September 2006 - Marcel Proust

  • Hallo zusammen,
    hallo Manjula



    Marcels Loslösung von Gilberte gefällt Euch nicht so, oder? Komisch, mich hat sein langsames Weggleiten von ihr gefesselt.


    nicht gefallen, kann man so nicht sagen. So im nachhinein begreife ich die Gefühle und die Reflexionen etwas besser. In "Combray" dachte ich, ich weiß (ungefähr) was Marcel Proust ausdrücken möchte. In der "Mädchenblüte" haben mich die Ähnlichkeiten der Situationen überrascht und verwirrt. Ich konnte dem Erzähler nicht so recht folgen.


    Aber bei Proust ist es nun mal so, dass man ihn nicht einfach weglegt. Ich denke viel darüber nach und so langsam erschließt sich mir seine Gedankenwelt, oder ich meine es zumindest.


    Ich verstehe nun, dass es Proust weniger um Handlung geht, als um das Wiederkehrende, das Reflektieren darüber, manchmal bevor eine Begebenheit geschieht, oder unbewußt wenn etwas geschieht, oder auch erst nach Tagen danach.


    Denn wenn er einen Augenblick nicht reflektiert, ist dieser Augenblick vergessen. Eigentlich gibt es dann diesen Augenblick nicht, obwohl es ihn gab. Also nur durch die Reflektion, das Erinnern und das Analysieren lebt dieser Moment. (Oweh - ich hoffe, ihr könnt meinen Gedankengängen folgen).


    Auch dass die Personen nicht wie in herkömmlichen Romanen beschrieben werden, hat mir Probleme bereitet, bis ich kapierte, dass es garnicht anders geht. Der Erzähler wächst sozusagen im Roman heran und so verändert er sich und auch seine Sichtweise zu den Personen. Alles verändert sich und somit kann eine Person garnicht im herkömmlichen Sinne beschrieben werden.


    Manche Szenen kommen mir trotzdem ausschweifend vor und manche Gedankengänge kann ich nicht nachvollziehen. Doch ich begreife mehr.


    Vielleicht bin ich ja auch ein Spätzünder was das Verstehen anbelangt.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen,



    Immer mal wieder lässt mich das Buch auch schmunzeln, z.B. als Madame Cottard gern einmal telefonieren möchte, aber keinen eigenen Apparat besitzen, denn "wenn das erste Vergnügen vorbei ist, wird das Gebimmel wahrscheinlich bald zur Qual." Wie wahr!


    Ich liebe diese humorvollen Stellen, sie sind so fein ausgeprägt. Mir gefällt dazu die Szene ein, als der Erzähler erwähnt, dass er Jahre nach der Kutschenfahrt in Balbec, wieder in einer Kutsche saß, allerdings war das in Paris und eine Frau bemerkte, die mit eiligen Schritten durch die Dunkelheit ging. Der sprang aus der Kutsche und, alle Schicklichkeitsgründe zum Trotz, dem Glück hinterher um dann am Ende vor der alten Madame Verdurin zu stehen, "Oh! Wie liebenswürdig von Ihnen, daß Sie so gelaufen sind, nur um mir guten Tag zu sagen."


    Hier noch ein Auszug aus der Fußnote zu den drei Bäumen am Weg von Hudimesnil:
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    Als dritte Begegnungsszene (nach der mit Efeu überwachsenen Kirche und dem Fischermädchen) folgt die Episode der drei Bäume am Weg von Hudimesnil: Wie in der Naturekstase angesichts der Kirchtürme von Martinville und wie in der durch den feucht-modrigen Geruch in einer Klosettanlage ausgelösten Erinnerungsekstase wird Marcel beim Anblick der drei Bäume ein weiteres Mal in jenen Zustand versetzt, in dem er sich der Welt entrückt und dem Wesen der Dinge - und damit seiner eigentichen Bestimmung - nahe fühlt. Selbstverständlich bringt der Leser die drei Bäume auch mit der Madeleine in Beziehung, einem Erlebnis, das dem Romanhelden noch bevorsteht. ... Für den Helden und den Erzähler bleiben die drei Bäume ein Geheimnis, für den Autor aber und damit für den Leser sind sie ein weiteres Signal für das Thema Malerei. Mit ihnen schreibt Proust ein zentrales Motiv der Landschaftsmalerei in seinen Text ein. Vgl. z.B. Dürers Zeichnung "Drei Lindenbäume"... oder Rembrandts oft kopierte Radierung "Drei Bäume", ...
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    Zu dem Fischermädchen gibt es folgende Fußnote:


    Die folgende Begegnung mit dem schönen Fischermädchen steht parallel zu der Betrachtung der Kirche. Daß sie von "Erfolg" (einem schlecht und recht verschlüsselten Orgasmus) gekrönt ist, zeugt von der oberflächlichen, im Mondänen befangenen Verfassung des Romanhelden, wird doch dieser Erfolg durch die Wörter "Marquise" und "deux chevaux" herbeigeführt.


    --------------------------


    Ich dachte, das interessiert euch vielleicht.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen,



    Ich bin nun an der Stelle, wo der Erzähler auf Saint-Loup trifft. Zuerst, wie auch anders, malt er sich bereits vor der Begegnung eine wunderbare Beziehung aus und dann ist das erste Treffen doch mehr als niederschmetternd *g*
    Zwischen beiden scheint mir eine gewisse Diskrepanz zu herrschen - der Erzähler möchte wohl gerne so sein wie Saint -Loup, aber dann doch wieder nicht. Für mich ist das auch wieder ein Abschied seiner Kindheit, wo man noch so sein darf, wie man ist und sich nicht als gekünstelte Figur darstellen muss. Ich bin gespannt, wie sich dieses Dilemma löst - ob der Erzähler weiterhin er selbst bleibt oder sich mehr Richtung Saint-Loup bewegt.


    ich habe den Eindruck, der Erzähler bleibt er selbst, jedoch wirkt er erwachsener. Er beobachtet sehr genau das Verhalten Saint-Loup. Interessant fand ich, dass herauskam, dass Saint-Loup Republikaner ist, kein Royalist, wie man vielleicht erwarten könnte. Kurz darauf erscheint eine weitere Person, Monsieur de Charlus, den er zuerst als Ganove einschätzte *grins*.


    Was ich nicht verstand ist diese Szene:
    de Charlus erzählt von einer seiner früheren Wohnsitze, das nun der Bankiersfamilie Israel gehörte. Dann heißt es:


    In diesem Moment bemerkte er, daß das bestickte Tuch in seiner Brusttasche mit seinem farbigen Rand hervorschaute, und ließ es rasch ganz darin verschwinden mit der erschreckten Miene einer schmahften, aber nicht unschuldigen Frau, die Reize verbirgt, die sie aufgrund übertriebener Skrupel für ärgerniserregend hält.


    was hat es wohl mit dem bestickten Tuch mit seinem farbigen Rand für eine Bewandnis?


    Ich habe zurückgeblättert um zu schauen, ob ich etwas überlesen habe, doch ich finde keine Begebenheit mit einem bestickten Tuch. Ist es vielleicht ein Hinweis, dass de Charlus männlich gelten möchte und dieses Tuch zeigt eine andere Seite von ihm?


    Ein paar Seiten vorher gibt de Charlus nämlich bekannt, was er über die jungen Männer denkt:


    "Sie sind wahrhaftige Weiber".


    de Charlus kommt mir vor, als ob er zwei Gesichter hat. Er läd die Großmutter und den Erzähler ein, und dann tut er so, als ob es deren Idee gewesen ist. Er klopft an die Hotelzimmertür des Erzählers und bringt ihm ein Buch von Bergotte, tigert in dem Zimmer aufgeregt hin und her, verabschiedet sich dann. Jedoch am nächsten Tag fordert er das Buch zurück und gibt sich auch noch ordinär:


    Aber dieser kleine Schlingel pfeift ja auf seine alte Großmama, nicht wahr?"


    Sehr seltsam. Hatte de Charlus vielleicht, als er von Saint-Loup erfuhr, dass der Erzähler Einschlafprobleme hat, die noch aus seiner Kindheit stammten, unlautere Gedanken und traf den Erzähler stabiler an, als erwartet?


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Guten Morgen !



    was hat es wohl mit dem bestickten Tuch mit seinem farbigen Rand für eine Bewandnis?


    Ich habe zurückgeblättert um zu schauen, ob ich etwas überlesen habe, doch ich finde keine Begebenheit mit einem bestickten Tuch. Ist es vielleicht ein Hinweis, dass de Charlus männlich gelten möchte und dieses Tuch zeigt eine andere Seite von ihm?


    Ich bin überzeugt, dass Charlus homosexuell ist. Bereits vor (?) seinem Auftritt beschreibt Proust Frauen und Liebe und seine Avancen sind doch eindeutig, oder ? Das bestickte Tuch werte ich auch als einen Hinweis auf diese andere Seite. Und der Auftritt am Abend ebenso.


    Mit den Blochs und dem dortigen Abendessen kommt wieder die jüdische Komponente ins Spiel. Interessant, dass in den angesagten Clubs keine Juden zugelassen worden sind. Ich bin mir nur nicht so ganz klar, welche Position nun der Erzähler bzw. Proust einnimmt. Wurde euch das deutlich ? Oder bezieht er absichtlich keine Position ?


    Zitat

    Zu dem Fischermädchen gibt es folgende Fußnote:


    Die folgende Begegnung mit dem schönen Fischermädchen steht parallel zu der Betrachtung der Kirche. Daß sie von "Erfolg" (einem schlecht und recht verschlüsselten Orgasmus) gekrönt ist, zeugt von der oberflächlichen, im Mondänen befangenen Verfassung des Romanhelden, wird doch dieser Erfolg durch die Wörter "Marquise" und "deux chevaux" herbeigeführt.


    Tststs, ist mir da was entgangen ?? :zwinker:


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen,



    Mit den Blochs und dem dortigen Abendessen kommt wieder die jüdische Komponente ins Spiel. Interessant, dass in den angesagten Clubs keine Juden zugelassen worden sind. Ich bin mir nur nicht so ganz klar, welche Position nun der Erzähler bzw. Proust einnimmt. Wurde euch das deutlich ? Oder bezieht er absichtlich keine Position ?


    Ich habe im Proust-ABC nachgeschaut und folgendes gefunden:


    Auszug:
    Proust Herkunft könnte widersprüchlicher nicht sein: Seine Mutter entstammt zwei angesehenen Familien aus dem jüdischen Großbürgertum von Paris.....


    Im Roman schlägt sich der soziale Kontrast darin nieder, daß Proust eine stabile, bodenständige, aber auch engstirnige und arrogante Welt Combrays ... einer sozial mobilen, kultivierten, aber ebenso intriganten Welt in Paris entgegensetzt. Weder Vater noch Mutter Prousts waren im Alltag religiös aktiv, so daß kein religiöser oder kultureller Konflikt innerhalb der Familie entstand, dennoch wuchs schon der kleine Marcel Proust im Bewußtsein seiner jüdischen Herkunft auf, .....


    Die zwiespältige Haltung von Prousts Romanfiguren zum Judentum, die vom offenen Antisemitismus bis zum Zionismus reicht, spiegelt die Ansichten der gleichermaßen kulturinteressierten wie vorurteilsbeladenen, weltoffenen wie elitär-geschlossenen Gesellschaft, in der er sich bewegte.


    Wenn in der Vergangenheit und auch in der neueren Forschung dem Juden Proust immer wieder sein latenter Antisemitismus vorgeworfen wird beziehungsweise eine Verdrängung der jüdischen Tradition, so muß man dahingehend differenzieren, daß Proust nicht mit seinem Erzähler identisch ist und bei diesem wiederum Faszination und Vorurteil, Auseinandersetzung und Verdrängung sich die Waage halten.


    Auszug_Ende


    In diesem Zusammenhang ist nochmals erwähnenswert, dass Proust aus der Mutter des Erzählers eine Christin gemacht hat, den Vater jedoch mit "Abraham" verglich. Erinnert ihr euch noch an die Zubettgeh-Szene in "Combray"?


    In Swann dagegen mischt sich ebenfalls Prousts eigene Abstammung. Von Swann wird gesagt, dass seine Mutter eine Jüdin ist, sein Vater dageben ein Katholik.


    zu Bloch wird im Proust-ABC gesagt:
    In Bloch porträtiert er aus hier deutlich antisemitscher Perspektive unbarmherzig eine Figur, die für ihn alle negativen Eigenschaften des Judentums zu verkörpern scheint.... Betrachtet man die Beschreibungen jedoch nur ein wenig genauer, so stellt sich heraus, daß Proust hier in den Juden Balbecs der "feinen Gesellschaft", einschließlich des Erzählers, einen irritierenden Spiegel vorhält: Hauptmerkmal und Stein des Anstoßes bei den Juden in Balbec ist nämlich nicht ihre eigene Fremdartigkeit, sondern gerade ihre respektlose und übertriebene Imitation von Elementen der sie umgegebenden Kultur - bis hin zur Übernahme von deren Antisemitismus.


    ich stelle fest, dass mir einiges beim Lesen nicht klargeworden ist. Die gesamte Verkleidungsaktionen der Schwestern Blochs oder die seltsamen Reden Blochs, als er Saint-Loup als den göttlichen Helden mit den hurtigen Wurfspeeren vorstellt.


    Da steckt viel mehr drin als ich es sehen kann.
    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo Maria !


    Danke für deine Ausführungen ! Ich sehe schon, es ist nicht so einfach und vielleicht auch gar nicht gewollt, den Autor auf eine Position festzunageln. Das zeigt mir wieder, wie herrlich und differenziert Proust ist, auch seine persönliche Distanz zu dem Erzähler und gleichzeitig hat er soch auch eine große Intimität. Mir kommt es oft vor, dass ich durch die Augen des Erzählers, durch die Augen Prousts und durch meine Augen alles gleichzeitig sehe. Dabei ist man dann gezwungen, altbewährte Leseweisen zu verlassen. Faszinierend !


    Zitat

    ich stelle fest, dass mir einiges beim Lesen nicht klargeworden ist. Die gesamte Verkleidungsaktionen der Schwestern Blochs oder die seltsamen Reden Blochs, als er Saint-Loup als den göttlichen Helden mit den hurtigen Wurfspeeren vorstellt.


    Das habe ich auch nicht verstanden und ich denke, man könnte und würde beim wiederholten Lesen manches verstehen und viel neues entdecken. Somit wäre Proust ein Buch für eine einsame Insel (wenn man nur eines mitnehmen könnte).
    :breitgrins:


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen,


    so, Saint-Loup und Charlus sind mir nun auch begegnet. Zwei Charaktere, die eine interessante Entwicklung versprechen, finde ich.


    Wie Saint-Loup eingeführt wurde, nämlich als allererstes in der Gedankenwelt des Erzählers, der sich hier wieder "zu schöne" Vorstellungen macht und prompt enttäuscht wird, war wieder sehr typisch. Wieder die Eigenheit des Erzählers, sich so in seiner sehr ausgeprägte Phantasie zu verlieren, dass er sie für bare Münze nimmt; die Wirklichkeit kann da natürlich nie mithalten. Andererseits bedeutet dies immerhin auch, dass Saint-Loup nicht dem Tode nah ist, was der Erzähler ja aufgrund seiner Liebesgeschichte vermutet hatte :zwinker:


    Charlus ist für mich noch etwas undurchsichtig. Auch die Szene mit dem bestickten Tuch - sollte das ein Geheimzeichen für Homosexualität sein (so wie der berüchtigte einzelne Ohrring)? Ich muss mir die Stellen, in denen er auftritt, heute abend noch einmal genau durchlesen.


    Ebenso die Stelle mit dem Fischermädchen. Für mich war der "Erfolg" offensichtlich zu gut verschlüsselt :zwinker: Vielen Dank für den Hinweis, JMaria! Auch Deine Infos bzgl. Prousts widersprüchlicher Herkunft sind sehr interessant; ich fand es irritierend, dass Bloch antisemitische Äußerungen von sich gibt, obwohl er selbst Jude ist. Aber so erklärt es sich etwas. Das gemeinsame Lesen ist bei diesem Buch wirklich sehr hilfreich! Abgesehen davon, dass es so mehr Spass macht.


    Zitat

    Ich verstehe nun, dass es Proust weniger um Handlung geht, als um das Wiederkehrende, das Reflektieren darüber, manchmal bevor eine Begebenheit geschieht, oder unbewußt wenn etwas geschieht, oder auch erst nach Tagen danach.


    Denn wenn er einen Augenblick nicht reflektiert, ist dieser Augenblick vergessen. Eigentlich gibt es dann diesen Augenblick nicht, obwohl es ihn gab. Also nur durch die Reflektion, das Erinnern und das Analysieren lebt dieser Moment. (Oweh - ich hoffe, ihr könnt meinen Gedankengängen folgen).


    Auch dass die Personen nicht wie in herkömmlichen Romanen beschrieben werden, hat mir Probleme bereitet, bis ich kapierte, dass es garnicht anders geht. Der Erzähler wächst sozusagen im Roman heran und so verändert er sich und auch seine Sichtweise zu den Personen. Alles verändert sich und somit kann eine Person garnicht im herkömmlichen Sinne beschrieben werden.


    Sehr schön ausgedrückt. M.E. trifft das die Idee des Romans genau.


    Liebe Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • Hallo zusammen !


    Zitat

    so, Saint-Loup und Charlus sind mir nun auch begegnet. Zwei Charaktere, die eine interessante Entwicklung versprechen, finde ich.


    Ja, ich bin auch schon auf weiteres gespannt !


    Der Erzähler sieht nun zum ersten Mal die Schar junger Mädchen, er findet sie eigentlich recht vulgär aber ist trotzdem zu ihnen hingezogen. Natürlich kommen ihm gleich wieder allerle Gedanken, z.B. dass man die Welt nur aus seiner persönlichen Sicht sieht und wie es wäre, wenn eines der Mädchen auch ihn wahrnehmen und aus ihrer persönlichen Sicht sehen würde. Es entstünde eine Verbindung, die etwas ganz besonderes und einzigartiges wäre (ich nenn es mal Liebe !?). Diese Beschreibung fand ich ganz wunderbar, so leicht hat Proust das hingeworfen und doch erkennt man durch die farbige Schilderung der Mädchenschar die Kraft, die dahintersteckt.


    Natürlich ist diese Beschreibung der Mädchen an der Strandpromenade so, als wäre das alles gerade einem impressionistischen Bild entsprungen und ich bin beeindruckt, wie es Proust gelingt, diese Szene so indirekt zu schildern, also so, dass der Eindruck mehr im Kopf des Lesers entsteht. Was ja auch ein Merkmal des Impressionismus war, durch die Farben ein Gefühl oder Eindruck im Kopf des Betrachters entstehen zu lassen. Was mich widerum darauf bringt, dass auch der Erzähler eher eine passive Rolle eines Betrachters einnimmt.


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen,



    Natürlich ist diese Beschreibung der Mädchen an der Strandpromenade so, als wäre das alles gerade einem impressionistischen Bild entsprungen und ich bin beeindruckt, wie es Proust gelingt, diese Szene so indirekt zu schildern, also so, dass der Eindruck mehr im Kopf des Lesers entsteht. Was ja auch ein Merkmal des Impressionismus war, durch die Farben ein Gefühl oder Eindruck im Kopf des Betrachters entstehen zu lassen. Was mich widerum darauf bringt, dass auch der Erzähler eher eine passive Rolle eines Betrachters einnimmt.


    Gruß von Steffi


    schön beschrieben. Ganz meine Empfindungen. Voller Leben erschien mir dieses "Bild". Der Gegensatz zwischen Jung und Alt. Die Jugend der Mädchen erscheint in einer Gruppe. Das Alter, die beiden alten Menschen, die auf den Stühlen im Park sitzen, allein und auf Würde bedacht. Das eine Mädchen springt über die Stühle, über das Alter hinweg.


    Großartig beschrieben.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen,


    Der Erzähler berichtet wie er seiner Großmutter, auf kindlich-grausame Weise, den Spaß des Photographierens nimmt...
    ..aber doch den Erfolg zu verzeichnen hatte, daß von ihrem Antlitz jener freudige Ausdruck verschwunden war,..


    Er schnappt den Namen Simonet auf und fühlt sich zu dem Namen hingezogen. Simonet, ist der Familienname von Albertine, darin steckt der Name des impressionistischen Malers Monet.


    nachdem der Erzähler wieder auf sein Zimmer angelangt ist und aus dem Fenster schaut (bei mir auf der S. 542) reiht Proust sprachliche Bilder aneinander. Erklärenderweise heißt es in meiner Ausgabe dazu:


    Nach diesem Satz vollzieht sich ein erzählerischer Registerwechsel. Das bisher Erzählte (vom Auftauchen der jungen Mädchen bis zum Betreten des Zimmers) geschieht an einem bestimmten Tag; das folgende aber betrifft die ganze in Balbec verbrachte Saison. So ensteht eine Pause in der Handlung, während der Leser die nun folgenden Bilder "betrachten" kann.


    Danach macht der Erzähler in Rivebelle seine ersten richtigen Erfahrungen mit Alkohol (von der Zugfahrt nach Balbec mal abgesehen). Halbweltdamen und die elegante Oberschicht in einem Restaurant. Seine Beschreibung der Kellner, die Soufflés zwischen den Tischen hindurch balanzierten, haben mir wieder ein "Bild" projiziert. Unter dem Alkoholeinfluß ergibt es diesmal ein etwas bedrohliches Bild, obwohl es um eine Tischgesellschaft geht. Kellner werden mit Vögel verglichen, Tische als Planeten, und hinter einem mächtigen Blumenarrangement thronen zwei grauenerregende Kassiererinnen, die wie Hexen über Berechnungen sitzen. Musik erweckt Wollust in ihm.


    ...hatte der Alkohol, der meine Nerven in außergewöhnlicher Weise anspannte, den gegenwärtigen Minuten einen Wert, einen Zauber verliehen, deren Wirkung nicht die war, mich geeigneter oder auch nur entschlossener zu machen, mich schützend vor sie zu stellen; denn da meine übersteigerte Stimmung sie mir tausendmal köstlicher als mein ganzes übriges Leben erscheinen ließ, löste sie sie gleichzeitig völlig davon ab;... warf meine Vergangenheit nicht länger mehr jenen Schatten ihrer selbst vor mich hin, den wir Zukunft nennen; da ic hden Zweck meines Lebens nicht länger in der Verwirklichung der Träume jener Vergangenheit, sondern in der Beseligung der gegenwärtigen Minute sah, ging mein Blick über sie nicht hinaus.


    nach seinen Ausführungen über die Liebe und seine Zukunft (er hat das Schreiben von Bücher wieder mit einbezogen), kommt wieder ein humorvoller Teil. z.B. als eine ehemalige Geliebte von Saint-Loup sich fragt, was er nur an seiner jetzigen Geliebten, dieser Schauspielerin findet. ..Irgendwo muß er doch einfältig sein. Sie hat Füße wie Schleppkähne, einen Bart wie eine Amerikanerin und schmutzige Unterwäsche! :breitgrins:


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()

  • Guten Abend,


    eigentlich sollte hier ein langer Beitrag stehen, da ich am Wochenende recht weit gekommen bin und einiges anzumerken hätte...aber leider ist die Zeit mal wieder knapp, und da ich ab morgen im Krankenhaus bin (nur eine kleine OP) und noch ein bisschen packen muss, melde ich mich hier nur ganz schnell ab. Ich hoffe, dass ich nächste Woche wieder online sein kann.


    Bis dahin viele liebe Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]


  • Guten Abend,


    eigentlich sollte hier ein langer Beitrag stehen, da ich am Wochenende recht weit gekommen bin und einiges anzumerken hätte...aber leider ist die Zeit mal wieder knapp, und da ich ab morgen im Krankenhaus bin (nur eine kleine OP) und noch ein bisschen packen muss, melde ich mich hier nur ganz schnell ab. Ich hoffe, dass ich nächste Woche wieder online sein kann.


    Bis dahin viele liebe Grüße
    Manjula


    Hallo Manjula


    Gute Besserung. Wir freuen uns, wenn du wieder da bist :winken:


    Machs gut.
    Liebe Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen,


    ich habe gerade entdeckt, dass das "Proust-Lexikon" bei Jokers.de für 4,95 € wieder erhältlich ist.


    viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • Guten Abend,


    eigentlich sollte hier ein langer Beitrag stehen, da ich am Wochenende recht weit gekommen bin und einiges anzumerken hätte...aber leider ist die Zeit mal wieder knapp, und da ich ab morgen im Krankenhaus bin (nur eine kleine OP) und noch ein bisschen packen muss, melde ich mich hier nur ganz schnell ab. Ich hoffe, dass ich nächste Woche wieder online sein kann.


    Bis dahin viele liebe Grüße
    Manjula


    Liebe Manjula,


    auch von mir ganz liebe Wünsche und alles Gute für deine OP.


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen,


    nochmals zu den impressionistischen Eindrücken, die in der "Mädchenblüte" vermitteln werden. Im Proust-Lexikon S. 368 heißt es darüber:


    In bezug auf den Impressionismus stellt Proust vor allem das Problem des künstlerischen Schaffens heraus: "Leute von Geschmack sagen uns heute, Renoir sei ein großer Maler des vorigen Jahrhunderts. Aber wenn sie das sagen, vergessen sie die Zeit, nämlich wieviel davon sogar noch im gegenwärtigen vergehen sollte, bis Renoir als großer Künstler gewürdigt worden ist. Um zu solcher Anerkennung zu gelangen, muß ein originaler Maler, ein originaler Künstler vorgehen wie etwa ein Augenarzt. Die Behandlung durch ihre Malerei, ihre Prosa ist nicht immer angenehm. Wenn sie beendet ist, sagt der, der sie ausgeführt hat, zu uns: Jetzt sehen Sie einmal! Und nun kommt uns die Welt (die nicht einmal erschaffen wurde, sondern so oft, wie ein Künstler von persönlicher Eigenart aufgetreten ist) ganz anders vor als die frühere, jedoch überzeugend und klar. Frauen gehen die Straße entlang, die völlig anders aussehen als die von ehedem, weil sie Renoirs sind, eben jene Renoirs, in denen wir früher überhaupt keine Frauen zu erkennen meinten."


    Vielleicht wird es uns im übertragenen Sinn ebenso ergehen. Plötzlich erinnert uns eine Geste eines Menschen, oder ein Wort oder ein Bild usw... in unserem Leben an Proust's Verlorene Zeit, weil es eben Proust's Momente sind und die immer und überall auftreten können.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()

  • Hallo,


    ja es geht mir auch so mit den Proust'schen Beschreibungen, dass sie, weil es eben Beobachtungen allgemeiner Art sind, durch ihn eine Tiefe bekommen. Ich denke, man wird seine Sichtweise auch verändern nach der Lektüre von Proust, oder aber einige seiner Beschreibungen wieder erinnern, wenn er z. B. von der Sonne spricht, die früh am Morgen wie ein Dachdecker ans Werk geht und schließlich in sein Zimmer gelangt, oder wie sie auf dem Meer lacht, oder beim Sonnenuntergang, wo er von einem stumpfen toten Rosa spricht wie beim Gefieder der Tiere. Man könnte noch endlos weiter aufzählen. Es ist eine tiefe Beobachtungsgabe die in eine wunderbare Sprache übersetzt wird. Es ist ähnlich wie in der Malerei, das ein Gemälde im Kopf entsteht.
    Diese detailgetreue Beschreibung der Kindheit ist ja wohl nur mit Tagebuchaufzeichnungen möglich, oder? Gibt es Aufzeichnungen von Proust?
    Gefallen haben mir auch die ironischen Bemerkungen über die snobistische Gesellschaft in Baalbeck. Die Rollen, die die Menschen einnehmen und dass man schnell jemanden fallenlässt, wenn er nicht der richtigen Schicht angehört.
    Beginnen wir mit dem 3. Band ?


    Gruß Zypresse

  • Hallo !



    Vielleicht wird es uns im übertragenen Sinn ebenso ergehen. Plötzlich erinnert uns eine Geste eines Menschen, oder ein Wort oder ein Bild usw... in unserem Leben an Proust's Verlorene Zeit, weil es eben Proust's Momente sind und die immer und überall auftreten können.


    Ja, oder ein vergangener Moment wird durch Proust wieder lebendig.


    Gerade die Balbec-Szenen gefallen mir in dieser Hinsicht ausgesprochen gut, denn man glaubt wirklich, schon einmal dort gewesen zu sein. Nicht, weil man sich das Hotel und das Meer so gut vorstellen kann, sondern weil seine Beschreibungen ein Gefühl berühren. Anders als Joyce, der ja bei Ulysses über den Stil viel vom Inhalt transportiert, versucht es Proust über die Bilder oder über die Musik im ersten Band.


    Gruß von Steffi


  • .


    Gerade die Balbec-Szenen gefallen mir in dieser Hinsicht ausgesprochen gut, denn man glaubt wirklich, schon einmal dort gewesen zu sein. Nicht, weil man sich das Hotel und das Meer so gut vorstellen kann, sondern weil seine Beschreibungen ein Gefühl berühren. Anders als Joyce, der ja bei Ulysses über den Stil viel vom Inhalt transportiert, versucht es Proust über die Bilder oder über die Musik im ersten Band.


    Gruß von Steffi


    Hallo zusammen,


    und es geht einprägsam weiter. Wer ist schon an der Stelle, als der Erzähler bei Elstir im Atelier ist? Diese Bildbeschreibung ist gandios.


    Zypresse,
    du bist schon fertig mit der "Mädchenblüte"?


    Hier zwei Vorschläge von meinerseite. Ich denke, ich bin bis ende Mai mit dem Buch durch. Danach könnte ich sofort mit Band 3 weitermachen. Ich rechne mit ca. 2 Monaten Lesezeit. Ab August bin ich, wenn es bei den anderen klappt, in der "Jahrestage"-Leserunde dabei. Dann ginge es bei mir höchstens ab November mit Proust.


    Ich würde liebend gerne bei den weiteren Proust-Leserunden dabei sein. Mir wäre der Juni recht. Wie sieht es bei den anderen aus?


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hier zwei Vorschläge von meinerseite. Ich denke, ich bin bis ende Mai mit dem Buch durch. Danach könnte ich sofort mit Band 3 weitermachen. Ich rechne mit ca. 2 Monaten Lesezeit. Ab August bin ich, wenn es bei den anderen klappt, in der "Jahrestage"-Leserunde dabei. Dann ginge es bei mir höchstens ab November mit Proust.


    Ich würde liebend gerne bei den weiteren Proust-Leserunden dabei sein. Mir wäre der Juni recht. Wie sieht es bei den anderen aus?


    Hallo JMaria!


    Unsere Wege kreuzen sich ja kaum noch, da Du zur Zeit völlig anderes liest als ich. Eigentlich schade.


    Aber was ich sagen wollte: Auch wenn ich es für unmöglich halte, mit Buch 3 die Lektüre der Recherche zu beginnen: Postet Ihr den Leserundenwunsch noch separat? Vielleicht will ja doch noch ein/e "Externe/r" einsteigen. Danke!


    Grüsse


    sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus