Februar 2007: "Tausendundeine Nacht"

  • Hier noch einige Übersetzungen, die freilich jeweils auf anderen Texten beruhen (können), was man bei einem Vergleich immer bedenken sollte.


    Die englische Übersetzung von <b>Burton</b>, die viele interessante (manchmal auch kuriose) Anmerkungen enthält:


    <a href="http://www.gutenberg.org/browse/authors/b#a898">http://www.gutenberg.org/browse/authors/b#a898</a>


    Im 10. Band (Volume 10) der Burton-Übersetzung findet man eine umfangreiche Tabelle, in der aufgelistet ist, welche Erzählungen in welchen Sammlungen enthalten sind (in der Textdatei nach "COMPARATIVE TABLE" suchen). In dieser Tabelle sind auch die beiden deutschen Übersetzungen von Habicht und von Weil berücksichtigt; die bekannte Übersetzung von Enno Littmann erschien erst später, deshalb fehlt sie natürlich auch in der Tabelle.


    Die deutsche Übersetzung von <b>Gustav Weil</b> kann man beim Projekt Gutenberg-DE nachlesen:


    <a href="http://gutenberg.spiegel.de/weil/1001/inhalt.htm">http://gutenberg.spiegel.de/weil/1001/inhalt.htm</a>


    Die deutsche Übersetzung von <b>Max. Habicht, Fr. H. von der Hagen und Carl Schall</b> (erstmals 1825 erschienen) gibt es hier:


    <a href="http://www.wissen-im-netz.info/literatur/habicht/1001/index.htm">http://www.wissen-im-netz.info…ur/habicht/1001/index.htm</a>


    Diese Übersetzung beruht größtenteils auf der französischen Übersetzung von Gauttier, nur die letzten Nächte (ab der 885. Nacht) wurden von Maximilian Habicht direkt aus dem Arabischen übersetzt, und zwar aus einem neuentdeckten tunesischen Manuskript, das Habicht dann auch auf arabisch veröffentlicht hat (in den Jahren 1825-1843; das war die erste europäische Ausgabe im Originaltext).

  • Hallo xenophanes und Hubert,


    ich habe jetzt erstmal die einleitende Rahmenerzählung gelesen bzw. gehört, denn ich habe außer dem Buch auch die vollständige Hörbuchausgabe der Ott-Übersetzung (24 CDs), die es momentan bei Jokers verbilligt gibt, worauf Hubert <a href="http://klassikerforum.de/forum/index.php?thread/2168.msg25314#msg25314">heute an anderer Stelle</a> schon hingewiesen hat. An den Tracklängen des Hörbuchs sieht man übrigens sehr schön, daß die reale Erzählzeit der meisten Nächte oft deutlich kürzer als 10 Minuten ist, man könnte sich damit also in Wirklichkeit keine halben Nächte um die Ohren schlagen. ;-)


    Wenn man mal von Schahrasad absieht, kommen die Frauen in dieser Rahmenerzählung nicht besonders gut weg, sie werden als tückisch, lüstern und untreu beschrieben. Die beiden königlichen Brüder machen allerdings auch keine gute Figur, nicht nur bei der Begegnung mit dem Ifrit, wo sie sich weder durch Heldenmut noch durch Schlauheit auszeichnen, obwohl doch der ältere Bruder anfangs als "gewaltiger Ritter und kühner Held" bezeichnet wird. Es ist auch nicht gerade die feine Art, daß die schlechte Stimmung und Niedergeschlagenheit des jüngeren Bruders plötzlich wie weggeblasen ist, als er erkennt, daß sein Bruder ebenfalls betrogen wird. :-)


    Den zweiten Teil der "Tiersprachengeschichte" gegen Ende der Rahmenerzählung findet man übrigens so ähnlich auch in europäischen Märchen, beispielsweise in den russischen Märchen von Afanasjew: "Der Jäger und sein Weib" heißt das entsprechende Märchen in meiner Ausgabe (Übers. von Swetlana Geier). Oder noch früher (16. Jh.) dasselbe Motiv bei Straparola: "Federico von Pozzuoli, der die Sprache der Tiere versteht, wird von seiner Frau gedrängt, ihr ein Geheimnis zu verraten, worauf er sie windelweich prügelt", <a href="http://www.surlalunefairytales.com/facetiousnights/night12_fable3.html">hier in englischer Übersetzung</a>. Wie in der Rahmenerzählung von 1001 Nacht erfährt dort der Mann durch die Unterhaltung des Hundes mit dem Hahn, wie er die Neugier seiner Frau "heilen" kann.
    Das ist eine schwankhafte Umgestaltung eines wahrscheinlich viel älteren Märchens, dessen ursprüngliche Gestalt man vielleicht noch am besten im italienischen Märchen "Das Geheimnis der Schlange" erkennen kann (abgedruckt in den bei Diederich erschienenen <i>Italienischen Volksmärchen</i>, hrsg. von Felix Karlinger). Dort darf der Held überhaupt nichts von seinem Geheimnis erzählen, also nicht, daß er die Tiersprache versteht, und auch nicht, daß er sterben muß, wenn er darüber spricht.


    Das Ende der Rahmenerzählung fehlt uns leider, weil die Galland-Handschrift nicht vollständig ist, und deshalb natürlich auch auch in der Übersetzung von Claudia Ott das Ende fehlt. Galland selbst hatte gar keinen authentischen Schluß vorliegen, er hat selbst einen erfunden. Erst im Jahre 1804 entdeckte Hammer in einem arabischen Manuskript einen authentischen Schluß. Dort will der Sultan die Erzählerin am Ende trotzdem hinrichten lassen, erst als ihm Schahrasad drei Knaben zeigt, mit denen sie "während ihres Erzählens in der Tausend und Einen Nacht dreimal in die Wochen gekommen war", und dem Sultan erklärt, daß dies seine Kinder seien, begnadigt sie der Sultan gerührt und macht sie zu seiner Gemahlin. Hier war also das ganze Erzählen völlig umsonst, es ging zum einen Ohr rein und zum anderen wieder hinaus.


    Künstlerisch überzeugender ist der Schluß, den Maximilian Habicht in seinem tunesischen Manuskript gefunden hat. Dort wird der König durch die Weisheiten und Lehren, die er aus den Erzählungen ziehen konnte, geläutert. Die Macht des erzählenden Wortes bewirkt hier also einen Sinneswandel im König. In den Erzählungen von 1001 Nacht geht es ja auch oft darum, daß sich ein Erzähler durch sein Erzählen vom Tode rettet.


    Schöne Grüße,
    Wolf

  • As-salam aleikum xenophanes, Wolf und Hubert,


    darf ich mich zu Eurer Leserunde über Tausendundeine Nacht gesellen? Die neue Übersetzung von Claudia Ott steht seit über 2 Jahren in meinem Bücherschrank, und vor kurzem konnte ich dem Hörbuch bei Joker nicht widerstehen. Seitdem höre ich gerne die CDs. Noch bin ich nicht sehr weit gekommen, außer die Rahmengeschichte habe ich erst acht Nächte gehört/gelesen.


    Wenn sich ein Buch zum Hören eignet, dann doch sicher Tausendundeine Nacht.
    Ich stelle mir den Basar zu Kairo, Bagdad oder Damaskus vor, ein Erzähler deklamiert vor dem Café eine Geschichte. War es eine aus Tausendundeiner Nacht? Und wenn es am spannendsten wird, bricht er ab und verschwindet im Labyrinth der Gassen. Vorher hat er seine Zuhörer eingeladen sich am nächsten Tag wieder einzufinden, vielleicht am gleichen vielleicht an einem anderen Platz der Stadt. Für die Zuhörer dauerte das Vergnügen an, aber nur kurz, denn aus dem Ende der einen Geschichte entwickelte der Erzähler geschickt den Anfang der folgenden.


    "… wenn ich denn noch lebe … erzähle ich euch den Rest der Geschichte" oder eine Geschichte für das Leben, so geht die magische Formel. Beispiele dafür gibt es schon in den ersten Nächten; der unglückselige Kaufmann riskiert seinen Kopf vom Dschinni abgeschlagen zu bekommen, den drei Alten gelingt es jeweils ein Drittel seines Lebens durchs Geschichtenerzählen wieder zu gewinnen. Wie wird es weitergehen?


    In sha' Allah


    Babur

  • As-salam aleikum xenophanes - danke für die Begrüßung.


    As-salam aleikum Mitleser,
    ich habe gestern Abend wieder etwas weiter gelesen und gehört und bin bis zum Morgengrauen nach der 17. Nacht gekommen.


    Eigentlich finde ich es schade, dass wir so wenig über Schahrasad erfahren. Sie wird nur kurz in der Rahmenerzählung mit weniger als 10 Zeilen beschrieben. Und doch genügt es um in mir das Bild einer Frau der Aufklärung, einer modernen und gelehrten Frau zu erwecken. Plausibel? Hier wird eine Frau charakterisiert, der neben Wissen und Geist auch Lust und Sinnlichkeit behagen.


    Findet Ihr es nicht paradox, dass solch schöner orientalischer Erzählband ohne Bilder veröffentlicht ist. Schon gut, die Überlieferung ist mündlich erfolgt, aber ich konnte mir gut vorstellen wie schnell die persischen Miniaturmaler sich der Geschichten aus Tausendundeine Nacht annahmen. Oder waren es nur die berühmten Kalligrafen, die die Manuskripte mit ihren Schriftzügen und Arabesken verzierten?


    Die mir bekannten Bilder stammen alle aus Europa. Denn als Galland und andere Übersetzer Tausendundeine Nacht im 18. und 19. Jahrhundert bekannt machten, trafen sie bereits auf eine Zivilisation des Bildes. Natürlich wurde Schahrasad sofort mit der Kleidung bedacht, die sich der Europäische Illustrator vorstellte. Orientalisierend, türkische Bekleidung, nein eher indische, Romantik, Jugendstil, die verrückten 20er Jahre, Schahrasad taucht in meiner Bilderinnerung als Prinzessin mit vielen Gewändern auf. Irgendwann wird sich Zeit finden das Internet zu durchstöbern nach den Bildern der Schahrasad.


    Entschuldigt diesen Ausflug in Gender-Problematik und Kunst, aber es sind Gedanken, die mich beim Lesen überkamen, daher erlaube ich mir sie mit Euch zu teilen.


    In sha' Allah


    Babur

  • Hallo!


    Ich konnte dieses Wochenende nun endlich mit meiner Lektüre beginnen, wenn auch nur bis zur elften Nacht. Finde die Lektüre sehr vergnüglich, weshalb mich die Popularität der Erzählungen nicht überrascht. Die Übersetzung liest sich trotz/wegen ihrer philologischen Akribie ausgezeichnet.


    Wie Wolf schon richtig geschrieben hat, erinnern eine Reihe von Motiven an andere Märchen. Offenbar scheint es auch hier wie in der Mythologie ein großes semantisches Reservoir zu gehen, dass kulturell immer wieder angezapft wird. Je abstrakter man das betrachtet, desto offensichtlicher wird es (Geister, sprechende Tiere ...).


    Freue mich auf die weitere Lektüre, die bei mir aber langsam voranschreiten wird, da das China-Thema nach wie vor Priorität hat.


    CK


  • An den Tracklängen des Hörbuchs sieht man übrigens sehr schön, daß die reale Erzählzeit der meisten Nächte oft deutlich kürzer als 10 Minuten ist, man könnte sich damit also in Wirklichkeit keine halben Nächte um die Ohren schlagen. ;-)


    Wenn man mal von Schahrasad absieht, kommen die Frauen in dieser Rahmenerzählung nicht besonders gut weg,


    Hallo zusammen,
    hallo Wolf,


    genau die zwei Punkte waren mir bisher auch aufgefallen und so habe ich heute Frau Ott, die ich bei einer Lesung in Stuttgart traf, danach gefragt. Zum ersten Punkt meinte sie, Schahrasad hätte die Geschichten sicher beim erzählen noch reichlich ausgeschmückt aber vor allem sei dies natürlich ein literarischer Kunstgriff um die Geschichten spannend zu halten.


    Zum zweiten Punkt fand ich ihre Antwort erleuchtender: Die Geschichten sind von Schahrasad als Therapie für den Sultan gedacht um ihn nach seiner schrecklichen Enttäuschung mit seiner Gattin zu heilen. Deshalb sind zum Beginn der Erzählungen die Frauen böse und schlecht dargestellt, werden aber im Laufe der Erzählungen immer vielschichtiger und auch immer weniger schlecht dargestellt.


    Grüße


    Hubert


  • As-salam aleikum xenophanes, Wolf und Hubert,


    darf ich mich zu Eurer Leserunde über Tausendundeine Nacht gesellen?


    Wenn sich ein Buch zum Hören eignet, dann doch sicher Tausendundeine Nacht.


    Hallo Babur,


    herzlich willkommen bei unserer Leserunde. Dass sich Tausendundeine Nacht hervorragend zum Hören eignet, habe ich heute bei einer Lesung durch die Übersetzerin Claudia Ott gesehen. Die Rahmenhandlung hat mir bei deren Vortrag erheblich besser gefallen als beim Lesen.


    Viele Grüße


    Hubert


  • Freue mich auf die weitere Lektüre, die bei mir aber langsam voranschreiten wird, da das China-Thema nach wie vor Priorität hat.


    Hallo xenophanes,


    und ich hatte gedacht, Tausendundeine Nacht gehört zu deinem China-Thema. Wie mir Claudia Ott heute erklärte waren das im Ursprung für die Geschichtenerzähler in Bagdad usw. Erzählungen aus dem Orient, und zwar aus Indien und China, so wie es heute für uns Erzählungen aus dem arabischen Orient sind.


    Viele Grüße


    Hubert

  • Auch wenn man wie ich davon überzeugt ist, dass Claudia Otts Übersetzung der ältesten erhaltenen arabischen Handschrift von allen deutschen Übersetzungen am nächsten kommt, kann man meiner Meinung nach auch mit einer anderen Übersetzung an unserer Leserunde teilnehmen. Den Unterschied der einzelnen Übersetzungen will ich mal an einem kleinen Beispiel demonstrieren:


    Bei Claudia Ott werden in der Geschichte “Der Fischer und der Dschinni” die Fische in der 19. Nacht zweimal von einem Mädchen und in der 20. Nacht einmal von einem schwarzen Sklaven gefragt, ob sie ihr Versprechen halten. Die Fische antworten jeweils:
    “Jawohl! Jawohl! Wenn ihr umkehrt, kehren wir um, wenn ihr treu bleibt, bleiben wir treu, wenn ihr euch lossagt, sind wir voneinander frei!”


    In der sechsbändigen Insel Ausgabe übersetzt von Enno Littmann nach “dem arabischen Urtext der Calcuttaer Ausgabe“ antworten die Fische jeweils:
    “Kehrst du um, so kehren wir um; und bist du treu, so sind wir treu. Sagst du aber dich los, so sind wir wie du des Versprechens frei.”


    In der 19-bändigen Ausgabe des Goldmann Verlags “nach dem arabischen Urtext angeordnet und übertragen von Cary von Karwath” antworten die Fische:
    “Wenn du heimkehrest zurück, kehren heim auch wir
    Wenn du hälst dein Versprechen, halten es auch wir.
    Doch wenn du im Stiche lassen uns willst
    Werden wir vergelten es dir, bis ausgeglichen wir sind.”


    In einer Ausgabe der Reihe “Klassiker der Weltliteratur” ohne Übersetzerangabe, die ich mal für 2,95 bei 2001 erstanden habe, ist die Antwort der Fische jeweils:
    “Kommst du wieder, so kehren wir auch wieder,
    Bist du treu, so sind wir es auch;
    Fliehst du aber, so tun wir ein Gleiches.”


    Zugegeben, da sind feine Unterschiede in der Übersetzung vorhanden. Da aber bis zum Ende der Geschichte auf das Versprechen der Fische nicht mehr eingegangen wird, es also für den Verlauf und das Ende der Geschichte völlig egal ist was sie gesagt haben oder ob sie überhaupt etwas sagen, können diese Unterschiede vernachlässigt werden.

  • Guten Morgen
    Ich bin ganz neu hier und habe mir soeben die "Tausendundeine Nacht"-Ausgabe von Ott bestellt. Wenn ich sie erhalten habe, würde ich ganz gerne auch mitlesen - falls ich darf :rollen:
    Ich habe mich vor einiger Zeit intensiver mit Märchen befasst. aber noch nie wirklich mit den Geschichten von 1001 Nacht. Ich denke, es würde mir nicht schaden, dies bei dieser Gelegenheit nachzuholen.


    Herzlich, Ursula

  • Hallo zusammen, hallo Ursula,


    herzlich willkommen im Klassikerforum und in unserer Leserunde! :-) Es freut mich, daß Du <i>1001 Nacht</i> mitlesen und hier mitdiskutieren willst.


    Zitat von "Ursula"

    Ich habe mich vor einiger Zeit intensiver mit Märchen befasst.


    Ich habe auch mal eine mittelschwere Märchenphase durchgemacht, in deren Verlauf sich bei mir deutlich mehr als hundert Märchenbücher angesammelt haben. ;-)


    Auch Babur möchte ich - etwas verspätet, aber nicht minder herzlich - in unserer Leserunde willkommen heißen. :winken: Du, Babur, hattest u. a. folgendes geschrieben:


    Zitat von "Babur"

    Ich stelle mir den Basar zu Kairo, Bagdad oder Damaskus vor, ein Erzähler deklamiert vor dem Café eine Geschichte. War es eine aus Tausendundeiner Nacht? Und wenn es am spannendsten wird, bricht er ab und verschwindet im Labyrinth der Gassen.


    Das war offenbar tatsächlich so ähnlich. Der englische Arzt Alexander Russell (1715-1768), der lange Zeit in Syrien gelebt hatte, beschrieb einen typischen Kaffeehauserzähler folgendermaßen (vgl. A. Russell: Naturgeschichte von Aleppo, Göttingen 1797/98, S. 199):


    »Er geht bei seinem Erzählen mitten im Zimmer auf und ab und bleibt nur dann und wann still stehen, wenn der Ausdruck eine emphatische Stellung erfordert. Man hört ihm gemeiniglich mit großer Aufmerksamkeit zu, aber nicht selten bricht er mitten in einer anziehenden Begebenheit, wo die Erwartung seiner Zuhörer aufs höchste gespannt ist, unversehens ab, entwischt aus dem Zimmer und läßt seine Helden und seine Zuhörer in der äußersten Verlegenheit zurück. [...] Kaum ist er davon, so fängt die Gesellschaft in abgesonderten Partien über die Rollen des Lustspiels oder über den Ausgang der unvollendeten Begebenheit an zu streiten. Der Streit wird nach und nach ernsthaft, und entgegengesetzte Meinungen werden mit ebenso vieler Hitze verteidigt, als wenn das Schicksal der Stadt davon abhinge.«


    Dieses Zitat (und die Quellenangabe) habe ich im Nachwort dieser Märchensammlung gefunden: <i>Löwengleich und Mondenschön. Orientalische Frauenmärchen. Hrsg. von Johannes Merkel. Zürich: Unionsverlag, 1994.</i>


    In diesem Nachwort steht auch, daß es im Orient wahrscheinlich zwei unterschiedliche Erzählkulturen gab: eine männliche und eine weibliche. Hubert hat ja schon an anderer Stelle geschrieben, daß <i>1001 Nacht</i> ursprünglich von Männern für Männer erzählt worden war. Die professionellen Erzähler in den Kaffeehäusern oder auf den Bazaren waren stets männlich, und sie erzählten meist nur vor Männern ihre Geschichten (es gibt Berichte von Erzählern, die zu erzählen aufhörten, wenn Frauen dazukamen). Die weiblichen Märchenerzähler haben ihre Geschichten offenbar nur im privaten Rahmen erzählt, nicht in der Öffentlichkeit. Bemerkenswert ist, daß Schahrasad ihre Geschichten nicht unmittelbar dem König erzählt, sondern sie erzählt sie ihrer Schwester. Vielleicht war es auch in Wirklichkeit so, daß weibliche Märchenerzähler üblicherweise ein weibliches Publikum hatten.


    Ich bin inzwischen bei der 60. Nacht angelangt. Schon die zweite Geschichte vom "Fischer und dem Dschinni" zeigt ein auffallendes Merkmal von <i>1001 Nacht</i>: mehrere Geschichten werden kunstvoll ineinander verschachtelt. Schahrasad erzählt die Geschichte vom Fischer, in deren Verlauf der Fischer dem Dschinni die Geschichte vom König Yunan erzählt, in deren Verlauf wiederum der König seinem Wesir die Geschichte vom Kaufmann mit dem Papagei erzählt. Übrigens findet man die Geschichte vom Kaufmann mit dem Papagei auch bei Hans Sachs, nur ist da der Papagei eine geschwätzige Elster. Im "Nachtbüchlein" von Valentin Schumann, einem deutschen Schwankbuch aus dem Jahr 1559, findet man diese Geschichte ebenfalls (<a href="http://www.sagen.at/texte/maerchen/schwaenke/kaufmannmitelster.html">hier eine neuhochdeutsche Übersetzung</a>).


    Hubert hat die verschiedenen Übersetzungen angesprochen. Bei der Geschichte vom "Lastträger und den drei Damen" fällt natürlich schon auf, daß da das frivole Gespräch zwischen dem Lastträger und den drei Damen in älteren Übersetzungen nur sehr kurz oder zumindest recht zahm wiedergegeben wird. Bei Gustav Weil heißt es nur: »so oft der Träger sich eines unanständigen Ausdrucks bediente, schlugen alle drei Schwestern nach ihm«. Was er da genau gesagt hat, bleibt im Dunkeln. Littmann ist etwas ausführlicher, aber er läßt an den kritischen Stellen die arabischen Ausdrücke stehen, wenn ich das richtig im Kopf habe, das muß ich nachher nochmal nachlesen. Dagegen ist die englische Übersetzung von Richard Burton aus dem 19. Jh. (online bei gutenberg.org) schon sehr deutlich:


    »Then she came up out of the cistern and throwing herself on the Porter's lap said, "O my lord, O my love, what callest thou this article?" pointing to her slit, her solution of continuity. "I call that thy cleft," quoth the Porter, and she rejoined, Wah! wah, art thou not ashamed to use such a word?" and she caught him by the collar and soundly cuffed him. Said he again, Thy womb, thy vulva;" and she struck him a second slap crying, "O fie, O fie, this is another ugly word; is here no shame in thee?" Quoth he, "Thy coynte;" and she cried, O thou! art wholly destitute of modesty?" and thumped and bashed him.«


    Wobei durch die doch ziemlich vornehm anmutende Schreibung "coynte" das Niveau nicht völlig absinkt. :breitgrins:


    Was mir übrigens bei der Ott-Übersetzung noch aufgefallen ist: An mindestens zwei Stellen (beispielsweise S. 101) wird eine Frau als "fünf Spannen hoch" beschrieben. Das wäre kaum mehr als ein Meter, denn eine Spanne ist die Strecke zwischen gespreiztem Daumen und Zeigefinger (oder kleinem Finger). Sie ist wohl eher fünf Fuß hoch. Vielleicht hat Claudia Ott das Wort "Spanne" aus Gründen des Wohlklanges gewählt und weniger die konkrete Maßeinheit im Sinn gehabt.


    Schöne Grüße,
    Wolf

  • As-salam aleikum Ursula,


    willkommen in der Diskussionsrunde um Tausendundeine Nacht. Hier liest jeder nach seinem Rhythmus. WOLF scheint bisher am weitesten von uns vorangekommen zu sein. Ich habe die ersten 49 Nächte bisher gelesen, schwelge also inmitten von Der Träger und die drei Damen. Leider finde ich während der Woche kaum Zeit weiter zu lesen, daher ein Grund mehr mich auf die Wochenenden zu freuen.


    Ich bin gespannt auf Deine Beiträge sobald Du dein Buch erhalten hast.


    In sha' Allah


    Babur

  • Herzlichen Dank für die freundliche Begrüssung :smile:
    Ich freue mich wirklich auf meine Ott-Ausgabe. Hier habe ich 'nur' jene von Littmann.
    Leider wird es noch etwas dauern, bis das Buch bei mir eintrudelt.
    Bis dahin lese ich halt schön brav all jene mehr oder weniger interessanten (wissenschaftlichen) Bücher, die ich für meine Arbeit lesen muss :rollen: und freue mich über die anregenden Beiträge in diesem Forum.
    Schön, dass ich es gefunden habe!


    Herzlich, Ursula