Um 40% gekürzt

  • Hallo!



    Im Literaturwelt-Blog hat sich (heute) eine kleine Diskussion <a href="http://blog.literaturwelt.de/archiv/kurz-und-nicht-gut-kompakte-klassiker/">entwickelt</a>. Daß es, wie du schreibst, ein Klientel für diese Ausgaben gibt, geht schon daraus hervor, daß sie sie überhaupt verlegen. Kein Verleger begeht freiwillig Selbstmord.


    Auch wenn ich in diesem Fall der Meinung bin, dass ein solcher Markt durchaus besteht, halte ich die Logik des Satzes für fragwürdig: Dass nur erzeugt würde, wofür eine Klientel besteht. Denn häufig werden Produkte erzeugt und mit einem entsprechenden Marketingaufwand auch die Nachfrage. Nicht der Wunsch der potentiellen Kunden für das Vorhandensein eines Produkts ist ausschlaggebend, sondern jener des Produzierenden nach mehr Gewinn. Deshalb endet auch so manche Geschäftsidee als Rohrkrepierer.



    "In dem <a href="http://news.bbc.co.uk/1/hi/programmes/newsnight/review/6571287.stm">Interview</a> mit Newsnight Review (...) (Einstieg bei 24:20min) gibt Orion Verleger Malcom Edwards ganz klar an, dass 'der Leser heutzutage keine Zeit mehr hat' und sie deshalb die kompakten Versionen auflegen."


    In diesem Sinne: Wir wärs mit Kurzbeschreibungen aller Rubens-Bilder? Unzumutbar der Zeitaufwand, sich das alles noch anzusehen.


    Grüße


    s.

  • Die von Woody Allen gespielte Figur in "Love and Death" sagt mal sinngemäß: Ich habe einen Schnelllesekurs gemacht und in einer Stunde "Krieg und Frieden" durchgelesen. Es handelt von Russland.


    CK


    :breitgrins: Das erinnnert mich an eine Kurzfassung von "Vom Winde verweht":


    Zitat

    "Ein Krieg?" lachte Scarlett. "Oh, fiddle-di-dii!"
    Bumm! Ashley zog in den Krieg. Atlanta brannte! Rhett kam zurück und ging wieder!
    "Fiddle-di-dii", sagte Scarlett unter Tränen. "Morgen will ich darüber nachdenken. Schließlich, morgen ist auch ein Tag."


    Grüße
    Manjula

    [size=10px] &quot;Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden.&quot; [/size]

  • Sagen wir so: Es ist nicht so, als würde man das Buch gelesen haben. Es gibt aber Bücher, die ich nie werde lesen können - eben die Mehrzahl -, die mich aber nichtdestotrotz interessieren. Und bevor ich sie überhaupt nie kennenlerne, würde ich ein 10-seitiges textnahes Exzerpt mit Inhalt und Textbeispielen einem Nichts bevorzugen.


    Ich glaube, Du suchst Kindlers Literatur Lexikon ;-)

  • der eigentlich nur wissen will, wann und wie denn nun Ahab den Wal endlich erlegt,


    das ist aber kein Leser. Und schon gar kein Leser, der Moby-Dick lesen will.Dem würd ich eher den Film von John Huston in und eine Fernbedienung in die Hand drücken. Kann er vorspulen, wenn's ihm zu langweilig wird.

  • Moin, Moin!


    Auch wenn ich in diesem Fall der Meinung bin, dass ein solcher Markt durchaus besteht, halte ich die Logik des Satzes für fragwürdig: Dass nur erzeugt würde, wofür eine Klientel besteht. Denn häufig werden Produkte erzeugt und mit einem entsprechenden Marketingaufwand auch die Nachfrage. Nicht der Wunsch der potentiellen Kunden für das Vorhandensein eines Produkts ist ausschlaggebend, sondern jener des Produzierenden nach mehr Gewinn. Deshalb endet auch so manche Geschäftsidee als Rohrkrepierer.


    Es stimmt, Verleger können mit Büchern und Projekten auf die Fresse fallen. Ich <a href="http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2007/04/24/dkultur_200704241134.mp3">höre im DLR</a>, daß für diese Orion-Sache intensiv Marktforschung betrieben worden ist.


  • das ist aber kein Leser. Und schon gar kein Leser, der Moby-Dick lesen will.Dem würd ich eher den Film von John Huston in und eine Fernbedienung in die Hand drücken. Kann er vorspulen, wenn's ihm zu langweilig wird.


    Ich würde schon sagen, dass das ein Leser ist. Es gibt diese Sorte handlungsorientierter Leser. In vielen Fällen ist ihre Leseerwartung tatsächlich an Verflimungen geschult worden. Aber es gibt diesen Leser, der, nicht aus Gründen des Prestige, sondern weil er es wirklich einmal "wissen will", einen solchen Klassiker hervorkramt.


    Das halte ich, ehrlich gesagt, auch eher für das Zielpublikum, als irgendwelche Leute, die Zeit sparen wollen. (Obwohl, es gibt auch angefressene Leser, die sich unwohl zu fühlen beginnen, wenn sie nicht ein bestimmtes Quantum an Büchern bzw. Seiten pro Zeiteinheit gelesen haben. Und da bremst ein Moby-Dick natürlich ungeheuer ... )

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • Ich glaube, Du suchst Kindlers Literatur Lexikon ;-)


    Die Zusammenfassungen bei GetAbstract sind aber (für den Nicht-Germanisten) besser gemacht als die Artikel im Kindler. Sie sind deutlich verständlicher und klarer formuliert. Meines Erachtens hätte man noch einige Seiten mit Originalpassagen hinzufügen sollen, um den Stil zu charakterisieren. Ist vermutlich ein Copyright-Problem. Auch wird mehr Hintergrund-Information zur Epoche gegeben. Die Qualität der kostenlos beziehbare Zusammenfassung vom Werther bei GetAbstract würde ich mir in Buchform mit den wichtigsten Klassikern durchaus wünschen.


    Schöne Grüße,
    Thomas


  • Dass man Klassiker nicht lesen muss, stimmt schon, aber ich habe mich auch lange nicht rangewagt. Und daher kann ich es sehr gut verstehen, dass man sie zwar lesen möchte, aber sich einfach nicht ranwagt, weil man Angst hat sie nicht zu verstehen.


    Klar. Fang mit etwas einfachem an: Herman Bang: Am Weg (ganz kurz) oder Thomas Mann: Buddenbrooks (wenn es länger sein darf). Es muss ja nicht gleich Joyce oder Musil sein.


    Gruß, Thomas

  • Ich bin da absolut konform mit scheichsbeutel^ und frage mal provokativ, um was zu verdeutlichen, in die Runde:
    wann kommen die um 40 % gekürzten Beethoven-Symphonien?

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)


  • Ich glaube, Du suchst Kindlers Literatur Lexikon ;-)


    Oder den "Romanführer", oder eine Inhaltsangabe im Web.

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)


  • Ich bin da absolut konform mit scheichsbeutel^ und frage mal provokativ, um was zu verdeutlichen, in die Runde:
    wann kommen die um 40 % gekürzten Beethoven-Symphonien?


    Bei Opern gibt es das längst und es gibt auch Klassik Kompilationen, die nur einzelne Sätze aus Symphonien enthalten :grmpf:



    CK


  • Bei Opern gibt es das längst und es gibt auch Klassik Kompilationen, die nur einzelne Sätze aus Symphonie enthalten :grmpf:


    Genau - wie hass ich diese Opern im 10er-Pack, wo man sich Ouverture und 3 eingängige Arien anhören kann. Und ich hab sowas mal geschenkt bekommen und musste mich - höflicherweise - auch noch freuen.


    Ich muss mich auch Giesbert anschließen: Ich halte diese Leute für keine Leser. Ist natürlich Definitionsfrage, aber mir reicht bloße Handlung in einem Buch nicht aus - im Gegenteil: Das sprachliche, ästhetische Drumherum, die _Möglichkeit_, sich mit dem Geschriebenen auseinander zu setzen, macht's - für mich - erst wirklich aus. Und wenn's mal kompliziert wird - das stört mich nicht im mindesten - im Gegenteil: Eigentlich benutz ich meinen Kopf (befinde mich ja noch in der Präalzheimerperiode) ganz gern. Denken macht doch auch Spaß.


    Grüße


    s.


  • Ich muss mich auch Giesbert anschließen: Ich halte diese Leute für keine Leser. Ist natürlich Definitionsfrage, aber mir reicht bloße Handlung in einem Buch nicht aus -


    Für die Zielgruppe der Schlipsträger ist es wohl ausreichend. Da kann man mal zwischen zwei Managemententscheidungen sein Kulturverständnis raushängenlassen. :zwinker:
    Ich persönlich ärgere mich ja über jede Art von Kürzung (besonders dann, wenn das "Werk" nicht als gekürzt gekennzeichnet ist).

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)


  • Ich muss mich auch Giesbert anschließen: Ich halte diese Leute für keine Leser.


    Solche Aussagen klingen in dieser Allgemeinheit schnell abwertend. Unter Umständen liest derjenige auch noch komplette Bücher, will sich aber dennoch über bestimmte Inhalte informieren.


    Ich frage mich, welcher Leser seinen Kopf mehr anstrengt: Derjenige, der den um 40% gekürzten Klassiker liest oder derjenige, der gleich zu etwas Trivialerem greift.


    Ein bißchen wirkt die Verteidigung der vollständigen Länge der Klassiker in den Diskussionen danach, dass gleich der Untergang des Abendlandes befürchtet wird. Mir scheint, dass dies v.a. von den ernsthaften Klassik-Lesern (zu denen ich mich auch zähle) vorgetragen wird. Warum eigentlich? Welche "Gefahr" geht von solchen Büchern aus? Schummelnde Literatur-Studenten? Protzende Manager? Na und. Ich sehe da nicht viel.


    Schöne Grüße,
    Thomas


  • Ein bißchen wirkt die Verteidigung der vollständigen Länge der Klassiker in den Diskussionen danach, dass gleich der Untergang des Abendlandes befürchtet wird. Mir scheint, dass dies v.a. von den ernsthaften Klassik-Lesern (zu denen ich mich auch zähle) vorgetragen wird. Warum eigentlich? Welche "Gefahr" geht von solchen Büchern aus? Schummelnde Literatur-Studenten? Protzende Manager? Na und. Ich sehe da nicht viel.


    Gerade solches hab ich in einem anderen Posting - für mich - in Abrede gestellt. Im Gegenteil: Mir geht's am Allerwertesten vorbei, ob jemand seinen Klassikerkanon inhaliert hat. Das ist's ja gerade: Es ist keineswegs notwendig, das gelesen zu haben. Deshalb versteh ich auch diese "Abstracts-Konsumenten" nicht - (und allein "abstract" klingt ja schon so viel schlauer als Inhaltsangabe) außer wenn ich ihnen schnöselige Angeberei unterstelle. Denn mit der Kurzfassung entgeht ihnen das alles Entscheidende - und sie lesen sie ja offenbar auch nicht deshalb (wie Dostojewski), um eine ev. Lektüre vorzubereiten.


    Grüße


    s.


  • Denn mit der Kurzfassung entgeht ihnen das alles Entscheidende


    Ich stimme da vollkommen mit Dir überein. Wobei man aber deutlich zwischen GetAbstract und den um 40% gekürzten Versionen unterscheiden muss. Auf der anderen Seite sollte man jedem selbst überlassen, was er entscheidend findet.


    Ich wundere mich nur, dass jedes Mal, wenn diese Geschäftsidee wieder hochkommt, gleich Umfragen gestartet werden (DLF) und schlaue Kommentare verfasst werden. Es erscheinen jeden Tag so viele schlechter Bücher. Und sie werden gekauft und gelesen. Da sind mir gekürzte Klassiker lieber.


    Gruß, Thomas


  • Für die Zielgruppe der Schlipsträger ist es wohl ausreichend. Da kann man mal zwischen zwei Managemententscheidungen sein Kulturverständnis raushängenlassen. :zwinker:


    Jaja, die kenn ich. Die "gehen in die Wirtschaft" oder "kommen aus der Wirtschaft", was früher mal jemanden illuminiert zurückgelassen hätte. Heute aber wird dieses Wirtschaftsbanner wie das Eiserne Kreuz ans Revers geheftet und mit einem Stolz verkündet, der an weiland Großpapa erinnert, wenn er vom Russlandfeldzug schwärmte.


    Grüße


    s.