September 2006 - Marcel Proust

  • Hallo zusammen,


    hier ein Gedanke über Proust Leidenschaft die Natur zu betrachten. In der Biographie von Ronald Hayman heißt es:

    Die intensive Leidenschaft, mit der Proust Gegenstände der Natur betrachtete, läßt sich mit der Leidenschaftlichkeit von Dichtern wie Wordsworth und Hopkins, von Malern wie Monet und Cézanne vergleichen, doch verbarg sich dahinter ein neurotischer Zwang. Da er seiner eigenen Identität unsicher war, versuchte er, seine innere Wirklichkeit an Gegenstände in der Außenwelt zu koppeln. Mit der intensiven Betrachtung von Rosenstöcken, Weißdornbüschen oder Bäumen versuchte er Besitz zu ergreifen von etwas, das weder völlig äußerlich noch völlig innerlich ist. Die Realität der Naturgegenstände ist unbestreitbar, aber nutzlos, solange sie sich nicht festhalten läßt. ... Betrachten war für Proust nicht nur lustvoll, sondern auch von Erschrecken und Verzweiflung begleitet. [S. 126, Suhrkamp-TB]


    Ich tue mir schwer zu begreifen, was es bedeutet, von etwas Besitz zu ergreifen, das weder völlig äußerlich noch völlig innerlich ist.


    ein letzter Punk noch:


    S. 149, Suhrkamp-TB
    Im Fortgang jeder Krankheit spielt die Willenskraft des Kranken eine wichtige Rolle. Trotz ihrer außergewöhnlichen Intelligenz und ihrer guten Absichten hatten Adrien und Jeanne Proust ihrem Sohn einen irreparablen psychischen Schaden zugefügt, als sie sein Selbstvertrauen aushöhlten..... Zeitlebens übertrieb er Symptome, traf ungewöhnliche Vorsichtsmaßnahmen und ging unnötige Risiken ein. Zwar hatte er das Leben mit einer äußerst schwachen Konstitution begonnen, zwar wiesen seine Ängste phobische Qualität auf, und seine Leiden überfielen ihn zuweilen willkürlich, aber es ist schwierig, die haarfeine Linie zwischen dem zu ziehen, was im Umgang mit der Krankheit unvermeidlich und dem, was Theatralik war....


    So, jetzt geht es bei mir weiter in "Eine Liebe von Swann".


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Guten Morgen,


    Wochenende – Lesezeit: ich bin nun an der Stelle angekommen, an der Swann sich mit Marcels Onkel trifft und ihn bittet, seinen Einfluss zu Swanns Gunsten bei Odette geltend zu machen. Swanns Beziehung zu Odette hat mehr und mehr etwas Zwanghaftes angenommen, ein paar Seiten vorher wird er ja auch mit einem Morphinisten oder einem Lungenkranken verglichen. Tatsächlich hat ja sein Verhalten etwas an Sucht erinnerndes, z.B. als er sich fest vornimmt, Odette einige Zeit nicht zu sehen, aber vor sich selbst dann völlig einleuchtende Gründe findet (eine Wagenfarbe!), warum diese Pause jetzt unterbrochen werden muss („Ja, ich habe mir vorgenommen, nicht mehr zu trinken. Aber gestern hatte Opa Namenstag…“).


    Ich weiß auch nicht recht, ob „Liebe“ der richtige Begriff für Swanns Gefühle ist und habe mal zurückgeblättert und zwei Stellen gefunden, an denen diese beschrieben werden:


    Zitat

    Von allen Arten der Erzeugung von Liebe, von allen Wirkkräften zur Verbreitung dieser heiligen Raserei, ist sicher eine der zuverlässigsten der Sturm einer großen Erregung, der uns manchmal erfasst. Dann fällt das Los unweigerlich auf die Person, mit der wir im Augenblick gerade gern zusammen sind, und auf einmal lieben wir sie.

    (Als er Odette im nächtlichen Paris sucht)


    Das heißt doch, dass seine „Liebe“ recht zufällig auf Odette fiel. Wäre sein Arbeitermädchen nicht auffindbar gewesen, hätte sich dann so heftig in sie verliebt – oder?


    Zitat

    Tatsächlich wäre er manchmal, wenn es irgendwo spät geworden war, lieber unmittelbar nach Hause gegangen, ohne erst die lange Fahrt zu machen; er hätte dann eben Odette erst am nächsten Tag gesehen; aber die bloße Tatsache, dass er sich zu ungewöhnlicher Stunde die Mühe machte, zu ihr zu gehen, und sich dabei vorstellte, wie seine Freunde sagten: „Er hat jetzt gar keine Zeit, offenbar ist da eine Frau, die ihn zwingt, immer noch zu ihr zu kommen, wenn es auch noch so spät am Abend ist“, gab ihm das Gefühl, dass er das Leben der Männer führte, in deren Dasein eine Liebesaffäre eine Rolle spielt…

    (gleich nach der Cattleya-Episode)


    Das klingt für mich so, als ob er eher in die Idee der Liebe verliebt sei, nicht so sehr in Odette. Und besonders gefällt ihm sich vorzustellen, dass andere ihm eine leidenschaftliche Liebe zuschreiben. Ich kann mir nicht helfen, das klingt schon wieder so teeniehaft :zwinker:


    Übrigens wird an mehreren Stellen erwähnt, dass Odette ihn nicht nur nicht liebt, sondern an seiner Gesellschaft oft nicht einmal Freude hat; und dass er das auch weiß. Eigentlich sollte das doch sehr quälend sein, zu wissen, dass die eigene Liebe nicht einmal ansatzweise erwidert wird. Aber davon erfährt man nichts.


    Odette nimmt auch Geld von ihm bzw. fordert es sogar; für einen Urlaub mit den Verdurins und Forcheville – ganz schön dreist. Typisch aber, dass Swann es sich so zurechtdenkt, dass er durch die Zahlung sogar über den Konkurrenten triumphieren kann.


    Ich finde es faszinierend, wie Proust es schafft, dem Thema Liebe immer wieder neue Facetten abzugewinnen. Es passiert ja eigentlich nicht viel (die Szene mit den Fensterläden war einsamer Spannungshöhepunkt :zwinker: ), aber mir ist bisher noch keine Seite langweilig geworden. Und die Sprache ist einmalig schön (ich bereue, dass mein Französisch nicht für das Original ausreicht), besonders dieser Satz gefällt mir gut:


    Zitat

    Ach! in diesen ersten Zeiten einer Liebe sprießen die Küsse ganz von allein! Sie wuchern so dicht einer am andern auf; man hätte ebensoviel Mühe, die Küsse, die man sich in einer Stunde gibt, zu zählen, als wolle man die Zahl der Blumen auf einer Maienwiese ermitteln.


    JMaria: Vielen Dank für die biographischen Details. Proust scheint ja einige persönliche Umstände im Buch verarbeitet zu haben.


    Zitat

    klingt alles traurig und morbide. Da ging doch irgendwas in seinem Leben schief. Auf der anderen Seite hätte er vielleicht sein Werk nicht schreiben können, wenn alles 'normal' bei ihm gewesen wäre. *grübel*


    Ich frage mich oft, wieviele großartige Werke es nicht gäbe, wenn die Künstler rundum glücklich und gesund gewesen wären. Ist es tatsächlich so, dass Leiden zur Kunst führt? Hm...



    Viele Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • Hallo zusammen !


    Ihr habt interessante Themen angesprochen.


    Wie Manjula glaube ich auch, dass Swann mehr in die Idee der Liebe verliebt ist als tatsächlich in Odette. Gerade mit Marias vorangegangenem posting " Da er seiner eigenen Identität unsicher war, versuchte er, seine innere Wirklichkeit an Gegenstände in der Außenwelt zu koppeln." könnte das auch ein Versuch Prousts sein, seine eigene, philosophische Wirklichkeit über die Liebe niederzuschreiben. Also eine Idee der Liebe mit allen Hochs und Tiefs zusammen mit Prousts eigenen Erfahrungen - oh, ist das schwer zu erklären - ich hoffe, ihr versteht, was ich meine.


    Wenn ich mit so Prousts Leben anschaue - danke, Maria für die Ausführungen - dann ist es doch erstaunlich, wieviel Schönes und Poesie daraus entstanden ist.


    Zitat

    Ich tue mir schwer zu begreifen, was es bedeutet, von etwas Besitz zu ergreifen, das weder völlig äußerlich noch völlig innerlich ist.

    Das verstehe ich auch nicht !


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen,


    danke für eure Gedanken. Helfen sie mir doch, die meinigen zu ordnen. :winken:


    Ich finde auch Proust baut Liebe auf um sie wieder zu demontieren. Wir lasen von der Schönheit der Odette, um dann ein paar Seiten weiter zu erfahren, dass sie in der Zeit dicker geworden ist.


    oder auch Swann. Plötzlich hat man einen Swann mit Toupe vor Augen.


    Ist schon grandios von Proust.


    Der Onkel:
    könnt ihr euch noch an die Szene in "Combray" erinnern, als der kleine Marcel seinen Onkel besuchte und dort eine "Dame" traf über die er nicht sprechen durfte? Das müßte ja dann bereits Odette gewesen sein!


    Schublade und Chrysanthemen:
    Swann bewahrt die Chrysanthemen, die er von Odette geschenkt bekommen hat, in seiner Schublade auf. Sie sind verwelkt und vertrocknet. Unbewußt begrub er bereits seine Liebe mit dieser Symbolik. Er meidet den Blick zu dem Schrank. Er will nicht hinschauen. Genauso wenig will er die wahre Odette sehen.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Guten Morgen,


    ich bin gestern an einer sehr schönen Stelle angelangt, die mich richtig mitgerissen hat: Swann ist auf einer musikalischen Soirée und eigentlich nicht mit dem Herzen bei der Sache, da wird plötzlich "seine" Vinteuilmelodie gespielt. Plötzlich bricht in ihm auf, wie schön der Beginn seiner Affaire war und sehr Odette abgekühlt ist. Proust schildert das so bewegend und anrührend, das war für mich bis jetzt der Höhepunkt in diesem sehr schönen Buch.


    Zitat von "JMaria"


    Der Onkel:
    könnt ihr euch noch an die Szene in "Combray" erinnern, als der kleine Marcel seinen Onkel besuchte und dort eine "Dame" traf über die er nicht sprechen durfte? Das müßte ja dann bereits Odette gewesen sein!


    Ja, das dachte ich mir auch. Ich habe dann nochmal zurückgeblättert, dort steht nicht eindeutig, dass sie es war, oder? Aber ich glaube es auch. Was haltet Ihr eigentlich davon, dass Odette behauptet, der Onkel habe sie mit Gewalt nehmen wollen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass das stimmen soll; andererseits hat Odette es nicht (mehr) nötig, Swann eifersüchtig zu machen.


    An welcher Stelle im Buch befindet Ihr Euch denn momentan?


    Liebe Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • Hallo zusammen,


    Zitat

    Der Onkel:
    könnt ihr euch noch an die Szene in "Combray" erinnern, als der kleine Marcel seinen Onkel besuchte und dort eine "Dame" traf über die er nicht sprechen durfte? Das müßte ja dann bereits Odette gewesen sein!


    Das war auch mein erster Gedanke. Da bhatten wir alle den selben Gedankenblitz. An diese Stelle bin ich gerade angekommen.


    Ich hoffe am Wochenende, ein großes Stück zu schaffen :lesen:


    Zitat

    Ist es tatsächlich so, dass Leiden zur Kunst führt? Hm...


    Absolutes "Ja" von meiner Seite. Wenn wir die alltägliche Durchschnittlichkeit überwinden, wenden wir uns zu den "großen Dingen und Gefühlen" hin (was immer das ist...?!), und hierin finden wir Genuss aber auch die Entdeckung des Leidens (Leidenschaft). Und aus dieser Empfindung des Leidens heraus entstehen die Meisterwerke der Kunst. (Interessantes Thema, aber hier nur nebenbei erwähnt).


    Bis dahin,
    A.Prometheus

    Zum Leben gibt es zwei Wege: Der eine ist der gewöhnliche, direkte und brave. Der andere ist schlimm, er führt über den Tod, und das ist der geniale Weg!<br />(Hans Castorp in &quot;Der Zauberberg&quot; v. Thomas Mann)

  • Hallo zusammen,


    ich bin jetzt an der Stelle, als Odette zugibt, dass sie auch mit Frauen ein Liebesverhältnis eingegangen ist. Das hat mich jetzt doch umgehauen. Swann wollte alles ganz genau wissen.


    Was mir auffiel, vielleicht wurde es auch bereits erwähnt(?), ist, dass in "Eine Liebe von Swann" alles sehr chronologisch zugeht. In "Combray" verschwammen die Zeitlinien. Was ich in "Combray" als sehr reizvoll empfand.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Guten Morgen,


    ich bin inzwischen an der Stelle angelangt, an der Swann von dem Spaziergang mit Odette, Napoleon III. und Marcels Großvater träumt.


    Es wird immer eindringlicher geschildert, wie sehr Swann Odette verfallen ist. Es widerstrebt mir immer noch, diese Besessenheit Liebe zu nennen, aber es ist auf jeden Fall ein so starkes Gefühl, wie es wohl viele Menschen nie kennen lernen. Swann hat nichts anderes mehr im Kopf als Odette, seine alten Freunde sind ihm nur noch wertvoll, wenn sie ihm etwas von ihr erzählen können, selbst Prostituierte fragt er nach ihr aus. Auch der Erzähler spricht von „krankhaften Gefühlen“ Swanns. Ich finde diese Schilderungen faszinierend – wie quälend muss eine solche Liebe sein.


    Besonders deutlich kommt das in der Szene mit Odettes „Frauengeschichten“ heraus. Die ausweichenden Antworten Odettes sind eine Qual für ihn, aber er kann es nicht lassen, weiter zu fragen. Ihre Erwiderung „ich weiß es nicht mehr, vielleicht, vor sehr langer Zeit einmal…zwei- oder dreimal vielleicht“ ist aber auch mehr als merkwürdig. Auch wenn sie sehr viele Beziehungen hatte und – wenn die Gerüchte stimmen – auch in Stundenhotels geht, ist ein intimes Erlebnis mit einer Frau doch wohl trotzdem etwas Außergewöhnliches, das man nicht „halb vergisst“. Oder wollte sie ihn nur eifersüchtig machen?


    Odette ist für mich sowieso nach wie vor ein schwer fassbarer Charakter. Eine Eigenschaft, die ihr mehrfach zugeschrieben wird, ist ihre geringe Intelligenz (die Stelle, an der M. Verdurin sich darüber lustig macht, dass Swann versucht, sich mit ihr über Musik zu unterhalten, fand ich recht bissig); ansonsten wird sie aber nur verschwommen beschrieben. Selbst ob die Gerüchte über sie wahr sind, erfährt man nicht mit Sicherheit.


    Wo ich im Buch stecken geblieben bin, sieht es übrigens so aus, als könne sich Swann von Odette lösen – ich kann es aber nicht glauben.


    Die Sprache finde ich immer noch wunderbar, deshalb zum Schluss noch einige Zitate, die mir besonders gefallen haben:


    Zitat

    Man weiß nicht, wie glücklich man ist. Man ist nie so unglücklich, wie man glaubt.


    Und später:


    Zitat

    …er sagte sich, dass man sein Unglück nicht kennt und niemals so glücklich ist, wie man glaubt.


    Und vor der Befragung Odettes bzgl. ihrer Frauengeschichten:


    Zitat

    Er sah schweigend zu, wie ihre Liebe starb.


    Einfach schön.


    JMaria: ja, diese unterschiedlichen Zeitlinien sind mir auch aufgefallen. Generell empfinde ich den Stil in "Eine Liebe von Swann" ganz anders: in "Combray" kam mir alles eher verschwommen und träumerisch vor, während hier exakt und manchmal auch ein bißchen zynisch (z.B. die Beschreibung der Gäste auf der musikalischen Soiree) dargestellt wird. Gefällt mir beides gut.


    Zitat von "A. Prometheus"

    Wenn wir die alltägliche Durchschnittlichkeit überwinden, wenden wir uns zu den "großen Dingen und Gefühlen" hin (was immer das ist...?!), und hierin finden wir Genuss aber auch die Entdeckung des Leidens (Leidenschaft).


    Diese Beschreibung würde ja auch auf Swann passen, Leiden hat er ja genug entdeckt. Mal sehen, ob auch bei ihm daraus Kunst erwächst.


    Viele Grüße
    Manjula

    [size=10px] &quot;Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden.&quot; [/size]

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  • Hallo zusammen,




    Guten Morgen,


    ich bin inzwischen an der Stelle angelangt, an der Swann von dem Spaziergang mit Odette, Napoleon III. und Marcels Großvater träumt.


    Es wird immer eindringlicher geschildert, wie sehr Swann Odette verfallen ist. Es widerstrebt mir immer noch, diese Besessenheit Liebe zu nennen, aber es ist auf jeden Fall ein so starkes Gefühl, wie es wohl viele Menschen nie kennen lernen. Swann hat nichts anderes mehr im Kopf als Odette, seine alten Freunde sind ihm nur noch wertvoll, wenn sie ihm etwas von ihr erzählen können, selbst Prostituierte fragt er nach ihr aus. Auch der Erzähler spricht von „krankhaften Gefühlen“ Swanns. Ich finde diese Schilderungen faszinierend – wie quälend muss eine solche Liebe sein.



    Ich bin nun durch mit "Eine Liebe von Swann". Die obige Traumszene und bis zum Buchende, fand ich sehr intensiv geschrieben.
    Dieser Schlaf, der zur Erinnerung führt, wie es in der Anfangszeit seiner Liebe zu Odette war, bis zum Erkalten der Liebe und doch ...


    Es scheint am Ende des Buches, als ob er Odette überwunden hätte. Wir wissen jedoch aus "Combray", dass Swann Odette geheiratet hat. Wie das wohl zustande kam?


    Ich glaube seiner letzten Aussage sowieso nicht so recht. Dazu ist Swann zu ... ja was ... ichbezogen, dass er der Sieger sein möchte? oder ... besessen, ... ?


    Zitat


    Odette ist für mich sowieso nach wie vor ein schwer fassbarer Charakter. Eine Eigenschaft, die ihr mehrfach zugeschrieben wird, ist ihre geringe Intelligenz (die Stelle, an der M. Verdurin sich darüber lustig macht, dass Swann versucht, sich mit ihr über Musik zu unterhalten, fand ich recht bissig); ansonsten wird sie aber nur verschwommen beschrieben. Selbst ob die Gerüchte über sie wahr sind, erfährt man nicht mit Sicherheit.


    geringe Intelligenz - das entging mir ganz. Danke für diesen Gedanken.
    Stimmt - wir erfahren von Odette nur soviel, wie nötig, um Swanns Reaktionen und Aktionen zu erklären. Eigentlich gibt uns Proust das bereits im Titel des Buches. Eine Liebe von Swann. Nicht DIE, sondern EINE ... viel zu unbestimmt und sozusagen ist der Partner garnicht wichtig in dem Buch, außer um diese Liebe zu erklären. Wenn ich das ein bißchen romantischer weiterspinne, dann würde ich sagen, dass DIE Liebe, also die einzige Liebe im Leben, eine zeitlose, nie endende Liebe ist. EINE Liebe, wie in Eine Liebe von Swann, ist eine Liebe die ein Anfang und ein Ende hat...


    Ein bißchen verhaspeln sich jetzt meine Gedanken *g* - aber ich denke, ihr verzeiht mir diesen Gedankenausflug, der mich vielleicht auch in die Irre führt.


    Ich freue mich schon auf eure Schlußgedanken zum 2. Teil.


    Manjula;
    Danke für die Zitate. Ich fand sie sehr schön und sie fallen beim Lesen sofort auf. Das sind so Momente, da stockt mir das Lesen, weil ich es auf mich wirken lassen muß.


    Ich fange schon mal mit dem 3. Teil "Ortsnamen - Namen überhaupt" an. Ein seltsamer Titel.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen !


    Ich bin auch soeben mit "Eine Liebe von Swann" fertig geworden.


    Wie ihr schon geschrieben habt, waren Odettes Frauenbeziehungen überraschend und es war auch sehr eindringlich, wie Swann mit Odette abgeschlossen hat. Ich vermute, dass es sicher eine bestimmte Struktur der Liebe gibt und habe versucht, das mal nachzuvollziehen:


    erste Sympathie - Begegnung bei den Verdurins
    Beginn der Liebe - Ähnlichkeit Odettes mit Botticellis Bild
    Liebe - das Musikstück und Cattleya spielen
    Eifersucht und Lügen
    Ende der Liebe und Erinnerung daran - anonymer Brief und das Musikstück bei der Marquise Sainte-Euverte
    Loslassen der Liebe - der Traum


    JMaria schrieb:

    Zitat

    dann würde ich sagen, dass DIE Liebe, also die einzige Liebe im Leben, eine zeitlose, nie endende Liebe ist. EINE Liebe, wie in Eine Liebe von Swann, ist eine Liebe die ein Anfang und ein Ende hat...


    Das finde ich einen sehr interessanten Gedanken, eine derartige Abgrenzung (Romantik-Realismus)scheint mir plausibel, zumal Proust ja diesen Teil , wie auch der lineare Zeitaufbau zeigt, in einem realistischen Stil geschrieben hat. Folgendes habe ich noch in meinem Nachwort gefunden:
    "Un amour de Swann" steht ganz unter dem Zeichen Balzacs, beziehungsweise in der Tradition des psychologischen Gesellschaftsromans, während in den Combray-Kapiteln die Autoren anklingen, die Proust in seiner Jugend gelesen und verehrt hat: Augustin Thierry, Jules Michelet, George Sand, Anatole France, Pierre Loti.


    Ich bin auch schon gespannt auf den dritten Teil !


    Gruß von Steffi

    Gruß von Steffi

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  • Hallo zusammen




    Absolutes "Ja" von meiner Seite. Wenn wir die alltägliche Durchschnittlichkeit überwinden, wenden wir uns zu den "großen Dingen und Gefühlen" hin (was immer das ist...?!), und hierin finden wir Genuss aber auch die Entdeckung des Leidens (Leidenschaft). Und aus dieser Empfindung des Leidens heraus entstehen die Meisterwerke der Kunst. (Interessantes Thema, aber hier nur nebenbei erwähnt).


    Bis dahin,
    A.Prometheus


    dazu ein weiterer Hinweis aus der Proust-Biographie von Ronald Hayman. Proust macht sich Gedanken über seine Krankheit in Bezug auf seine Pläne einen Roman zu schreiben. Er hält seine Krankheit als Antrieb seinen Roman nieder zuschreiben. Er hält dies in seinem Notizbuch fest:


    "Wir halten die Vergangenheit für mittelmäßig, weil wir sie denken, doch die Vergangenheit ist das nicht, ....
    Vielleicht sollte ich meiner schlechten Gesundheit dankbar sein, die mir durch den Ballast der Müdigkeit, der Bewegungslosigkeit, der Stille die Möglichkeit zu arbeiten beigebracht hat. Die Ankündigungen des Todes. Bald wirst du dies alles nicht mehr sagen können. Die Trägheit oder der Zweifel oder die Ohnmacht flüchten sich in die Ungeweißheit über die Form der Kunst. Muß man daraus einen Roman machen, eine philosophische Untersuchung, bin ich Romancier?"



    Liebe und Kunst, ein immer wieder auftauchende Bild.
    Vielen Dank für die tolle Struktur.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

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  • Hallo zusammen !


    Wie empfindet ihr die ersten Seiten des 3. Teils ? Es war für mich fast ein bißchen wie ein Schock, in so eine Bilderflut hineingestoßen zu werden. Aber natürlich ist es schon verblüffend, wie wenig man sich selbst und wie viel sich Proust Gedanken macht um die Entstehung solcher Bilder von Orten.


    Fast könnte man es bedauern, wie diese Bilder der Orte verschwinden, wenn man dann selbst dortgewesen ist. Und vielleicht sollte man sich daher auch manche Orte in Gedanken erhalten und nie dorthinreisen ? Und doch packt man seine Empfindungen dann auch wieder in die Orte hinein, wenn man sie wieder verlassen hat.


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen,


    ja, der dritte Teil unterscheidet sich wieder ganz stark von dem zweiten. Die Landschaftsschilderungen sind sehr intensiv; das Wort „Bilderflut“ trifft es genau.


    Und dann wieder eine so ausschließliche, fast wahnhafte Liebe. Und wieder ist es unklar, welche Gefühle die Geliebte hegt. Anscheinend kann Marcel aber das fast Wahnhafte seiner Gefühle besser begreifen als Swann: z.B. als er beim Ausbleiben seiner Großmutter einen Verkehrsunfall vermutet, diesen aber vor allem deshalb schrecklich findet, weil er dann einige Zeit nicht in die Champs-Elysées gehen könnte: hier merkt er, dass das nicht „normal“ sein kann und findet zu der Erkenntnis „Man liebt niemanden mehr, wenn man liebt“.


    Später beschreibt er, wie seine Liebe quasi spiralenartig wächst: „da man stets den Wunsch hat, für seine Leidenschaft eine Begründung zu finden und glücklich ist, in dem Wesen, das man liebt, Vorzüge zu erkennen (…) und sich diese, indem man sie nachbildet, zu eigen und zu neuen Gründen seiner Liebe macht…“ Er redet sich ja quasi die guten Eigenschaften von Gilberte ein, um sich eben wegen dieser noch stärker in sie zu verlieben. Seine Liebe wächst also aus ihm selbst und hat mit der „Geliebten“ gar nicht so viel zu tun; sie ist eher seine Projektionsfläche (wie bei Swann). JMaria, Du hast damit:


    Zitat

    Eine Liebe von Swann. Nicht DIE, sondern EINE ... viel zu unbestimmt und sozusagen ist der Partner garnicht wichtig in dem Buch, außer um diese Liebe zu erklären.


    dasselbe gemeint, oder?


    Jedenfalls hat mich dieser Teil sehr gefesselt und ich bin deshalb sehr schnell am Ende angekommen. Und was für ein schöner Satz auf der letzten Seite: „…mich verstehen lehrten, welcher Widersinn darin liegt, wenn man die Bilder der Erinnerung in der Wirklichkeit sucht, wo immer der Reiz ihnen fehlen muss, der im Gedächtnis wohnt und mit den Sinnen nicht wahrgenommen werden kann.“


    Schön.


    Viele Grüße
    Manjula

    [size=10px] &quot;Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden.&quot; [/size]

  • Hallo zusammen !


    Ich bin auch gestern fertig geworden !


    Der Schlußteil ist wirklich ganz großartig. Am Ende hatte ich ebenfalls dieses Einsamkeitsgefühl, das Proust aufbaut, indem er die Erinnerungen nicht in der Realität wiederfinden kann. Dieses Gefühl passt auch auf das Ende des Buches, alles exisitert nur in den Gedanken des Autors und doch war mir vieles so nah !


    Gruß von Steffi

  • Ihr Lieben,


    ich bin in den letzten Wochen nicht zum Weiterlesen gekommen. Ich hatte den 3. Band zwar begonnen, doch merkte ich, dass ich zu abgelenkt war, um mich dem Stil des Romans anzupassen, der wieder ganz anders ist als "Eine Liebe von Swann". Ich werde das Versäumte in den nächsten Tagen nachholen.


    Nachreichen möchte ich eine Nachricht aus dem Börsenblatt online:


    ----------------------------
    "Proust" von Joseph Czapski wird "Buch des Monats"


    Die Darmstädter Jury, zu der auch Wilhelm Genazino, Peter Härtling, Peter Benz und Hanne F. Juritz zählen, wählten den Essayband zum "Buch des Monats" Januar 2007.


    Der Essayband "Proust – Vorträge im Lager Grjasowez" (Friedenauer Presse) des polnischen Schriftstellers entstand im Winter 1940/41 im sowjetischen Kriegsgefangenenlager Grjasowez und erzählt von Czapskis Annäherung an den französischen Schriftsteller.


    ---------------------------


    Den Essayband habe ich mir vorgemerkt.


    Ich hoffe, ihr habt/hattet schöne Festtage. Ich bekam "Wie Proust Ihr Leben verändern kann. Eine Anleitung. "
    von Alain de Botton
    geschenkt. Paßt ja wunderbar! *g*


    Herzliche Grüße
    Maria

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  • Hallo zusammen!


    Ich wünsche allen hier im Forum ein frohes Weihnachtsfest.


    Auch ich habe endlich den zweiten Teil beendet und beginne jetzt den dritten. Leider hatte ich in den letzten Tagen kaum Zeit zum Lesen.


    Doch jetzt geht's wieder los... :lesen:


    Bis dahin
    A.Prometheus

    Zum Leben gibt es zwei Wege: Der eine ist der gewöhnliche, direkte und brave. Der andere ist schlimm, er führt über den Tod, und das ist der geniale Weg!<br />(Hans Castorp in &quot;Der Zauberberg&quot; v. Thomas Mann)

  • Hallo zusammen,


    ich habe den dritten Teil beendet. :freu:


    An einigen Passagen wird die Liebe zu Gilberte wunderschön beschrieben. Ich war fasziniert und tief ergriffen von einigen Situationen und Beschreibungen Marcels.


    Allerdings musste ich auch feststellen, dass ich bei einigen Passagen den Faden verlor. Der Schreibstil von Proust ist sicherlich einzigartig, aber ich finde ihn leider auch stellenweise langatmig. Im dritten Teil konnte ich die Tiefe von Combray nicht wieder entdecken.


    Ich bin gespannt auf weitere Meinungen.


    So - und nun wünsche ich allen einen "guten Rutsch" ins neue Jahr.


    Bis dahin
    A.Prometheus

    Zum Leben gibt es zwei Wege: Der eine ist der gewöhnliche, direkte und brave. Der andere ist schlimm, er führt über den Tod, und das ist der geniale Weg!<br />(Hans Castorp in &quot;Der Zauberberg&quot; v. Thomas Mann)

  • Hallo zusammen,


    Zwischenbericht zu "Ortsnamen - Namen überhaupt":


    Von einigen Passagen war ich auch ergriffen. Interessant fand ich, dass das Buch wieder mit einem "Zimmer" beginnt, ähnlich wie "Combray". Zimmer spielen bei Proust eine große Rolle, sie sind für ihn wohl eine Art "Welt".
    Mir gefiel der Vergleich zwischen Naturbeschreibungen, Natur sich selbst überlassen und den maschinellen Erzeugnissen des Menschen - oder auch der Gedanke, dass die naturhaften Fischer und Walfische kein Mittelalter erlebten, zeitlos eben.


    Ich wunderte mich, wie er dann über den Stichpunkt "Namen" fließend auf Gilberte kommt. Unmerklich fließt eins ins andere.


    Unter einem Ameisenhaufen stellt sich jeder Mensch das gleiche vor, doch Namen und Ortsnamen können für jeden Menschen etwas anderes bedeuten, andere Gefühle auslösen, andere Bilder herauf beschwören.


    Das ist jetzt keine überragende Erkenntnis, doch Proust sensibilisiert den Leser. Das ist seine Stärke.


    Das sind meine Eindrücke. Mir fehlen noch ca. 20 Seiten, dann bin ich mit dem Buch durch.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen,


    ich bin nun auch fertig. Am besten gefiel mir in dem Buch der Gebrauch von Licht und Sonnenschein. Da gab es ein paar schöne Sätze.


    der Zeitsprung gegen Ende der Geschichte hat mich etwas verwirrt. Die Übergänge sind derart fließend.


    Was haben Tauben und Flieder gemeinsam? Die Verbindung fand ich dann doch erstaunlich *grins*
    Ergänzend:


    ...während wir begannen, auf dem Rasen zu spielen, und die Tauben aufscheuchten, deren schöne schillernde Körper, die beinahe herzförmig und im Tierreich eine Entsprechung des Flieders sind ...


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()

  • Hallo !


    JMaria schrieb:

    Zitat

    Was haben Tauben und Flieder gemeinsam? Die Verbindung fand ich dann doch erstaunlich *grins*
    Ergänzend:


    ...während wir begannen, auf dem Rasen zu spielen, und die Tauben aufscheuchten, deren schöne schillernde Körper, die beinahe herzförmig und im Tierreich eine Entsprechung des Flieders sind ...


    Das habe ich überlesen ! Überhaupt glaube ich, dass mir bestimmt viel entgangen ist, gerade in solchen kleinen Vergleichen ist Proust genial !


    A.Prometheus schrieb:

    Zitat

    Der Schreibstil von Proust ist sicherlich einzigartig, aber ich finde ihn leider auch stellenweise langatmig. Im dritten Teil konnte ich die Tiefe von Combray nicht wieder entdecken.


    Ja, manchmal haben mir die winzigen Kleinigkeiten auch zu schaffen gemacht. Ich haben den dritten Teil auch anders empfunden als Combray - nicht ganz so poetisch und, wie soll ich sagen, durchdachter oder gezielter ?


    Trotzdem, muss ich sagen, lässt mich Proust nun nicht mehr los ! Zwar brauche ich ein kleines Päuschen, aber der zweite Band liegt schon hier.


    Gruß von Steffi