Mai 2007 - Rabelais: Gargantua und Pantagruel

  • Genau genommen kenne ich abseits der Avantgarde des 20. Jahrhunderts (Dadaismus, Wiener Gruppe!) nichts Vergleichbares. Ihr?


    Nein. Du hast ja, glaube ich, schon einmal den Vergleich mit Joyce gebracht. Das Spiel mit der Sprache ist offenbar für Rabelais sehr wichtig gewesen. Er soll ja auch, obwohl die nicht überliefert sind, Bücher "auf Toskanisch" veröffentlicht haben bei seinem Italienaufenthalt.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,


    ich habe gestern den ersten Teil abgeschlossen. Die ausführliche Beschreibung von Gargantuas Kloster gegen Ende und das anschließende Rätsel fand ich etwas langatmig, aber ich vermute der Autor wolte sich hiermit - kurz nach der Reformation - für religiöse Toleranz einsetzen, gerade in Frankreich mit der damals sehr angespannten Situation zwischen Calvinisten und Katholiken war das zu diesem Zeitpunkt sicherlich mutig von ihm.


    Viele Grüße,
    Zola

  • Hallo Zola,


    Die ausführliche Beschreibung von Gargantuas Kloster gegen Ende und das anschließende Rätsel fand ich etwas langatmig, aber ich vermute der Autor wolte sich hiermit - kurz nach der Reformation - für religiöse Toleranz einsetzen, gerade in Frankreich mit der damals sehr angespannten Situation zwischen Calvinisten und Katholiken war das zu diesem Zeitpunkt sicherlich mutig von ihm.


    Für religiöse Toleranz? Das kann ich mir nicht vorstellen, sein "Kloster" hat meiner Meinung nach überhaupt nichts mit dem Klerus zu tun, im Gegenteil, es ist eine Absage an die kirchliche Institution und eine Befürwortung der Säkularisation.


    liebe Grüße
    donna


  • Hallo Zola,


    Für religiöse Toleranz? Das kann ich mir nicht vorstellen, sein "Kloster" hat meiner Meinung nach überhaupt nichts mit dem Klerus zu tun, im Gegenteil, es ist eine Absage an die kirchliche Institution und eine Befürwortung der Säkularisation.


    Ich hatte sowieso eigentlich eher den Eindruck, dass es sich hier um eine Art Internat, ein Bildungsinstitut handelte, das nur faute de mieux den Namen "Kloster" erhalten hat.


    Rabelais' Haltung im sich anbahnenden Konflikt zwischen den Konfessionen hat, soweit ich ich es verstehe, weniger etwas von Toleranz und Vermittlung zwischen den Positionen an sich, nicht einmal von "Waffenstillstand", sondern Rabelais war wohl eher in einen Zweifrontenkrieg verwickelt. Seine Ausfälle gegen Sorbonne und Papst einerseits, Calvin andererseits - die entsprechenden Repliken ... Es erinnert mich am ehesten an Erasmus' Versuch, eine eigenständige Position zu halten. An diesen Humanisten hat sich Rabelais offenbar auch stark angelehnt. Doch sebst Erasmus, der mir bedeutend weniger streitsüchtig gewesen zu sein scheint als Rabelais, konnte es letzten Endes dann beiden Seiten nicht recht machen ...

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  • Es erinnert mich am ehesten an Erasmus' Versuch, eine eigenständige Position zu halten. An diesen Humanisten hat sich Rabelais offenbar auch stark angelehnt.


    Für diese Anlehnung sprechen auch die affirmativen Stellen zum Bildungsthema, die ja doch sehr dieses humanistische Bildungsideal vertreten.


    Meine Lesepause wird sich übrigens dadurch verlängern, dass ich das nächste verlängerte Wochenende in München verbringen werde. Habe mich spontan entschieden, nicht nur den Pinakotheken wieder einmal einen Besuch abzustatten.


    CK

  • Hallo zusammen,



    Hallo Zola,


    Für religiöse Toleranz? Das kann ich mir nicht vorstellen, sein "Kloster" hat meiner Meinung nach überhaupt nichts mit dem Klerus zu tun, im Gegenteil, es ist eine Absage an die kirchliche Institution und eine Befürwortung der Säkularisation.


    Stand die Säkularisation damals überhaupt schon zur Debatte?
    Ich ließ mich in meiner Interpretation der Kloster-Kapitel auch von Gargantuas Aussage zur Verfolgung der Protestanten nach dem Rätsel am Ende des 1. Buchs beeinflussen.


    Die Geburt Pantagruels (im 2. Buch) beginnt mit einem Spott auf den Stammbaum Jesu zu Beginn des Matthäus-Evangeliums. Dafür dass Rabelais Theologe war, fallen mir in dem Roman auch erstaunlich wenige größere Anspielungen auf die Bibel auf.


    Viele Grüße,
    Zola

  • Hallo Zola,



    Stand die Säkularisation damals überhaupt schon zur Debatte?


    Nein, ich bin rund 100 Jahre zu früh um über die Säkularisation debattieren zu wollen...
    Diese wurde erst am Ende des Dreißigjährigen Krieges thematisiert.


    liebe Grüße
    donna

  • So. Le Quart Livre ist auch beendet. Aber wie gesagt, ich warte jetzt mit Posten, bis Ihr weiter seid. Nur so viel: Rabelais bringt es noch in jedem Buch zustande, die Erwartungshaltung des Lesers zu enttäuschen. Was er aus Panurge im Quart Livre gemacht hat .... :entsetzt:

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  • Enttäuschen im negativen oder positiven (also überraschen) Sinn?


    Beides wohl. Negativ, weil ich mir wie jeder Leser natürlich eine Kontinuität des Charakters wünsche, oder eine Erklärung für allfällige Brüche. Positiv, weil ich es durchaus schätze, wenn mir Unvorhergesehenes präsentiert wird.

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  • Hallo zusammen,


    ich bin jetzt im 15. Kapitel des zweiten Buchs. Das zweite Buch finde ich bisher erheblich lustiger und kurzweliger als das erste. Die Gerichtsverhandlung ist eine sehr schöne Satire und Panurge mit seinen Münchhausen-Geschichten eine schöne Bereicherung. Hat es sich also gelohnt durchzuhalten :zwinker:


    Viele Grüße,
    Zola

  • Hat er den Pantagruel später nochmals überarbeitet? Mir sind doch einige inhaltliche Verweise auf den Gargantua aufgefallen.


    Einerseits: Ja, er hat Pantagruel bei jeder neuen Auflage noch überarbeitet und erweitert. Wenn ich mich recht erinnere (ich müsste jetzt den Anhang in meiner Ausgabe nochmals durchforsten), hat er auch Verweise auf seinen später entstandenen Gargantua eingebaut. Andererseits gab es bereits vor Rabelais' Gargantua ein Volksbuch mit einem gleichnamigen Riesen, angesiedelt im weiteren Umkreis der Artus-Sage. Auch auf dieses nimmt Rabelais Bezug.

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  • Hallo zusammen,


    sandhofer: vielen Dank für die Info.


    Das Buch gefällt mir immer besser, die Disputaton - zu der Zeit wurden ja die wohl bekanntesten im theologischen Bereich geführt - ist auch zum Schießen. Ich habe früher ziemlich viel Frank Zappa gehört. Ich sehe da gerade immer mehr Parallelen :smile:
    Wie sich Panurge im 9. Kapitel in den unterschiedlichsten Sprachen vorstellte, fand ich auch sehr beeindruckend. Mit den Kenntnisse auch teilweise exotischer Sprachen hat der Autor mal wieder kurz auf seine hohe Bildung hingewiesen um dann die nächsten drei Kapitel (die Gerichtsverhandlung) nur Nonsens zu schreiben.


    Viele Grüße,
    Zola

  • Hallo zusammen!


    Eine Frage, an die, die auf Deutsch lesen: Rabelais veröffentlichte den Gargantua unter dem Pseudonym M. Alcofribas, abstracteur de quinte essence. Wie ist dieses abstracteur auf Deutsch wiedergegeben?


    Grüsse


    sandhofer

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  • Hallo. Da mir diese Leserunde so sehr gefallen hat, daß ich das Büchlein kaufte, kann ich 'Zaungast' dir auch die Frage beantworten. Bei Reclam heißt es:


    »Verfaßt von Alcofribas Nasier, Abstraktor der Quintessenz.«

  • Hallo zusammen,


    ich habe das zweite Buch heute fertiggelesen. Wie ich bereits schrieb, gefällt es mir viel besser als das erste Buch, es ist viel kurzweiliger, lustiger und die Abenteuer die erzählt und erlebt werden, erinnerten mich stellenweise an Lukians Wahre Geschichten, eine direkte parallele sehe ich z.B. in Lukians Beschreibung menschlicher (und andererer) Siedlungen im Bauch eines Wals und Rabelais' Schilderung von Dörfern und Städten im Körper Pantagruels.
    In einer Woche beginnt die Leserunde zu Brechts Flüchtlingsgesprächen, bis dahin plane ich noch das dritte Buch zu lesen.


    Ich habe heute abend nochmals Voltaires Aus den Briefen an seine Hoheit Monseigneur le Prince de ... über Rabelais sowie andere Autoren, die man bezichtigt, sie hätten die christliche Religion verunglimpft gelesen, seine Auslegung von Gargantua und Pantagruel ist interessant, ich frage mich nur ob er sie - vor allem die Deutung wer welcher König sein sollte - ernst meinte.


    viele Grüße,
    Zola

  • Hallo!


    Buch 5 ist ebenfalls fertig gelesen; ich schweife nun durch die Anhänge.


    [...] die Abenteuer die erzählt und erlebt werden, erinnerten mich stellenweise an Lukians Wahre Geschichten, eine direkte parallele sehe ich z.B. in Lukians Beschreibung menschlicher (und andererer) Siedlungen im Bauch eines Wals und Rabelais' Schilderung von Dörfern und Städten im Körper Pantagruels.


    Lukian war in einigem Rabelais' Vorbild bzw. Anregung, das stimmt.


    Grüsse


    sandhofer

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  • Hallo allerseits!


    Nach längerer Unterbrechung nun beim zweiten Buch bis zum 16. Kapitel weitergelesen. Meine Begeisterung hält sich in engen Grenzen, Panurge langweilt mich, Kapitel 16 mutet wie eine kindische Aufzählung von Pennälerstreichen an (ich hab es mit 11 Jahren auch originell gefunden, dem Religionslehrer mit Kreide ein Herz auf den Rock zu malen). Kapitel 15 ähnlich, die Geschichte vom Fuchs und der alten Frau nebst hochgeschobenen Rock ist bloß zum Gähnen.


    Mittlerweile les ich eigentlich nur noch aus literaturhistorischem Interesse, begleite die Lektüre mit kulturgeschichtlichen Büchern zur in Frage stehenden Zeit und bessere meine historischen Kenntnisse des 16. Jahrhunderts auf. R. dient als Anlass für die Beschäftigung mit anderer, verwandter Literatur, er ist, weil kulturgeschichtlich einflussreich, in dieser Hinsicht von Interesse. Das Werk selbst, hätte es diese Bedeutung nicht, würde ich weggelegt haben, das Geschriebene an sich bereitet mir wenig Vergnügen.


    Grüße


    s.