimes Abendessen reservieren und nimmt sogar Albertine mit um ihren Rat zu der Essensfolge einzuholen. Ganz schön unverfroren, wenn man an die kleine Bettszene denkt, bei der Francoise störte. Was mit einigen Freiheiten für den Erzähler beginnt (die Großmutter und die Mutter sind nicht um ihn herum), wird dann sehr melancholisch oder wie Francois sagt "es ist September, die guten Tage sind vorbei". Dann kommt das Briefchen der Stermaria und ihre Absage. Der Erzähler ist erschüttert. Alles ist sehr gut erzählt, ich sah die Begebenheiten regelrecht vor mir. Überhaupt ist alles so "wagnerianisch"; die Schwaneninsel, Grotte, Nebel, Geräusche im Haus, die ihn an ein Musikstück aus Thannhäuser erinnert ....


    Im Großen und Ganzen läuft es aber mit den Frauen für Marcel nicht schlecht. Die Herzogin ist ihm nun zugeneigt, er schreibt Briefe an Gilberte, Albertine ist wieder aufgetaucht und fast hätte er ein Liebesabenteuer mit der Stermaria gehabt.


    Ich bin auf S. 550.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

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  • Hallo,


    danke für den Wellershof-Tipp, den ich tatsächlich noch nicht kannte. Meine Bibliothek umfasst mind. 50 Bände Sekundärliteratur zu Proust.


    Gruß, Thomas


    Dann interessiert Dich vielleicht auch noch aus Martin Mosebachs Essayband "Schöne Literatur" der Aufsatz "Marcel Prousts Lektüre von Tausendundeiner Nacht"


    Gruß
    g.

  • Hallo zusammen !


    Ja, wie schnell der Tod abgehakt wurde, das fand ich auch ein bißchen seltsam. Ich hätte noch seitenlange Gedanken erwartet :breitgrins:


    Der ganze Plan mit dem intimen Essen, bei dem Albertine ja noch mitplanen muss, war sehr bezeichnend. Der Erzähler wird erwachsen und arbeitet konsequent auf ein Ziel hin. Bei Alix Absage musste ich schmunzeln. Wieder eine große Hoffung dahin !


    Danach gibt es ja noch ein Abendessn mit Saint-Loup. Dieser hüpft über die Polster und die unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen werden thematisiert. Ich kann mir die vier unzertrennlichen Männer gut vorstellen und wie sie alles aufgemischt haben. Wenn man ein solches Leben gewöhnt ist, wird es sehr schwer, sich Verantwortung zu stellen.


    Und dann beginnt das Dinner bei der Herzogin, endlich ist Marcel am Ziel seiner Wünsche und in die höhere Kreise eingeführt. Und als er sich noch bei der Betrachtung der Elstir-Bilder verspätet, ist er vollends akzeptiert, da er sich nicht um Konventionen schert :zwinker: Das sind schon sehr sarkastische Beobachtungen !


    Ich bin auf S. 600.


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen,


    Proust und Kussszenen *grins* - die mit Albertine auf S. 512 ist lesenswert. Der Erzähler philosophiert über 10 Albertinen als er den Kopf zu ihr neigt und dann --- ein schlecht platzierter Kuss und die Nase ist plattgedrückt. Herrlich.


    Eine Rose am Meeresstrand - so vergleicht er Albertine, als sie aus Balbec zurück nach Paris kommt. Blühen am Meeresstrand Rosen?
    Die Metapher an sich ist jedenfalls schön, wenn er sich in seinen Betrachtungen nicht immer wieder korrigieren würde. Denn ein paar Zeilen weiter sagt er dann ......wenn meine Pahntasie sie nicht mehr vor dem Horizont des Meeres wiegte, sondern sie unbeweglich vor mir stand, wie eine recht ärmliche Rose, vor der ich gern die Augen verschlossen hätte, um nicht diesen oder jenen Makel an den Blütenblättern zu erkennen... (S. 493)


    Daneben fiel mir auf, dass der Erzähler wieder kleine neue Hinweise einstreut, die entweder für Zukünftiges von Belang ist oder sich auf die Vergangenheit bezieht. So erwähnt er, dass er in ein Duell verwickelt war. Das hat mich nun doch erstaunt. Er gibt auf diesen Hinweis aber keine weitere Erklärung. Auch äußert er sich offener über Sexualität, so zum Beispiel das Abenteuer in der Gaststätte mit dem Zimmermädchen.


    Seine Gedanken über "Freundschaften" konnte ich nicht ganz folgen, da fehlt mir das Wissen über den Zusammenhang zwischen Nietzsche und Wagner. (S. 553)


    Eine neue Gestalt wird eingeführt: Fürst von Foix, der einer Coterie von zwölf bis fünfzehn und einer engeren Gruppe von vier jungen Männern angehörte... diese haben, lt. dem Erzähler, zwei Gesichter, nämlich verschuldet bis über beide Ohren und hoffen auf eine reiche Heirat. Außer vielleicht dieser Fürst von Foix, dieser scheint reich genug zu sein. In dieser engeren Gruppe um Foix, also den vier jungen Männern, gehört auch Saint-Loup. Man nannte sie die vier Gigolos. In Schlössern erhielten sie Zimmer mit Verbindungstüren und darüber gab es Gerüchte über diverse Intimitäten. Jetzt gibt der Erzähler wieder einen kleinen Ausblick auf Zukünftiges:


    Ich konnte diese, soweit sie Saint-Loup betrafen, in aller Form dementieren. Merkwürdigerweise aber kam später heraus, daß diese Gerüchte wohl für alle vier durchaus zutrafen, doch jeder einzelne in bezug auf die drei anderen davon keine Ahnng gehabt hatte.


    Es gesellt sich ein Fünfter dazu, doch der Name wird nicht genannt. Was meint ihr wer das ist?


    Doch hielten ihn religiöse Bedenken zurück, bis er, lange nachdem sich die Gruppe der Vier aufgelöst und er selbst geheiratet hatte, ja Familienvater geworden war, als er in Lourdes darum betete, das nächste Kind möge ein Knabe oder ein Mädchen, sein, sich in der Zwischenzeit über die Soldaten hermachte.


    Können wir aus den Hinweisen bereits erahnen wer es ist? Kann ja sein, dass ich etwas übersehen oder bereits wieder vergessen habe.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

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  • Tolles Zitat. Ich bin mir nur nicht sicher, ob ich dem Inhalt zustimmen soll. Ein Zitat, welches zum Nachdenken anregt.


    Gruß, Thomas


    Hallo zusammen,


    ja, da bin ich mir auch nicht sicher...Wenn das Wort "immer" durch "meistens" ersetzt würde, hätte der Satz meine Zustimmung, denn wie oft versucht man, sich von typischen Verhaltensweisen zu lösen und schafft es doch nicht. Aber ab und zu bringt man es ja doch fertig, über den eigenen Schatten zu springen, deshalb finde ich die Aussage in dieser absoluten Form zu hart.


    Ich habe nun auch den Tod der Großmutter hinter mir. Wie Ihr empfand ich die Schilderung, gemessen an Prousts sonstiger Ausführlichkeit, recht kurz. Hat mich aber trotzdem sehr berührt. Besonders am Ende, als geschildert wird, dass die Großmutter im Tod wieder jung wird und alles Elend ihres Alters abschüttelt:


    Zitat

    Auf dies letzte Lager hatte der Tod sie wie ein Bildhauer des Mittelalters mit den Zügen des jungen Mädchens hingestreckt, das sie einst gewesen war.


    Ob Proust hier wohl nicht nur die sichtbare äußere Hülle, sondern auch die Erinnerungen an Tote meint? Zu Lebzeiten hat man als Bild einer Person ja immer vor Augen, wie sie momentan ist (z.B. alt und hinfällig). Nach dem Tod entsteht das Bild aber doch aus den gesamten Erinnerungen, auch aus früheren Zeiten. Wenn ich an meine verstorbenen Großeltern denke, habe ich (außer bei meinem Opa, der früh gestorben ist), nicht den alten, kranken , sondern eher den noch fitten, aktiven Menschen vor Augen.


    Was ich sehr heftig fand, war Saint-Loups Brief, in dem er ja schreibt, er will den Erzähler schonen, aber dann ganz schöne Geschütze auffährt. Natürlich aus Eifersucht! Lustig war sein Kommentar über Odette, der er nicht vorgestellt werden will, weil sie eine ehemalige Hure ist. Tja, sein Schätzchen ist nicht mal ehemalig :zwinker: Zum Schmunzeln hat mich auch der Fürst von Faffenheim-Münsterburg-Weiningen gebracht, das muss ja für Franzosen der reinste Zungenbrecher sein.


    JMaria: über das Duell bin ich auch gestolpert. Es scheint ja so gar nicht zum Erzähler zu passen.


    Zum Schluss noch ein Zitat, das mir wieder zu Denken gibt:


    Zitat

    Vor allem aber drückte sich, wie oft die Schriftsteller, wenn sie durch die Tyrannei eines Monarchen oder einer Poetik, durch die Strenge der prosodischen Regeln oder die einer Staatsreligion geknebelt sind, zu einer Macht der Konzentration gelangen, die sie unter der Herrschaft einer freiheitlichen politischen Richtung oder literarischen Anarchie gar nicht nötig gehabt hätten, ...


    Brillante Literatur ist also im Zustand der Unterdrückung oder Einschränkung eher zu erwarten als unter "freien" Bedingungen? Lässt sich auf Anhieb nicht leicht widerlegen. Proust hatte dabei sicher auch seine eigenen krankheitsbedingten Einschränkungen im Blickwinkel.


    Eine Frage noch: Albertine erwähnt (in der "Bettszene") das Wort "Musmeh". Leider habe ich keine Ahnung, was das bedeutet - könnt Ihr mir weiterhelfen?


    Viele liebe Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

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  • Hallo !


    Zitat

    Nach dem Tod entsteht das Bild aber doch aus den gesamten Erinnerungen, auch aus früheren Zeiten.


    Ja, das ist ein guter Gedanke und ich denke, auch das, das Proust ausdrücken wollte. Zumindest habe ich es so verstanden.


    Zitat

    Eine Frage noch: Albertine erwähnt (in der "Bettszene") das Wort "Musmeh".


    Bei meiner Übersetzung heißt es "Musmi" ( Suhrkamp st 3643) und dazu im Kommentar: Um die Jahrhundertwende geläufige, aus dem Japanischen übernommene Bezeichnung für Tänzerin oder Freudenmädchen.


    Dass Albertine das in dieser Szene sagt, deutet für mich entweder darauf hin, dass sie völlig naiv oder sehr überheblich ist.


    Zitat

    Brillante Literatur ist also im Zustand der Unterdrückung oder Einschränkung eher zu erwarten als unter "freien" Bedingungen?


    Vielleicht auch eine Anspielung auf Zola und sein "J'accuse" im Zusammenhang mit der Dreyfus-Affäre ?


    Bei der Beschreibung des Verhaltens der Guermantes (S.611) bin ich auf folgenden Satz gestoßen:
    Doch in dem Augenblick, da jemand, wie es bei mir der Fall war, möglicherweise dem Milieu der Guermantes angegliedert werden konnte, bot diese Höflichkeit Schätze schlichter Gastklichkeit dar ...
    Wie kommt nun der Erzähler darauf, dass er zum Kreis der Guermantes gehören könnte ? Wunschdenken ? Sicherlich kann er doch aufgrund diese Einladung noch nicht ernsthaft daran denken, dazuzugehören ?


    Die folgenden Seiten triefen geradezu vor Snobismus - herrlich, wie sich die Guermantes darstellen. Und obwohl der Erzähler das alles sehr genießt, gibt es ja immer wieder auch Kritik. Vorallem Monsieur de Guermantes wird recht unsympathisch dargestellt, vielleicht wegen seiner etlichen Geliebten ?


    JMaria schrieb:

    Zitat

    Können wir aus den Hinweisen bereits erahnen wer es ist?


    Denkst du an Charlus ? Er wäre der einzige, der mir einfällt, aber er dürfte wohl zu alt sein ? Sonst ist mir auch bicher niemand eingefallen.


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen,


    Zitat

    Bei der Beschreibung des Verhaltens der Guermantes (S.611) bin ich auf folgenden Satz gestoßen:
    Doch in dem Augenblick, da jemand, wie es bei mir der Fall war, möglicherweise dem Milieu der Guermantes angegliedert werden konnte, bot diese Höflichkeit Schätze schlichter Gastklichkeit dar ...
    Wie kommt nun der Erzähler darauf, dass er zum Kreis der Guermantes gehören könnte ? Wunschdenken ? Sicherlich kann er doch aufgrund diese Einladung noch nicht ernsthaft daran denken, dazuzugehören ?


    Auf mich wirkt dieser Abend wie eine Traumfrequenz. Es beginnt mit dem Betrachten der Bilder Elstir, wobei der Erzähler die Zeit vergisst und die anderen auf ihn mit dem Essen warten. Er wandelt durch die Abendgesellschaft; wird den anderen vorgestellt; Türen gehen auf; das Essen wird serviert; Szenen wie in einem Marionettentheater. Ich denke, es ist Wunschdenken von ihm.


    Zitat

    Können wir aus den Hinweisen bereits erahnen wer es ist?


    Denkst du an Charlus ? Er wäre der einzige, der mir einfällt, aber er dürfte wohl zu alt sein ? Sonst ist mir auch bicher niemand eingefallen.


    Ich wollte mich nur vergewissern, ob mir nicht etwas entgangen ist. Charlus - kann ich mir nicht vorstellen. Dann lassen wir uns mal überraschen. Die Antwort gibt das Werk bestimmt irgendwann her.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen,


    während des Abendessens gibt es vom Erzähler eine detaillierte Charakterstudie der Guermantes. Das geht über Seiten und wird beleuchtet und kritisiert im Spiegel der Literatur und der Politik, wenn ich das recht verstanden habe. War etwas ermüdend zu lesen.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)